Sonntag, 21. Mai 2023

Kriegsplanung im Sandkasten.

 

Als militärischer Laie betrachtet man die Stärke von Armeen wie beim Quartett-Spiel auf dem Grundschulhof. Man vergleicht die Zahlen. 100.000 Soldaten sind schwächer als 300.000 Soldaten. 500 Panzer sind 90 Panzern überlegen und mit 70 Schiffen gewinnt man eine Seeschlacht gegen 17 Schiffe.

Diese Simpel-Sichtweise; sich an der Größe der eigenen Armee zu erfreuen, ist gut geeignet für jemanden wie Friedrich-Wilhelm I., (* 14. August 1688 in Cölln; † 31. Mai 1740 in Potsdam), den preußischen „Soldatenkönig“. Der Vater von Friedrich dem Großen wurde 1713 König in Preußen und Kurfürst von Brandenburg. Er krempelte sein bisher wenig bedeutendes Land vollständig um, militarisierte die Gesellschaft, verdoppelte das stehende Heer von 40.000 auf 80.000 Mann, um im Konzert der Großmächte mitzuspielen. Legendär wurde seine Leidenschaft für das Eliteregiment der „Langen Kerls“. Seine Vorliebe für alles Soldatische war insofern vorbildlich, daß er seine schöne Armee auf keinen Fall zerschießen lassen wollte. Kriege mied er; bis auf den kurzen Feldzug im Jahr 1715 an der Seite der Sachsen und Dänen gegen die Schweden, völlig.

Diese Art der Vorliebe für das Militär ist leider unüblich. Mächtige Herrscher mit mächtigen Armeen neigen dazu, diese auch einzusetzen, wenn es gegen einen offenkundig unterlegenen Gegner geht.

Nach SIPRI-Zahlen von 2021 zeigt sich beim Vergleich von Russland und der Ukraine eine in jeder Hinsicht klare Überlegenheit Putins.


Ich gebe zu; in der letzten Februar-Woche des Jahres 2022 gehörte ich auch zu denjenigen, die einen schnellen Durchmarsch der Russen bis nach Kiew erwarteten.

Was hatte die Ukraine schon dem offenkundig gut vorbereiteten Putin, der die Mobilität seiner Armee in Syrien und bei den Unruhen in Kasachstan (Januar 2022) demonstriert und alle Waffengattungen modernisiert hatte, schon entgegen zu setzen? Wäre es nicht aus humanistischer Sicht auch wünschenswert, wenn die Ukrainer ihre relative Schwäche einsehen, sich besser gleich ergeben, ihr Land vor der Zerstörung bewahren und damit viele Leben retten?

Armeen und Krieg kenne ich nur aus Büchern und Filmen. Von Uniformen und Waffen halte ich mich fern und würde daher nie behaupten über militärische Expertise zu verfügen. Meine offenkundigen Fehleinschätzungen aus den ersten Tagen des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24.02.2022 sind daher wenig verwunderlich. Ich muss auch keine militärischen Entscheidungen treffen. Ein Regierungschef schon. Daher werden sie in solchen Fällen beraten. Angela Merkel holte dafür richtigerweise einen Fachmann ins Haus. Brigadegeneral a. D. Erich Emmerich Hugo Vad (*1957) war von 2006 bis 2013 Gruppenleiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundessicherheitsrates und militärpolitischer Berater der Bundeskanzlerin Merkel. Vad, der 2023 zusammen mit den beiden militärischen Genies Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht auftritt, verfügt über die mir fehlende Expertise und war seit Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine Dauergast in TV-Formaten zum Krieg.

Das Bemerkenswerte and dem Kanzler-Fachmann für den Krieg ist seine Fähigkeit, sich immer nur zu irren und bei jeder militärischen Prognose Unrecht zu haben.

[….] Während andere, die später General wurden, ein Bataillon oder eine Brigade führten, wurde Vad Referent in der Arbeitsgruppe Verteidigung und Sicherheit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Statt seine Truppen durch Nato-Übungen oder im Afghanistan-Einsatz zu führen, beugte er sich über Konzeptionen und Einschätzungen für Christian Schmidt, den damaligen christlichsozialen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Verteidigung in der Union. Das war zu Beginn der nuller Jahre. Vad war damals Mitglied der CDU.

«Herr Oberstleutnant Dr. Vad leistete in den Jahren in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine nicht zu beanstandende Arbeit, die in konstruktiver Zuarbeit bestand», schrieb Christian Schmidt der NZZ vor einigen Tagen aus Sarajevo. Schmidt arbeitet dort seit einem Jahr als Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Nach ihrem Wahlsieg 2005 suchte Angela Merkel jemanden, der sich mit Militärpolitik auskannte. Sie holte Vad ins Kanzleramt. [….] In der Sendung von Maybrit Illner sass Vad mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und dem ehemaligen Aussenminister Sigmar Gabriel in einer Runde. Illner befragte ihn, als sei Vad Deutschlands fähigster General. [….] Vad sagte: «Ich denke, Putin wird diesen Krieg gewinnen, weil die russischen Streitkräfte modern sind, gut ausgestattet sind. Militärhilfe jetzt noch zu leisten, bringt nichts mehr. Militärisch gesehen, ist die Sache gelaufen. Meine Bewertung ist, dass es nur um ein paar Tage gehen wird und um nicht mehr.»  Mit dieser Einschätzung war er in Deutschland nicht allein. Sie war der Auftakt zu einer Tour durch die Talkshows und Nachrichtensendungen. Schon bei Illner sprach Vad von Dingen, die er als jemand, der neun Jahre ausser Diensten und über die Lage in der Ukraine kaum im Bilde war, nicht profund einschätzen konnte. Die ukrainischen Streitkräfte hätten veraltetes Gerät, sagte er zum Beispiel. Dabei verfügten sie etwa über moderne amerikanische Panzerabwehrraketen.  [….]

(NZZ, 19.03.2023)

Statt mich daran zu erfreuen, daß Militärexperten genauso verblödete Prognosen stellen, wie ich als Laie, frage ich mich allerdings inzwischen, wie irgendjemand im 21. Jahrhundert immer noch denken kann, Invasoren mit enorm überlegenen Armeen könnten „nach Papierform“ Kriege gegen schwächere Länder gewinnen.

Schließlich ist auch die mit Abstand größte und stärkste Militärmacht der Erde seit einem Dreiviertel-Jahrhundert immer nur gescheitert. Wo auch immer die USA angriffen, stets verloren sie auf lange Sicht.

1950-1953 Korea

1961 Schweinebucht-Desaster in Kuba

1964-1970 Laos

1964-1975 Vietnam

1992/3 Irak

2001 Afghanistan

2003 Irak

2017 Syrien

Die Sowjetunion, bzw Russland setzte bei „Stellvertreterkriegen“ im Gegensatz zur USA immerhin gelegentlich auf die Gewinnerseite.

1950–1953 Militärberatung Koreakrieg

1953 Aufstand in der DDR

1956 Ungarischer Volksaufstands

1965–1975 militärische Hilfe für Nordvietnam

1968 Prager Frühlings

Aber die großen Kriege, 1979–1989 Afghanistan und nun Ukraine entwickelten sich zu katastrophalen Fehlkalkulationen.

Durch die erbitterte Gegenwehr der Ukrainer, zahlte das Land nicht nur einen enormen Blutzoll und musste mitansehen, wie die Nation in Schutt Asche gelegt wird. Offenbar sind die Verluste auf russischer Seite noch erheblich größer.

Wir kennen nur die Schätzungen der Gegenseite, die mit größter Vorsicht zu bewerten sind. Die Ukraine spricht von bisher 200.000 getöteten russischen Soldaten.

[….] Weiterhin gedeihen Spekulationen über die Lage im umkämpften Bachmut – US-Präsident Joe Biden hat unterdessen den Blick auf Russlands Verluste in der Schlacht um die ostukrainische Stadt gelenkt. „Die Wahrheit ist, dass Russland mehr als 100.000 Verluste in Bachmut erlitten hat“, sagte Biden bei einer Pressekonferenz beim G7-Gipfel in Hiroshima. „Das ist schwer zu kompensieren“, betonte er. Das Weiße Haus hatte diese Zahl laut einem Bericht der Deutschen Welle bereits zuvor genannt.  [….]

(MM, 21.05.2023)

Als Hoffnung bleibt mir nur noch Chinas Präsident Xi. Möge er sich an Vietnam, Korea, zweimal Afghanistan, zweimal Irak und die Ukraine erinnern, wenn er auf simplen Graphiken ansieht wie enorm überlegen China dem Erzkonkurrenten Taiwan ist.

Prognosen sind immer schwierig; insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen.

Aber ob es Peking handstreichartig gelingen würde, die in seinen Augen abtrünnige Insel zu überrennen? Das wird nicht klappen.

Aber andererseits sind schließlich auch echte Militärexperten wie General Vad oder das Pentagon total verblödet. Wieso sollte Herr Xi also weitsichtiger bei seinen Eroberungsplänen sein?

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