Es liegt in der Natur der Sache: Mit etwas Geschick kann man aus einer Biontech-Vakzin-Ampulle statt fünf auch sechs, möglicherweise sogar sieben Impfdosen gewinnen.
Er wird in Trockeneis bei -78,64 °C gelagert, hält einen Monat und muss nach dem Auftauen schnell verbraucht werden, weil er nach dem Anbruch nur wenige Tage auf Kühlschranktemperatur verwendbar ist und nicht wieder eingefroren werden kann.
In der Praxis wird man also immer mal wieder nach der Abarbeitung eines Impfplans streng nach Patientenpriorität einige Impfdosen übrig behalten, die man zügig verimpft werden sollten, da sie sonst entsorgt werden müssen.
Das wäre während einer Pandemie mit viel zu knappen Vakzin-Mengen aberwitzig und unmoralisch.
In solchen Fällen wird unter den Anwesenden gelost, entscheidet ein Zufallsgenerator oder es wird ohne das Thema aufzublasen einfach subjektiv von den Impf-Teams entschieden.
Nun gibt es seit ein, zwei Wochen zunehmend Berichte über Impfvordrängler.
Das Thema wird in Boulevardmedien und unter Verschwörungstheoretikern natürlich gehypt, um Stimmung gegen „die Obrigkeiten“ zu machen und das Vertrauen in den Staat zu untergraben.
[…..] Kommunalpolitiker, kirchliche Würdenträger oder Polizisten: Zahlreiche Berichte über Personen, die sich unberechtigterweise gegen das Coronavirus haben impfen lassen, machten in den vergangenen Tagen die Runde. […..]
Aber auch seriöse Medien, wie der SPIEGEL in seiner aktuellsten Ausgabe berichten von Zufallsgeneratoren, die im Fall von außer der Reihe zu vergebenden Impfdosen scheinbar wenig zufällig die Mächtigsten auswählen: Oberbürgermeister, Landräte, Stadträte, DRK-Chefs mitsamt Ehefrau, Bischöfe, Generalvikare, Funktionäre und viele Polizisten.
[…..] Warum ausgerechnet der Rathauschef dieses Privileg erhielt und nicht beispielsweise ein betagter Hochrisikopatient oder ein Mediziner, wurde aus Wiegands Schilderungen nicht recht klar. Es gebe für solche Fälle eine Liste mit wichtigen Personen der Stadt, da stehe er drauf, so Wiegand. Außerdem soll in dem Verfahren noch ein »Zufallsgenerator« eine Rolle gespielt haben – welche genau, wusste der Oberbürgermeister [von Halle] indes nicht zu erklären. Vom Impfteam in der Diakonie sei ihm aber versichert worden: Wenn er nicht sofort komme, werde der verderbliche Impfstoff »weggeworfen«. [……]
(DER SPIEGEL, 13.02.2021)
Es ist wie so oft bei Politikerskandälchen:
Eine Petitesse, eine Ärgerlichkeit triggert das Gerechtigkeitsgefühl der Bürger.
Der Imageschaden für „die Politiker“ insgesamt, der Vertrauensverlust in die politische Klasse ist um ein Vielfaches schwerwiegender als die eigentliche Tat.
Und gerade in der Pandemie brauchen wir dringend Vertrauen in das Führungspersonal. Aber dieses Vertrauen wird von den partiell kriminellen Großversagern wie Jens Spahn, der nicht nur einen gewaltigen finanziellen Schaden für den Staat anrichtet, sondern dessen Maskendebakel womöglich auch zu Myriaden unnötig Infizierten geführt hat, ohnehin schon strapaziert.
Es versteht nur kaum ein Bürger wie das EU-Beschaffungsprogramm für die Impfstoffe verschiedener Hersteller funktionierte. Das Impfstoffdebakel zerstört das Fundament des Staates. Spahn kommt demoskopisch glimpflich davon, weil seine Entscheidungsprozesse ohnehin für die meisten nicht nachvollziehbar sind.
Sehr plastisch vorstellen kann sich aber Otto Normalverbraucher, der für Oma und Opa stundenlang die Impfhotline anwählte, wie dringend man die Impfung braucht und platzt dann vor Wut über den Landrat, der sich mal eben vordrängelt.
Es ist wie mit Ulla Schmidts Dienstwagen. Kaum einer versteht eine Gesundheitsreform oder kann nachvollziehen wie und wofür die vielen Milliarden in der Pharmaindustrie versickern.
Aber eine in Spanien bereitgestellte Dienstlimousine zum Preis weniger tausend Euro regt das Volk über alle Maßen auf. Das sind die Dimensionen, in denen man denken kann.
Es ist mir herzlich egal, ob sich bei 50, 60 oder 70 Millionen zu impfenden Personen in Deutschland, ein paar Dutzend Funktionäre vordrängeln.
Es wäre naiv anzunehmen, dabei käme es zu keinen Unregelmäßigkeiten.
Selbstverständlich ist der Egoismus einzelner größer als das Verständnis für den Vertrauensschaden, den sie in Deutschland anrichten.
Sie sollten wissen, daß keine Zeitung, keine Boulevardsendung und keine Verschwörungstheoretiker-Facebookgruppe über die 90% oder 99% Mitglieder der Impfteams berichten, die bei übrig gebliebenen Vakzinen verantwortungsvoll agieren und nicht irgendwelche Bonzen bevorzugen.
Menschen sind Idioten und deswegen machen die ertappten Impfvordrängler es wie 99% der bei Betrügereien erwischten Funktionäre stets noch schlimmer. Das Handling des Skandals wird durch Leugnen, Salamitaktik und erbärmliche Ausreden viel schlimmer als der eigentliche Skandal.
Statt einfach zuzugeben, sich vorgedrängelt zu haben und kleinlaut Besserung zu geloben, kommen sie mit abenteuerlichen Geschichten von Zufallsgeneratoren, die ihren Namen ausgespuckt hätten.
Besonders dreist verhalten sich Kirchenfürsten wie der 60-jährige Augsburger Bischof Bertram Meier und sein Generalvikar Harald Heinrich.
Als Seelsorger dürfe er nicht seine Schäfchen in Pflegeheimen gefährden.
[…..] „Ich habe mich nach der Impfung nicht gedrängelt“, betonte er. "Die kranken und alten Menschen in den Heimen brauchen Zuwendung und menschliche Nähe. Wer besucht sie denn noch? Sie brauchen aber auch die größtmögliche Sicherheit, dass ihnen niemand die Viren ins Zimmer bringt", so der Bischof. […..]
Allerliebst. Das sagt der Bischof nach einem Jahr, in dem Millionen verzweifelte Angehörige nicht mehr ihre kranken oder dementen Familienmitglieder besuchen durften. Myriaden Kindern und Ehepartnern das Herz gebrochen wurde, weil ihre Liebsten allein gestorben sind und sie sich nicht verabschieden konnten.
Aber ich bedauere keinen weiteren Imageschaden für die Kirche. Sie ist ohnehin ein Parasit und sollte sich ihrem Ende entgegenschrumpfen.
Bei der Politik ist es anders. Die brauchen wir noch.
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