Freitag, 28. April 2023

Linke Ossis

 

Gregor Gysi (*1948) liebe ich natürlich. Ein absoluter Glücksfall für die Linke und die Ostdeutschen insgesamt. Neben der leider viel zu früh gestorbenen Regine Hildebrandt (1941-2001) lange die einzige bundesweit bekannte, beliebte und authentische Stimme aus der Ex-DDR. Merkel ist natürlich noch sehr viel bekannter, aber weder wirkte sie authentisch ostdeutsch, noch ist sie unterhaltsam oder talkshowkompatibel. In 95% der Aussagen stimme ich mit Gysi überein, empfinde ihn recht geistreich und schlagfertig.

Aber in der Causa seiner faschistoid-völkischen Noch-Parteifreundin Sahra Sarrazin hat er sich vollkommen verrannt.

(….) Sehr viel problematischer ist aber Wagenknechts eiskalte Mitleidslosigkeit, die schon seit ihren Tagen als Sprecherin der „kommunistischen Plattform“ sichtbar wird.

So konnte sich nicht in die Opfer hineindenken. Für sie war die DDR ein politisches System mit Stärken und Schwächen. Tatsächlich war schon die jugendliche Wagenknecht so unangepasst, daß sie anders als viele bekannte Ost-CDU-Größen (wie Angela Merkel) früh den Konflikt mit „dem Regime“ suchte, nicht zur FDJ ging, bestraft wurde, indem sie nicht zum Studium zugelassen wurde, während sich die gesamte CDU-Promiklasse widerspruchslos mit Mauer und Schießbefehl arrangierte. Wagenknecht dachte in Blöcken; in ideologischen Großauseinandersetzung. Nicht in humanistischen Kategorien. Sie fühlte nie, daß die DDR auch etwas war, das Dschungelkönigin Djamila Rowe widerfuhr. Rowe, geb. 1967, wuchs in Berlin Lichtenberg auf, ihre Mutter war „Republikflüchtling“. Die Stasi rächte sich an der 13-Jährigen Djamila, die in Umerziehungsheime gesteckt wurde, so gefoltert wurde, daß sie mehrere Suizidversuche unternahm und ihre Teenagerzeit in einer Isolationszelle verbrachte. Sippenhaft für ihre Mutter, die nicht in der DDR bleiben wollte. Aber Wagenknecht kann offenbar nichts empfinden für solche persönlichen Leidenswege. Ihr fehlt jegliche Empathie. Das muss man wissen, um zu verstehen, wieso sie bei ihrem weiteren Eindringen in die Verschwörungstheorien, niemals Empathie für die jeweilige Opfer aufbringen konnte.

Die Juden waren ihr egal, als sie sich mit den antisemitischen Gelbwesten einließ, die Queeren waren ihr egal, als sie gegen die „skurrilen Minderheiten“ wetterte, die bei Dürren und Missernten verhungernden Menschen sieht sie gar nicht, wenn sie die Maßnahmen gegen den Klimawandel ablehnt und die in Pflegeheimen sterbenden Senioren waren ihr egal, als sie gegen Corona-Impfungen Position bezog.  (….)

(Die Wagenknecht-Sackgasse, 06.03.2023)

Zusammen mit dem Wagenknecht-Alliierten Dietmar Bartsch, der als Noch-Bundestagsfraktionsvorsitzender einer der Hauptverantwortlichen für den beispiellosen Niedergang und Bedeutungsverlust der Linken ist, versucht Gysi die homophobe AfD-Heldin in der Partei zu halten. Versucht das faktisch längst vollzogene Partei-Schisma plump zu übertünchen.

[….]  Die Linken-Politiker Dietmar Bartsch und Gregor Gysi haben ihre Partei dringend vor einer Spaltung gewarnt. „Schluss mit permanentem öffentlichen Streit, mit gegenseitiger Denunziation, mit Egotrips“, heißt es in einem gemeinsamen Appell, der der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. „Die Bildung einer zweiten linken Partei ist völlig überflüssig.“ Auch Ausschlussverfahren seien schädlich. [….]

(FR, 15.04.2023)

Gysi, der außenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, ist offenbar verwirrt. Glaubt er, die 2%-Partei für die die 5%-Hürde bei allen Wahlen 2022 (außer in Berlin) unerreichbar war, könnte sich noch mal in einen Kuschelclub mit der braunen Eminenz aus dem Saarland, die exorbitante Nebenverdienste einstreicht, aber nicht mehr im Bundestag erscheinen mag, zurückverwandeln?

Sahra Sarrazins anti-linke und anti-woke und anti-Grüne und anti-humanistische Verschwörungstheoretiker-Videos, werden 1:1 auf den antisemitischen rechtsextremen und hardcore-Schwurbler-Blogs, wie beispielsweise David Berger eingebettet und vom braun-putinesken Bodensatz bejubelt.

Natürlich sammelt sie dort Applaus und Zustimmung unter den Springerbestiefelten bomberjackigen Glatzköpfen. Es ist schließlich nicht schwer, den Soros-besessenen Covidioten-Mob zu enthusiasmieren. Wer bereits Aluhut trägt und sich vor Chemtrails fürchtet, ist leicht für Sahra Braun zu erreichen. Kein Kunststück.

Aber das ist erstens ungefähr so ethisch wie der Kapitän eines sinkenden Passagierdampfers, der sich als selbst rettet, indem er Frauen und Kinder aus den Rettungsbooten tritt und zweitens natürlich der Grund, weswegen die Linke für klassische linke Wähler unwählbar geworden ist.

Ich habe 30 Jahre lang nach 1989 für Rotrotgrün plädiert, verstehe mich durchaus im Pirinçci-Sinne als „linksgrünversifft“, aber so wie man keine Partei wählen kann, in der eine völkische Putin-Populistin als Aushängeschild fungiert, verbietet es sich mit ihr zu koalieren.

Ich will mit einer Partei, deren prominenteste Figur begeistert auf Nazi-Websites eingepflegt wird, nichts zu tun haben.

Wagenknecht entzückt mit ihrem Parforceritt durch die TopTen-Schwurbelthemen gerade in der Ex-DDR die Querfront.

[….] Die Nato habe Putin provoziert, Sanktionen schadeten dem Westen mehr als Russland und die Ukraine solle ihre "Maximalziele" im Krieg aufgeben. Ein "Maximalziel" ist für Wagenknecht die Befreiung der seit 2014 von Russland besetzten Krim. Die Frage, ob es nicht anmaßend sei, der Ukraine Bedingungen für einen Frieden zu diktieren, verkehrt Wagenknecht geschickt ins Gegenteil. Der Westen sei längst Teil des Krieges und dürfe der Ukraine nicht vorschreiben, dass sie bis zum letzten Mann zu kämpfen habe. Das kommt gut an beim Chemnitzer Publikum, mehrheitlich jenseits der 50. Ähnlich gut kommen an: antiamerikanische Töne, Attacken auf Vizekanzler Habeck, Augenrollen über "den Schwachsinn mit den Wärmepumpen", Sehnsucht nach Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild und die Behauptung, Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe wider besseres Wissen falsche Dinge über die Corona-Impfungen erzählt.

Das ist ungefähr die Themenmischung, die Wagenknecht die Querfront-Fantasien auf der äußersten Rechten eingebracht hat. Der rechtsextreme Publizist Jürgen Elsässer träumt schon lange von einer Allianz mit der Ostdeutschen. Für ihn ist Wagenknecht der lebende Beweis, dass es sogar bei den Linken Vernünftige gebe. "Ich freue mich, dass Sahra Wagenknecht in die Offensive geht und wünsche mir mehr davon", sagte Elsässer im November 2022 in Leipzig unter dem Jubel rechtsradikaler Anhänger. Elsässer hat Wagenknecht als "Die beste Kanzlerin" auf das Cover seines Compact-Magazins gehoben, "eine Kandidatin für Links und Rechts", und kam zu ihrer großen Demo nach Berlin.  [….]

(Iris Mayer, SZ, 20.04.2023)

Ich verstehe nicht, wieso Gysi nicht versteht, daß generell Links-affine Typen wie ich, niemals eine Frau wählen werden, die für Trump und Putin schwärmt.

Ich verstehe sehr gut, wieso die Linke reihenweise prominente Parteimitglieder verloren hat, die nur noch mit Austritt auf die langjährige Wagenknecht-Duldung reagieren konnten. Der frühere Europa- und Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi trat aus, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider verließ die Partei, Hennig-Wellsow warf hin, die Rheinland-Pfälzische Landeschefin Melanie Wery-Sims trat aus.

[….]  Wer Gregor Gysi ein wenig kennt, der weiß, dass er recht stur sein kann. Und vermutlich ist es nur mit dieser Sturheit zu erklären, dass er immer noch daran glaubt, die Linkspartei in ihrer gegenwärtigen Form retten zu können. Also unter weiterer Beteiligung von Sahra Wagenknecht, der innerparteilichen Oppositionsführerin. Ein Versuch ist es noch wert, findet Gysi. Er sitzt in seinem Bundestagsbüro im Jakob-Kaiser-Haus und sagt: "Ich arbeite daran, dass keine Abspaltung stattfindet und keine neue Partei gegründet wird. Und dieses Ziel habe ich noch nicht aufgegeben." [….]

(Boris Herrmann, SZ, 23.04.2023)

Gysi hat ganz offensichtlich den Kontakt zur Realität verloren.

Ich verstehe auch nicht, wieso sich die noch verbliebenen, nicht AfD-freundlichen Linken so passiv erdulden, wie parteischädigend sich Wagenknecht sich verhält. Natürlich wäre die wackelige Fraktionsstellung mit ein paar Weidelknechten weniger Geschichte. Man wäre nur noch ein Bundestagsgruppe mit weniger Privilegien. Aber sie wären weiter Bundestagsabgeordnete. Das sollte doch besser sein, als eine derart erpressbare zukünftige 2%-APO.

[….] Die Führung der Linken sitzt seit Monaten wie das Kaninchen vor der Schlange. Alle in der Parteispitze um Janine Wissler und Martin Schirdewan ahnen: Spaltet sich die frühere Fraktionschefin tatsächlich mit einer eigenen politischen Kraft ab, dürfte es rundgehen bei den Linken. Zukunft? Offen. Demoskopen bezifferten das Potenzial einer neuen Wagenknecht-Partei aktuell auf 24 Prozent. Ihre Parolen zum Ukrainekrieg und zur Migrationspolitik finden bis ins rechtspopulistische Spektrum hinein Zuspruch, Wagenknecht selbst dürfte mit ihrer Bekanntheit ziehen. Läuft es gut, könnte sie noch ganz andere Parteien herausfordern als jene, die ihr Mann Oskar Lafontaine einst mit gründete. […..]

(SPON, 28.04.2023)

Daß Wissler, Gysi und Schirdewan große Angst haben, verstehe ich. Aber erstens haben sie sich die desaströse Situation durch jahrelange Untätigkeit selbst eingebrockt und zweitens wählt man keine Partei, deren Chefs so damit beschäftigt sind, sich in die Hosen zu scheißen, daß sie sich nicht trauen den Mund aufzumachen.

Keine Stimme für die Partei der vollen Hosen.

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