Wir Norddeutsche, wir Hamburger, verstehen diese Südwestdeutschen habituell recht wenig. In der Hauptstadt Berlin sind Schwaben sogar zu dem Klischee schlechthin, für zugezogene provinzielle Westdeutsche geworden.
Was weiß ich eigentlich, außer Spätzle, Mercedes, Stuttgart21 und Kretschmann über die Baden-Württembergische Hauptstadt? Erstaunlich wenig.
Als Landesvater residiert dort seit 2011 der konservativ-grüne erzkatholische Patriarch Winfried Kretschmann. Im Landtag gibt es eine rotgrüne Mehrheit, aber die Olivgrünen sind dort so rechts, daß sie auch 2021 nach der herben CDU-Niederlage bei ihren schwarzen Freunden blieben, statt mit den gottlosen Roten Sozial- und Klimapolitik betreiben zu müssen. Und so liegt Baden Württemberg auch nach 12 Jahren grüner Regentschaft beim Windkraftausbau, zusammen mit Bayern ganz hinten in Deutschland.
Als Kretschmanns CDU-Stellvertreter amtiert weiterhin Wolfgang Schäubles Schwiegersohn Thomas Strobl (Minister für Inneres, Digitalisierung und Kommunen). Auch die Landeshauptstadt ist schwarz.
Seit 2020 regiert der CDU-Politiker Frank Nopper als Oberbürgermeister und seinen 630.000 Schäfchen scheint es laut Wikipedia ökonomisch ausgezeichnet zu gehen.
[….] Stuttgart zählt zu den einkommensstärksten und wirtschaftlich bedeutendsten Städten Deutschlands und Europas. Die Einwohner Stuttgarts gelten als wohlhabend und verfügten mit 49.375 Euro im Jahr 2020 über das zweithöchste Durchschnittseinkommen aller baden-württembergischen Stadt- und Landkreise (lediglich der benachbarte Landkreis Böblingen wies mit 50.244 Euro ein höheres Durchschnittseinkommen auf). Der Kaufkraftindex für die Stadt Stuttgart bezifferte sich im Jahr 2022 auf 110,4 (Baden-Württemberg: 104,1; Deutschland: 100). Laut dem sogenannten „Gehaltsreport 2023“ des Unternehmens Stepstone verdienen Angestellte in Stuttgart im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten am meisten; demnach liegt das durchschnittliche Bruttogehalt bei 54.100 Euro, Führungskräfte verdienen rund 82.800 Euro. [….]
(Wiki)
Welche Probleme könnte man also im schwarzen katholischen reichen Stuttgart haben?
So einige. Jedenfalls wenn man kein Deutscher ist und eine Arbeitserlaubnis braucht. Christiane Krämer, die Leiterin des Seniorenzentrums Martha-Maria in Stuttgart kriegt alle Krisen. Sie schämt sich öffentlich für ihr Land und ihre Stadt, weil alle zwei Wochen eine Fachkraft aufhöre zu arbeiten, nur weil die Ausländerbehörde nicht hinterherkommt, die richtigen Fiktionsbescheinigungen zu erteilen und somit den Aufenthaltsgenehmigung erlischt.
[…..] Im Seniorenzentrum Martha-Maria arbeiten 170 Pflegerinnen und Pfleger, rund 60 Prozent kommen aus Drittstaaten, aus Madagaskar, aus Syrien, aus Thailand. "Wir brauchen diese Leute dingend", sagt Krämer. Und am Ende sei es doch so: Wenn weniger Pflegekräfte arbeiten dürfen, müssen die verbliebenen mehr leisten. Das bedeutet: mehr Stress, mehr Krankheitsfälle, mehr Burn-outs. Die ganze Situation sei, vorsichtig formuliert, nicht gerade Werbung für den Standort Deutschland. Das werde sich herumsprechen. "Wir müssen um jede gute Fachkraft kämpfen, wir holen sie ins Land - und dann behandeln wir sie so." […..]
Die Stuttgarter Ausländerbehörde ist telefonisch und per Email nicht zu erreichen. In ihrer Not stellen sich ausgebildete Pfleger, die fest in einem Stuttgarter Pflegeheim angestellt sind, immer wieder im Morgengrauen mit einem Klappstuhl vor die Ausländerbehörde, warten viele Stunden, nur mit der vagen Hoffnung, überhaupt eine der begehrten Wartenummern zu ergattern.
[…..] [Der aus Madagaskar stammende, ausgebildete und fest angestellte Pfleger] Edmond weiß inzwischen ziemlich genau, wie es in der Schlange so läuft. Erst wartet man stundenlang, Profis erkennt man an den Klappstühlen. Wenn er es bis zum Türsteher schafft, weist ihn dieser mit dem freundlichen Hinweis ab, dass er für die Änderung des Arbeitgebers und seines Status einen Termin braucht. Nur: Wenn er in der Ausländerbehörde anruft, um einen Termin zu vereinbaren wie auf der Internetseite gefordert, hebt keiner ab. Wenn er eine E-Mail schreibt, bekommt er keine Antwort. "Was soll ich tun?", fragt er, und wie er so in der Schlange steht und von seinen Versuchen erzählt, mit den deutschen Behörden in Kontakt zu treten, die Tür zum Ausländeramt im Blick, muss man kurz an Kafkas Schloss denken. Das Ziel so nah, und doch unerreichbar.
Der Sprecher der Stadt schreibt: "Die Darstellungen treffen zu. Leider."
Edmond sagt, dass er gerne wüsste, wie sich die Stadt das vorstellt. Wie soll er ohne Gehalt seine Miete bezahlen, 1200 Euro für sich und seine Frau? Wovon sollen sie leben? […..]
Ich kann und will keine Erklärungen mehr dafür finden, weswegen in einem so reichen Land wie Deutschland und ausdrücklich in so einer besonders reichen Gegend, wie Stuttgart, diese extreme politische Unfähigkeit grassiert. Als ob der Notstand in der Pflege ein neues Problem wäre!
[….] „Junge Menschen lassen sich nicht mit leeren Versprechungen hinhalten. Der Pflegeberuf braucht eine wirklich gute Perspektive", erklärt Ates Gürpinar, Sprecher für Krankenhaus- und Pflegepolitik der Fraktion DIE LINKE, angesichts der sinkenden Auszubildendenzahlen in der Pflege. Gürpinar weiter:
„Die Bundesregierung unternimmt nichts, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege vorzugehen. Auch eine Bezahlung, die der Verantwortung für Menschenleben gerecht wird, bekommen Beschäftigte in der Pflege nicht. Während und nach der Pandemie haben junge Menschen erfahren, wie groß die Erwartungen der Verantwortlichen an Pflegekräfte sind und wie wenig sie im Gegenzug erhalten. Da wundert es mich nicht, dass immer weniger junge Menschen bereit sind, diesen Beruf zu erlernen. In der Konzertierten Aktion Pflege hat sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben, die Ausbildungszahlen um mindestens zehn Prozent steigern zu wollen. Allerdings gab es lediglich Imagekampagnen statt spürbarer Verbesserungen für die Beschäftigten. Schon jetzt müssen viele Pflegekräfte den Beruf hinter sich lassen, weil sie nicht mehr können. Gleichzeitig sorgt die demographische Entwicklung dafür, dass auch immer mehr Pflegekräfte in Rente gehen und wir als alternde Gesellschaft einen höheren Bedarf an Pflegefachpersonen haben werden.“ [….]
(Pressemitteilung von Ates Gürpinar, 27. Juli 2023)
Aber wenn man schon absolut unfähig ist, Menschen in Deutschland für so einen extrem wichtigen Beruf zu gewinnen und mit großem Aufwand Fachkräfte aus anderen Teilen der Welt aus ihrem Umfeld reißen muss, um sie für uns arbeiten zu lassen, werden diese dann auch noch so katastrophal behandelt; müssen sich trotz des festen Arbeitsverhältnisses, bei dem sie dringend gebraucht werden, immer wieder vor den Behörden erniedrigen lassen, warten und abweisen lassen.
Das betreiben sie über Wochen. Oft vergeblich. Bis sie manchmal sogar frustriert ausreisen, weil das Bundesland Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart sie so niederträchtig behandeln. Dabei brauchen die Stuttgarter die Pfleger aus dem Ausland. Und nicht umgekehrt.
[…..] Krämer hatte schon junge Pflegerinnen am Telefon, die weinten, weil
sie an der Tür der Ausländerbehörde abgewiesen wurden. Einmal hätten
Kolleginnen für eine Mitarbeiterin, die nicht arbeiten durfte, Spenden
gesammelt. Eine Pflegerin sei zurück in die Heimat gereist, weil sie den Druck
in Deutschland nicht ausgehalten habe, die ständige Unsicherheit.
Der Stadtsprecher schreibt: "Die Stadt ist sich der negativen Konsequenzen bewusst und arbeitet mit Hochdruck an der Verbesserung der Situation, z. B. durch entsprechende Marketingkampagnen zur Personalgewinnung oder auch des vorübergehenden Einsatzes von externen und internen Unterstützungskräften." […..]
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