Dramatische
BREAKING NEWS: Seismische Messstationen hatten ein Erdbeben der Stärke 5,3 in
Nordkorea aufgezeichnet.
Aber war
das überhaupt ein Erdbeben, oder hat Kim Jong Un nun doch eine Wasserstoffbombe
gezündet?
Amerika
war elektrisiert. Stünde nun ein Atomkrieg bevor?
Hat der Irre aus P'yŏngyang nicht auch
Interkontinentalraketen, mit denen er die Sprengköpfe in alle Welt schicken
kann?
War es
das jetzt? Geht die Welt unter?
Ich war
irgendwie mitgerissen von dem Gedanken und wartete gespannt auf die deutschen
Reaktionen, die ich ab 5.30 Uhr im Frühstücksfernsehen präsentiert bekommen
würde.
Als es
soweit war, sah ich aber nur gut gelaunte und scherzende Moderatoren, lange
Strecken über das Wetter, Berichte von den Paralympics und den
US-Open-Tennisergebnissen.
Das „Erdbeben“
in Nordkorea wurde in nur zwei Sätzen während des Nachrichtenblocks erwähnt.
Man
stelle sich vor, der Iran wäre nur halb so weit mit der Atomwaffentechnik wie
Nordkorea. Dann wäre was los hier.
Wieso
interessieren sich aber die Europäer so gar nicht dafür was zwischen P'yŏngyang
und Seoul vor sich geht?
Psychologie
spielt eine Rolle. Amerika sitzt die Schmach der Kriege in Vietnam und Korea
immer noch im Nacken. Da gab es von einem waffentechnisch und wirtschaftlich
hoffnungslos unterlegenen, auch noch kommunistischen Gegner voll was auf die
Glocke.
Amerika
tickt pazifisch. Immerhin hat man selbst zwei Atombomben in Nagasaki und
Hiroshima gezündet.
Amis
denken den asiatischen Raum nuklear und sie sind dort heute stärker denn je
militärisch präsent.
Und bei
Wasserstoffbomben hört der Spaß auf. Die sind wirklich zerstörerisch.
Dazu ein
kurzer Einschub, weil ich nicht ganz ignorieren kann, daß ich mal
Nuklearchemievorlesungen gehört habe:
Die
ersten Atombomben waren Fissionssprengsätze, bei denen sehr dicke schwere Atome
wie hoch angereichertes Uran oder reines 239Plutonium gespalten
werden. Die Sprengkraft misst man in „Kilotonnen“. Eine Kilotonne entspricht
der Sprengkraft von 1000 Tonnen Trinitrotoluol, TNT.
Die
Atombombe „Little Boy“ (Sprengstoff: 235Uran), die über Hiroshima abgeworfen
wurde und 150.000 Menschen innerhalb weniger Tage tötete, entsprach 13
Kilotonnen TNT.
Die
Atombombe „Fat Man“ (Sprengstoff: 239Plutonium), die drei Tage
später über Nagasaki gezündet wurde, war mit 21 Kilotonnen TNT viel stärker,
verfehlte aber den Stadtkern um mehrere Kilometer, so daß innerhalb einer Woche
„nur“ 80.000 Menschen krepierten.
Die
später entwickelten Kernfusionswaffen sind deutlich stärker. Bei ihnen werden
die kleinen Atömchen Deuterium und Tritium zu 3Helium und
schließlich zu 4He verschmolzen. Beides sind Wasserstoffisotope;
daher der Name Wasserstoff- oder H-Bombe.
Das
erfordert so viel Anfangsenergie, daß man erst mal eine herkömmliche
Fissionsbombe zünden muß, um die H-Bombe in Gang zu setzen.
„Vanja“,
aka AN602 war die dickste bisher gezündete Wasserstoffbombe.
Sie
wurde 1961 auf der russischen Doppelinsel Nowaja Semlja abgeworfen und
künstlich von den erreichbaren über 100.000 Kilotonnen TNT = 100 Megatonnen um
die Hälfte reduziert, um die Radioaktivität einzugrenzen.
„Vanja“ explodierte mit 50 – 60 Megatonnen, also mindestens 4.000 mal so stark
wie „Little Boy“ über Hiroshima.
Zugegeben;
es ist keine schöne Vorstellung, daß ein Irrer so ein Ding zur Verfügung hat.
Um aber
bei der Realität zu bleiben: Was auch immer Kim Kong Un vor drei Tagen auf dem
nordkoreanischen Atomtestgeländes Pyunggye-Ri loslies, hatte eine Sprengkraft von 10 oder 11 Kilotonnen; ist also von einer H-Bombe noch um den Faktor 5.000
entfernt.
Des Weiteren
ist es nach allem was ich gelesen habe noch sehr lange Zeit nicht soweit, daß
Nordkorea technisch in der Lage sein wird so einen Sprengkopf derart zu
verkleinern, daß er auf eine Kontinentalrakete passt und eben solche Raketen
hat Kim schon gar nicht.
Es
dauert also noch bis P'yŏngyang einen Atomkrieg auslösen kann.
Und
selbst wenn es technisch dazu in der Lage sein sollte, müsste Kim Jong Un
tatsächlich irre sein.
Ich
glaube aber nicht, daß er es ist.
Aus
Sicht des Diktators ist es höchst rational, was er tut.
Da
können NATO, Un und USA noch so empört rumnölen.
[….]
Die Staats- und Regierungschefs der Welt
verurteilten derweil den Atomtest und forderten härtere Sanktionen.
US-Präsident Barack Obama drohte Pjöngjang mit "ernsthaften
Konsequenzen". UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte den Atomtest
"auf allerschärfste Art und Weise". "Das ist schon wieder eine
dreiste Verletzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats", sagte Ban.
Südkorea fordert schärfere Sanktionen: "Wir brauchen mehr und stärkere
Sanktionen, die Nordkorea wenig andere Wahl lassen, als seinen Kurs zu
ändern", sagte Südkoreas Außenminister Yun Byung Se. [….]
Nein,
natürlich glaube ich nicht, daß Kim Jong Un, der Menschen, die es wagen ihm
nicht zuzustimmen mit Flak-Geschützen hinrichten läßt, ein netter Mann ist.
Von den
bisherigen drei Kims ist er vermutlich der Widerlichste.
1994 starb Nordkoreas
Gründer Kim Il Sung. Damit ging die Macht auf seinen Sohn Kim Jong Il über,
der, anders als der leutselige Alte, als misstrauisch und hinterhältig
geschildert wurde. [….][….]
Doch wenige Monate
danach erlitt Kim Jong Il einen Hirnschlag. Ohne Weisungen des "lieben
Führers" stockte Nordkoreas Politik. Derweil wählte Südkorea den Hardliner
Lee Myung Bak zum Präsidenten, der anders als seine Vorgänger kein Interesse am
Ausgleich mit dem Norden hatte. Der nahm sein Atomprogramm wieder auf. Kim
starb im Dezember 2011. Sein Sohn Kim Jong Un, der brutaler regiert als der
Vater, hat drei der fünf nordkoreanischen Atomtests zu verantworten. Nach dem
vierten Test Anfang Januar bot er den USA Gespräche an. Aber mit vielen
Raketenversuchen und seinem fünften Atomtest, nur acht Monate später, zeigte
Kim Jong Un, dass er nicht auf Diplomatie setzt. Anders als sein Vater versucht
er gar nicht erst, von Washington, ähnlich wie Pakistan, als kleine
De-facto-Atommacht geduldet zu werden. [….]
Aber nur
weil jemand widerlich und brutal ist, muß er nicht gleichzeitig auch auf den
Kopf gefallen sein.
Nach
meiner Einschätzung sieht sich Kim, der III. die Welt an und analysiert wie es
anderen Diktatoren ergeht, die gelegentlich von Washington als „Achse des Bösen“
bezeichnet und des Besitzes von Massenvernichtungswaffen bezichtigt werden.
Die
Kollegen Muammar al-Gaddafis und Saddam Hussein hatten gar keine
Massenvernichtungswaffen und sind tot; ihre Länder liegen in Schutt, Asche und
Chaos.
Baschar
al-Assad hat WMDs, aber bloß Chemiewaffen.
Er ist
zwar noch an der Macht, unter anderem wohl gerade weil er die Chemiewaffen auch
einsetzt, aber sein Land ist bereits total zerstört und bald könnte es ihm auch
an den Kragen gehen.
Pestige
Diktatoren werden offenbar nur durch funktionierende Atomwaffen unangreifbar.
Ganz süß
irgendwie, daß die UN immer noch den Atomwaffensperrvertrag wie eine Monstranz
vor sich herträgt.
Faktisch
ist es aber so, daß ein Land, das den Vertrag umgeht und sich illegal doch
Atomwaffen verschafft anschließend unangreifbar ist – siehe Pakistan, Indien
und Israel. Niemand nimmt denen ihre Atombomben weg.
Als GWB vor
15 Jahren Afghanistan angriff, konnten die Pakistanis beim Nachbarn beobachten
was passiert, wenn man keine Atombomben, aber wie Pakistan selbst Islamisten
und Taliban beherbergt.
Würden
jemals Taliban die Regierungsmacht in Islamabad übernehmen, könnte kein
amerikanischer Präsident etwas dagegen tun.
Es ist
also aus Sicht eines Gegners der NATO und Amerikas sinnvoll und klug Atomwaffen
zu haben.
Hätten Teheran
oder Damaskus so viele Atomsprengköpfe wie Jerusalem, müßten sie nicht fürchten
angegriffen zu werden.
[….]
Kim Jong Il trieb das Nuklearprogramm
voran, damit er anderen Mächten in Verhandlungen Zugeständnisse abtrotzen
konnte. Dem jungen Kim dagegen geht es um Abschreckung.
Die Atomkraft soll ihm
und seiner Clique das Überleben sichern, indem es den Preis für einen Sturz
seines Regimes so hoch ansetzt, dass niemand diesen Versuch wagt, weder im
Inland noch von außen. Südkorea und die in Pjöngjang gefürchteten USA sollen
abgeschreckt werden. Deshalb publiziert Nordkoreas Propaganda Filme, in denen
seine Interkontinentalraketen New York zerstören. In Wirklichkeit verfügt es
über keine solchen Raketen, heute nicht und sicher auch nicht so bald.
Mit dem Schwenk zog
Kim seine Lehre aus dem Sturz anderer Diktatoren, vor allem Muammar al-Gaddafis.
Im Jahre 2003 kündigte der Libyer an, er gebe sein geheimes Atomprogramm auf.
Acht Jahre später wurde er mit Hilfe der Nato gestürzt. Kim Jong Un meint, mit
seinem Terror gegen das eigene Volk und mit Atomwaffen könne er sich dagegen
absichern, dass ausländische Mächte möglichen Aufständischen im eigenen Land zu
Hilfe eilen würden. Aus seiner Sicht haben Atomwaffen nicht nur das größte
Abschreckungspotenzial, sie sind auch billiger als die konventionelle Armee,
die Kim verkleinern möchte, um mehr Mittel für die Wirtschaft zu haben. [….][….]
Kim Jong
Un ist nicht irre, sondern rational - und eben ein Arschloch.
Politisch ist der
erneute Atomwaffentest durchaus folgerichtig. "Kim Jong Un verfolgt keine
irrationale, sondern sogar eine sehr rationale und konsistente Politik",
sagt Eric Ballbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Koreastudien
der Freien Uni Berlin. Diktator Kim hat seine Herrschaft auf zwei Säulen aufgebaut:
einerseits die militärische Aufrüstung, andererseits den wirtschaftlichen
Fortschritt des Landes. Dieses Prinzip der Byongjin-Politik hatte er erst auf
dem Parteitag im Mai als Leitlinie ausgegeben.
Die atomare Aufrüstung
ist dabei ein zentraler Bestandteil, mehr noch: "Für Nordkorea ist der
Atomwaffentest nicht nur ein militärisches Projekt, es ist ein sinnstiftendes
Projekt für die gesamte Nation", sagt Ballbach. Tatsächlich dient es dem
Regime vor allem, die eigene Macht nach innen hin zu legitimieren.
Irre
sind eher die alten Atommächte, die glauben, daß nur sie das dürften, was kein
anderer darf.
Die glauben,
daß sie glaubwürdig sind.
Die Proteste der USA,
Chinas und Russlands wären gegen den neusten Atombombenversuch von Nordkorea
wären viel glaubwürdiger, wenn gerade diese Staaten nicht selbst ständig
modernere und noch wirksamere Atomwaffen entwickelten und in Stellung brächten.
Und auch der Protest Deutschlands sowie die Einbestellung des Botschafters
Nordkoreas wären glaubwürdiger, wenn Deutschland die Stationierung von
US-Atombomben in der Eifel nicht länger dulden würden, die jetzt sogar
modernisiert und von deutschen Flugzeugen im Auftrag der NATO im Kriegsfall ins
Ziel geflogen werden sollen. Gehör finden könnten die Proteste vielleicht, wenn
die großen Atommächte sich bereit erklärten, ihr Atomwaffenarsenal nicht zu
erneuern und Schritt für Schritt ganz abzubauen und die USA ihre Atombomben endlich
aus Deutschland abzögen.
Die Aufnahme einer
solchen Forderung in die UNO-Resolution würde auch dem Ansehen der
Weltgemeinschaft nutzen. Aber auch in der UN sind eben nicht alle Länder
gleich, sondern einige gleicher als die anderen.
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