Osama bin Laden und Ismail Haniyya, die Chefs von Al Kaida und Hamas, stamm(t)en aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen und führ(t)en unterschiedliche Kämpfe.
Bei ihren Megaanschlägen, dem „9-11“ 2001 in NY mit knapp 3.000 Toten und dem 07.10.2023 in Israel mit 1.200 Opfern, verfolgten sie aber dasselbe Kalkül. Sie reizten eine militärisch hochüberlegene Macht zur Weißglut. Die Terrortage selbst brachten der USA und Israel weltweites Mitgefühl ein, ihre Verbündeten verhielten sich solidarisch, die Regierungen Bush und Netanyahu wurden davon nicht gefährdet. An den beiden Tagen selbst hatten die Terrorpaten (noch) nichts gewonnen.
Aber der wichtigere Teil der Pläne sollte erst kommen, nämlich in den von vorn herein zum Scheitern verurteilten überzogenen Racheaktionen, welche für die USA und Israel ökonomisch extrem teuer wurden und, noch wichtiger, sowohl ihre Verbündeten abrücken ließen, als auch weltweit antiamerikanische, bzw antiisraelische Stimmungen anheizten. Aus Sicht von bin Laden und Haniyya war sicher ein Entflammen der gesamten muslimischen Welt gewünscht, welches den verhassten Westen mit Terror überziehen würde.
Das perfide Kalkül ging/geht zu weiten Teilen auf, weil den Terrorfürsten die Leben ihrer eigenen Leute viel weniger wert sind, als den demokratischen Regierungen, ihre Bevölkerung.
35.000 massakrierte Palästinenser in Gaza, darunter überwiegend Frauen und Kinder, sind für die Hamas eher zu verschmerzen als für die Israelische Regierung, die es nun mit der Wut der weltweiten Öffentlichkeit zu tun bekommt, so daß eine junge israelische Sängerin in Malmö nur noch unter massiven Polizeischutz auftreten kann.
Benjamin Netanyahu wird international verachtet. Er wird sicher problemlos damit leben können, daß ich ihn verabscheue. Daß ESC-Fans und Greta Thunberg in Schweden gegen den Gaza-Krieg protestieren, daß in US-amerikanischen und deutschen Universitäten Empörung über ihn herrscht.
Das Abrücken der USA, die weniger Munition liefert und Israel im UN-Sicherheitsrat nicht mehr mit ihrem Veto schützt, ist hingegen hochgefährlich.
Noch schlimmer ist nur sein Ansehen im eigenen Land. Bei den Israelischen Wählern, ist Bibi ungefähr so beliebt wie Fußpilz, weil er offenkundig seine eigenen Pläne nicht umsetzen kann. Weder ist die Hamas zerschlagen, noch hört der Terror auf, noch kamen die israelischen Geiseln frei.
Deswegen kann Bibi nicht neu wählen lassen, ohne damit zu rechnen in der Opposition zu landen. Aus seiner Sicht muss er aber Regierungschef bleiben, weil er so kriminell, korrupt und raffgierig ist, daß er ohne Immunität (wie sein Bruder im Geiste – Trump) im Knast landen könnte.
[….] Benjamin Netanjahu war und bleibt der Nullpunkt eines Krieges, der keine Sieger kennen wird. Der israelische Premierminister ist gefesselt in seiner Macht-Matrix, die aus so ungleichen Spielern besteht wie den Ultrarechten seiner Regierung und dem amerikanischen Präsidenten mit seiner demokratischen Wählerklientel. Netanjahu ist gefangen zwischen einer Terrororganisation, die aus dem Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza heraus nach wie vor Krieg gegen Israel führt. Exakt für diese Zivilbevölkerung und die verheerende humanitäre Lage trägt Israel mit dem Einmarsch nach Gaza Verantwortung. Und schließlich steckt Netanjahu in einem rechtlichen Dilemma, weil ein unverhältnismäßig rücksichtslos geführter Krieg die politischen Ziele nicht erreichen wird, die sich Israel nach dem Terrorüberfall gegeben hat. Daraus erwächst ein völkerrechtliches Problem, das in einer Anklage münden könnte und bereits jetzt zu einer Niederlage im virtuellen Gerichtssaal der globalen Öffentlichkeit geführt hat.
Es ist inzwischen also möglich, dass dieser Krieg in einer umfassenden Niederlage Israels endet, vielleicht nicht militärisch, aber politisch und moralisch. Das wäre keine geringe Katastrophe für einen Staat, der auch aus dem Grauen des Holocaust entstanden ist und dessen Legitimität von Antizionisten und Antisemiten in naiver Einseitigkeit mehr denn je infrage gestellt wird. [….] So wie die Hamas für den Ausbruch dieses Krieges die Verantwortung trägt, so trägt der israelische Premier die Verantwortung für seinen Verlauf. Die Vorstellung, einen "Krieg gegen den Terror" führen und die Hamas militärisch besiegen zu können, bleibt so falsch wie 2001, als George W. Bush den Begriff prägte. Netanjahu hat diese Vorstellung übernommen, weil er in allen nicht militärischen Wegen zur israelischen Selbstbehauptung keine politische Überlebenschance für sich selbst erkennt.
Die Rafah-Offensive liefert den Beleg dafür, warum das Verhängnis seinen Lauf nehmen wird: Würde Netanjahu auf einen Waffenruhe-Plan eingehen, müsste er das Kriegsziel "militärische Zerstörung der Hamas" aufgeben, die extreme Rechte würde ihm die Gefolgschaft aufkündigen. Lässt der Premier die Armee dagegen in Rafah einmarschieren, verliert er den Rest der Unterstützung durch die Regierung Biden, die ihren Waffenstopp als Warnung verstanden haben will. Die Hamas würde der Premier damit nicht einmal zerschlagen - sie baut ihren Machtapparat gerade wieder im Norden Gazas auf. [….]
(Stefan Kornelius, 12.05.2024)
Einen kriminellen, unfähigen und amoralischen Regierungschef zu haben, ist unglücklicherweise nicht nur ein Problem für das kleine Israel.
Es ist ein Mann, in dessen Person sich alles, was im Nahen Osten schief geht inkarniert: Bibi.
[….] Premierminister Benjamin Netanyahu nutzt das kollektive Trauma, um seine katastrophale Politik fortzuführen. Israel ist international zunehmend isoliert. Damit es zu einer Lösung kommen kann, muss er endlich gehen.
[….] Der Regierungschef soll immer wieder die Verhandlungen [zur Geiselbefreiung] torpediert haben: Er hält Delegationen davon ab, zu den Gesprächen nach Kairo zu reisen, zieht immer wieder neue Rote Linien bei der israelischen Verhandlungsposition, attackiert die Vermittler – und hat zuletzt einen Teilvormarsch nach Rafah verfügt. Vor allem sperrt er sich gegen einen Plan, den Krieg zu einem Ende zu bringen, gegen eine dauerhafte Feuerpause und gegen eine Regelung für den »Tag danach« unter Einbindung ausländischer Kräfte und der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Netanyahu weigert sich, Verantwortung für den 7. Oktober zu übernehmen
Nach dem Urteil vieler Analysten geht es Netanyahu vor allem um die Fortsetzung seiner Koalition mit den Rechtsextremen. Er braucht Leute wie den vorbestraften Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, der immer wieder mit Ausfällen gegen Bündnispartner empört, für sein politisches Überleben.
Benjamin Netanyahu – »der schlechteste Anführer in der jüdischen Geschichte« (»New York Times «-Kolumnist Thomas Friedman) – hatte sein Volk mit der sogenannten Justizreform , der versuchten Schleifung der Gewaltenteilung, im vergangenen Jahr bereits gespalten. Die durch das Zerwürfnis der politischen Lager verursachte Unaufmerksamkeit könnte die Terrorattacke des 7. Oktober wesentlich begünstigt haben. Doch Netanyahu weigert sich bis heute hartnäckig, für die Katastrophe auch nur eine Teilverantwortung zu übernehmen.
Stattdessen hat er die Armee in einen Krieg geführt, den sie so nicht gewinnen kann. Seit einigen Tagen kämpfen die Truppen wieder im Norden Gazas, darunter in Dschabalia, wo die Hamas längst als besiegt galt. Das Militär hatte sich – in Ermangelung einer Übergangsmacht, die die Verwaltung und Gebietssicherung hätte übernehmen können – von dort zurückgezogen, um sich nicht zum Ziel von Guerillaangriffen zu machen. Nun müssen die Soldaten erneut einrücken, weil die Islamistenorganisation wieder die Kontrolle übernimmt. »Die Hamas hat in den vergangenen Monaten Israels Verhalten studiert und gelernt. Sie lockt die israelischen Truppen nun förmlich dahin, wo sie sie attackieren kann«, sagt der palästinensische Analyst Khalil Shikaki , Gründer des »Palestinian Center for Policy and Survey Research «.
[….] Mit Neuwahlen und Netanyahus Abschied von der politischen Bühne wäre vieles davon noch längst nicht gelöst. Aber es gäbe zumindest wieder Hoffnung auf Besserung in Nahost. Und in Israel könnte endlich die Heilung beginnen. [….]
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