Dienstag, 24. März 2015

Radikaler Westen.


Das Tu Quoque-Argument wird in Diskussionen benutzt, wenn man dem Ausgangsargument, das einem entgegen geschleudert wird, inhaltlich nichts entgegen zu setzen hat.
Dann beleidigt man den Kontrahenten mit einem „Du bist genauso schlecht!“ und hofft durch die Nivellierung des Vorwurfs selbst aus der Angriffslinie zu kommen.
Ein offensichtliches Ausweichen.
Wenn man etwas amoralisches zu verantworten hat, wird es eben nicht dadurch besser, daß jemand anders sich genauso verderblich verhalten hat.

Wenn man aber immer nur auf andere zeigt und dann inverses Tu-Quoque anwendet, also ausdrücklich zum Vergleich auf sich selbst zeigt, wird etwas Positives draus – nämlich das immer wieder eingeforderte „vor der eigenen Haustür kehren.“
Streng genommen ist das eigentlich genauso unsinnig.
Wenn ich mich fortwährend darüber beklage, das der Nachbar mit 120 Dezibel Helene Fischer aufdreht, wird es nicht weniger unerträglich, wenn mir einfällt, daß ich vorletzte Woche mit 121 Dezibel Florian Silbereisen hörte.
Beides bleibt natürlich eine sittenwidrige Straftat.

Übertragen auf den außenpolitischen Diskurs ist es aber umso wichtiger immer wieder seine eigene Position zu erden, um nicht als Heuchler wahrgenommen zu werden.

Natürlich ist es zum Kotzen wie Schwule in Russland behandelt werden.
Aber wir (gemeint ist: „Deutschland als Teil des Westens“) erreichen mit Anti-Putin-Sanktionen natürlich gar nichts, wenn gleichzeitig Heerscharen westlicher Präsidenten katzbuckelnd und ehrfürchtig nach Riad pilgern und da vor einem Regime kriechen, das Homosexualität oder Atheismus mit der Todesstrafe belegt und diese auch massenhaft ausführt.
„Wir“ sind dann bloß unglaubwürdig.

Uns nimmt auch keiner ab, wir würden uns für Menschenrechte im Nahen Osten einsetzen, wenn wir gleichzeitig Bagrahm, Abu Graib und Guantanamo errichten und zudem immer wieder westliche Soldaten freisprechen, die mal eben aus Versehen Massenmord an unschuldigen Zivilisten begangen haben.
Ich erinnere an Oberst Kleins fatalen Einsatzbefehl in Afghanistan.

Interessanterweise hat die Bundesregierung seit dem Tanklaster-Desaster vom September 2009 keinerlei strategische Veränderungen vorgenommen.

Neu ist nur, daß der berüchtigte Oberst Klein, der den Befehl zur Bombardierung des Lasters gab, bei dem 140 Zivilisten starben, inzwischen befördert worden ist!
Deutschlands zweitbeliebtester Politiker, Verteidigungsminister Thomas de Maizière, machte Klein just zum General. 
Der Mann hat sich offenbar verdient gemacht.

Und wie soll man glaubwürdig ein Ende der Korruption verlangen, wenn die korruptesten und skrupellosesten Organisationen der Erde – FIFA und IOC – von einem Schweizer und einem Deutschen geleitet werden?

Wir echauffieren uns ZU RECHT über den religiösen Fanatismus der IS-Kämpfer, aber kein europäischer Politiker findet es irgendwie erwähnenswert, daß große Teile der Republikaner, die in beiden Kammern des US-Kongresses die absolute Mehrheit halten, mit aller Kraft eine allgemeine Krankenversicherung blockieren, weil sie unter anderem Krankheiten als Prüfungen Gottes ansehen, gegen die Beten viel mehr hülfe.


Wir empören uns über den Exodus der Christen aus der Levante und nehmen es gar nicht zur Kenntnis, daß Papa Cruz zur Freude seines Sohnes, des Präsidentschaftskandidaten Ted dazu auffordert alle Atheisten zu internieren.


[…]  Rafael Cruz, father of Texas Senator and Tea-Party favorite Ted Cruz, spoke recently against atheism and secular humanism. […]
“If there is no God, then we are ruled by our instincts,” he said. “Of course, this leads us, when there are no moral absolutes, leads us to sexual immorality, leads us to sexual abuse, leads us to perversion and, of course, no hope. No hope!”
In the past, Cruz, an evangelical preacher and avowed creationist, has claimed that God endorses the Death Penalty, that evolution is a communist trick aimed at converting people to atheism, that legalizing gay marriage will lead to preachers being arrested for hate speech just for reading the Bible, and that President Obama is a tyrant who needs to go back to Kenya. This is, however, the first time he’s laid out his plan on how to save mankind from secular humanism.


[…] He warned that atheists are in danger of corrupting the youth of America and called for action before America was overrun. His solution to what he termed ‘the problem of the Godless’ is the creation of a series of ‘Heathen Zones’- fenced-in camps located mostly in Northern California and Vermont.
“It’s a free country,” he said. “If these people need to practice their holy rites of atheism, they can do so, as long as they are in clearly-marked encampments far away from the rest of us.”
“While they’re in their Heathen Zones, they’re free to dance naked around the fire, brand the mark of the Devil on their flesh or whatever else they want to do,” he added. […]


Präsident Putin hält uns doch völlig zu Recht für Heuchler, wenn wir die Demokratie in Russland scharf kritisieren, aber gleichzeitig achselzuckend die exzessive und bestialischen Anwendung der Todesstrafe in Amerika hinnehmen.
Dort werden auch Minderjährige, psychisch Kranke und Unschuldige hingerichtet und zwar mit zunehmender Brutalität.
In Russland ist die Todesstrafe hingegen lange abgeschafft.


Also wie war das noch mal mit den westlichen Werten?

[…] Utah hat als erster Bundesstaat der USA die Wiedereinführung von Erschießungskommandos beschlossen. Gouverneur Gary Herbert unterzeichnete ein Gesetz, das die Hinrichtung durch Erschießen erlaubt, wenn keine Medikamente für Giftspritzen verfügbar sind.
Die Tötung eines Verurteilten durch ein Erschießungskommando sei zwar "ein kleines bisschen grausam", erklärte Herbert, aber in Utah gelte nun einmal die Todesstrafe und die müsse auch durchgesetzt werden. […] Der Republikaner Paul Ray, der den Gesetzentwurf in Utah eingebracht hatte, argumentierte, der Tod durch ein Erschießungskommando sei schneller und würdevoller als die Tötung mit der Giftspritze. "Das ist ein schnelles Verbluten", sagte der Politiker. […]


Warum fährt Pastor Gauck nicht mal in die USA und beklagt sich dort lautstark über Dinge, die man nicht tut?


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen