Putin hatte Recht mit seiner Einschätzung; Westeuropa ist militärisch schwach geworden, sprach nicht mit einer Stimme, verfolgt keine einheitliche Strategie und ist ohnehin nicht in der Lage, den Einmarsch in die Ukraine zu verhindern.
Putin war vorbereitet auf Wirtschaftssanktionen, hatte Finanzreserven gebildet, die Allianz mit China vertieft.
Putin hielt seine Truppen für hoch motiviert, ließ seinen Soldaten, wie weiland Rumsfeld und GWB 2003 den G.I.s mitteilen, der Gegner (Ukraine, Irak) werde sehr schnell aufgeben, vermutlich die Waffen wegwerfen und die Eroberer als Befreier bejubeln. Das stellt sich offenbar jetzt schon in der Ukraine, wie damals im Irak als Irrtum heraus.
Putin glaubte, die Weichlinge in der EU würden in einen Hühnerhaufenmodus verfallen, ängstlich sein und sich untereinander zerstreiten. Auch diese Kalkulation schien die ersten zwei bis drei Tage aufzugehen. Insbesondere die sehr von russischen Energielieferungen abhängigen Länder, wie Italien, aber auch Deutschlands Finanzminister Lindner, zögerten die ganz grobe Keule SWIFT einzusetzen. Außenministerin Baerbock bekräftige (mit guten Argumenten), keine Waffen in die Ukraine zu liefern, kaum eine europäische Nation wollte russischen Privatflugzeugen die Überflugrechte verwehren. Für die Twitter-Schreihälse, die immer schon nach wenigen Minuten die einfachen Lösungen parat hatten, galt Scholz schon als Weichei, weil er nicht mit radikalen antirussischen Maßnahmen vorgeprescht war. Aber vielleicht irrt sich Putin in dem deutschen Bundeskanzler am meisten. Olaf Scholz reagierte nämlich ganz anders als Spontanplapperer Trump und ganz anders als sich Klein Fritzchen Weltpolitik vorstellt. Er besprach sich gründlich mit seinen Ministern und den befreundeten Regierungen. Nach drei Tagen, in der heute erstmals an einem Sonntag abgehaltenen Sondersitzung des Bundestages, hielt er eine äußerst bemerkenswerte Regierungserklärung, deren Wortlaut vielfach genau nachgelesen werden muss.
Es ist offensichtlich eine Gesetzmäßigkeit; sozialdemokratische Bundeskanzler bekommen gewaltige internationale Krisen vor die Füße geworfen, müssen von eben auf jetzt Weltstaatsmänner sein.
Helmut Schmidt quälte die Ölkrise, stand für den von ihm entwickelten NATO-Doppelbeschluss zur Nachrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen, die Entwicklung einer gemeinsamen Währung und bekämpfte den RAF-Terrorismus.
Bei Schröder waren es erst der Kriegseinsatz im Kosovo (1999), dann 9/11 mit den Kriegen in Afghanistan (ab 2001) und Im Irak (ab 2003), sowie eine Jahrhundert-Reformprojekt der Sozialsysteme.
Olaf Scholz erlebt bereits an Tag 78 seiner Amtszeit einen Epochenumbruch, einen großen Krieg in Europa.
Heute räumte Scholz einen ganzen Strauß sozialdemokratischer und grüner Gewissheiten ab, kündigte Maßnahmen an, die alle Ampelparteien noch im Wahlkampf abgelehnt hatten.
[….] So kündigt er an:
die Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen -dafür soll ein einmaliges »Sondervermögen Bundeswehr« von 100 Milliarden Euro geschaffen werden;
die jährlichen Verteidigungsausgaben auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen;
dem Bau einer nächsten Generation von Kampfflugzeugen und Panzern zusammen mit Frankreich oberste Priorität einzuräumen;
und die Anschaffung der bewaffneten »Heron-Drohne« aus Israel voranzutreiben.
Scholz spricht also nicht nur wolkig von einer »Zeitenwende«. Er unterfüttert dies auch mit konkreten, grundlegenden Änderungen der Politik. Ein Beispiel: das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Jahrelang haben viele in der SPD dies abgelehnt, Martin Schulz warnte im Wahlkampf 2017, Deutschland dürfe keinesfalls zum »Militärbullen« im Herzen Europas werden. Auch noch im aktuellen Koalitionsvertrag vermied die Ampel ein Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel. Mit einer einzigen Rede wirft Scholz diese Position nun über Bord. Der SPD-Kanzler übernimmt damit die Führung, die viele Beobachter in den vergangenen Wochen vermisst hatten. [….]
Wer Führung bestellt, bekommt Führung.
Heute brillierte Scholz und zwar nicht nur mit dieser klaren, programmatischen und detaillierten Rede, sondern auch mit seiner akribischen Vorbereitung.
Scholz benutzt eben nicht die Brechstange, muss nicht auf seine „Richtlinienkompetenz“ pochen, wie es die lautesten Twitterer schon am 24.02.2022 besserwussten. Nein, ganz offensichtlich gelang es ihm, sowohl seine Koalitionspartner, als auch die Partner in der EU zu überzeugen. Lindner, Habeck, Lambrecht, Baerbock, sogar Mützenich und die SPD-Parteilinken stehen fest zusammen, erhoben sich mit vielen Unions-Abgeordneten zu Standing Ovations.
Die heutige Regierungserklärung in Berlin ist gar nicht gut für Wladimir Putin, der offensichtlich bereits nervös wird und verbal mit seiner Atomrassel spielte.
Ich mutmaße, im Kreml setzte man extra auf einen Kriegsbeginn kurz nach Merkel, weil man annahm, das chaotische Post-Brexit-Europa wäre dann relativ führungslos. Der unerfahrene neue Kanzler in einer Regierung mit den Grünen Peace-Ökopaxen hätte nicht die Autorität, um als Europas mächtigste Nation voranzugehen. Scholz verfüge auch nicht über den Willen dazu, weil Berlin unter der blutigen Historie des letzten großen Krieges in der Sowjetunion auf Ukrainischen Gebiet leide.
Bundeskanzler Scholz beweist Putin gerade das Gegenteil und schreibt jetzt schon Geschichte.
[….] Die Entscheidung der Bundesregierung, Waffen an die Ukraine zu liefern, ist historisch. Genau wie die Versprechen zur Ausstattung der Bundeswehr. Und beide sind richtig. Es kann nicht schaden, sich kurz ins Bewusstsein zu rufen, dass die Ampelkoalition erst seit zweieinhalb Monaten regiert. Vom Start weg wurden Olaf Scholz und seine Minister von einer Pandemie begleitet, die noch nicht zu Ende ist, einer Klimakrise, die an Dringlichkeit zunimmt, und seit dem 78. Tag von einem Krieg, wie ihn Europa lange nicht erlebt hat; eine Krise, deren Eskalationspotenzial furchterregend ist, wie die Drohung Wladimir Putins mit dem Einsatz von Atomwaffen zeigt, und die alle anderen Probleme überschattet, ohne sie zu beseitigen. Diese Regierung ist gezwungen, so schnell wie möglich Geschichte zu schreiben. [….]
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