Die Gewaltenteilung ist eins der höchsten Güter der Demokratie.
Wenn wie in Pisolen, Orbánistan, Putinland, Erdoğanistan oder Trumpmerica rechte Autokraten Richter unter ihre Kontrolle bringen, um politische Gegner auszuschalten, ist der Demokratiezug bereits an der Gebirgswand des Totalitarismus zerschellt.
Die allgemeine Zurückhaltung, bei der Bewertung von richterlichen Urteilen, durch Parlamentarier und Regierung ist also wichtig und richtig.
Glücklicherweise gehöre ich aber weder zur Exekutive noch zur Legislative und darf als Privatperson über Aspekte der Judikative schimpfen.
Heute war es das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, welches mit maximaler Mitleidlosigkeit und zynischer Menschenfeindlichkeit schwer leidenden Menschen brutal ins Gesicht schlug, ihnen das intimste und persönlichste Recht nahm. Ihnen die wichtigste Freiheit überhaupt nahm. Kein "Selbstbestimmtes Sterben". Keine "Autonomie". Kein "Freitod". Kein Erbarmen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht Anfang 2020 das Recht auf "Selbstbestimmtes Sterben" anerkannt. Politiker und Richter wollen dieses Recht aber möglichst grausam ausgestalten. Der einfache, der schmerzfreie Weg mit Natriumpentobarbital, soll ihnen verwehrt bleiben. Ein große Portion Sadismus floss in das heutige Urteil.
[…..] Bestärkt durch dieses Grundsatzurteil, haben zwei schwer kranke Menschen nun versucht, gerichtlich eine amtliche Genehmigung für den Erwerb von Natrium-Pentobarbital durchzusetzen. Das ist ein für eine schmerzfreie Selbsttötung besonders gut geeignetes Mittel.
Ohne Erfolg: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat ihre Klage nun abgewiesen. Die Kläger wollten sich mit dem Mittel nicht sofort das Leben nehmen, sondern Vorsorge treffen für eine Situation, in der der Schmerz zu groß und das Leben unerträglich würde - mit einem tödlichen Gift, das sie selbst einnehmen könnten. Weil man das Mittel nicht einfach kaufen kann, beantragten sie eine Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, das bisher freilich sämtliche Anträge dieser Art abschlägig beschieden hat. Der eine Kläger ist 52 Jahre alt und leidet seit 26 Jahren an Multipler Sklerose; er kann nur noch den Kopf bewegen. Der andere, 79, hat einen Lymphknotenkrebs überstanden, vorerst jedenfalls. Eine zweite Chemotherapie, sollte sie nötig werden, will er nicht durchstehen müssen.
Das oberste Verwaltungsgericht gestand ihnen zwar durchaus zu, dass die Versagung der Erlaubnis in ihr Grundrecht eingreife, selbstbestimmt über ihren Tod zu entscheiden. Dieser Eingriff sei aber gerechtfertigt. Eine solche Erlaubnis sei nur zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung zulässig, nicht aber zum Suizid. Das Verbot diene dem legitimen Ziel, den Missbrauch tödlich wirkender Mittel zu verhindern. Das schränke die Selbstbestimmung zwar spürbar ein. "Die Gefahren, die durch den Erwerb von Natrium-Pentobarbital und die Aufbewahrung des Mittels durch die Sterbewilligen entstehen können, sind jedoch groß." [….]
(Wolfgang Janisch, 07.11.2023)
In dem heutigen Urteil schwingt immer noch der metaphysische Irrglaube mit, das Leben sei ein Geschenk Gottes, welches man nicht ausschlagen dürfe. Das eigene Leben wäre etwas, über das man nicht selbst entscheiden dürfe.
Die Gesellschaft glaubt immer noch, durch die Tabuisierung des Todes an sich, könne man ihn verhindern. So wie ein Kind glaubt, nicht mehr gesehen werden zu können, wenn es sich mit seinen eigenen Patschehändchen zu Augen zuhält.
Liebe Leipziger Richter; ich habe Neuigkeiten für Euch: JEDER STIRBT. Die beiden Kläger. Ihr auch. Genau wie Eure Nachbarn, alle Eure Freunde, Eure Kinder und Enkel. Das ist nicht nur unvermeidlich, sondern sowohl grausam, als auch segensreich. Beeinflussbar ist lediglich, wie schmerzhaft und brutal das Sterben ausgestaltet wird und dabei habt Ihr Richter heute die Zeichen auf Sadismus, auf Schmerzen, auf Gemeinheit, auf Perfidie gestellt.
(….) Für mich; keine Kinder, keine Angehörigen, die beste Zeit des Lebens klar hinter mir, Jahrzehntelange Einblicke in Pflegeheime, Politjunkie in einer sich offenkundig global-suizidal verhaltenen Menschheit, ist es lange klar: Meine eigene Existenz ist (glücklicherweise) endlich, aber die Chance, dieses Ende auf natürliche Weise; autark und schmerzlos zu erreichen, sind minimal.
Es verblüfft mich aber, wie mainstreaming meine Einstellung geworden ist. Die sprichwörtlich ganz normalen Leute auf der Straße, mit denen ich beim Bäcker oder in der Autowerkstatt schnacke, äußern sich desillusioniert und fatalistisch. Alle +50er sind froh, schon so alt zu sein, wie sie sind. Sie sind entweder glücklich, keine Kinder zu haben, oder aber sorgen sich sehr um die Zukunft ihrer Leibesfrüchte. Niemand bringt mehr Optimismus auf. Die Menschheit wird immer kriegerischer, der Kampf um die Ressourcen wird sich massiv verschärfen, die politischen Instabilitäten nehmen zu, wir verlieren den Kampf um den Klimawandel. Selbst, wenn man so privilegiert ist, sich in einer sehr wohlhabenden Zone mit gemäßigtem Klima zu befinden, steht die Altersversorgung in den Sternen, weil große Teile unserer Gesellschaft in Altersarmut fallen werden und selbst die obere Mittelklasse keine Altenpfleger mehr finden wird.
Es ist also weder pathetisch noch düster-emotional, sondern lediglich rational und sinnvoll, einen sicheren persönlichen Exitplan zu entwickeln.
Nur so kann man einigermaßen beruhigt in die eigene Zukunft blicken: Wenn man weiß, wie man rechtzeitig den Stecker zieht.
Die allermeisten Menschen erreichen nicht bei voller geistiger und mentaler Kraft ihr neuntes Lebensjahrzehnt und sterben dann würdevoll im Schlaf.
Stattdessen sind Schmerzen, Quälerei, Siechtum und Entwürdigung sehr wahrscheinlich. Hoffnung bietet allein die Aussicht auf so schwere Demenz, daß man es nicht mehr ganz so dramatisch empfindet.
Es gibt auch offenkundig zufriedene Demente. Aber nach meinen langjährigen Beobachtungen ist das eine kleine Minderheit; die meisten wirken unglücklich, verstört, traurig oder aggressiv.
Man muss also selbst aktiv werden und zwar erstens rechtzeitig und zweitens effektiv. (…)
Ursprünglich waren es sieben Kläger, die nach 2020 versuchten, ihr unerträgliches Leiden schmerzfrei und selbstbestimmt zu verkürzen. Fünf von ihnen haben den Gang durch die Instanzen und die Grausamkeit der Richter nicht überlebt. Den letzte Beiden nahm man heute jede Hoffnung.
[….] Der Mann war noch guter Dinge, als ihn meine Kollegin Sara Wess gestern zu Hause im Pfälzer Wald besuchte . Harald Mayer leidet seit vielen Jahren an Multipler Sklerose und will gerichtlich durchsetzen, dass er ein todbringendes Medikament kaufen darf. Vor der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts glaubte Mayer, diese Instanz würde es ihm erlauben, Natrium-Pentobarbital zu erwerben. Er würde es nicht sofort nehmen, möchte aber sicherstellen, dass er unkompliziert sterben könnte, wenn er es nicht mehr aushält.
Durch seine Multiple-Sklerose-Krankheit ist Mayer fast vollständig gelähmt, kann einen Rollstuhl nur noch steuern, indem er einen Schalter mit dem Kinn bedient. Der gelernte Tischler und langjährige Feuerwehrmann führt seit sechs Jahren einen Kampf mit Gerichten, immer wurde ihm untersagt, Natrium-Pentobarbital zu kaufen, er zog von Instanz zu Instanz, wollte eine Ausnahme des Betäubungsmittelgesetzes erwirken.
Nun hat auch das Bundesverwaltungsgericht Sterbewilligen wie Mayer den Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel versperrt. Das Betäubungsmittelgesetz, das keine Erlaubnis zum Erwerb des Mittels Natrium-Pentobarbital vorsieht, verstoße nicht gegen das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben, entschied das Gericht in Leipzig heute. Die Gefahren für die Bevölkerung, die von Erwerb und Aufbewahrung des Mittels ausgingen, seien zu hoch.
Das Gericht argumentierte, es gebe für Menschen, die ihr Leben beenden wollen, »andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihres Sterbewunsches« – etwa über Sterbehilfeorganisationen oder Ärzte, die zur Suizidhilfe bereit sind.
Mayer zeigte sich heute Sara gegenüber , die sich nach dem Besuch Mayers direkt auf den Weg zum Gericht nach Leipzig machte, tief enttäuscht. »Was soll das? Ich kann mich auch in 'nem See versenken.« Ob das Gericht das meinte, wenn es sagt, es gebe auch andere Wege für ein selbstbestimmtes Ausscheiden aus dem Leben? [….]
Ein besonderer Wermutstropfen liegt in Kommentaren wie dem Folgenden.
[….] Nun hat am Dienstag das Bundesverwaltungsgericht zumindest verhindert, dass noch mehr Gift in Umlauf kommt, solange der Staat noch kein ordentliches neues Kontrollsystem eingerichtet hat. Zwei schwer kranke Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen wollten das Sterbehilfe-Präparat Natrium-Pentobarbital bekommen. Die Pharma-Behörde des Bundes verweigerte es ihnen. Auch die Richterinnen und Richter sagten jetzt Nein. [….] So locker, wie es jetzt ist, kann es eigentlich nicht bleiben, darin sind sich auch so gut wie alle Abgeordneten des Bundestags einig. Im Sommer wollten sie schon mal ein Gesetz schaffen, das gewisse Hürden und Kontrollen vorschreibt, um vor allem arme und gesellschaftlich schwache Menschen davor zu schützen, dass jemand ihnen ein Suizidmittel vorsetzt, ohne sie zuvor unabhängig über medizinische, auch palliativmedizinische Alternativen beraten zu haben. […..]
Der Jurist Steinke ist eine der SZ-Edelfedern, der in Feuilleton-Artikeln brilliert. Ich schätze den Mann, wie wenige andere Autoren. Ich bin ihm sehr dankbar, für seine Aufklärungsarbeit zum Thema Antisemitismus.
Daher fühle mich fast persönlich verletzt, wenn ausgerechnet er so mitleidlos schreibt.
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