Eins der schmerzhaftesten Gedankenspiele dreht sich um den 18. September 2005, als der 15. Deutsche Bundestag gewählt wurde, die SPD 222 Mandate gewann und um läppische vier Stimmen hinter der CDUCSU (mit 226 Sitzen) lag.
Daß Angela Merkel damals Bundeskanzlerin wurde, war auch Resultat der anti-rotgrünen Hasskampagne, die Oskar Lafontaine bei Springers Hetz-Organ BILD entfacht hatte. So überholte die PDS mit PLUS 4,7 Prozentpunkten die Grünen und zog mit 54 Abgeordneten (8,7%) in den Bundestag ein.
Hätten 44 Mandate nicht auch gereicht und somit der SPD das Kanzleramt erhalten können?
So aber wurde Merkel zur völlig unverdienten Profiteurin der Agenda-Reformen, für die aber die SPD geprügelt wurde.
Das war der ungerechte und frustrierende Aspekt jener Zeit.
Die dramatische, tragische und katastrophale Auswirkung des Vier-Mandate-Vorsprungs jenes Sonntags im September 2005, wird allerdings jetzt erst für alle offensichtlich.
Der zukunftsgerichtete Energie-Kurs der rotgrünen Regierung (1998-2005) war nämlich goldrichtig. Ausstieg aus der Atomenergie, ökologische Steuerreform und massive Förderung der erneuerbaren Energien, so daß Deutschland Weltmarktführer bei Windkraft und Photovoltaik wurde. Zu 30 % hing Deutschlands Energieversorgung noch am russischen Erdgas, aber Schröder wußte, daß man sich nicht von einer Energieform abhängig machen darf (Ölkrise 1970er!) und setzte alles daran, die Energiequellen zu diversifizieren; wollte Deutschland unabhängig von fossilen Importen machen.
In ihrer ersten Kanzlerinnen-Legislaturperiode noch etwas gebremst vom Koalitionspartner SPD, drehte Merkel ab 2009 mit den Hepatisgelben die Uhren zurück, dampfte alle Förderungen ein, tötete die erneuerbaren Energietechnologien in Deutschland, verkaufte das Solar- und Windkraft-Knowhow nach China und schraubte die Putin-Abhängigkeit auf 50% hoch. Billiges Gas war gut für die Wirtschaft, ersparte umständliches Umsteuern auf heimische Energien, redete den Klimawandel klein und verschob alle notwendigen Reformen auf den St. Nimmerleinstag.
Der kam allerdings doch schneller, als gedacht, nämlich am 24.02.2022.
Nun muss alles blitzartig gehen; weg vom russischen Gas, Heizungen modernisieren, Häuser dämmen. Nun muss das mit Brechstange passieren, was schön längst hätte erledigt sein können, wenn der Urnenpöbel nicht die Weichen so katastrophal falsch gestellt hätte.
Monika Schnitzer, die bayerische Ökonomin und Leiterin des Sachverständigenrates der Bundesregierung, wählt ihre Worte sorgsam und neigt nicht zu Alarmismus. Sie beantwortet die Frage, ob es endgültig bergab ginge mit Deutschland, nüchtern.
[….] So weit würde ich nicht gehen, aber wir kommen in der Tat nicht so voran, wie wir könnten und müssten. Das liegt vor allem an den Versäumnissen der Vergangenheit: Wir haben die Friedensdividende nicht genutzt und nicht in die Infrastruktur investiert, als noch genug Geld da war. Wir haben uns auf den demografischen Wandel nicht genügend vorbereitet, wir haben unsere jungen Menschen nicht gut genug ausgebildet, wir hinken bei der Digitalisierung weit hinterher. Und wir haben zu spät mit dem Klimaschutz begonnen. [….] Dann bräuchten wir endlich eine umfassende langfristige Planung für die Energiepolitik, damit die Menschen wissen, wo es hingehen soll und die Unternehmen planen können. Die gerade viel diskutierte kommunale Wärmeplanung etwa hätte man schon vor zehn Jahren machen müssen. Jetzt kommt sie 2028. [….]
(Prof. Dr. Monika Schnitzer, 03.07.2023)
Es ist ein Elend mit der CDU. Immer, wenn sie an die Regierung kommt, zerstört sie aus Doofheit und ideologischer Verblendung die völlig vernünftigen und zukunftsorientierten Pläne der SPD-Vorgängerregierung.
(….) Der weise und weitsichtige Bundeskanzler Helmut Schmidt beschäftigte sich schon in den späten 1970er Jahren mit modernen Kommunikationstechniken und kam zu dem Schluß; ein modernes Glasfasernetz könne Deutschland enorme Wettbewerbsvorteile liefern.
[…..] Altkanzler Schmidt wollte Glasfaser-Spitzenreiter werden. [….] Die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt hat bereits Anfang der Achtzigerjahre beschlossen, alle alten Telefonleitungen durch schnellere Glasfaser zu ersetzen. Das geht aus bisher unveröffentlichten Dokumenten einer Kabinettssitzung vom 8. April 1981 hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.
„Sobald die technischen Voraussetzungen vorliegen, wird die Deutsche Bundespost aufgrund eines langfristigen Investitions- und Finanzierungsplanes den zügigen Aufbau eines integrierten Breitbandglasfasernetzes vornehmen“, heißt es in einem Sitzungsprotokoll, das unter dem Aktenzeichen B 136/51074 im Bundesarchiv liegt. Wäre der Plan durchgezogen worden, könnte die Bundesrepublik heute das beste Glasfasernetz der Welt haben. Fünf Wochen nach der Kabinettssitzung legte der damalige Bundespostminister Kurt Gscheidle (SPD) dem Bundeskabinett einen 30-Jahres-Plan vor. Ab 1985 sollte die Bundespost in jedem Jahr ein Dreißigstel des Bundesgebiets mit Glasfaser verkabeln. „Für den Ausbau ist bei einem jährlichen Investitionsvolumen von drei Milliarden Mark ein Zeitraum von 30 Jahren zu veranschlagen“, erklärte der Postminister damals. [….]
(Wirtschaftswoche, 04.02.2018)
Was dann aber kam, ist bekannt: Helmut Kohl wurde 1982 Bundeskanzler, acht Jahre saß in seinem Kabinett eine promovierte Physikerin als Ministerin: Angela Merkel.
Mit diesem Glasfaserzeug könne man nichts anfangen, befanden die beiden CDU-Größen. Wichtiger wäre es gegen den „Rotfunk“ (CDU-Postminister Schwarz-Schilling über die ARD-Regionalsender) vorzugehen und Kohl ultrakonservativen Amigo und Millionenspender den Aufbau eines konservativen Privatfernsehens aufzubauen. Sat1 als „geistig-moralische Wende“ – darauf ist Schwarz-Schilling auch heute noch stolz.
[….] Die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt hatte bereits 1981 Pläne für einen bundesweiten Glasfaserausbau beschlossen. Ein Jahr später kam Helmut Kohl an die Macht, legte die Pläne aufs Eis und förderte lieber das Kabelfernsehen. 35 Jahre später gibt es immer noch kein flächendeckendes Glasfasernetz. [….] 1982 wurde Helmut Kohl Kanzler einer schwarz-liberalen Koalition und der hatte andere Pläne. Statt Glasfaserausbau gab es Kabelfernsehen.
2017 warten viele Menschen noch immer auf den versprochenen Breitbandausbau. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland beim Glasfaserausbau fast am Ende. Der Deutschlandfunk berichtete vor wenigen Tagen in der Sendung Hintergrund über die Motivation, warum die Union auf Kabelfernsehen setzte. Dort erklärte der damalige Post-Minister Schwarz-Schilling (CDU):
„Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war in dieser Zeit mit einer absoluten linken Schlagseite versehen.“ Das Kalkül der Union: Wenn man schon nicht Sendungen wie „Monitor“ und „Panorama“ beeinflussen kann, dann soll es zumindest Konkurrenz von außen geben: durchs Privatfernsehen, eingespeist in die Kabelnetze. Also wurde die Bundesrepublik aufgebuddelt, und es wurden von der Bundespost Kupferkabel verlegt. Die kosteten damals weniger als ein Drittel der Glasfaser. [….]
Selbst Ende der 1990er Jahre wehrte die CDU-FDP-Regierung hartnäckig alle Investitionen in die digitale Infrastruktur ab.
Legendär wurde eine Wahlkampfdiskussion im Jahr 1994 mit Helmut Kohl, als er vom Microsoft-Deutschland-Chef gefragt wurde, was der in Sachen "Datenautobahn" zu tun gedenke, aber noch nicht einmal den Begriff verstand, sondern von Autostraßen fabulierte – immerhin 13 Jahre nachdem sein Vorgänger schon ein entsprechenden Kabinettsbeschluss gefasst hatte. (….)
(40 Jahre schlafen, 28.06.2020)
Eins ist 42 Jahre, nachdem die CDU den Aufbau eines Glasfasernetzes verhinderte sicher: Wirtschaftliches Knowhow konnten die ewig gestrigen Christdemokraten nicht erlangen und setzen mit ihrem AfD-affinen knapp 70-Jährigen Front-Mann Merz weiter auf die Rezepte, die schon vorvorgestern versagten.
Den einen Mann in der CDU-Führung, der ihm zwar treu diente, aber als weniger rechtsradikal gilt – Maria Czaja – feuerte Merz heute und ersetzte ihn durch den beinharten Unternehmerlobbyisten Carsten Linnemann.
[….] Paukenschlag in der CDU: Parteichef Merz kürt mit Carsten Linnemann jemandem zum Generalsekretär, der ihm ähnelt – dabei hatte Merz den nun scheidenden Mario Czaja ausgewählt, gerade weil er anders war. […..] Der plötzliche Wechsel des Generalsekretärs, Eingeständnis eines schweren Fehlers. [….] Zur Ironie der Geschichte gehört, dass Linnemann aus Sicht von Merz schon im Herbst 2021 perfekt als Generalsekretär gepasst hätte – er war ihm nur zu ähnlich: Der Ostwestfale Linnemann kommt ebenfalls aus NRW, er war lange Zeit Chef der Mittelstandsunion (MIT) und ist im Auftritt nicht weniger schneidig als Merz. Anderthalb Jahre später scheint die Not des Parteichefs so groß zu sein, dass ihm das plötzlich egal ist. Der plötzliche Wechsel des Generalsekretärs ist das Eingeständnis eines schweren Fehlers – und ein Zeichen dessen, wie unzufrieden Merz selbst anscheinend mit der Lage seiner Partei ist. Auch wenn er die Union vor dem totalen Absturz nach der Pleite bei der Bundestagswahl 2021 gerettet hat: Dass man nicht mehr Kapital aus der Schwäche der Ampelkoalition schlagen kann, während die AfD immer stärker wird, ist fatal. [….]
Damit dürfte auch dem größten politischen Optimisten die Hoffnung ausgetrieben sein, die Union könnte irgendeinen konstruktiven Beitrag zur maßgeblich von ihr angerichteten Misere Deutschlands leiten. Die multiplen Probleme sind so komplex, daß es eine Bundesregierung allein, ohne die Länder und Opposition kaum schaffen kann.
[….] Die Komplexität ist in der Tat ein Riesenproblem. Und sie wird noch größer, wenn man immer noch komplexere Regeln aufstellt, um alle politischen Akteure zufriedenzustellen. Das kann man kaum noch vermitteln, siehe Heizungsgesetz. Ich würde auch erwarten, dass die Opposition konstruktive Alternativen entwickelt, statt sich damit zu begnügen, tatsächliche oder vermeintliche Fehler der Regierung auszuschlachten. Parteien, die wieder in die Regierungsverantwortung wollen wie CDU und CSU, sollten auch selbst Lösungsvorschläge auf den Tisch legen. [….]
(Prof. Dr. Monika Schnitzer, 03.07.2023)
Darauf kann Frau Schnitzer lange warten.
Stattdessen holt sich die CDU den volksverhetzenden, antisemitischen Verschwörungstheoretiker Maaßen wieder fest ins Boot. Das CDU-Parteischiedsgericht in Thüringen schmetterte die Versuche, den Rechtsextremisten aus der Partei zu werfen, ab.
[….] Maaßen wertete den Beschluss laut dem Portal »Nius« als Erfolg für sich und attackierte CDU-Chef Friedrich Merz. »Ich erwarte, dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bei dieser schallenden Ohrfeige personelle und programmatische Konsequenzen zieht.« In einem Tweet nach der Entscheidung schrieb Maaßen zudem, »das Merz’sche Projekt«, eine Brandmauer gegenüber dem rechtskonservativen Verein »Werteunion« zu errichten, sei »gescheitert«.
In der Vergangenheit hatte Maaßen, der Mitglied im Thüringer Landesverband der CDU ist, immer wieder mit rechtslastigen und antisemitischen Äußerungen Empörung in der eigenen Partei und der Öffentlichkeit ausgelöst. [….]
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