Sonnabend ist der beste Tag der Woche. Da gibt es Kolumnen satt.
(….) Bei meinem politischen Medienkonsum mag ich am liebsten Kolumnen, Essays, Meinungsartikel. Die verschiedenen Perspektiven empfinde ich als extrem lehrreich.
Gebildete Kolumnisten, die gut schreiben können, müssen nicht unbedingt meine Meinung vertreten, damit ich sie mag.
Gleichwohl schwingen meine Lieblinge tendenziell natürlich auf meiner Wellenlänge. [….] Wenn ich überlege, wenn ich aus der jüngeren Generation so Reemtsmaesk genial finde, daß ich seine Artikel immer als erstes lesen würde, fällt mir etwas Überraschendes auf: Es sind alles Frauen! [….]
· Die Hamburger Philosophin Carolin Emcke, 56, Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2016, halte ich für eine der intelligentesten Denkerinnen der Gegenwart. Es gibt keine Kolumne von ihr, die ich nicht aufheben möchte und fleißig weiterempfehle. (….)
Emckes SZ-Kolumne erscheint einmal im Monat in der großen gedruckten Wochenendausgabe; heute, am 04.05.2024, war es wieder soweit. Da ich neugierig bin und als Print-Abonnent auch Zugang zum EPaper habe, las ich schon gestern Abend Emckes Text, in dem es um das Megathema Gefährdung der Demokratie durch autoritäre Kräfte ging.
[….] Rechte Kräfte haben ein Klima der Angst geschaffen - und sie brauchen nicht einmal selbst auf Menschenjagd zu gehen, sie lassen jagen. Doch es nützt wenig, sich zurückzuziehen. Es braucht jetzt Stolz! [….]
Auf denkbar unheimlichste Weise, machte sich über Nacht die Realität daran, Emcke nachdrücklich zu bestätigen. Wir wachten mit dieser Meldung auf:
[…..] Beim Plakatkleben wurde der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke in Dresden angegriffen und schwer verletzt. Diese Gewalttat sorgt bundesweit für Entsetzen und Empörung. Politiker vieler Parteien verurteilten den Angriff. Kanzler Olaf Scholz äußerte sich bei einem Demokratiekongress in Berlin und nannte die Tat bedrückend. "Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option", sagte Scholz. [….] Der 41-jährige Ecke war am Freitagabend beim Plakatieren von vier maskierten Personen angegriffen worden. Er wurde schwer verletzt und im Krankenhaus versorgt. Bei den Angreifern handelt es sich nach Polizeiangaben um junge Männer zwischen 17 und 20 Jahren. Ein Zeuge habe die Angreifer dem rechten Spektrum zugeordnet, teilte die Polizei mit.
Nach Angaben der SPD Sachsen gab es auch bei anderen Plakatier-Teams der Partei Einschüchterungsversuche, Plakatzerstörungen und Beleidigungen. Es war nicht der einzige Vorfall an diesem Abend: Auch zwei Grünen-Wahlkampfteams wurden attackiert. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um dieselben Täter gehandelt hat. […]
Die Saat der braunen Pest, die durch Dauerhetze gegen Grüne und Ampel, das gewalttätige Klima schafft, geht auf. Die Parteichefs von CDU und CSU, die immer wieder ein anti-rotgrünes Narrativ von den Bühnen herabbrüllen und völlig ungeniert Lügen von der „Verbotspartei“ verbreiten, geben den entscheidenden Kick, um Attentäter zu ermutigen. Die Täter von Dresden verstehen Merz und Söder als Untermauerung der AfD-Menschenhetze.
[….] Auf einmal fehlt es an Mut, tatsächlich den Klimaschutz mit aller Dringlichkeit fördern zu wollen. Auch das ist nicht individuell und nicht zufällig. Die hasserfüllten Anfeindungen und mutwilligen Denunziationen, mit denen seit Jahren alle überzogen werden, die sich für eine humanistische, nachhaltige Lebensform einsetzen, zeigen Wirkung. Die sich stetig radikalisierende Verrohung, die sich gegen "die Eliten", "die Feministinnen", "die Klima-Kleber", gegen "Öko-Diktatur" richtet, die um sich greifende Gewalt eines sich selbst ermächtigenden Mobs - sie verbreiten Angst und Schrecken. Angst um den eigenen Körper, die eigene Existenz; Angst, angegriffen, mundtot gemacht zu werden.
Rechte Agitatoren haben ein Klima der Einschüchterung geschaffen, ob im Netz oder auf der Straße, sie brauchen nicht einmal selbst auf Menschenjagd zu gehen, sie lassen jagen. Die Objekte, auf die der Hass sich richten soll, sind variabel, solange das Energielevel aus Verachtung und Gewaltbereitschaft hochgehalten werden kann. Solange Misstrauen gegen die Demokratie an sich geschürt werden kann. Die demagogische Strategie der Rechten ist dabei immer eine doppelte: gegen die Demokratie und gegen den Klimaschutz. Ob Kommunalpolitikerinnen oder Klima-Aktivisten, ob queere Menschen oder Pastoren, das spielt keine Rolle. [….]
Es ist und bleibt daher völlig unverzeihlich, daß insbesondere die Merz-CDU der antidemokratischen rechtsradikalen AfD-Hetze einen legitimen Anspruch gibt, indem sie deren Lügen übernimmt und immer öfter direkt mit der AfD zusammenarbeitet.
Die Merz-CDU klammert sich immer fester an die AfD. Das hat Konsequenzen.
[….] In Dresden schlagen Unbekannte einen SPD-Europapolitiker krankenhausreif, in Essen wird ein Politiker der Grünen attackiert. Jedem Bürger, jeder Bürgerin muss klar sein, wie gefährlich das ist. [….] Es reicht ein Blick auf die letzten sieben Tage. In Brandenburg bedrängen Demonstranten Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt nach einem Auftritt. In Essen wird ein Grünenpolitiker nach einer Parteiveranstaltung angegriffen. In Dresden muss der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke nach einem brutalen Angriff mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus. Auch ein Wahlkampfhelfer der Grünen wird beim Plakataufhängen attackiert.
Das ist die Realität im Wahljahr 2024. Wer für seine Partei Wahlkampf macht, muss befürchten, beleidigt, bedrängt, angegriffen oder verletzt zu werden. Das politische Klima im Land ist offenbar derart verroht, dass der Hass gegen Politikerinnen und Politiker immer häufiger in Gewalt umschlägt. Fausthiebe als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Diese Entwicklung ist die Folge einer politischen Kultur, in der Rechtsextremisten und Populisten demokratische Politiker als abgehobene Elite, als Volksfeinde und Verräter darstellen. Sie ist die Folge einer Radikalisierung, die in Telegram-Kanälen, YouTube-Videos und WhatsApp-Gruppen befeuert wird.
Schon als Anfang des Jahres einige aufgebrachte Protestierende versuchten, in Schlüttsiel eine Fähre mit Wirtschaftsminister Robert Habeck zu stürmen, war die Erschütterung groß. Es folgte der Politische Aschermittwoch – die Grünen mussten eine Veranstaltung im baden-württembergischen Biberach absagen, weil die Sicherheitskräfte nicht garantieren konnten, dass alles ruhig verläuft. Nun geht der Europawahlkampf in die heiße Phase, und die Angriffe häufen sich. Für die Landtagswahlkämpfe in Sachsen, Brandenburg und Thüringen verheißt das nichts Gutes. Wer sich mit Politikern gerade der Grünen unterhält, spürt, wie groß die Sorge ist, dass noch weit Schlimmeres passiert. Ausgesprochen wird das nicht, aber gemeint ist natürlich: dass irgendwann jemand getötet wird. So wie der CDU-Politiker Walter Lübcke, den 2019 auf der Terrasse seines Hauses ein Rechtsextremist erschoss. [….]
Die Demos gegen Rechs vom Angang des Jahres, waren ermutigend, haben aber längst nicht ausgereicht.
Das gesellschaftliche Klima der Indolenz und Desinformation ist viel zu stark. Wir nehmen hin, wir resignieren, wir lassen Böses unwidersprochen stehen, wir engagieren uns nicht genügend, wir sind viel zu anfällig für Populisten, wir unterstützen die autokratischen Tendenzen durch die schockierenden CDUCSUAfD-Zahlen der Demoskopen.
Die MerzSöderischen xenophoben Attacken gegen Flüchtlinge, Klimaaktivisten, Veganer, Vegetarier, Grüne, Queere, Transsexuelle dürfen nicht mit Zustimmung an den Wahlurnen belohnt werden, sondern müssen immer und überall abgelehnt und verurteilt werden.
[….] Es wird Zeit, die rhetorischen Spielchen der Antidemokraten in Europa auseinanderzunehmen. Es sind falsche Gegensätze, die den politischen Diskurs und vor allem die demokratische Fantasie verhindern wollen. Es gibt nicht hier den Kampf um die Demokratie und da den Kampf ums Klima. Sondern sie sind ein und dieselbe Auseinandersetzung. Es gibt nicht hier die ökologische und da die soziale Frage. Sondern sie gehören zusammen. Es gibt nicht hier den Wert der Freiheit, der Unabhängigkeit, der Emanzipation und da den Wert der Nachhaltigkeit und der planetaren Verantwortung.
Die autoritäre Bedrohung wird nicht dadurch verschwinden, dass die politischen Ambitionen der inklusiven, offenen Demokratie absichtsvoll kleingehalten werden, um nur ja niemanden zu verschrecken. Wer die demokratische Ordnung erhalten will, muss sie in ihren Versprechen erweitern und vertiefen wollen - und nicht irgendwie peinlich berührt ob ihrer Ansprüche abschwächen. Auch und gerade im Angesicht der wachsenden Anfeindungen und Diffamierungsstrategien der autoritären Bewegungen und Regierungen in Europa braucht es eine offensive Argumentation, warum sich eine demokratische Ordnung und ein nachhaltiger Klimaschutz auszahlen, warum sie uns und unsere Vorstellung vom guten Leben eher beschützen, warum sie uns unabhängig machen von fossilen Diktatoren und menschenverachtenden Autokraten. [….]
Schande über die AfD!
Schande über die Putin-Liebhaber!
Schande über das Pack, das solche Parteien wählt!
Wir erleben jetzt bereits Faschismus in Deutschland. Wir dürfen das nicht weiter geschehen lassen und uns mit „News-Fatigue“ in die eigene „Hygge-Welt zurückziehen“. Eskapismus bedeutet Untergang.
[…] Das ist kein unkoordinierter, zufällig daherkommender Furor von ein paar Radikalen, die kurz zuvor - vielleicht ihrerseits beim Plakatieren für eine Partei - zu viel Bier getrunken haben. Das ist auch keine Serie von kleinen Eruptionen in den hitzigen Zeiten eines besonderen Wahljahres. Dahinter steht ein Plan. Es sind auch nicht mehr bloß Gewitterwolken, die in diesem Sommer 2024 aufziehen. Weil eine Partei, die auf Ausgrenzung setzt, zunehmend auf mehr Macht hofft. Weil ihr Sound ankommt, ihre Siegerpose anzieht. Weil in den diversen, sich überlagernden Wahlkämpfen dieses Jahres - für das Europaparlament, für etliche Rathäuser und Kreistage zum Beispiel in Thüringen und Rheinland-Pfalz und im Herbst schließlich auch für drei Landesparlamente und Regierungszentralen - nichts zu verlieren und alles zu gewinnen ist für sie. Sondern da geht es auch schon um die ersten zuckenden Blitze, die ersten Tropfen, die vom Himmel fallen.
Teil eins dieses Plans: Fleißig, durchaus gut strukturiert und schlau arbeitet die AfD darauf hin, die ihr offenstehenden legalen Wege zu beschreiten. Die Partei, die in ihrem Innersten antidemokratisch tickt, weil sie nur Verachtung für die politischen Rechte der anderen übrig hat, schickt Kandidaten ins Feld. Regelkonform, informiert, kundig: Diese Kandidaten beherrschen die Regeln der parlamentarischen Demokratie, und im Wesentlichen verzichten sie auch darauf, sie zu brechen. Am gewieftesten hat sich bis heute der Thüringer Spitzenmann Björn Höcke gezeigt, als er CDU und FPD in seinem Landtag an der Nase herumführte und gemeinsam einen Ministerpräsidenten wählen ließ. […] Teil zwei des Plans ist das Verbreiten von Angst. […] Dass in den Reihen dieser Partei sogar Funktionäre sitzen, die neben dem legalen Geschäft auch auf Gewalt setzen, ist kein Zufall. Eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD muss sich gerade gerichtlich dafür verantworten, dass sie sich zu einem Anschlag auf die Bundesregierung verschworen haben soll. Andere beschäftigen rechte Schläger als ihre parlamentarischen Mitarbeiter. Mehr Lob geht kaum. [….]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen