Mittwoch, 7. September 2016

Runterkommen

Wer rausgeht, muß auch wieder reinkommen, sagte Herbert Wehner, als am 13. März 1975 die CDU/CSU-Fraktion während seiner Rede den Plenarsaal verließ, weil sie sich nicht von einem „Kommunisten“ über den Terrorismus belehren lassen wollte.
Wehner hatte ja so Recht.

Ach ja, wie man gerade an einem Tag wie heute, an dem ich todmüde morgens um 9.00 Uhr auf Phönix der Bundestagsgeneraldebatte verfolgte, Typen wie Wehner oder Joschka Fischer oder gar Helmut Schmidt vermisst.

Erster Redner war als Oppositionsführer Dietmar Bartsch.
Der Co-Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion ist ein schlechter bis mittelmäßiger Redner, der zudem auch noch optisch über keinerlei Wiedererkennungswert verfügt und als ganz und gar nicht charismatisch gilt.

Ich habe seiner gesamten 27-minütigen Rede aufmerksam zugehört und mußte so gut wie jedem Satz zustimmen. Wieder einmal eine inhaltlich sehr gute Rede aus der LINKEN Fraktion.
Alle seine Kritikpunkte saßen, er legte die Finger in die Wunden, ohne dabei überheblich zu sein.
Schreihals Volker Kauder fiel dazu nichts Besseres ein, als zwischendurch immer wieder lauthals nach dem Verbleiben „des SED-Vermögens“ zu grölen, als ob es die Schuld der Linken von 2016 wäre, wenn in Ost-Vorpommern eine Buslinie eingestellt wird. Die Heuchelei der CDU ist nach wie vor nicht zu überbieten. Die Fragen nach ehemaligen DDR-Vermögen sollte sich Kauder lieber selbst stellen.

Die fünf Parteien des „Demokratischen Blocks“, die zuvor alle Pfründe untereinander aufteilten, zerfielen in Rekordtempo.

    SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
    CDU Christlich-Demokratische Union Deutschlands
    LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
    DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands
    NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands

CDU und DBD wurden von der West-CDU wegfusioniert; LDPD und NDPD riss sich die FDP unter den Nagel.
Vier von fünf tragenden Säulen ersparten sich also jede Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Die Namen verschwanden, das Parteivermögen kassierten West-CDU und West-FDP.

Der schwarze Peter verblieb allein bei der SED, die sich die nächsten 25 Jahre Vorwürfe anhören mußte.
Eine der größten Witze der Vereinigungsgeschichte ist die Kritik an der Umbenennung in „SED-PDS“, bzw später „PDS“, sie würde sich darum drücken die Vergangenheit anzuerkennen. Ihr ginge es nur darum, das Vermögen zu behalten.
Das Geschrei kam ausgerechnet von den „Bürgerlichen“, die selbst das komplette Parteivermögen von vier Blockparteien abgegriffen hatten und überhaupt gar keine Vergangenheit vor 1989 anerkannten.
Die einzige Partei, die sich nicht aus der DDR-Konkursmasse bediente, die keine Immobilien, Bankkonten und Parteimitglieder an sich raffte, war die SPD. Und diese SPD wurde von der CDU über 20 Jahre mit einer Rote-Socken-Kampagne überzogen.

Kauder zeigte mustergültig wie Politikverdrossenheit entsteht. Wer will sich solche billigen Manöver anhören?

Merkel war zweite Rednerin und spulte ihr Programm in 25 Minuten ab.
Sie ist bekanntermaßen wie die ihr folgende Grünen-Fraktionsvorsitzende Kathrin Göring-Kirchentag ebenfalls eine schwache Rednerin, so daß Menschen, die Spaß an guter Rhetorik haben, sich quälen ihr zuzuhören.
Es war recht öde und es ist bezeichnend, daß die seit einem Vierteljahrhundert von Merkel eingelullten Hauptstadtjournalisten ihren Auftritt allesamt als „kämpferisch“ bezeichneten.
Man erinnert sich an Volker Pispers, der bei Merkel die spezielle Bewertungskategorie „besser als erwartet“ diagnostizierte.
In der Tat; setzt man das linguistisch sehr niedrige Kanzlerinnen-Niveau als Maßstab für diese Rede an, war es eine der eher besseren.
Ohne Seehofer namentlich zu nennen, stellte sie sich ihm entgegen, reihte all ihre großen Taten auf, die sie in den vergangenen 12 Monaten zur Lösung der Flüchtlingsproblematik unternommen hätte und gab nicht im geringsten zu erkennen, daß sie nach der Wahl in MeckPomm auf CSU-Kurs einzuschwenken gedenke.

"Politiker wie wir hier, die Verantwortung tragen, sollten sich in ihrer Sprache mäßigen. Wenn wir in unserer Sprache eskalieren, gewinnen nur die, die es noch einfacher ausdrücken", mahnte die Kanzlerin und zog damit überdeutlich crazy Horst eins über.

Darauf ergibt sich nun aber ein Problem.
Denn Horst Seehofer, der auch von den anderen Parteien als Brandstifter und AfD-Helfer angegriffen wurde, ist nicht nur wie weiland 1975 einfach rausgegangen, so daß man nur abwarten müßte, bis er sich wieder bequemte an den Tisch zurückzukehren.

Der Chef-Bayer ist inzwischen so hoch auf den Baum geklettert, daß er gar nicht mehr runterkann.

Wie für CSU-Politiker üblich, verstrickte sich der MP in so ein gewaltiges Lügengeflecht, daß ein Burgfrieden mit Merkel und dem GroKo-Partner SPD gar nicht mehr möglich ist, ohne sich total zu blamieren.
Fälschlicherweise behauptet Seehofer zum Beispiel immer wieder, Merkel müsse dringend ihren Kurs ändern und endlich von der aus seiner Sicht fatalen Flüchtlingspolitik von vor einem Jahr abkehren.

In Wahrheit ist das längst passiert, Merkel hat das Asylrecht radikal verschärft, die Integrationsmaßnahmen beschnitten, die Grenzen geschlossen und läßt abschieben.
All das was Seehofer fordert, tut sie also längst.
Was könnte die Kanzlerin eigentlich überhaupt noch tun, um ihn endlich zufrieden zu stellen?
Der Chefbayer würde jetzt sicher „Obergrenze, Obergrenze, Obergrenze!“ skandieren.
Aber das ist erstens unsinnig, zweitens verfassungsrechtlich gar nicht möglich und drittens auch noch überflüssig, weil längst so wenige Flüchtlinge kommen, daß die Betreiber leerer Aufnahmeeinrichtungen die Politik anbetteln endlich wieder den Familiennachzug zu erlauben, damit die syrischen, irakischen und afghanischen Männer nicht mehr mit den unzumutbaren Sorgen um ihre Angehörigen im Kriegsgebiet leben müssen.

Seehofer ist also so weit entfernt von der Realität, daß gemeinsame Politik mit ihm unmöglich geworden ist.

Stefan Kuzmany fragte gestern, ob sich Seehofer wohl noch einmal zur konstruktiven Regierungsarbeit entscheiden werde.

Er wird zuerst bei sich selbst für Klarheit sorgen müssen. Will er weiterhin mit destruktiver Kritik an der Flüchtlingspolitik den Eindruck befeuern, die eigene Regierung habe die Lage nicht im Griff? Oder will er sich, gerade noch rechtzeitig im letzten Jahr dieser Legislaturperiode, zur bundespolitischen Regierungsverantwortung bekennen und also die Politik dieser Regierung intern mitgestalten und nach außen dann erklären und vertreten?
Solange er sich nicht entscheidet, ist Horst Seehofer nicht nur bayerischer Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU - er bekleidet zudem höchst erfolgreich die Position des ehrenamtlichen Chefwahlkämpfers der AfD.

Ich halte das für Augenwischerei.
Horst Seehofer ist psychisch unfähig zur Vernunft und wird weiterhin mit Ultimaten und Drohungen das Regierungs-Rumpelstilzchen geben.

Arme Frau Merkel. Seit drei Jahren rate ich ihr immer wieder die CSU aus der GroKo zu werfen, aber natürlich war sie zu feige und zu träge dazu.
Lieber ließ sie sich aus München immer weiter demütigen.

Rechnerisch wäre ein CSU-Rausschmiss natürlich immer noch möglich, aber durch Crazy Horst hat die Union insgesamt so abgewirtschaftet, daß Merkel nur noch sehr schwer 2017 erneut Kanzlerin werden kann, wenn die CSU-Stimmen fehlen und sie mit den Grünen ins Bett will.

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