Sonntag, 4. Februar 2018

Altern ist die einzige Möglichkeit länger zu leben.

Das wird noch Jahrzehnte dauern bis sich die Stadt Hamburg von den katastrophalen finanziellen Fehlentscheidungen der CDU-Regierung (2001-2011) erholt haben wird.
Ein einziges Desaster, das von dem im neoliberalen Wahn gefangenen CDU-Größen Beust und Peiner angerichtet wurde.
Im Zuge des Verkaufs des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK), galt für die CDU und deren neoliberalen Freunde in fast allen Wirtschaftsredaktionen die Prämisse „Kostenreduzierung.“
Der Gesundheitssektor wäre viel zu teuer, es müßten unter allen Umständen Personalkosten gespart werden. Das könnten aber nur private Betreiber erreichen.

Das ist eine a priori widersinnige Ansicht, da in der Sharholder-Value-Welt unablässig Geld aus den Betrieben herausgezogen wird, das als Ausschüttungen und Dividenden an die Aktionäre fließt.
Wie soll eine große Firma sparen, wenn sie Milliarden zusätzlich (an private Eigentümer) weggeben muss?
Hinzu kam natürlich die ethische Frage, ob man Gesundheit überhaupt zu einer Ware machen sollte. Ist es moralisch vertretbar einen Mann wie Bernd Broermann durch das Leid kranker Menschen zum Milliardär zu machen?

Die Prämisse der grundsätzlichen Notwendigkeit im Gesundheitssektor zu sparen wurde weit weniger hinterfragt.
Voller Entsetzen waberten immer nur die angeblich viel zu hohen Prozent-Zahlen der Gesundheitsindustrie am deutschen BIP durch die Presse.

[…..] Die Gesundheitsausgaben in Deutschland beliefen sich im Jahr 2015 auf 344,2 Milliarden Euro oder 4 213 Euro je Einwohner. Dies entspricht einem Anteil von 11,3 % des Bruttoinlandproduktes. Mehr als jeder neunte Euro wurde somit für Gesundheit ausgegeben. Im Vergleich zu 2014 stiegen die Gesundheitsausgaben um 15,0 Milliarden Euro oder 4,5 %. Damit nahmen die Gesundheitsausgaben das vierte Jahr in Folge stärker zu als das Bruttoinlandsprodukt. [….]

Der Staat sollte dafür sorgen Pharmareisen einzuhegen, so daß sie als Monopolisten nicht kranke Menschen nach Belieben schröpfen können.
Wieso gibt es diesen Schwachsinn mit Re-Importmedikamenten, daß man also eine Packung einer Pille mit dem gleichen Inhaltsstoff von dem gleichen Hersteller für die Hälfte bekommt, sofern sie vorher in Italien ausgeliefert wurde und dann zurück nach Deutschland geliefert wurde?

[….] Deutsche Verbraucher, die im Grenzgebiet zu Frankreich leben, sollten die Medikamentenpreise vergleichen. Für diejenigen, die etwa in Kehl in Baden-Württemberg leben, lohnt sich der kurze Weg über die Brücke, um in Frankreich eine Packung Viagra zu kaufen. In der Apotheke kostet das verschreibungspflichtige Medikament dort rund 100 Euro. In Deutschland dagegen rund 60 Euro mehr. Gleiches gilt für die Anti-Baby-Pille. Das Präparat Minidril kostet in Frankreich rund fünf Euro, in Deutschland dagegen über 30 Euro. [….]
(Berliner Morgenpost, 08.03.2016)

Grundsätzlich ist aber ein teures Gesundheitssystem mit einem hohen Anteil am BIP kein Übel. Im Gegenteil, das kann ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor sein, sehr vielen Menschen gut bezahlte Jobs verschaffen und sogar massiv Kapital anlocken.
 Das zur Universität Hamburg gehörende Krankenhaus UKE, das daher nicht vom Beust-Senat verkauft werden konnte, verdient heute zum Vorteil aller Patienten und aller Studierenden sehr viel Geld, indem es sich gezielt um sehr reiche Russen und Scheichs bemüht.
Das UKE bietet auf vielen Gebieten die modernsten und besten Behandlungsmethoden weltweit an. Sonst würden chinesische Milliardäre im Privatjet nicht extra hierher fliegen.
Diesen hohen Standard, von dem letztlich alle Hamburger Patienten profitieren, erreicht man nicht, indem man das Krankenhaus vorher kaputtspart.

Als Sozialdemokrat ist mir nicht wirklich verständlich weshalb der medizinische Direktor schon als Grundgehalt mehr als das Doppelte von Angela Merkel bekommt, aber abgesehen von diesen Einzelfällen wäre ich sofort dafür zu haben allen Pflege-, Reinigungs-, Labor- und Küchenkräften die Gehälter zu verdoppeln.
Hohe Gehälter machen diese Jobs attraktiv und sind gesamtwirtschaftlich betrachtet nicht verschwendet, weil die gemeine Krankenschwester nicht ihre Millionen in Steueroasen auf Panama parken wird, sondern das Geld mutmaßlich in Deutschland wieder ausgibt, dort also die Nachfrage ankurbelt und wiederum Arbeitsplätze schafft.

Hohe Grundgehälter im Pflegebereich sind ökonomisch hochvernünftig und moralisch ohnehin geboten.
Denn was sagt es über uns als Gesellschaft aus, wenn wir Altenpfleger oder Krankenschwestern grundsätzlich als minderwertig betrachten, so daß sie mit so wenig Gehalt auszukommen haben, daß sie sich jedenfalls nicht eine Wohnung im 5-km-Umkreis des UKE leisten können?

Gesundheitsminister Gröhe, der konservative Jurist hat in dieser Angelegenheit genauso versagt wie seine Vorgänger von der FDP.
Gewinne, Gewinne, Gewinne sollten nur Pharmaindustrie, Krankenhausbetreiber und die Hersteller von Medizinprodukten machen.
Nicht aber die vielen Menschen, die im Pflegebereich arbeiten.

Folgt man den bisherigen Presseberichten zu den Groko-Verhandlungen, scheinen CDU, CSU und SPD dabei auch weiterhin katastrophal moralisch zu versagen.
Es werden pauschal 8.000 neue Stellen in der Pflege versprochen, aber diese sind ausdrücklich als „medizinische Behandlungspflege“ bezeichnet. Das bedeutet, die Krankenkassen und nicht der Staat haben zu bezahlen.
Nicht bedacht wird die Frage woher diese 8.000 Menschen eigentlich kommen sollen. Viele Häuser und ambulante Pflegedienste suchen händeringend nach Pflegekräften.
Aber wer macht den Job, wenn man dafür wie in der Hamburger Innenstadt bei ambulanten Diensten für maximalen Stress und Arbeit rund um die Uhr inklusive aller Sonn- und Feiertage 1.000 Euro im Monat verdient?

[….]  
Zehn­tau­sen­de Men­schen lei­den in Deutsch­lands Hei­men un­ter man­gel­haf­ter Für­sor­ge, un­ter schlecht ver­sorg­ten Wun­den, feh­len­der Hil­fe beim Es­sen. Die Qua­li­tät der Pfle­ge hat sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­schlech­tert, wie ein of­fi­zi­el­ler Prüf­be­richt nun fest­stellt. Umso fas­sungs­lo­ser macht der Kom­pro­miss für die Pfle­ge, den Uni­on und SPD in die­ser Wo­che aus­ge­han­delt ha­ben. Nicht etwa weil er so mi­ni­mal aus­ge­fal­len ist: 8000 zu­sätz­li­che Stel­len soll es ge­ben, macht um­ge­rech­net kaum mehr als eine hal­be Fach­kraft pro Heim, dazu ein paar wol­ki­ge Ver­spre­chen für hö­he­re Löh­ne. Nein, die Plä­ne ma­chen fas­sungs­los, weil sie ma­xi­mal un­ehr­lich sind. Die Ko­ali­tio­nä­re drü­cken sich um die ein­fa­che Wahr­heit her­um, dass gute Pfle­ge nun ein­mal kos­tet.
[….] Doch Pfle­ge ist ein Teil­kas­ko­sys­tem. Stei­gen die Ar­beits­kos­ten, müs­sen die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen über Zu­zah­lun­gen die Ze­che über­neh­men – bei wach­sen­der Al­ters­ar­mut wäre das un­trag­bar. Da­her braucht es die ehr­li­che De­bat­te dar­über, was die Ge­sell­schaft für ihre Müt­ter und Vä­ter zu zah­len be­reit ist. Ob sie die Pfle­ge für eine ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­be hält und Steu­er­mit­tel be­reit­stellt. Oder ob sie es ak­zep­tiert, not­falls hö­he­re Bei­trä­ge auf ihre Löh­ne zu zah­len.
In an­de­ren So­zi­al­kas­sen hat die Ko­ali­ti­on kei­ne Angst vor teu­ren Pro­jek­ten. Mehr als drei Mil­li­ar­den Euro wird der neue Müt­ter­ren­ten­zu­schlag kos­ten, ein Lieb­lings­pro­jekt der CSU. Je­der Euro wäre in der Al­ten­pfle­ge bes­ser an­ge­legt. [….]
(DER SPIEGEL, 02.02.2018, s. 59)

Ganz mies verhandelt, Herr Schulz und Frau Nahles.
Es hätte grundsätzlich gewaltige Gehaltszulagen für Pflegeberufe aus der Bundeskasse geben müssen.
Abgesehen davon, daß im Moment wirklich das Geld da ist, würden von hohen Gehältern alle profitieren.
Das Ansehen der Berufe, die Nachwuchswerbung, die Patienten und natürlich die Pfleger selbst.

Die andere Alternative ist das Modell Indien.

Ein befreundeter pensionierter Dermatologe war in den letzten Jahren mehrmals im indischen Chittapur, um dort ehrenamtlich Kinder zu behandeln.

[….] Chittapur liegt im Staate Karnataka, einer der ärmsten Gegenden Zentralindiens.
Da der Ort mit ca. 30000 Einwohnern bis dahin über keine zahnärztliche Versorgung verfügte, gründete Dr. Michael Ohm 1998 auf dem Gelände eines katholischen Nonnenklosters eine kleine Zahnstation, in der er regelmässig 2x im Jahr arbeitet. Während seiner Abwesenheit wird die Station von einer indischen Zahnärztin geleitet.
Um auch Kindern aus den ärmsten Familien des Ortes eine Lebensperspektive zu geben, gründete Dr. Ohm zusammen mit Freunden die Kinderhilfe Chittapur e.V..
Diese Einrichtung wird von Sponsoren getragen, die bereit sind, für einen monatlichen Betrag von 20,- Euro ein Patenkind zu betreuen.
Inzwischen erhalten knapp 400 Kinder eine Schulausbildung, Bekleidung, ärztliche und zahnärztliche Versorgung, sowie regelmässige Mahlzeiten. [….]

Wochenlang behandelte er dort mit einem Hamburger Kieferchirurgen Kinder, die wegen ihrer Gaumenspalten ausgesetzt wurden, sowie Kinder und Senioren mit schweren Verbrennungen.
Auch im 21. Jahrhundert sperren nämlich indische Männer mit finanziellen Sorgen ihre Kinder und Eltern in einen Schuppen, den sie dann anzünden.

In Indien, dem Land, in dem früher beim Tod eines Mannes seine Witwe gleich mitverbrannt wurde, gibt es ohnehin nur sehr rudimentär ausgebildete soziale Verantwortung.
Lächerliche 1,6% aller Inder über 60 Jahre erhalten Rente.
Alte müssen also ihren Kindern auf der Tasche sitzen. Pflege- und Altenheime gibt es so gut wie gar nicht, der Pflegeberuf ist kaum entwickelt und nur der untersten Kaste zuzumuten.
Stattdessen setzt man seine Eltern und Schwiegereltern als unnütze Esser einfach auf der Straße aus.
Frauen, für die schon bei der Geburt gilt „Töchter zu bekommen, ist wie Nachbars Garten zu wässern“, gelten im Alter als besonders unnütz.
Sie bekommen vielfach einfach einen Tritt in den Hintern und müssen sich dann als Bettlerinnen auf der Straße hausen.
Wenige „Glückliche“ landen in von internationalen Hilfsorganisationen betriebenen Heimen.
Eine sehr kostengünstige Methode, liebe Großkoalitionäre.
So befördert man das neoliberal erwünschte „sozialverträgliche Frühableben“, schont Renten- und Pflegekassen.

[….] 120 Millionen Inder sind inzwischen 60 oder älter. Bis zum Jahr 2050 werden es 320 Millionen Menschen sein.
[….] Acht alte Frauen sitzen auf Plastikstühlen auf der Terrasse des Abhaya Sadan. Ihre farbenfrohen Saris strahlen in der Nachmittagssonne. Gleich ist es 15 Uhr. Gleich bekommen sie eine Tasse Tee, mit viel Milch. [….] Abhaya Sadan, das Haus ohne Angst, wie die deutsche Übersetzung für das indische Altenheim lautet, ist ein friedlicher Ort. Es liegt etwas außerhalb des südindischen Coimbatore im Bundesstaat Tamil Nadu. Die acht Frauen, die hier leben, die meisten von ihnen ohne Papiere, hatten Glück im Unglück. Keiner wollte sie mehr. Der einen brach die Schwiegertochter im Streit das Handgelenk, der eigene Sohn kümmerte sich nicht. Eine andere lebte nach dem Tod ihres Mannes allein in Armut, die drei Kinder wollten nichts mehr von ihr wissen. Eine weitere wohnte mit ihrem Enkel zusammen. Als sie krank wurde, reichte das Geld nicht aus, um ihr zu helfen. Eine erzählt, ihr Mann habe sich vor Jahren eine neue Frau gesucht und den einzigen Sohn mitgenommen. Seitdem lebte sie allein. In Armut. Zurückgelassen. Alle acht Frauen waren in der einen oder anderen Form ihren Familien zur Last geworden. Und wer zur Last wird, nicht mehr funktioniert und nicht mehr arbeiten kann, der steht allein da.
"Wenn du alt bist, sollst du sterben, lautet die gängige Denkweise vieler Inder" [….]
 Schon heute müssen auf dem Land 66 Prozent aller Männer und 28 Prozent aller Frauen bis ins hohe Alter hinein arbeiten, um zu überleben. [….] Viele alte Menschen werden wie die acht Frauen im Abhaya Sadan im häuslichen Umfeld missbraucht. Sei es durch Worte oder durch Schläge, hat Help Age India durch Umfragen herausgefunden. "Zehn Prozent der Alten sind depressiv", sagt Cherian. Altersheime wie das Abhaya Sadan sind eine Seltenheit. Derzeit sind lediglich 214 000 Menschen in Heimen untergebracht. Da die meisten davon auf Spenden angewiesen sind und nur begrenzte finanzielle Mittel haben, sind die Möglichkeiten in den Heimen eingeschränkt. Hospize für sterbende alte Menschen sind eine Rarität, sagt Father Thomas. [….]
Altern in Indien hat viele Gesichter. Auch bei den wohlhabenden Indern ist es kein würdevoller letzter Lebensabschnitt, so erscheint es. [….]
An nur vier Universitäten in ganz Indien wird Geriatrie gelehrt. Pro Jahr absolvieren acht Ärzte die Weiterbildung zum Facharzt für Geriatrie. An die 100 Fachärzte für Innere Medizin durchlaufen ein einjähriges geriatrisches Training. [….]
Das Problem des Fachkräftemangels zieht sich durch alle Bereiche der Altenversorgung in Indien, es fehlt an Personal in Altenheimen, in den wenigen Hospizen wie denen von Father Thomas und auch in der ambulanten Pflege. Mohanraj Raj betreibt in Mangalore einen privaten ambulanten Pflegedienst. Derzeit betreuen er und sein Team 50 Haushalte, Menschen also, die sich durchaus eine Pflegekraft leisten können. "Es ist für uns allerdings extrem schwierig, überhaupt Personal für die Altenpflege zu finden", sagt Raj. Bis an die äußersten Grenzen des Karnatakas muss er fahren, dorthin, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, um überhaupt Frauen zu finden, die sich um andere kümmern wollen. Viele lehnten es ab, sagt Raj, andere Menschen zu waschen und sie zu betreuen. [….]
 Häufig gäben die Familien der Pflegekraft nichts zu essen oder ließen sie viele andere, über die Pflege hinausgehende Arbeiten mitmachen und behandelten sie schlecht. [….]

Hurra, als 60+Inder kann man Inuit-Geronten nur beneiden.
 Wenn diese von ihren Kindern auf einer Eisscholle ausgesetzt werden, können sie sich wenigstens ausziehen und/oder ins Wasser gleiten. Bei den Temperaturen kommt der Tod dann relativ schnell.
In Indien ist hingegen langsames Verhungern die wahrscheinlichste Option.
Das dauert…

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