Man
sollte tunlichst gesund und plötzlich sterben.
Voraussetzung
ist, daß man vorher so schlau wie ich war und bereits ein paarmal beim Notar
war, um alle Angelegenheiten zu regeln – Testament, Vermächtnisse,
Beerdigungsvertrag, persönliche Vollmachten, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung,
Patientenverfügung – jeweils hinterlegt im Zentralen Vorsorgeregister der
Bundesnotarkammer.
Sterben
müssen wir alle und sollte einem in der Blüte des Lebens der sprichwörtliche
Ziegel auf den Kopf fallen, so daß man tot umfällt, ist das ein optimaler Exit.
Insbesondere wenn man in der letzten Sekunde noch das beruhigende Gefühl hat
denjenigen, die einen wegräumen müssen, maximal mögliche Rechtssicherheit
hinterlassen zu haben.
Tatsächlich,
als ich dieses Jahr operiert wurde und
unmittelbar vorher diesen so gern in TV-Serien verwendeten verschwommenen Blick
auf die OP-Lichter hatte, man mir die Atemmaske auf die Nase drücke und das
Licht ausging, war das mein letzter Gedanke: Wenn ich nicht mehr aufwache, ist
wenigstens alles geregelt. Insofern spricht nichts dagegen jetzt den Löffel
abzugeben.
Bekanntlich kam es dann aber anders. Bei den
meisten kommt es anders.
In einem
urbanen Lebensraum, in dem deutlich über 50% der Wohnungen Singlehaushalte
sind, in dem Menschen immer älter und individualisierter leben - und das ist ein Zeichen von Freiheit und
Wohlstand – wird die Sterberei allerdings zunehmend schwierig.
Zumal
die sich ständig verbessernde medizinische Versorgung dazu führt, daß man ohnehin
nur schwer stirbt. Lungen- und Herzleiden, die einen vor 100 Jahren umgehend
ins Grab befördert hätten, werden inzwischen zwar nicht unbedingt vollständig
kuriert, aber es findet sich ein therapeutischer modus vivendi, um richtig
lange was davon zu haben.
Statt
also recht gesunden Fußes ins Grab hinabzusteigen, rettet man sich immer wieder
hinüber zu den Atmenden. Man wird immer malader, hat aber noch Puls.
Positiv
ausgedrückt:
Älter werden ist Mist, aber die einzige Möglichkeit, um länger zu leben.
Älter werden ist Mist, aber die einzige Möglichkeit, um länger zu leben.
Wenn man
richtig alt wird, den terminus technicus „hochbetagt“ für sich erobert (>91
Jahre), gibt es zwei angenehme Varianten:
-
Man
gehört zu den sehr wenigen Menschen, die auch in dem Alter noch geistig nicht
abbauen und außerdem auch noch beweglich und schmerzfrei leben.
-
Man
gehört zu den sehr wenigen Menschen, die über reichliche finanzielle Mittel verfügen,
so daß Pflegeeinrichtungen der Luxusklasse oder extrem teure Individuallösungen
zu Hause möglich sind.
Alle
anderen haben leider Pech.
Möglicherweise
ist die eigene Wohnung nicht barrierefrei, so daß man schnell zum Gefangen
wird.
Arztbesuche
und die sonstigen therapeutischen Notwendigkeiten werden zu logistischen
Großproblemen. Es gibt kaum noch Ärzte, die Hausbesuche machen,
Physiotherapeuten schon gar nicht. Jedenfalls nicht für den Kassenplebs, der
nicht mit seiner Privatversicherungskarte wedeln kann.
[…..]
Minister Spahn weitet Raum für
Profitinteressen in der Gesundheitsversorgung aus
„Vor allem der
Versichertenstatus ist entscheidend dafür, welche Behandlung Patientinnen und
Patienten in Arztpraxen erhalten und wie
lange sie auf einen Termin warten müssen. Das ist eine Folge der
unterschiedlichen Vergütung für die Behandlung von privat und gesetzlich
Versicherten. Eine Ausweitung der offenen Sprechstunden – wie in
Gesundheitsminister Spahns Versorgungsgesetz vorgesehen – wird an der
Schlechterstellung von 90 Prozent der Versicherten deshalb nur scheinbar etwas
ändern. Die strukturelle Fehlausrichtung der Gesundheitsversorgung an
finanziellen Anreizen wird dadurch nicht beseitigt“, erklärt Achim Kessler,
Sprecher für Gesundheitsökonomie und Obmann der Fraktion DIE LINKE im Ausschuss
für Gesundheit. […..]
Die Profitlogik in der medizinischen
Versorgung muss grundsätzlich durch die Orientierung am Wohl der Patientinnen
und Patienten ersetzt werden. Stattdessen weitet Minister Spahn die Räume für
Profitinteressen sogar noch aus. Insbesondere die von den Kassenärzten
geforderte Entbudgetierung bei der Behandlung von neuen Patienten würde zu
Verhältnissen führen, wie wir sie aus dem Fallpauschalensystem der
Krankenhäuser kennen. […..]
Schon
Busfahren kann aufgrund der wohl oder übel eintretenden Gangunsicherheit
unmöglich werden, weil man beim Anfahren und Bremsen sonst lang hinschlagen
würde.
Bleibt
also Taxi. Teuer.
Kaum ein
Hochbetagter, der nicht ein Dutzend Tabletten am Tag nehmen muss. Natürlich,
denn ohne die Dinger wäre er ja nicht so alt. Irgendwann werden aber die
Beschriftungen auf den Packungen zu klein, die komplizierten Namen zu
verwirrend und die Dosierung zu umständlich, weil man mikroskopisch kleine
weiße Pillen, die auch noch alle gleich aussehen womöglich noch teilen muß.
Im
günstigsten Fall bemerkt das ein aufmerksamer Arzt, verschreibt eine „Med Gabe“
und es findet sich ein Pflegedienst, der bereit ist drei Mal am Tag für je drei
Minuten rauf in den Dritten Stock zu laufen.
Mit noch
mehr Glück wird das über die Krankenkasse abgerechnet und man zahlt nur eine
Gebühr von ca 50 Euro im Monat, nachdem
man schon für hunderte Euro zusätzliche Schlüssel anfertigen lassen hat und
auch für 500 Euro im Jahr einen Hausnotruf installieren lassen hat.
Sträubt
sich die Kasse, weil sich nicht zweifelsfrei klären lässt, ob diese Medgabe
wirklich notwendig ist, oder ob das nicht auch mit einer Wochenbox zu
bewerkstelligen ist, wird man allein für diese Dienstleistung auch noch mal 700
Euro monatlich los.
Mit
hoher Wahrscheinlichkeit wird man aber auch noch Hilfe beim Duschen, beim
Kochen benötigen, kann vielleicht schon länger nicht mehr selbst einkaufen
gehen.
Nun
springt der medizinische Pflegedienst ein und bietet „Pflege auf Zeit an“.
Täglich
vormittags 15 Minuten, um einen Tee zu kochen und ein Frühstück zu bereiten,
sowie einmal wöchentlich 30 Minuten, um zu duschen, kosten leicht noch mal 500
bis 600 Euro im Monat.
Nun ist statt der Krankenversicherung die
Pflegeversicherung gefragt. Dafür muß aber der MDK (medizinischer Dienst der
Krankenversicherungen) zu einer Begutachtung der häuslichen Situation dagewesen
sein. Man kann diesen MDK natürlich nicht etwa einfach anrufen und um einen
Besuch bitten. Nein, dazu muss man sich schriftlich an die Krankenkasse wenden,
über die auch die Pflegeversicherung läuft und sich ein Antragsformular
schicken lassen.
Ein
Formular, welches unser Beispiel-91-Jähriger sicher nicht allein ausfüllen
kann. Vielleicht hat er aber einen sehr fürsorglichen Pflegedienst von der
Medgabe, der ihm dabei hilft und den Antrag auch einreicht. Bis zu dem
eigentlichen Begutachtungstermin vergeht ein weiterer Monat.
Welche
Pflegestufe schließlich zugeteilt wird, ist ein Rätsel. Man erfährt es auch
nicht etwa gleich, sondern die MDK-Prüfer verschwinden mit Pokergesicht und
schicken Wochen später eine Nachricht.
Während
all der Zeit sitzt man finanziell allein auf allen Kosten.
Möglicherweise
ist auch das nicht so leicht, denn die täglichen Dinge des Lebens – putzen,
einkaufen, kochen, Blumen gießen, Wäsche waschen – sind bisher noch nicht
abgedeckt.
Auch
dafür muss man jemand bezahlen. Wenn man Glück hat, geht das schwarz, indem man
den Nachbarsjungen beauftragt und ihm fürs Einkaufen einen Zehner in die Hand
drückt.
Wer sich
gesetzestreu verhalten will, wendet sich an einen professionellen Hilfsdienst wie
„Hamburg Care“. Eine vorbildliche Firma, die ich nur empfehlen kann. Dort kauft
man gewissermaßen Zeit und bekommt eine geduldige Fachkraft in die Wohnung
geschickt, die nicht ständig auf die Uhr sieht, weil sie in 20 Minuten beim
nächsten Patienten sein muss, sondern sich zwei oder vier Stunden nur für eine
Person reserviert hat, ohne daß ein bestimmtes Pensum erledigt werden muß.
Mit diesen
Damen und Herren kann man klönen, sich etwas vorlesen lassen, sich im Haushalt
helfen lassen oder auch spazieren gehen.
Kostet
pro Stunde 32 Euro zuzüglich Wegpauschale, Investitionskosten,
Ausbildungsumlage und Mehrwertsteuer.
Hinzu
kommen Verbrauchmaterialien wie Desinfektionsmittel. Besonders teuer sind die
vielfach notwendigen Hilfen bei Inkontinenz. Es gibt aber auch viele einmalige
Anschaffungen, wie Haltegriffe, Dusch-Sitze, Rollatoren, Rollstühle, Gehhilfen,
Greifhilfen, physiotherapeutische Hilfsmittel.
Irgendwann
meldet sich der MDK und teilt – hoffentlich – einen Pflegegrad mit.
Nun
rollt endlich der Rubel.
Bei
Pflegegrad 1 gibt es eine monatliche Kostenerstattung von bis zu 125 Euro pro
Monat für Betreuungs- und Entlastungsleistungen.
Die weiteren
Abstufungen:
2: Pflegegeld bei häuslicher Pflege von 316 Euro pro Monat
2: Pflegegeld bei häuslicher Pflege von 316 Euro pro Monat
3: Pflegegeld
bei häuslicher Pflege: 545 Euro pro Monat
4: Pflegegeld
bei häuslicher Pflege: 728 Euro pro Monat
Und dann
gibt es noch den sehr seltenen Fall von Grad 5 („Schwerste Beeinträchtigung der
Selbstständigkeit. In diesem Fall sieht der Gutachter besondere Anforderungen
an die pflegerische Versorgung vorliegen. Bisher entsprach dies der Pflegestufe
3 mit eingeschränkter Alltagskompetenz bzw. sogenannten Härtefällen.“)
Pflegegeld
bei häuslicher Pflege: 901 Euro pro Monat
Ein
Hochbetagter mit Pflegegrad 5 bekommt allerdings auch ganz andere Rechnungen
vom medizinischen Pflegedienst, als das von mir genannte Beispiel von 15
Minuten täglich „Zeitpflege“ plus Medgabe. Der Stundenlohn beträgt knapp 50
Euro.
Sagen
wir, man bräuchte pro Tag zwei Stunden Pflege nach Zeit, sind das schon deutlich
über 3000 Euro im Monat.
Und zwar
ohne all die anderen Notwendigkeiten wie Einkaufen, Waschen, Putzen.
Offensichtlich
passt hier etwas nicht zusammen.
Und wir
sprechen immer noch von dem optimalen Fall, in dem der Senior wunschgemäß in
seiner eigenen Wohnung bleibt.
Millionen
landen in Pflegeheimen und dann wird es übel, wie zum Beispiel Lina Sparla, die
„zierliche 24-Jährige mit dünnem, hellbraunem Haar und Sommersprossen auf dem Nasenrücken“
Pflegeschülerin aus Münster berichtet.
Unser
Gesundheitsminister hört offensichtlich auch diese Kunde.
Allerdings
ändert ein echter Konservativer wie Spahn nicht extra seine festgefügte
Meinung, nur weil sie nicht zu den schnöden Fakten passt.
[….]
Wie dramatisch die Situation ist, wurde
Lina Anfang des Jahres klar. Damals war sie im Einsatz auf einer chirurgischen
Station mit 33 Betten, hinzu kamen die, die als vierte Betten in die
Dreibettzimmer verlegt wurden, weil Platz fehlte. […..] In ihrer Zeit auf der chirurgischen Station
musste Lina Entscheidungen treffen, die sie schrecklich fand: „Es ist
furchtbar, wenn man den Patienten sagen muss, dass man leider keine Zeit hat,
sie zu waschen.“ Die Infusionen konnten nicht zu den vorgegebenen Zeiten
angehängt werden, es gab nicht genug Zeit, das Essen anzureichen: „Man macht dann
schnell, schnell, dass jeder ein bisschen was gegessen hat.“ Patienten, die
eigentlich auch im Rollstuhl hätten sitzen können, wurden im Bett gelassen,
weil keine Zeit da war, sie zu mobilisieren. Die Mobilisation ist aber ein
wichtiger Bestandteil der Pflege: Ein Patient, der liegt, bekommt schneller
eine Lungenentzündung, die Muskeln bauen sich ab und die Angst aufzustehen
wächst. […..]
Und
schließlich meldet sich sogar das Bundesgesundheitsministerium.
Fast die ganze Klasse
ist gekommen, ebenso die Lehrer. Sie wollen hören, was Jens Spahn zu sagen hat
[…..]
Spahns erste Frage lautet: „In welchem
Krankenhaus arbeitet ihr denn?“ Lina grätscht direkt rein: „Darum soll es heute
gar nicht gehen.“ „Ja, aber das ist doch wichtig“, sagt Spahn, „vielleicht
solltet ihr mal mit der Geschäftsleitung reden.“ Lina holt tief Luft: Natürlich
haben sie mit der Geschäftsleitung gesprochen, mit der Pflegedienstleitung, mit
dem Träger des Krankenhauses, mit den Praxisanleitern. […..]
Deswegen fordern Lina
und ihre Mitschüler klare Regeln dafür, wie viele Praxisanleiter für die
Auszubildenden da sind. „Man kann doch nicht alles regulieren“, sagt Spahn.
„Ich zum Beispiel habe eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht. In der Bank
wird auch nicht alles vom Staat kontrolliert.“ „Ein Bankkaufmann gefährdet mit
einem Fehler ja auch keine Menschenleben“, flüstert eine Pflegeschülerin ihrer
Nachbarin zu. […..]
Lina, Karen, Barbara und Johannes geben
alles. Argumentieren, erklären, geben Beispiele. […..] „Wir würden gerne wissen, was Sie aus diesem Gespräch mitnehmen“, fragt
Karen nach einer Stunde mit Blick auf die Uhr. Ihnen wurde gesagt, dass der
Minister 60 Minuten Zeit für sie hat. „Zunächst mal fühle ich mich bestärkt in
dem, was wir tun“, sagt Spahn und erwähnt noch einmal, dass nun bald alle
Stellen refinanziert werden. Lina und ihre Mitschüler schauen sich verwundert
an. Das hat er aus dem Gespräch mitgenommen? Dass alles gut läuft? Er erzählt
von der „Arbeitsgruppe Ausbildung“ im Ministerium. […..]
Lina muss das jetzt erstmal sacken lassen. Hat
Spahn nicht verstanden, dass man die Praxisanleitung gesetzlich regeln sollte,
oder wollte er das nicht verstehen? Will er wirklich, dass Pflegeschüler für
ihr Engagement ihr Examen aufs Spiel setzen? […..]
Spahn
eben.
Sich
allzu sehr in die Nöte anderer Menschen hineinzudenken, ist seine Sache nicht.
OK, ein paar Pfleger mehr.
Er
ordnet das an und dann fallen sie vom Himmel:
Motiviert,
zuverlässig, blond, deutsch und voll
zufrieden mit 3 Euro pro Stunde.
[…..] "Der Gesundheitsminister hält die
Menschen in der Pflege hin. Er versucht, Beschäftigte, Menschen mit
Pflegebedarf und Angehörige ruhig zu stellen, statt endlich ein schlüssiges
Konzept für den Bereich zu präsentieren“,
erklärt Pia Zimmermann, Sprecherin für Pflegepolitik der Fraktion DIE
LINKE, zu den jüngsten Äußerungen von
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Zimmermann weiter:
„Spahns Pflegepolitik
bleibt ein Flickenteppich, und die Betroffenen bleiben im Unklaren. Die
Beitragssatzerhöhung zur Pflegeversicherung hat er nach oben korrigiert, ohne
dass Menschen dafür einen erkennbaren Mehrwert bekommen. Er verspricht neue
Pflegekräfte, dabei ist der Bundesregierung bekannt, dass schon jetzt zehntausende
Stellen nicht besetzt werden können. So bleiben seine Versprechen
Sonntagsreden, die die Menschen beruhigen sollen, aber den Staat kein Geld
kosten. […..]
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