Die Constitution of the United States, das deutsche Grundgesetz, das britische Westminster-System, oder die französische Constitution de la Cinquième République muten im Social Media Zeitalter partiell altertümlich an, haben ihre echten Schwächen, an die noch niemand bei der Verabschiedung denken konnte.
Dennoch sind es brauchbare Grundlagen, um demokratisch zu regieren – wenn auch der älteste Text, nämlich der US-Amerikanische von 1787, ein bißchen sehr angestaubt ist und Wahlergebnisse grob verfälscht.
Die extrem mächtigen US-Senatoren, 100 an der Zahl, haben jeder exakt dasselbe Stimmrecht. Aber ein Senator aus Kalifornien repräsentiert fast 20 Millionen US-Bürger, ein Senator aus Wyoming weniger als 300.000 Menschen.
Da müsste längst nachjustiert werden und dem gewaltigen Westküstenbundestaat ein paar mehr Senatoren zugestanden werden.
Es ist vertretbar, ähnlich wie im Bundesrat, die Stimmrechte der Länder nicht linear and die Bevölkerungszahl anzupassen, um die regionalen Eigenheiten der dünnbesiedelten, kleinen Länder stärker zu betonen. So wie im EU-Parlament auch.
Dort hat Deutschland als bevölkerungsreichtes Land auch die meisten Sitze, nämlich 96, aber weniger, als Berlin rechnerisch zustünden, so daß Luxemburg, Malta oder Zypern nicht ganz untergehen.
Aber für gleichmächtige Menschen, wie im US-Senat, mal 20 Millionen, mal nur 300.000 Bewohner zu benötigen, verzerrt den Willen des Volkes allzu sehr.
Es ist darüber hinaus, mit wohlwollenden Parlamentariern, in der Praxis möglich, verfassungsrechtliche Schwächen auszugleichen, indem die 96 deutschen EU-Parlamentarier ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Kollegen aus sehr kleinen Ländern haben.
US-Senatoren aus Wyoming könnten gegenüber ihren kalifornischen Kollegen etwas kompromissbereiter auftreten und damit anerkennen, für eine viel kleinere Zahl von Wählern zu stehen.
Das formuliere ich wohlweislich im Konjunktiv; da in den USA des Jahres 2024 gar keine Kompromisse möglich sind und insbesondere die ultrakonservativen Trumpidioten aus den kleinen „Red States“ gar nicht daran denken, reale Mehrheiten zu berücksichtigen.
Problematisch ist dabei das Vorwahlsystem in einem Zweiparteien-Staat mit Mehrheitswahlrecht.
Da fallen kleinen Minderheiten in winzigen Wahlbezirken entscheidende „Swingstimmen“ zu, die politisch von enormer Bedeutung sind, während beispielsweise meine Stimme - als registrierter Demokrat im riesigen deep blue state New York, de facto irrelevant ist. Bei den Präsidentschaftswahlen gehen mit absoluter Sicherheit alle 28 New Yorker Stimmen des Electoral College an die Demokraten; völlig irrelevant, wie ich abstimme. Das ist schon frustrierend, wenn wenigstens die Partei siegt, die ich auch gewählt hätte. Aber wie übel wäre es erst, wenn ich beispielsweise in Dallas oder Salt Lake City gemeldet wäre? Dann könnte ich mein Leben lang so viel wählen, wie ich will und die Demokraten erhielten immer genau NULL Stimmen. Es ist bereits in Stein gemeißelt, daß Trump alle 40 Texanischen und alle sechs Stimmen aus Utah erhält.
Dennoch; Länder können eigentlich über Dekaden, oder gar Jahrhunderte, recht gut mit so einem System leben, solange die Führungspersonen nicht völlig irre sind. Kompromissbereit agieren und nicht ihr persönliches Wohl immer über das der Allgemeinheit stellen.
Das ist unglücklicherweise aber immer weniger der Fall. Trump zeigt es gerade am Beispiel des US-Justizsystems, das durchaus brauchbar ist, Jahrhunderte funktionierte, aber eben doch nicht ausgelegt ist für einen Extremisten, der pro Tag 250.000 Dollar für Anwälte ausgibt, jeden noch so absurden juristischen Winkelzug abzieht und aufgrund seiner Macht, seiner Milliarden und seiner Unterstützer, nicht von Richtern einzuhegen ist, so daß alle seine Prozesse endlos verzögert zur Farce werden. Allein im ersten Halbjahr 2013 kosteten Trumps Anwälte 40,2 Millionen Dollar. Dieses Jahr wird er locker die 100-Millionen-Dollar-Marke knacken, um seine Juristen zu bezahlen.
Das sind die Typen, die das US-System hervorbringt, an die aber 1787 garantiert niemand dachte, als die Verfassung zu Papier gebracht wurde.
Zurück zum Beispiel Wyoming, dem erzkonservativen Zwerg-Bundestaat, der im US-Kongress lange von der erzkonservativen Liz Cheney aus der legendär konservativen Republikanerfamilie des GWB-Vize Dick Cheney, vertreten wurde.
2023 flog sie aber aus dem Parlament, weil sie den sicheren red seat während der Vorwahlen an die völlig irre Trump-Jüngerin Harriet Hageman verlor. Trump verfügte es so aus dem fernen Mar A Lago. Cheney hatte keine Chance mehr, sich überhaupt zur Wahl zu stellen.
Hageman, 61, denkt gar nicht daran, alle Wähler ihres Staates zu repräsentieren, wie es für einen Staat mit einem einzigen Kongresssitz notwendig wäre. Sie hat die Zeichen der Zeit erkannt, lügt wie gedruckt und kriecht tief in Trumps Hintern; die einzige Macht im GOP-Universum.
[….] Hageman war 2016 und 2020 Delegierte zur Republican National Convention, dem Parteitag der Republikanischen Partei. Bei der Republican National Convention 2016 stellte sie sich gegen den Kandidaten Donald Trump und für Ted Cruz. Trump sei nämlich Xenophob, Rassist und der schwächste Kandidat, den die Republikanische Partei aufstellen könne. Nachdem Trump jedoch die Präsidentschaftswahl 2016 gegen die Kandidatin der Demokratischen Partei Hillary Clinton gewann und Präsident wurde, unterstützte Hageman ihn bei der Republican National Convention 2020. In einem Interview mit den New York Times aus dem Jahre 2021 kommentierte sie diese Entscheidung damit, dass sie die Lügen der Demokraten und der Trumpkritiker in den Reihen der Republikaner nach dessen Präsidentschaft durchschaut habe. Trump sei nämlich der „beste Präsident ihres Lebens“ (englisch greatest president of my lifetime) gewesen. […..] Diese Entwicklung beschreibt die Vanity Fair als charakteristisch für die Entwicklung der Republikanischen Partei zur Einmannpartei um Trump, obwohl sie ihn vorher eigentlich kritisierte. [….]
Hageman erkannte ganz richtig, daß Widerspruch gegenüber Trump de facto unmöglich ist, weil man sonst seinen Posten verliert. Sie fügte sich, um weiter aufzusteigen. Schließlich braucht Trump bald einen VP-Kandidaten.
Die Harriet Hageman der Ampel heißt Christian Lindner.
Auch hier bieten Grundgesetz, Wahlergebnis und Koalitionsvertrag eigentlich eine Grundlage, um vernünftig zu regieren.
Der dunkle Fürst der Hepatitisgelben versteht aber die Begriffe Koalition und Kompromiss nicht. Er scheint als Vertreter einer in Rekordtempo schrumpfen Kleinstpartei unter der 5%-Hürde, hartnäckig der Realität entrückt zu sein. Er glaubt offenkundig, über eine absolute FDP-Mehrheit zu verfügen und damit nach Gutdünken allein die Politik mit seinen dubiosen Gaga-Vorstellungen bestimmen zu können: Viel mehr Geld für die Bundeswehr, keine Schulden, viel weniger Einnahmen durch großzügige Steuerstreichungen bei den Superreichen, vollständiges Abwürgen der Konjunktur durch Streichung aller staatlichen Investitionen und ABRAKADABRA füllen sich seine Finanzministerkassen von allein.
Der arme Irre begreift keine äußeren Zwänge. Nein, er herrscht nicht absolutistisch, sondern in einer Koalition aus drei Partnern. In dieser Konstellation hat er nicht nur zwei Parteien gegen sich, sondern er vertritt auch noch die mit Abstand kleinste Partei.
Wäre der Mann einen Hauch schlauer als Hagemann, verstünde er seine Aufgabe, als dem Allgemeinwohl dienliche Angelegenheit, wüßte, daß er mit seinen Mikro-Prozenten nur weniges durchsetzen kann und daß seine Dauerblockade allen Ampelparteien massiv schadet. Am meisten aber seiner Eigenen.
Mit jedem anderen Finanzminister könnte die deutsche Regierung gut funktionieren. Die Verfassung ist nicht das Problem, sondern die Verblödung des Urnenpöbels, der eine so offensichtlich unseriöse Flitzpiepe wie Lindner mit Vetomacht ins Parlament schickt.
[….] Absprachen zum Haushalt aufgekündigt [….] Lindner konterte nun, indem er ebenfalls eine Verabredung mit dem Kanzler aufkündigte: Er stoppte die Verabschiedung des neuen Rentenpakets im Kabinett und setzte die SPD damit seinerseits unter Druck. Für die Sozialdemokraten ist die Reform ein Prestigeobjekt.
Damit herrscht in der Regierung einmal mehr jenes Haushaltschaos, das Scholz nach den Erfahrungen des Vorjahres unbedingt hatte verhindern wollen. [….] Torpediert werden alle Einigungsversuche aber nun durch Lindners Veto gegen die Verabschiedung des Rentenpakets, das er vor einigen Wochen mit Heil selbst vorgestellt hatte. "Aufgrund hoher Anmeldungen für den Haushalt 2025 müssen aktuelle Vorhaben neu in den Gesamtkontext eingeordnet werden", hieß es im Umfeld des Ministers. Mit der Reform soll unter anderem festgeschrieben werden, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2039 nicht unter 48 Prozent eines Durchschnittslohns fallen darf. [….] Lindners schlägt durch sein Veto gegen die Verabschiedung im Kabinett so zwei Fliegen mit einer Klappe: Er trifft die SPD an einer für sie empfindlichen Stelle und setzt sie im Etatstreit unter Druck. Zugleich kann er den eigenen Reihen signalisieren, dass beim Rentenpaket das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. [….]
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