Unzählige
Bücher beschäftigen sich mit der Frage wie es zu Hitlers Aufstieg kommen
konnte, der in Deutschland immer noch „Machtergreifung“ genannt wird.
Das ist
aber falsch, denn Hitlers Partei wurde demokratisch gewählt; er bekam eine
reguläre parlamentarische Mehrheit.
Er
ergriff nicht etwa die Macht, sondern die Deutschen haben ihn ganz freiwillig
zum Reichskanzler gemacht.
Historisch
ist dieser Vorgang so gut erforscht, daß der SPIEGEL kürzlich fragte, ob es
überhaupt möglich ist noch irgendetwas zu Hitler zu schreiben, das noch nicht
gesagt worden wäre.
Als
später Geborener, der sich angesichts der grotesken Gröl-Reden „des Führers“
und der schaurigen „Mein Kampf“-Lektüre fragt, wie man nur so einen Mann wählen
konnte, weiß ich natürlich, daß Jahrzehnte später ein anderer Eindruck Hitlers dominiert.
Man kann
nicht das Wissen um das, was noch kam, völlig ausklammern, um sich wirklich in die
Zeit vor 1933 zu versetzen.
Rational
weiß ich wie selektiv die Realität wahrgenommen wird.
Die
Redeausschnitte, die heute jeder von Hitler kennt, sind natürlich die besonders
grotesken, bei denen er extrem gestikuliert.
Die Satzbausteine,
die auf seine späteren Verbrechen hinweisen, dominieren das Bild, das a
posteriori von ihm erscheint.
So
stellten sich Anfang der 1930er Jahre aber offenbar bei Weitem nicht alle
Deutschen den NSdAP-Chef vor.
Offensichtlich
konnte der Mann durchaus auch charmant und überzeugend wirken.
Hitler
war in der Lage auch intelligente und intellektuelle Menschen vollkommen in
seinen Bann zu ziehen.
Man
traute ihm die heute bekannte Bösartigkeit einfach nicht zu.
Immer
wieder beeindruckend wie sich Heinz Rühmann als Julius Löwenthal in dem 1933
spielenden Film* „das Narrenschiff“ über die Nazis äußert.
"Es gibt in
Deutschland eine Million Juden! Was wollen sie tun, uns alle umbringen?".
Es ging
über die Vorstellungskraft vieler gebildeter und erfahrener Bürger was
Deutschland unter NSdAP-Führung tun würde.
Eins der
größten Rätsel der Figur Hitler ist für mich immer noch woran es lag, daß er
offensichtlich so viele Menschen überzeugen konnte.
Man
weiß, daß sehr scharfsinnige und selbstbewußte Generäle bis zum letzten Tag
bedingungslos zu ihrem „Gröfaz“ standen, obwohl sie seit mindestens zwei Jahren
täglich bei den Lagebesprechungen erlebten, daß der Mann Unsinn redete.
Es war
offensichtlich nicht eine Frage der Intelligenz, ob man Hitler durchschaute.
Interessanterweise
gibt es genügend Gegenbeispiele von Menschen ganz unterschiedlicher Art, die Hitler
von Anfang an als das Giga-Ungeheuer durchschauten, das er war.
Der einfache
Schreiner Georg Elser (*1903; † 9. April 1945 im KZ Dachau) erkannte Hitler
klar als das was er war.
Ebenso
erging es der Jungintellektuellen Gräfin Dönhoff.
Die
promovierte Dönhoff hatte schon als Gymnasiastin in den 1920er Jahren Hitler
auf einer kleinen Veranstaltung kennengelernt. In einer Diskussionsrunde saß
sie nur zwei Plätze neben ihm und fällte schon damals ein Urteil: Der Mann ist
ein Verbrecher, wird Europa in einen Krieg stürzen und dafür sorgen, daß sie
alle ihre Heimat verlieren.
Sie
wurde zur „Roten Gräfin“, weil sie in den Kommunisten die einzigen Verbündeten
fand, die wirklich gegen Hitler aktiv waren. Später im Krieg verlor sie als
aktive Widerstandskämpferin fast ihren gesamten Freundeskreis, da die meisten
im Zuge des Attentatsversuches vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurden.
Als Oberprimanerin
noch hatte Marion Dönhoff einmal in Berlin Hitler erlebt; sie fand ihn
grauenhaft, seine Argumente irrsinnig, seine kippende Stimme abstoßend: »Diese
Begegnung gab für meine lebenslange Einstellung den Ausschlag (…). Vaterland,
das gab es für mich nicht mehr, seit der Hitler da war.« Und zehn Jahre lang
sah sie den Krieg kommen – in der bangen Gewissheit, dass Ostpreußen eines
Tages verloren sein werde.
Woran
liegt es, daß es in Europa einerseits die Elsers und Dönhoffs gibt, die
Gefahren und Persönlichkeiten offensichtlich mühelos durchschauen, während so
viele ihrer Zeitgenossen willig den Hassideologen in den Abgrund folgen?
Eigentlich
sollte/wollte/müsste ich heute noch einige Worte über die Unterschiede zwischen
des österreichischen Präsidentschaftskandidaten verlieren.
Aber
gibt es zwischen dem Ex-Grünen Chef Alexander Van der Bellen und dem
rechtsextremen FPÖ-Mann Norbert Hofer überhaupt eine Wahl?
Wer sich
bei diesen beiden Alternativen nicht innerhalb einer Mikrosekunde entscheiden
kann, ist für mich entweder ein totales Rätsel oder blanker Abschaum wie Papst Franzens Weihbischof Andreas Laun,
der zur Wahl Hofers aufgerufen hatte.
Das
Endergebnis ist noch nicht bekannt, aber es ist gut möglich, daß tatsächlich
über 50% der österreichischen abgegebenen Stimmen auf Hofer entfielen. Derzeit liegt er in den Auszählungen mit 51,9% vorn.
Österreich
geht es ökonomisch sehr gut, Österreich hat flächendeckendes Internet und
breite Protestfront, die über den Rechtsradikalismus aufklärt.
Und
dennoch wählt man dort womöglich mit absoluter Mehrheit einen FPÖ-Rassisten zum
Staatschef?
Wer das
sieht, braucht sich nicht mehr über 1933 wundern.
Erst
Ungarn, dann Polen, jetzt Österreich.
Unsere
europäischen Gesellschaften versagen wieder einmal auf ganzer Linie.
Das "feine
Schweigen" also. Das trifft es eigentlich ganz gut. Wie kippt ein Land?
Wie kippt eine Gesellschaft? Wie entstehen rechte Diktaturen? Und was ist die
Rolle des Bürgertums?
Fritz Stern hat diese
Formulierung benutzt, der große Historiker, der diese Woche gestorben ist, er
hat sie benutzt, um das Versagen jener Schichten zu beschreiben, die die
Gesellschaft eigentlich tragen sollten.
Aber sie weigerten
sich, laut zu werden, sie waren sich zu gut dafür, in den Streit der Meinungen
einzugreifen, sie überließen das Feld den Geiferern, sie taten liberal und
hatten doch nicht gelernt, für diese Liberalität zu kämpfen.
Das Bürgertum also,
kurz gefasst, das dem Aufstieg Hitlers einfach zusah; das Bürgertum, das auch
heute zusieht, wie ein Land, wie ein Kontinent kippt, still, sediert oder
sympathisierend. [….]
Bürgerliche Gesellschaft,
bürgerliche Parteien, Bürgertum
– ich habe keine Ahnung wieso diese Begriffe nach wie vor positiv konnotiert
werden.
*Weitere
weltbekannte Zitate:
Marvin fragt: "Was haben denn
alle gegen die Juden? Bei uns gibt es sowas nicht", woraufhin Leigh kühl
lächelnd erwidert: "Sie waren wahrscheinlich zu beschäftigt, die Schwarzen
zu lynchen, um noch Zeit für die Juden zu finden."
Ferrer: "Die Juden sind an
allem Schuld."
Rühmann: "Stimmt, die Juden und
die Radfahrer."
Ferrer: "Wieso die
Radfahrer?"
Rühmann: "Wieso die
Juden?"
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