Zunächst einmal empfehle ich als Einstiegslektüre Holger Gertz‘ Feuilletonartikel „Bremen als Lebensgefühl: Das Gegenteil von Söder“ aus der „Süddeutschen Zeitung“ von gestern. Die Animositäten zwischen dem größten, ewig schwarz regierten Flächenland und dem kleinsten, ewig rot regierten Stadtstaat, kulminieren perfekt in den Persönlichkeiten der beiden großen Regenten: Bovenschulte, 2m, und Söder, 1,94m.
Die Hamburger Sympathien liegen natürlich bei den Hansestadt-Brüdern.
Aus Südsicht des 70.550 km² großen Bayern, mögen die
drei im Norden aufgereihten Stadtstaaten winzig und verwechselbar sein:
Im Westen Bremen mit 326,7 km², in der Mitte Hamburg mit
755,2 km² und im Osten Berlin mit 891,8 km².
Wir Stadtstädter selbst unterscheiden natürlich sehr genau: Bremen ist die sympathischste, Hamburg die reichste und Berlin die vollste Stadt.
Die beiden bürgerlichen Hansestädte sind historisch sehr verbunden und teilen durch die großen Häfen eine ähnliche ökonomische und kulturelle Struktur, während die preußisch-monarchische Binnenstadt 500 Jahre jünger ist und stets eher politische, denn ökonomische Bedeutung erhielt.
Die Hauptstadt spielte immer gern eine Hauptrolle, gilt aber als eher unbeliebt, während in Bremen und Hamburg Understatement und angelsächsische Umgangsformen dominierten. Groß und laut und aufdringlich sind in den Hansestädten verpönt.
Ich spreche hier allerdings als Hamburger und nach meiner Beobachtung mögen wir alle Bremen. Wir besuchen unseren westlichen Bruder im Geiste regelmäßig und sind immer wieder entzückt. Daher habe ich ziemlich lange gebraucht, bis ich im Gespräch mit Bremern entdeckte, daß dies keineswegs auf Gegenseitigkeit beruht. Bremer vergleichen sich stärker mit Hamburg, sehen die größere Hafenstadt an der Elbe, als Konkurrenten und hochnäsigen, reicheren Schwippschwager. Zunächst verstand ich diese leicht neidische Sicht gar nicht, weil wir Hamburger doch voller Wohlwollen und ohne Missgunst auf Bremen blicken. Aber genau das ärgert manchen Bremer offenbar: Hamburger sind sich ihrer Überlegenheit bei allen ökonomischen Kenndaten so sicher, daß sie Bremen gar nicht als Konkurrenten fürchten.
Hamburg und Bayern sind beide Zahler des Länderfinanzausgleichs. Während aber Bayern ununterbrochen deswegen laut aufheult, auf die Pauke schlägt und in jedem Wahlkampf Kampagnen dagegen fährt, die den Nehmerländern Prasserei und finanzpolitische Unfähigkeit unterstellt, gibt es in Hamburg keinerlei Aufhebens um die Zahlungen, die unser Finanzsenator als ganz selbstverständliche hanseatische Solidarität empfindet.
Wieso sollte man also Hamburg nicht mögen, fragt man sich an Elbe und Alster mit Blick auf Bremen. Aber es kommt nicht nur auf das Verhalten des Gebers an, sondern auf das Selbstverständnis des Nehmers. Berlin kassiert die rund vier Milliarden Euro aus den anderen Bundesländern jedes Jahr mit großer Selbstverständlichkeit. Man sei schließlich Hauptstadt, leiste besondere Aufgaben für das ganze Land.
Bremen hingegen, das wie alle drei Stadtstaaten durch das Wohnsitzprinzip bei der Lohnsteuer der Pendler extrem benachteiligt wird, erhielt zuletzt rund 800 Millionen Euro aus dem Topf, würde aber nur zu gern, wie bis 1969, wieder Zahlerland werden.
Daß Bayern bis 1986 ununterbrochen und noch einmal 1992 selbst Nehmerland war, vergessen Markus Söder und seine CSU grundsätzlich.
That said, fand heute die Landtagswahl im Bundesland Bremen statt.
Es gab einige formale Parallelen zur Berliner Abgeordnetenhauswahl vom 12.02.2023.
1.
In beiden Stadtstaaten mit dem Anfangsbuchstaben „B“
regierte ein/e SPD-Bürgermeister/in in einer rotrotgrünen Koalition.
2.
Beide sind extreme Grünen-Hochburgen.
3.
In beiden Städten machten sich die Grünen Hoffnungen nach Stuttgart den zweiten Ministerpräsidentensessel zu erklimmen.
4.
Beide Grüne Landesverbände erkoren eine hochumstrittene und unbeliebte Senatorin zur Spitzenkandidatin.
Bettina Jarrasch, Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz in Berlin.
[….] Was hätte für die Grünen drin sein können – hätten sie nur die richtige Kandidatin gehabt? Denn Bettina Jarasch war es nicht – davon konnten sich die Menschen in der Hauptstadt einen Wahlkampf lang überzeugen. Von Beginn an fehlte es ihr an Popularität, hinzu kamen Schwächen besonders in der direkten Auseinandersetzung mit Franziska Giffey und der übrigen Konkurrenz. Zu keinem Zeitpunkt wirkte es, als spräche da die künftige Regierende Bürgermeisterin. [….]
Maike Schäfer, Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau in Bremen.
5.
In beiden Städten bekamen die Grünen vom Wähler brutal eins über die Rübe gezogen. In Berlin wurde es Platz drei mit 18,4% (nachdem ein Jahr zuvor noch stabil von Infratest dimap 27% prognostiziert wurden) und in Bremen könnte heute der Rücksturz auf Platz vier hinter die Linke drohen.
6.
In Bremen und Berlin gelang der Linken ein politisches Wunder. Gegen den katastrophalen Bundestrend und die durch Sahra Sarrazin unwählbare Bundespartei, die im Jahr 2022 bei allen Landtagswahlen kaum zwei Prozent erreichte und im hohen Bogen aus den Parlamenten flog, machten gerade die jeweiligen Linken Senatoren hervorragende Sacharbeit und zeigten auf bittere Weise wie dringend eigentlich eine solche Partei gebraucht würde.
In Berlin waren der Bürgermeister, sowie Kultur und Europa-Senator Klaus Lederer, genau wie Katja Kipping (Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales), beide erbitterte Gegner der Linken Bundesspitze, beliebte Leistungsträger der Regierung.
Die beiden Linken Bremer Senatorinnen Claudia Bernhard (Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz und bundesweit beste Corona-Managerin) und Christina Vogt (Wirtschaft, Arbeit und Europa) amtieren nach dem Bürgermeister als die beiden bei allen Bremern beliebtesten Regierungsmitglieder.
Tragischerweise könnte die Linke in Bremen dennoch, wie in Berlin aus der Regierung fliegen. In Berlin lag es am SPD-Absturz auf 18,4%, satte zehn Prozentpunkte hinter der CDU, die Bürgermeisterin Giffey zu peinlich erschienen, um damit gegen den offenbar von der Mehrheit favorisierten CDU-Wegner zu regieren. Ganz Deutschland hätte sie jeden Tag bezichtigt, an ihrem Posten zu kleben und den Wählerwillen zu ignorieren.
Das Problem besteht in Bremen nicht: Bürgermeister Bovenschulte ist der beliebteste Politiker der Stadt und seine SPD wurde von Platz Zwei aus diesmal wieder deutlich stärkste Partei. Es reicht auch klar zu R2G.
In diesem Fall sind die gerupften Grünen und die verhasste Verkehrssenatorin Schäfer das Problem. Mit der CDU könnte der Bürgermeister den Wählern ein „ich habe verstanden“ signalisieren und den Schwarzen den Verkehr in die Schuhe schieben. Zudem ist der offensichtlich heute nicht ganz nüchterne CDU-Spitzenkandidat Imhoff nicht so rechts wie sein Berliner Pendant und würde ohnehin nicht den Chefsessel bekommen.
Unnötig zu erwähnen, daß ich dennoch dringend auf die R2G-Variantre hoffe, damit die CDU nicht noch mehr destruktiven Einfluss auf den Bundesrat erhält und Bremen weiterhin von den kompetenten Senatorinnen Claudia Bernhard und Christina Vogt profitiert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen