Mittwoch, 11. Mai 2016

Alle gegen Erdoğan.

Angesichts des zunehmend vergifteten Klimas in der GroKo, insbesondere zwischen den C-Schwestern, kommt ein gemeinsamer Gegner wie gerufen.
Die Methode funktionierte schon im 19. Jahrhundert. Gab es zu Hause Unzufriedenheit, drohten gar Unruhen, zettelte man einfach einen Krieg an und alles stürzte sich auf den „äußeren Feind“.

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!“
(Kaiser Wilhelm II., 04.08.1914)

Heute stürzen sich die verschiedensten Gegner der Merkelschen Flüchtlingspolitik auf den türkischen Präsidenten.
Seehofer, Schulz und de Maizière ein Herz und eine Seele, wenn es gegen die Türken geht.
Die wollen wir nicht und die können es sich abschminken ungehindert in der EU umherzureisen.

Dabei sah es Ende April noch so gut aus.

Noch vor zwei Wochen schien alles auf bestem Wege zu sein. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, der den Deal im März mit der EU ausgehandelt hatte, machte im Parlament von Ankara Druck, um die Kriterien der Europäer für die zugesagte Visafreiheit im Juni zu erfüllen. Im Gegenzug für die Mitarbeit der Türkei bei der Reduzierung der Flüchtlingszahlen hatte die EU die Reisefreiheit für Türken im Schengen-Raum in Aussicht gestellt. Visafreies Reisen ist ein Traum für viele türkische Normalbürger, die derzeit viel Zeit, Geld und Nerven für eine europäische Reiseerlaubnis investieren müssen.

Alles vorbei.
Zum Entsetzen der deutschen Kanzlerin droht ihre gesamte Migrantenstrategie wie ein Kartenhaus zusammen zu fallen – und Vertreter aller drei GroKo-Parteien schwingen die Abrissbirne.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz macht der Türkei keine Hoffnung, die geplante Visafreiheit für Türken bis Juli umzusetzen. "Sie ist zumindest bis Juli nicht im Parlament verabschiedet", sagte Schulz im Deutschlandfunk. Es sei "absolut außerhalb jeder Diskussion", dass die Abgeordneten Beratungen über ein Vorhaben beginnen würden, für das die Voraussetzungen fehlten.
[…] Auch de Maizière skeptisch
Dieser sei offenbar "nicht bereit, die Kriterien zu erfüllen", sagte de Maizière einem Medienbericht zufolge. "Wenn nicht, dann wird es keine Visafreiheit geben".[…]

Warum sind auf einmal alle so garstig?
Menschenrechtsgruppen und die deutsche Oppositionen kritisieren den schmutzigen Erdogan-Deal ohnehin extrem scharf.
Aber die „Bürgerlichen“ in der Groko haben keine anderen Pfeile mehr im Köcher.
Wieso riskieren sie die Implosion ihrer Politik?
Ich sehe dafür drei Gründe.

Die generelle Türkenphobie und die Antipathie gegenüber des Präsidenten.
Das wohlige Gefühl gemeinsam auf einen anderen eindreschen zu können.
Erdogans täglich schriller werdende Tonlage, die in der Tat außerordentlich abstoßend ist.

Für kritische Stimmen aus Europa halten Erdogan und seine Gefolgsleute eine Antwort parat: Sollte die Visafreiheit ausbleiben, „dann schicken wir die Flüchtlinge los“, warnte Erdogans Berater Burhan Kuzu auf Twitter.

Es ist also gut nachzuvollziehen, wenn sich deutsche Politiker von ganz links (Sevim Dağdelen) über Mitte (Martin Schulz) bis rechts (de Maiziére) auf einmal einig sind im Ankara-Antagonismus.

Allein, sie haben alle Unrecht.
Erdogan ist nun einmal der rechtmäßige Präsident der Türkei. Er ist der Verhandlungspartner.

Ob es in das Freund-Feind-Schema passt oder nicht; die Türkei leistete bisher viel mehr bei der Aufnahme Syrischer Flüchtlinge als alle anderen 28 EU-Nationen zusammen.
Die Großherzigkeit der Türkei, des Libanons und Jordaniens sollte alle EU-Regierungen in Sack und Asche gehen lassen.
Stattdessen drohen sie mit erhobenen Fingern gen ihres NATO-Partners Türkei.

Erdogan ist mir ungefähr so sympathisch wie Fußpilz, aber dennoch hat er bezüglich der Flüchtlinge RECHT!

Dass die Türkei 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen habe, "das interessiert niemanden", sagte der Staatspräsident in Anspielung auf die Spekulationen aus der vorigen Woche, Merkel könnte wegen ihres Engagements in der Flüchtlingskrise den Friedensnobelpreis bekommen.
Erdogan - den das Magazin "Foreign Policy" kürzlich als "anatolische Version des russischen Präsidenten Wladimir Putin" beschrieb - ist sehr bewusst, dass sein Land in der Flüchtlingskrise eine Schlüsselrolle spielt. Und aus den zahlreichen Bitten der Europäischen Union könnte er nun auch innenpolitisch Kapital schlagen
Denn ganz ohne Gegenleistung dürfte die Türkei der EU kaum entgegenkommen. Hohe Priorität hat für Ankara insbesondere ein Wegfall der Visapflicht für ihre Bürger für den Schengen-Raum. Sollte Merkel bei ihrem Besuch Signale in diese Richtung aussenden, dürften Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu das auch direkt in politisches Kapital im heimischen Wahlkampf ummünzen.
(dpa, afp, 16.10.15)

Die Türkei hat allen Grund wütend auf die EU zu sein.
Über Jahre mußte der Staat am Bosporus die westliche Nahost-Politik ausbaden, wurde völlig allein gelassen mit Millionen Flüchtlingen aus Syrien.

Und schließlich, was ist das für ein Menschenbild; Visa-Zwang für Türken, während alle EU-Bürger natürlich VISAFREI in der Türkei Urlaub machen?
Sind Westeuropäer etwa Menschen erster Klasse, die sich frei in der Türkei bewegen dürfen, während die zweitklassigen Türken nur unter Auflagen Urlaub machen dürfen?
In der Türkei leben 75 Millionen unterschiedliche Menschen, nicht 75 Millionen Erdogans, die für ihren Präsidenten bestraft gehören.

Es war ein Fehler, den Flüchtlings-Deal mit der Visumfrage zu verknüpfen
 […] Erdoğan ist einer, der von Meinungs- und Pressefreiheit nicht viel hält. Er ist einer, der Demonstranten einsperren und seine Gegner als Terroristen verurteilen lässt. Aber: Soll man die Türken für die Politik ihres Staatschefs strafen - und ihnen deswegen die Visumfreiheit verweigern? Can Dündar, der Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, den Erdoğan wegen "Spionage" zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilen ließ, hat in der Visumfreiheit eine starke Klammer zwischen der Türkei und Europa gesehen. Will man das konterkarieren? Sollen die Europagegner in der Türkei noch mehr Oberwasser kriegen?
Die Visumfreiheit ist genau genommen keine Belohnung für Erdoğan; sie ist eine Geste der Anerkennung für die Menschen in der Türkei: Es geht um Augenhöhe. Die Visumfreiheit wird ihnen seit Jahren versprochen. Deutsche haben alle Freiheiten bei der Einreise in die Türkei; Türken bei der Einreise nach Deutschland nicht. Üblicherweise gilt das Prinzip der Reziprozität: Wenn Reisefreiheit in die eine Richtung gilt, dann gilt sie auch in die andere.
Im Verhältnis zur Türkei ist das Prinzip außer Kraft gesetzt; das ist Schikane. Diese Schikane trifft drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland; sie trifft auch die deutsche Wirtschaft, weil sie Joint Ventures erschwert. […]


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