Freitag, 12. Mai 2023

Gesundheitspolitische Unionioten

 

Erinnert sich noch jemand an die Praxisgebühr von 10 Euro, die von 2004 bis 2012 einmal pro Quartal erhoben wurde?

Das war eine konservativ-ideologische Idee, um den armen Plebs davon abzuhalten, wegen Bagatellen zum Arzt zu gehen. Beamte und Privatpatienten waren natürlich befreit von dem Unsinn.

Tatsächlich führte die Gebühr aber zu enormen Fehlanreizen, weil auch ganz gesunde Bürger gern noch mal zum Ende eines bezahlten Quartals zum Arzt gingen, um die zehn Euro voll auszureizen, oder aber die Hausarztpraxen auf der Jagd nach Überweisungen verstopften.

Der Verwaltungsaufwand, acht bis neun Millionen Arbeitsstunden in den Arztpraxen pro Jahr, war enorm. Nicht nur mussten Quittungen ausgestellt werden, sondern auch geprüft werden, ob jemand unter die zahlreichen Ausnahmeregelungen fällt und ein Inkassoverfahren für säumige Zahler ins Leben gerufen werden. Nach acht Jahren wurde das Projekt als totaler Fehlschlag vom Bundestag beerdigt. Keine einzige Partei wollte die extrem unpopuläre Idee weiterverfolgen.

Grundsätzlich agiert die deutsche Politik viel zu zögerlich und vorsichtig. Immer werden bei als sinnvoll erachteten Maßnahmen gleich 37.000 Ausnahmen und Ausgleichszahlungen beschlossen, weil sich die Parteien von den betroffenen Lobbyisten fürchten. So wird die Lenkungswirkung konterkariert, bevor sie überhaupt eintritt. Beispiel Anspruch auf Kitaplatz und sofort wollte die CDU eine Herdprämie, um das Gegenteil der gewünschten Lenkung – mehr frühkindliche Bildung – auch zu fördern.

Insofern will ich die Praxisgebühr nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Sie war nicht gut durchdacht, aber immerhin wurde mal etwas Neues probiert.

In diesem Fall, etwas Neues, das krachend scheiterte. Aber daraus kann man immerhin lernen.

Erstaunlich ist es hingegen, daß Merzens Blackrockianer auch 20 Jahre später nicht von so einer Gebühr lassen mögen.

Nun soll es eine 20-Euro-Notaufnahmegebühr richten.

[…..] Die Union unterstützt den Vorstoß der Kassenärzte zu einer Gebühr für Patienten, die ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung in die Notaufnahme kommen. In einem Bundestagsantrag, der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt, schlägt die CDU/CSU eine Gebühr von 20 Euro vor  [….]

(dpa, 11.05.2023)

Weil das Notaufnahmepersonal noch nicht genug zu tun hat, soll es also auch noch ein paar Millionen Stunden als Zahlstelle fungieren.

[….] Offenbar hält sich die Begeisterung über den Vorschlag in Grenzen. Patientenschützer Eugen Brysch bezeichnete den Vorstoß etwa als "reine Polemik", FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann hält ihn für "populistisch und naiv". Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: "Die Forderung der Union nach einem Notaufnahme-Eintrittsgeld ist herz- und hilflos." Er bestrafe die Falschen, so der vorherrschende Tenor in den sozialen Netzwerken. Die Stellschrauben im Gesundheitswesen liegen demnach woanders. Zudem könne ein solches Vorgehen ernste Konsequenzen nach sich ziehen und sogar gefährlich sein.

So bezeichnet die Politikerin Paula Pichotta den Vorschlag gar als "dumm". Sie ist Fachärztin für Radiologie und sitzt im Deutschen Bundestag. Ihre Meinung zu dem Thema ist klar: "Liebe Union, liebe KBV, wir hatten sowas schon mal, es hieß Praxisgebühr und hat nicht ansatzweise die erwünschten Effekte erreicht. Fehler einmal machen: Ok. Fehler wiederholen, obwohl man's besser weiß: dumm."  [….]

(Anna Von Stefenelli, Watson, 11.05.2023)

Was ist mit Herzinfarkten oder Schußwunden? Sollen da erst in Ruhe 20 Euro abgerechnet werden? Und wenn jemand die 20 Euro nicht hat? Soll der dann sterben?
Heute hat die AfD mit 17% in einer YOUGOV-Umfrage SPD und Grüne (je 16%) überholt. Die Merz-Union mit ihren ewig-gestrigen Dummerle-Ideen liegt hingegen uneinholbar vorn mit 31%.

Dem nachhaltig verblödeten Urnenpöbel ist nicht mehr zu helfen.

[….] Patienten Strafe zahlen zu lassen, wenn sie unangemeldet in der Notaufnahme erscheinen - auf die Idee muss man erst einmal kommen.

Schlechte Argumente gewinnen nicht an Kraft, indem sie wiederholt werden. Insofern ist die Forderung der Union, eine Gebühr bei jenen zu erheben, die ohne Termin oder vorherige telefonische Abklärung in die Notaufnahme kommen, ermüdend und bereichert die Diskussion keineswegs. [….] Eine erschwerte Atmung kann bei einer Bronchitis vorkommen, die bald abklingt, aber auch eine lebensbedrohliche Lungenentzündung oder eine sich akut verschlechternde Herzschwäche anzeigen. Druck im Oberbauch kann nach ausschweifenden Mahlzeiten, während einer Refluxerkankung (beides kein akuter Notfall), aber auch als Vorbote eines Herzinfarkts auftreten.

[….] Ohne Anfassen, Abhören, Abtasten, Sehen, Fühlen und Riechen geht es in der Medizin nicht - den Arzt mit Hand und Sinnen kann keine KI und keine Telemedizin ersetzen.

Zudem hätte die Strafgebühr in der Notaufnahme eine zutiefst ungerechte Komponente. [….] Die Medizin leidet bereits jetzt daran, dass einkommens- und bildungsschwache Schichten schwerer Zugang zur optimalen Therapie bekommen. Die soziale Ungleichheit würde durch die Strafgebühr weiter vergrößert werden.  [….]

(Werner Bartens, 11.05.2023)

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