Donnerstag, 8. Januar 2015

Nachtrag Charlie Hebdo.



Es kam, wie es kommen mußte.
Wenn ein religiös motiviertes Verbrechen die Weltöffentlichkeit in Atem hält, stecken die Doofen und Vernagelten aller Couleur ihre Köpfe hervor und versuchen Kapital aus der Situation zu ziehen.

Am Schnellsten war die braune CDU-Pestbeule Erika Steinbach, die einen Smiley-Tweet absetzte und es unmittelbar nach der Tat angebracht fand Witze zu reißen.
So eine sitzt im Fraktionsvorstand der mit riesigem Abstand beliebtesten Partei im Bundestag; jener Partei, mit der die Wähler so zufrieden wie nie zuvor sind.

Die ganz braune Pest à la Elsässer und Gauland war ebenfalls auf Zack und nutzte die Toten als Werbematerial für ihre Pegida aus.

Die Abscheulichkeit der Vertreter des rechten Randes überrascht kaum und ist daher immerhin erträglicher, als die Heuchler, die sich nun als Hüter des Friedens und der Meinungsfreiheit inszenieren.

HuffPo entblödete sich noch nicht mal den ultrakonservativen katholischen Fundamentalisten Sean Hannity (FOX) für seine Pöbeleien gegen einen Iman zu feiern. Ausgerechnet FOX, der Sender, der 24h/day Hass und Rassismus verbreitet, wird nun indirekt als Kämpfer für den links-atheistischen Charlie Hebdo gelobt. Geht es noch?

Ein Lichtblick ist, wie immer, taz-Kommentator Yücel.

Die Leichen in Paris waren noch nicht kalt, als die Ersten in Deutschland versuchten, sie für ihre Zwecke zu vereinnahmen: Pegida, Alexander Gauland von der AfD, einschlägige Webseiten, am Ende sogar die NPD, die auf ihrer Facebookseite erklärte, nun ebenfalls Charlie zu sein. Diesen Leuten sind ein paar linksliberale Karikaturisten scheißegal, sie freuen sich nur wie Bolle, ihre Ressentiments bestätigt zu sehen.
Darum, Spackos, hört zu: Wagt es nicht, die Toten von Paris zu instrumentalisieren. Denn für euch hätten die Satiriker von Charlie Hebdo zur „Lügenpresse“ gehört. Ihr könntet ahnen, was die für euresgleichen übriggehabt hätten. Was sie für euresgleichen in Frankreich übrighatten. Was die Titanic, der Postillon oder die „heute-show“ für euch übrighaben: nüscht. Absolut nüscht. Außer Kritik, Spott und Verachtung.
Ihr habt kein Recht, euch der ermordeten Satiriker zu bemächtigen.
[…]   Kein Aber
Damit wären wir bei der anderen Seite: Ich wünsche jedem islamischen Vorbeter und seinem Nachbeter, der der Verurteilung des Mordes ein „Aber“ hinterherschiebt, lebenslang Dresden an den Hals.
Dieses „Aber“ war am Mittwoch nicht in offiziellen Stellungnahmen in Deutschland zu hören, dafür umso mehr in sozialen Netzwerken. Und es sind weniger irgendwelche Salafisten, nicht mal allein Muslime, die sagen: Ja, schlimm. Aber die haben ja provoziert. Aber man müsse die religiösen Werte und Gefühle respektieren. Aber die Islamophobie. So formulierte es beispielsweise der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Es ist exakt dasselbe verlogene und beschissene „Aber“, wie man es von den Klemmrassisten von der AfD und Pegida kennt: „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber ...“  […]

Ich lobe ausdrücklich die Zeitungen wie beispielsweise die Hamburger Morgenpost, die nun die Charlie-Hebdo-Karikaturen nachdrucken und sich damit a posteriori auf die Seite der Meinungsfreiheit stellen.


Schöner wäre es natürlich gewesen, wenn sie früher entsprechend mutig gewesen wären, dem Jyllands-Posten beigestanden hätten, als er von radikalen Irren wegen der Mohammed-Karikaturen angegriffen wurde.
Wenn sich all die jetzt mutigen Zeitungen jedes Mal genauso ins Zeug gelegt hätten, wenn eine Satire-Postille von Kirchenvertretern angegriffen und verklagt wurde.

Wieso sind es wieder einmal nur der einsame hpd zusammen mit einigen atheistischen Gruppen, die eine Abschaffung des Einfallstors für religiöse Gewalt, den Gotteslästerungsparagraphen fordern?
Mit dem §166 StGB wird die Schwere einer Tat in Abhängigkeit des Erregungspotentials eines Religioten bestimmt.
Jemand kann für eine Meinungsäußerung bis zu drei Jahre in Haft kommen, wenn sich nur ein Inselverdummter findet, der sich genügend dadurch beleidigt fühlt.
Es ist ein Willkür-Paragraph, der jeder Objektivität abschwört.
Der Mist gehört SOFORT abgeschafft, wenn wir es tatsächlich ernst nehmen mit unseren westlichen Werten.

Es sind aber gerade auch Christen, die in unserer Gesellschaft wider die Meinungsfreiheit kämpfen und die gestern Ermordeten noch bespucken.

Nach Meinung der US-amerikanischen Lobbyorganisation «Catholic League» ist der Chefredakteur der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo», Stephane Charbonnier, nicht schuldlos an seiner Ermordung. «Wäre er nicht so narzisstisch gewesen, könnte er noch leben», erklärte der Vorsitzende der rechtskonservativen «Catholic League», Bill Donohue, am Mittwoch (Ortszeit) in New York. Das Magazin habe eine «lange und abstoßende Tradition», insbesonders religiöse Figuren zu verspotten. «Wir sollten aufhören, diese Art von Intoleranz zu tolerieren, die diese gewalttätige Reaktion hervorgerufen hat», so Donohue. […]

Nun ja, die katholische Kirche hat gerade im 21. Jahrhundert eine beachtliche Fähigkeit erlernt Täter in Opfer und Opfer in Täter umzudichten.
Das ist bei weltweit hunderttausenden Kinderfick-Fällen geradezu ihr Alleinstellungsmerkmal geworden. Die Täter vor der Justiz schützen, die Missbrauchten Kinder diffamieren und/oder anderen die Schuld geben - emanzipierte Frauen, den Schwulen, der liberalen Presse – je nach dem was gerade passt.
Nach diesem Drehbuch gehen auch die Islamhasser vor.
Sie haben eine im Kern ähnliche Ideologie wie die drei Charlie Hebdo-Killer: Hass auf andere.
Und nun nutzen sie den Hass der mörderischen selbsternannten Rächer, um ihren eigenen Hass zu etablieren.

Für was, für wen haben die ermordeten Journalisten von Charlie Hebdo gelebt? Für die Freiheit, öffentlich nach Belieben ja und nein zu sagen, für den Kampf gegen rechte und linke Ressentiments, für das Recht auf Verspottung religiöser und politischer Autoritäten. […]
Und für wen, für was sind die Karikaturisten gestorben? Für die NPD, für „Pegida“, für Alexander Gauland von der AfD, die sich der Mordopfer sogleich bemächtigten, als die Leichen noch warm waren, und sie als Zeugen aufriefen gegen die vermeintliche Islamisierung Europas, als Helfershelfer ihrer menschenfeindlichen Ressentiments in Dienst nahmen und zu Komplizen ihres Hasses erklärten.
Gauland, der „Pegida“ als „natürliche Verbündete“ seiner AfD betrachtet, betrieb öffentliche Leichenschändung, als er wenige Stunden nach den Morden beteuerte: „All diejenigen, die bisher die Sorgen der Menschen vor einer drohenden Gefahr durch Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft.“ – so wie natürlich auch die Morde des islamophoben Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die Sorgen der Menschen vor einer drohenden Gefahr durch die Islamophobie auf blutige Weise bestätigt haben. […]

Ich habe heute sehr sehr viel Zeitungen gelesen und immer wieder vorgehalten bekommen, wie groß die Ressentiments der Deutschen gegen „den Islam insgesamt“ sind - was auch immer das sein mag.

Es liest sich tatsächlich in weiten Strecken wie eine Werbekampagne für die Peginesen.

Stimmt es nicht irgendwie doch, daß die Muslime die Agenda bestimmen, daß sie die Melodie spielen, zu der der Westen tanzen muß?
Haben die Muslime in Deutschland folglich nicht irgendwie selbst schuld, wenn sie niemand leiden kann; wenn man sie am liebsten aus dem Land verweisen würde?

Solche Gedanken schwingen jetzt genauso durch die Mainstreampresse, wie durch das Internet.

In dieser verrückten Zeit lese ich dazu die sinnvollste Relativierung ausgerechnet in Springers „WELT“.
Der konservative Atheist Alan Posener rückt die Furchtidee von der islamischen Weltherrschaft auf das richtige Maß zurück.

[….] Eineinhalbtausend Millionen Muslime gibt es auf der Welt. Ein winziger Bruchteil davon sind Fundamentalisten, und davon ein Winziger Teil Terroristen. In Deutschland leben vielleicht viereinhalb Millionen Muslime, die überwältigende Mehrheit von ihnen gemäßigte türkische und kurdische Sunniten. Aber nach jedem Terroranschlag verlangen die Islamfeinde von „den Muslimen“ eine Distanzierung, als stünden alle Muslime unter Generalverdacht.
Noch vor sechzig, siebzig Jahren gab es so gut wie keine unabhängigen islamischen Staaten, lebten fast alle Muslime in Kolonien, die von christlichen Ländern seit Jahrzehnten, wenn nicht jahrhunderten beherrscht worden waren. Zu Recht hätte man von der „Europäisierung“ oder „Verwestlichung“ der muslimischen Welt reden können. Da muss es einem Moslem schon merkwürdig vorkommen, wenn nun ausgerechnet Europäer die „Islamisierung“ ihres Kontinents an die Wand malen – nachdem sie selbst die Muslime als billige Arbeiter ins Land geholt haben.
Noch in den letzten 20 Jahren haben die Russen in Afghanistan und Tschetschenien, die Serben in Bosnien und im Kosovo genozidale Operationen gegen Muslime durchgeführt; die Chinesen unterdrücken seit Jahrzehnten die muslimischen Uiguren; in Indien wird der Hindu-Nationalismus von Muslimen als Bedrohung empfunden. Von den westlichen Operationen im Irak und in Libyen und vom israelisch-palästinensischen Konflikt will ich erst gar nicht anfangen. Wie muss es einem hier lebenden Moslem vorkommen, wenn nun Menschen grölend durch Dresden ziehen, „Wir sind das Volk“ rufen – und Politik und Medien, teilweise jedenfalls, statt von den Ängsten der muslimischen Bürger zu reden, die Ängste der Rassisten ernster zu nehmen versprechen? [….]

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