Es war schlau von Donald Trump, seine erste Wahlkampagne 2015 mit der Aussage zu beginnen, Mexikaner wären Vergewaltiger und Kriminelle, die Drogen nach Amerika brächten. Das hat bis dahin noch kein prominenter Präsidentschaftskandidat zu sagen gewagt. Trump profitierte doppelt: Durch die enorme Empörung, die sich im gesamten anständigen demokratischen Amerika breit machte, bekam er erstens kostenlose Werbezeit im Gegenwert von Milliarden Dollar. Alle Sender, alle Zeitungen berichteten rund um die Uhr. Zweitens bescherte es ihm enorme Anerkennung bei den leider vielen Rechten und heimlichen Rassisten Amerikas, die auch keine Mexikaner mögen und begeistert von Trumps Mut waren, das laut auszusprechen.
Auf kleinerem Niveau agiert so auch die AfD, indem sie die Grenzen des Sagbaren kontinuierlich ein bißchen überschreitet. Immer soweit, daß Empörung ausgelöst wird. Anschließend wird ein bißchen zurückgerudert. Man will es einerseits nicht so gemeint haben und kann andererseits bei der Gelegenheit noch gegen die bei vielen rechten Wählern verhasste Presse wettern, die falsch oder verzerrend berichtet hätte.
Der Nachteil ist der Gewöhnungseffekt. Wenn Trump heute seine antimexikanische Hetze von 2015 wiederholte, bekäme er keine Schlagzeilen. Jeder hat das schon gehört, niemand wundert sich mehr darüber.
Das ist genau wie mit Benzodiazipinen. Wenn man das erste mal ein Milligramm Tavor einschmeißt, setzt die angenehm beruhigende und angstlösende Wirkung sofort ein. Aber man muss recht schnell die Dosis erhöhen. Das eine mg beeindruckt die eigene Hirnchemie sonst nicht mehr. Deswegen ist Tavor nicht für den Dauergebrauch tauglich. Wer den Effekt über Jahre auskosten will, muss entweder kontinuierlich auf stärkere Medikamente/Drogen umsteigen, oder er endet peinlich wie Uwe Barschel, der Tavor Packungsweise aß, in einer Badewanne und wird unvorteilhaft vom STERN fotografiert.
CDU-Vorsitzende sagen in Ermangelung politisch tauglicher Pläne entweder, wie Frau Merkel, 18 Jahre überhaupt gar nichts, oder versuchen, wie AKK, Laschet und Merz mit Paukenschlägen in die Medien zu kommen. Es ist aber schwierig, die dann folgende Empörungswelle, die zwar Aufmerksamkeit und damit Werbung generiert, aber auch schnell zum Shitstorm ausartet, zu dirigieren. Kramp-Karrenbauer war berüchtigt dafür, beispielsweise gegen Homo- und Transsexuelle auszuteilen, freute sich über die Berichte, legte mit einem „man wird doch wohl noch sagen dürfen!“ nach und verlor anschließend die Kontrolle, so daß sie manchmal noch am selben Tag ein zweites mal vor die Presse gehen musste, um zu sagen, daß sie das, was sie zuvor gesagt hatte, gar nicht gesagt hatte und was anderes sagen wollte.
Das ist für wohlmeinende CDU-Mitglieder nicht ideal, weil sie an ihrer Chefetage zu zweifeln beginnen, wenn diese offenbar noch nicht mal in der Lage ist, sich verständlich auszudrücken. Beispiel Rezo-Video, das AKK erst ignorierte, dann verbieten lassen wollte, schließlich eine 180°-Wende hinlegte, indem sie betonte, sie wolle nun doch nichts verbieten lassen, schätze die Meinungsfreiheit, wolle nun aber auf Augenhöhe mit einem YouTube-Video reagieren, das der junge CDU-Tausendsassa Amthor produziere, welches aber schließlich noch vor der Veröffentlichung einkassiert wurde, weil es derartig schlecht war, daß man einen noch größeren Shitstorm befürchtete.
Das, liebe CDU, ist keine glanzvolle Kommunikation der Führung.
Noch schlechter ist es aber für diejenigen, die keine CDU-Stammwähler sind, weil sie dieses Salami-Taktik-Rechtsblinken und gegebenenfalls wieder ein Stück zurückzuweichen, selbstverständlich an die AfD erinnert.
Das ist das Geschäftsmodell einer rechtsradikalen Partei: Immer auf der Empörungswelle reiten, immer noch etwas mehr hetzen, den Bogen noch mehr überspannen. Bis der ganz große Gegenwind kommt und man wie die Unschuld vom Lande in die Kamera blicken kann, um zu betonen, man habe es ganz anders gemeint.
Fritze Merz ist das Musterbeispiel für diese Rechtspopulisten-Medienstrategie.
Er legt immer einen drauf. Homoehe akzeptiere er ja, aber die Schwulen sollen keine Kinder anfallen. Die Ausländer dürften sich nicht wie kleine Paschas aufführen, die CDU wäre eine „AfD mit Substanz“ und mit der AfD, mit der man keinesfalls koalieren dürfe, könne man in Kommunen aber doch koalieren.
Natürlich kam der Shitstorm und natürlich eierte Merz heute zurück. Das was er gestern gesagt habe, habe er nicht gesagt und falls er es doch gesagt habe, dann wäre es nicht so gemeint oder bösartig falsch verstanden worden.
[….] Die Klarstellung kam gegen neun Uhr am Montagvormittag. »Ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben«, schrieb Friedrich Merz auf Twitter. So sieht es ein Parteitagsbeschluss vor, der keine Ausnahmen für bestimmte Ebenen definiert, nur sagt: nicht mit der AfD, niemals.Nach nicht einmal einem Tag hatte der CDU-Chef seine eigenen Sätze aus dem ZDF-»Sommerinterview« am Sonntagabend richtiggestellt. Richtigstellen müssen. Man muss nach dem Abend wohl sagen: eingenordet von seiner eigenen Partei, der Empörung, die nach seinen Sätzen losbrach.
So heftig, dass man sich für einen Moment fragen musste, ob er das an der Spitze der CDU übersteht. Vorerst wird er das. Der Aufstand bleibt aus, der Vorsitzende kommt mit einem blauen Auge davon, alle Seiten bemühen sich, so zu tun, als sei nun alles ausgeräumt. Operation Wardochnix hat begonnen. […..]
Ich habe es gründlich satt, der CDU wie am Nasenring durch die Merzschen Irrwege geführt zu werden. Die zwei Schritte vor, einen Schritt-Zurück-Methode nach Rechtsaußen, ist ein Fall für ein Medienmagazin wie ZAPP.
Es ist aber unnütz und übergriffig, wenn irgendjemand in der CDU erwartet, daß ihr Vorsitzender noch einen Funken Glaubwürdigkeit besäße. Es ist so durchschaubar, was der braune Blackrock-Mann treibt. Seine Befürwortung einer AfD-CDU-Koalition in Kommunen war erbärmlich. Seine heutigen Ausreden sind sogar noch erbärmlicher.
[….] 2019 entwendete das Kollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ den Grabstein von Franz von Papen und legte ihn vor der CDU-Zentrale in Berlin ab. Am Wochenende machte CDU-Chef Friedrich Merz von Papen, der als Steigbügelhalter für Faschisten in die Geschichtsbücher einging, alle Ehre, als er im ZDF Sommerinterview mit Theo Koll verkündete, dass die CDU bereit sein müsse, auf kommunaler Ebene mit der AfD zusammenzuarbeiten, denn der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU beziehe sich nur auf
„Gesetzgebende Körperschaften“, das schließe die Kommunen nicht ein, so Merz: „Wir sind doch selbstverständlich verpflichtet, demokratische Wahlen zu akzeptieren. Und wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter arbeiten kann.“
Eine Aussage, die nicht nur gegen den parteiinternen Unvereinbarkeitsbeschluss verstößt – denn der gilt, anders als von Merz behauptet, auf allen Ebenen, auch der kommunalen. Damit wird ein bisher fest stehendes Tabu gebrochen, dass man mit Faschisten keine Mehrheiten bildet. Besonders perfide wirkt diese Aussage, weil der CDU-Kommunalpolitiker Walter Lübcke vor vier Jahren von einem Rechtsextremen getötet wurde, der Wahlkampf für die AfD gemacht hatte. Abgesehen davon, dass Merz mit einer solchen Aussage Lübckes Andenken keinen Respekt zollt, handelt es sich zudem um eine Abwertung der Kommunalpolitik als „nicht so wichtig“, da könne man auch ruhig mal mit Rechtsextremen zusammenarbeiten. Lassen wir kurz beiseite, dass es sich dabei um ein Strohmann-Argument handelt, denn welchen Kindergarten müsste die CDU auf kommunaler Ebene gegen SPD, Linke, FDP und Grüne durchsetzen?
Was Merz vorgeschlagen hat, ist ein radikaler Vorstoß zur Normalisierung des Rechtsextremismus: Nicht umsonst setzen Rechtsextreme auf lokaler, kommunaler Ebene an, um an Einfluss zu gewinnen – um das demokratische System von unten zu unterwandern. Merz hat es geschafft, in wenigen Worten nicht nur das Andenken eines Politikers der eigenen Partei zu beschmutzen, sondern auch die Tür weit aufzustoßen und dem Faschismus den roten Teppich auszurollen. [….]
(Annika Brockschmidt, 24.07.2023)
Niemand darf Merz diese perfide Rechtstaktik, diese erbärmlichen Trumpesken Spielchen durchgehen lassen.
[….] Nähert sich die CDU weiter den extremen Rändern an, dürfte sie viele Wähler der politischen Mitte verlieren. Ein Weg, die Selbstzerstörung zu verhindern, könnte wohl tatsächlich eine Rückbesinnung auf das christliche Menschenbild sein. Allerdings nicht im Sinne von Merz und Linnemann. [….]
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