Glanzvoll formuliert das aktuelle (Hamburger)
Grundsatzprogramm, wofür die Sozialdemokratie eintritt:
(…..) Für dauerhaften Frieden und für die Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen.
Für eine freie, gerechte und solidarische Gesellschaft. Für die
Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen – unabhängig von
Herkunft und Geschlecht, frei von Armut, Ausbeutung und Angst. Wir erstreben
eine friedliche und gerechte Weltordnung. Wir setzen auf die Stärke des Rechts,
um das Recht des Stärkeren zu überwinden. Das soziale Europa muss unsere
Antwort auf die Globalisierung werden. Nur in gemeinsamer Sicherheit und
Verantwortung, nur in Solidarität und Partnerschaft werden die Völker, Staaten
und Kulturen das Überleben der Menschheit und des Planeten sichern können. Wir
arbeiten für nachhaltigen Fortschritt, der wirtschaftliche Dynamik, soziale
Gerechtigkeit und ökologische Vernunft vereint. Durch qualitatives Wachstum
wollen wir Armut und Ausbeutung überwinden, Wohlstand und gute Arbeit für alle
ermöglichen und dem bedrohlichen Klimawandel begegnen. (….)
Wäre ich allein verantwortlich, hätte ich anders gewichtet.
Das Überleben des Planeten zu sichern ist leicht gaga; die
Erde wird weiter existieren.
Ich sympathisiere durchaus damit, die Umwelt so zu erhalten,
daß Fauna und Flora nicht wie gegenwärtig aussterben.
Das Überleben von Homo Sapiens ist für mich hingegen relativ
egal bis unerwünscht.
Aber es handelt sich beim SPD-Grundsatzprogramm schließlich
nicht um meine Privatagenda, sondern um eine politische Positionsbestimmung,
hinter der sich Hunderttausende versammeln können.
Solidarität und Gerechtigkeit sind mir dabei die wichtigsten
Punkte.
Darunter verstehe ich gegenwärtig, daß allen Schwachen
Solidarität zukommt.
Das bedeutet zum Beispiel sich Kriegsflüchtlingen und
Heimatvertriebenen anzunehmen und gerade NICHT wie die damalige
Sozialministerin Andrea Nahles Asylbewerber bei den Sozialleistungen deutlich
schlechter zu stellen als „Biodeutsche“. Das bedeutet selbstverständlich auch Kranken
und Armen so unter die Arme zu greifen, daß sie nicht unter schweren
Existenzsorgen leiden.
Obdachlosigkeit oder demente 90-Jährige, die angeschnallt
und vertrocknet in ihrem eigenen Kot liegen müssen, weil das Pflegeheim keine
Kapazität hat ihnen genügend Flüssigkeit zu geben und die Bettwäsche zu
wechseln, passen nicht in ein solidarisches Konzept.
Es ist eine spannende philosophische Frage wie man
Solidarität einer wie auch immer gearteten Not gehorchend einschränkt, ob sie
überhaupt eingeschränkt werden kann.
Das ist der Plot vieler Endzeit-TV-Produktionen in unendlich
vielen Variationen: eine überschaubare Anzahl von Menschen ist isoliert oder
durch eine Katastrophe übrig geblieben und dann gibt es in der Höhle/dem
Bunker/dem Raumschiff/unter der Glocke nicht genügend Lebensmittel/Medikamente
für alle.
Nun setzten sich nur noch die Starken durch, es beginnen
heftige Kämpfe und moralische Diskussionen der Art, ob man einen/wenige zu
Gunsten anderer/mehrerer opfern darf.
Aber das ist Kino!
Die BRD ist eine steinreiche Überflussgesellschaft, in der
sich die Frage nicht stellen sollte, ob man es sich leisten kann alle
solidarisch zu behandeln und zu versorgen.
Wir haben es so dicke, daß niemand etwas fehlen würde, wenn
Altenpfleger doppelt so viel Gehalt bekämen oder Flüchtlinge ihre Familien
nachholen dürften.
Gerechtigkeit ist ein überaus komplexes philosophisches
Thema.
Gerecht handelt gemäß Immanuel Kant ein Mensch, der über
die Maximen seines Handelns unter
Anspannung seiner Geisteskräfte Rechenschaft ablegt und entsprechend handelt,
sofern diese Maximen seines Handelns auch zum allgemeinen Gesetz erhoben
werden können.
Für das 21. Jahrhundert, in Deutschland, unter den
gegenwärtigen sozialpolitischen Umständen, verstehe ich unter Gerechtigkeit,
daß jeder einzelne Bürger die gleichen Freiheiten und Möglichkeiten hat sein
Leben zu gestalten.
Hier hapert es natürlich extrem.
Kinder aus Arbeiterfamilien werden niemals DAX-Vorstände,
Arme sterben fünf Jahre früher, weil sie ungesünder leben und wenn die Eltern
HartzIV beziehen, ist die Chance eine Universitätsabschluss machen gering. Ist Papa Chefarzt, kann man hingegen
fast sicher mit einer akademischen Karriere seiner Bälger rechnen.
Zur Ungerechtigkeit gehört auch, daß sich sehr Reiche und
sehr Mächtige Pflichten und Strafen entziehen.
Wer ein Baugrundstück mit Haus erbt, wird so einen Haufen
Erbschaftssteuer bezahlen müssen, daß er Selbiges vermutlich nicht behalten
kann. Nehmen wir an, das ganze Erbe hätte einen Wert von einer Million Euro und
es besteht ein Sanierungsstau von 100.000 Euro, weil Dach und Öltank völlig
marode sind. Vielleicht muß auch aufgrund neuer Vorschriften gedämmt werden und
die alten Bleileitungen müssen raus. Zusammen mit 200.000 Euro Erbschaftssteuer
ist man schnell bei einer Größenordnung, die nur noch den Verkauf
(=Hausverlust) zulässt.
Über Erbschaftssteuern kann man diskutieren. Ist es gerecht
Omas Haus zu verlieren, das Generationen in Familienbesitz war, weil die
Bodenpreise so gestiegen sind, daß das Finanzamt den Verkehrswert so hoch
ansetzt, daß man die Erbschaftssteuern nicht aufbringen kann?
Oder sollte der Staat ganz grundsätzlich da zugreifen, wo
einem etwas ohne eigene Leistung in die Hände fällt – wie es im Erbfall ist?
Eine Regierung mit einer Groko-Mehrheit könnte für diese
Fragen eine Lösung finden.
Könnte. Tut sie natürlich nicht, weil sie zu schwach und zu
ängstlich ist und die CDU zu sehr von Lobbyisten unter Druck gesetzt wird.
Viel schlimmer sind aber die bewußt offen gelassenen
Schlupflöcher.
Wer nämlich statt einer Million eine Milliarde oder zehn Milliarden
erbt, hat längst eine Armee von trickreichen Anwälten und Steuerberatern in
Gang gesetzt, die mit Doppelstiftungsmodellen die Milliarden am Fiskus vorbei
dirigieren. Im Gegensatz zu dem kleinen Hausbesitzer, der keine Wahl hat als
dem Finanzamt das zu zahlen, was es haben will, haben Quandts, Albrechts, Mohns
und Springers vorgesorgt. Entsprechende Parteispenden an die CDU und die
hervorragenden Kontakte in Merkels Kanzleramt mögen helfen.
Das ist ungerecht.
Mit viel Geld kann man sich Zugang zur Macht kaufen und
seine möglicherweise durchaus legitimen Bedürfnisse demjenigen vortragen, der
dafür zuständig ist.
Eine 85-Jährige in einem Dreibetten-Pflegezimmer auf „Grusi“
(Grundsicherung) kann hingegen keinesfalls einen persönlichen Termin bei Jens
Spahn bekommen.
Hier gibt es grundsätzlich ungerechte Strukturen, die aber
auch politisch gewollt sind.
Natürlich könnte man den Lobbyisten-Zugang ins Parlament
beschränken, Parteispenden radikal zusammenstreichen, direkte Wechsel von
Regierungspolitikern in die Wirtschaft unterbinden.
Von Schwarzen, Gelben und Braunen ist in dieser Hinsicht
nichts zu erwarten.
Es wäre aber schön, wenn wenigstens R2G radikaler
aufträten.
Stattdessen verzetteln sich insbesondere Sozialdemokraten
gerne in der elenden „Einzelfallgerechtigkeit“.
Einzelfallgerechtigkeit ist gewissermaßen das Gegenteil
eines bedingungslosen Grundeinkommens, welches auch ungerecht wäre, weil Reiche
und Arme gleichermaßen von Wohltaten profitierten. Gute und Böse bekämen das
gleiche Geld.
Der Hartz-IV-Grundgedanke „Fördern und Fordern“ – also denen
zu helfen, die wenig haben, aber dabei eine Mitarbeit zu verlangen – ist richtig.
Auch der viel kritisierte Nahles-Satz, nach dem ein
Berufstätiger mehr im Portemonnaie haben müsse als einer, der sich verweigert,
ist prinzipiell richtig.
Das große Problem entsteht aber, wenn man sehr weit über
diese allgemeinen Prinzipien hinausgeht und bemüht ist für jeden einzelnen der
83 Millionen in Deutschland Lebenden eine gerechte Lösung zu finden.
Dadurch entstand ein gigantischer Wust von gesetzlichen
Bestimmungen, die zu Hunderttausenden Hartz-Beschwerden vor den Sozialgerichten
führten.
Oft bekommen die Kläger Recht, weil natürlich jeder
individuelle Umstände aufweisen kann, die ein wenig anders als beim Nachbarn
sind.
Nach gewonnenem Prozess gibt es dann fünf Euro mehr
Sozialleistungen und der Staat sitzt auf 50.000 Euro Gerichtskosten.
Ein Wahnsinn.
Hierin besteht für mich der Charme eines bedingungslosen
Grundeinkommens.
Nicht weil es gerecht wäre. Es wäre ein mieses
Gießkannenprinzip wie auch das Kindergeld, welches genauso von einem Milliardär
bezogen wird, wie von der alleinerziehenden Grusi-Mutter, die jeden Cent
dreimal umdrehen muss.
Aber man könnte mit einem Schlag Hunderttausende Bürokraten
für etwas Sinnvolleres einsetzen, die Sozialgerichte von ihrem täglichen
Wahnsinn befreien und auch die ehemaligen Hartz- und Grusi-Empfänger von ihrer
permanenten Unsicherheit befreien.
Hubertus Heils Respekts-Rente krankt an
einem ähnlichen Problem.
Es ist natürlich richtig nicht einfach prozentual die Rente
zu erhöhen, weil wieder überproportional die Reichsten profitieren würden.
Stattdessen versucht er gezielt den Bedürftigen einen
größeren Batzen zuzuschieben.
Aber auch hier möchte das Sozialministerium Einzelfallgerechtigkeit
erreichen und knüpft die „Bedürftigkeit“ an Bedingungen.
Der Effekt ist klar: Zwei Tage nach der Vorstellung des
Konzepts verbreiten Zeitungen abstruse Einzelfälle, die das ganze Vorhaben
diskreditieren.
Einzelfallgerechtigkeit funktioniert nicht.
Es kann immer nur einen grundsätzlichen
Gerechtigkeitsgedanken geben.
So erhält beispielsweise ein kinderloser Kellner, der 34 ½ Jahre
lang in Vollzeit zu einem niedrigen Lohn gearbeitet hat, durch Heils Respektsrente
keinen Cent mehr, weil er nicht 35 Jahre lang einzahlte. Die Arzthelferin, zwei
Kinder, verheiratet mit dem steinreichen Radiologen, die 30 Jahre Teilzeit in
seiner Praxis arbeitete, bekommt die Kindererziehungszeiten angerechnet und
erhielte 447 Euro monatlich zusätzlich, auch wenn ihr Mann 4.500 Euro Rente
bezieht.
Die SPD hat in den letzten Jahren gewaltige soziale
Wohltaten über das Volk gegossen. So hoch wie jetzt war der Sozialetat noch
nie.
Mindestlohn, Erhöhung des Mindestlohns, Kindergelderhöhung, Baukindergeld,
…
…[…..] Für Mütter-Rente, Rente mit 63 und all die anderen Wohltaten der
letzten Jahre war ja auch Geld da. Wer leise anmerkt, dass immer weniger Junge
die immer höheren Kosten für Renten und Pensionen stemmen müssen, wird wie ein
undankbares, verwöhntes Gör behandelt.
Dabei verstehe ich schon das Konzept der „Respekt-Rente“ nicht: Wer 35
Jahre Vollzeit zum Niedriglohn ackert, soll genauso unterstützt werden wie die,
die sich dank reichen Partners, großer Erbschaft oder einer speziellen
Lebenseinstellung nie besonders für Arbeit interessiert haben. Geld für alle
statt die, die es wirklich brauchen: Was ist daran respektvoll? [….]
Soziale Wohltaten allein helfen nicht, weil die SPD unter
Generalverschiss steht und Andrea Nahles als extrem unglaubwürdig gilt.
Als sie heute in den sozialen Netzwerken die Überwindung des
Hartzsystems und die Respektsrente ankündigte, regnete es sofort einen
gewaltigen Shitstorm. Sie kann jetzt alles richtig machen und die pure soziale
Gerechtigkeit umsetzen, man wird sie dennoch hassen und die SPD abstrafen.
Die Gründe dafür liegen in der allgemeinen Verblödung der
Wähler und der totalen Unübersichtlichkeit der Regierungspolitik.
Selbst wenn Herr Heil mal alles richtig machen will, wird
sofort genörgelt.
Jeder (auch ich!) wird sofort mit Einzelfällen um sich
werfen, für die die neuen Pläne besonders ungerecht wären.
Der „große Wurf“, der die SPD voranbringen könnte, müsste noch
wesentlich einfacher sein, so daß ihn jeder versteht.
Vielleicht müsste es doch in die Richtung gehen, die letzten
100 sozialen Wohltaten und die eine Million dazu gehörigen Ausführungsbestimmungen
abzuschaffen und dafür pauschal, ohne zu prüfen jedem Bürger 1000 Euro
monatlich in die Hand zu drücken.
Das wäre auch nicht gerecht, aber zumindest verständlich.
Jeder Wähler wüßte was das für ihn persönlich bedeutet.
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