Sonntag, 18. September 2016

Typisch Berlin.

Einer der Unterschiede zwischen SPD und CDU ist, daß erstere eine Menge Persönlichkeiten hervorgebracht haben, auf die man als Parteimitglied wirklich stolz sein kann.
Unglücklicherweise sind in letzter Zeit viele von den Guten gestorben. Egon Bahr, Helmut Schmidt, Jutta Limbach und Henning Voscherau.
Das sind Namen, bei denen ich tatsächlich ein Wort auspacke, welches ich so gut wie nie verwende: Vorbilder.
Haltung, Intellekt, Persönlichkeit.

Als Henning Voscherau 1997 zu meinem größten Bedauern zugunsten des weit schwächeren und langweiligeren Ortwin Rundes zurücktrat, tat er das aufgrund des schwachen SPD-Wahlergebnisses von 36,2% und verkündete kurz und knapp, damit sei seine persönliche Schmerzgrenze unterschritten.
Bei unter 40% konnte man aus seiner Sicht nicht mehr von einem Vertrauensbeweis für den Bürgermeister sprechen.

Wer hätte damals auch geahnt, daß bei der nächsten Wahl im Jahr 2001 CDU-Mann von Beust mit 26,2% Bürgermeister wurde, weil er ungeniert den rechten Spinner Schill ins Boot holte.

Heute nu´n errang die SPD bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl nach gegenwärtigem Auszählungsstand erbärmliche 21,6%, für die sich Bürgermeister Müller feiern lässt. „Stärkste Partei, klarer Regierungsauftrag, Wahlziel erreicht“ – so tönt es heute von SPD-Spitzenpolitikern.
Beinahe 80% der Wähler konnten sich nicht dazu durchringen den amtierenden Bürgermeister zu wählen. Bei einer Wahlbeteiligung von gut 66% entsprechen die Stimmen für Michael Müller kaum mehr als 14% aller Wahlberechtigten.
Da braucht es eine Menge Suggestionskraft sich das als „Sieg“ schönzureden.
Zum Glück für die SPD schnitt die CDU noch miserabler ab; kommt nur auf etwa 17,5% in der Hauptstadt (~11,5% aller Wahlberechtigten).
Die Umfragedaten von ARD und ZDF legen nahe, daß es in diesem Fall tatsächlich nicht an Merkel liegt. Merkel ist für CDU-Anhänger immer noch ein sehr großer Antrieb die Partei zu wählen – im Gegensatz zu Sigmar Gabriel, der potentielle SPD-Freunde eher abschreckt.
Merkels Problem in Berlin ist ein ganz Altes: Die Hauptstadt-CDU ist traditionell einer der unfähigsten Haufen aller 15 Landesverbände.
 Klaus-Rüdiger Landowsky, Christoph Stölzl, Friedbert Pflüger, Ingo Schmitt und Frank Steffel sind allesamt pures Urnengift.
Intrigant, provinziell und blöd verkörpern sie eine zutiefst korrupte alte Westberliner CDU, die habituell so gar nicht zu einer modernen Großstadt passen will.

[….] Die Berliner CDU bräuchte Persönlichkeiten an der Spitze wie die Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt, Monika Grütters, Mitglied der Berliner CDU. Aber diese besonders großstädtische Frau haben die Reinecken- und Zehlendorfer der Partei immer wieder ausgebremst. Für den Altherrenclub Berliner CDU wäre das zu viel Veränderung. Wie weit die CDU mit der Haltung kommt, hat sich jetzt gezeigt. [….]

Dazu habe ich ohnehin noch eine Frage an die Berliner:
Was habt Ihr eigentlich für eigenartige Moderatoren beim RBB? Für die ARD führte Sascha Hingst durch die Wahlsendung. Er kennt aber die Spitzenpolitiker gar nicht, redet sie mit falschen Namen an oder ordnet sie falschen Partien zu und im RBB floskelte der ultragegelte Ingo Hoppe ständig von dem „ungeheuer spannenden Wahlabend“, obwohl es nun alles andere als spannend war. Es traten genau die prognostizierten Ergebnisse ein. Könnte man nicht zum Befragen der Politiker irgendwo in Berlin einen Journalisten ausgraben, der auch so ganz grob ein bißchen was von Politik versteht???

Heute muß ich von meinem üblichen Wählerbashing ein wenig abrücken und zum Politikerbashing übergehen.

Rückblick: Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre hatten die CDU-Strippenzieher Diepgen und Landowski durch Dauermauscheleien den sogenannten „Berliner Bankenskandal“ ausgelöst, der den Berliner Landeshaushalt für sehr lange Zeit ruinieren sollte.
Milliarden wurden verzockt.
Das Land Berlin mußte anschließend für 21,6 Milliarden Euro Immobilienrisiken auf sich nehmen und mehre Milliarden Kapital an die Landesbanken zuschießen.
Der neue Bürgermeister Klaus Wowereit wurde also durch die reinen CDU-Altlasten dazu gezwungen „zu sparen bis es quietscht“. In den rot-roten Jahren mit dem inzwischen leider wahnsinnig gewordenen Finanzsenator Sarrazin konnte der Haushalt aber tatsächlich einigermaßen ins Lot gebracht werden.
In den letzten Jahren boomt Berlin. Zehntausende ziehen dorthin, es gibt eine Gründerszene, Touristenansturm und sogar sinkende Arbeitslosigkeit, während der Senat Haushalte mit dreistelligen Millionenüberschüssen produziert.

Die Stadt ist attraktiv, sie wächst und Geld ist offenbar auch da.
Man könnte nun also eine politische Führung gebrauchen, die tatsächlich politisch tickt und die Stadt irgendwie gestalten will.
In Hamburg kennen wir das von unserem ehemaligen Bürgermeister Henning Voscherau, der mehrere hundert Millionen DM lockermachte, um prophylaktisch die gesamte Hamburger Kanalisation zu sanieren und Europas größtes Bauprojekt, die Hamburger Hafencity, ersann.
Hamburg sollte auf Jahrzehnte für die Zukunft gerüstet sein.
Die Berliner Landespolitiker scheinen mir eher als Gemeinderatsmitglieder in kleinen Dörfern zu taugen.
Ich kann nicht erkennen wofür Müller oder Henkel eigentlich stehen sollten.
Die FDP taucht gar als Einthemenpartei wieder auf, indem sie sich für die Weiterführung des uralten Provinzflughafens Tegel engagiert. Ein Flughafen, auf dem ich einmal 1992 landete und ihn damals schon als hoffnungslos provinziell und veraltet ansah.
Müßte man nicht als Hauptstadtpartei irgendwelche Kandidaten finden, denen es nicht ausreicht mit gerade mal etwas mehr als 20% mangels Alternative irgendwie weiterregieren zu können?
Vertreter der Linken sagten heute, die Stadt müsse endlich nicht mehr bloß verwaltet, sondern auch regiert werden. Schön wäre es, wenn sie wenigstens gut verwaltet worden wäre.
Aber LAGESO und Ämterchaos haben gezeigt, daß die Landes-GroKo schon mit der Verwaltung völlig überfordert ist.
Mario Czaja, CDU-Sozialsenator und vermutlich größter Versager Berlins, vermehrt sich nun aber quasi auch noch, indem sein jüngerer Bruder Sebastian Czaja als Berliner FDP-Chef nun ebenfalls ins Parlament einzieht.

Berlin versinkt planlos im Boom
Die Hauptstadt erlebt einen faszinierenden Aufschwung. Doch genau daran scheitert die Berliner Politik, denn einen Zukunftsplan für die Stadt gibt es nicht.
[….] Die vielen Gäste sind dabei nur der kleinere Teil der Herausforderung. Zehntausende ziehen Jahr für Jahr nach Berlin. Es geht auf die Vier-Millionen-Einwohner-Grenze zu. Wo einst billige Wohnungen leicht zu finden waren, sind heute selbst die teuren Mangelware. Dieser Anstieg wäre schon für eine organisch gewachsene Stadt schwer zu organisieren. Berlin aber lebt mit einer verfallenen Infrastruktur.
Zu so einem Wochenende von Berliner Art gehört auch, dass Eltern Klassenräume in einen zumutbaren Zustand versetzten. Die maroden Schulen stehen genauso für die andere Seite Berlins wie die notorisch überforderten Bürgerämter. Berlin boomt und kommt sich selbst dabei nicht mehr hinterher. Reflexhaft wird die Stadt deshalb von Spöttern zum verwaltungstechnischen Katastrophengebiet erklärt. [….] Im Vordergrund stehen Ängste und Sorgen - und das Bemühen der Regierenden, die Leute zu beruhigen, dass alles nicht so schlimm werde, wenn man sie nur wieder wählt. Symptomatisch ist der Wahlkampf von Regierungschef Michael Müller, dem es nur noch darum zu gehen scheint, das Rote Rathaus nach 27 Jahren im Senat für die SPD zu halten. Im Wahlkampf beginnt jeder seiner Slogans mit dem Versprechen: "Berlin bleibt . . .". Das ist grotesk in einer Stadt, die sich dramatisch verändert und verändern muss. [….]

Bei solch verzagten provinziellen Berliner Spitzenpolitikern, fällt es xenophoben Hetzern wie Andreas Scheuer, der wieder einmal als AfD-Wahlhelfer Stimmung macht, leicht die Ängste der muffigen Spießbürger Berlins weiter anzufachen.

[….] CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat mit einer abschätzigen Bemerkung über abgelehnte Asylbewerber aus Afrika Kirchen- und Oppositionsvertreter gegen sich aufgebracht.
Beim Regensburger Presseclub am Donnerstag sprach Scheuer zum Thema Flüchtlinge in Deutschland. Zuerst echauffierte sich der CSU-Sprecher über angebliche "Asylurlauber". Er meinte anerkannte Flüchtlinge, die von Deutschland aus in ihre alte Heimat reisen, aus der sie zuvor geflohen waren. Sie sollten "gleich dort bleiben, wo sie hergekommen sind".
Eine Recherche der "Welt am Sonntag" hatte ergeben, dass es vereinzelt solche Fälle gibt, Zahlen liegen nicht vor. Scheuer sagte dennoch, es werde "von ganzen Gruppen berichtet, die herumreisen".
Im weiteren Verlauf folgte der Satz, der nun für viel Empörung sorgt: "Das Schlimmste", sagte Scheuer, "ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre hier - als Wirtschaftsflüchtling. Den kriegen wir nie wieder los." […..]

Ich nehme an, die CSU hat inzwischen die Dankesschreiben der Berliner AfD-Vorsitzenden Beatrix Schießbefehl von Storch erhalten.

Klar, ich hätte in Berlin auch Michael Müller gewählt.
Aber wirklich nur, weil er das kleinste Übel ist.

PS:
Daß die Piraten mit 1,x% aus dem Parlament flogen, kann man nach der sinnlosen Null-Performance der letzten fünf Jahre nur als folgerichtig bezeichnen.
2017 werden die Deppen auch aus den verbliebenen Landtagen getilgt.

1 Kommentar:

  1. " Heute muß ich von meinem üblichen Wählerbashing ein wenig abrücken und zum Politikerbashing übergehen. "

    Vielleicht ein Signal an die SPD insgesamt?

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