Sonntag, 24. Februar 2019

Zufriedenheit des alleruntersten Niveaus.

Wenn Angela Merkel reist und offiziell die Bundesrepublik Deutschland vertritt, setzt sie natürlich keine Glanzpunkte, wie Brandt oder Schmidt, wie aber auch gelegentlich Schröder oder Fischer.
Sie ist keine Charismatikerin, wird nie an schillernde Persönlichkeiten wie Jitzchak Rabin, Felipe González, Olof Palme, Bruno Kreisky, Ylva Anna Lindh, José Luis Zapatero, Zoran Đinđić, Anwar as-Sadat, Bill Clinton, Golda Meir oder Susanna Agnelli heranreichen.
Sie ist halt bloß die pyknische Physikerin aus der Uckermark, die hinter dem Eisernen Vorhang in ganz kleinen Verhältnissen als Pfarrerstochter aufwuchs.
Sie ist diese erstaunlich unprätentiöse, umodische, unwitzige, nicht schlagfertige Frau mit den ungepflegten Fingern, den viel zu kurzen, schlecht sitzenden Blazern, der Helmut Kohl hinterherschleuderte, als sie schon Kanzlerin war, daß sie nicht ordentlich mit Messer und Gabel essen könne und nicht wisse, wie man sich bei Auslandsbesuchen zu benehmen habe.
Sie wird nie eine mitreißende Rednerin werden, entwickelt keinerlei Gespür für die Stimmung im Publikum. Sie verbreitet rhetorische Landweile, vermag keinen Enthusiasmus zu wecken. Wie auch, wenn sie selbst nie weiß in welche Richtung sie will?

[….]   Im Kern plagen das Kanzleramt zwei Defizite: ein personelles und ein strukturelles. Zum einen mangelt es an straffer Leitung; dem Amt fehlt Führung an der Spitze, auch wichtige Abteilungen waren schon stärker besetzt.
Zum anderen ist die Organisation der Regierung überholt: Nach wie vor dominiert das Ressortprinzip. Gemäß Grundgesetz ist die Regierungsgewalt geteilt zwischen den Ministerien. Das Kanzleramt soll kontrollieren und koordinieren. Doch in einer Zeit, in der viele Probleme Ressortgrenzen sprengen, steigt zwangsläufig die Bedeutung der Zentrale.
So erscheint das Merkel-Amt als real existierendes Paradoxon: An der Spitze steht eine Kanzlerin mit Richtlinienkompetenz, die aber, wenn irgend möglich, keine Richtlinien vorgibt. Ihr assistiert ein Kanzleramtschef, der Konflikte ausräumen und Entscheidungen beschleunigen soll, stattdessen aber Streit schürt und Beschlüsse ausbremst.
[…]    Der eigentliche Hebel einer Kanzlerschaft besteht in der Deutungshoheit. Wirkmächtig agieren kann der Regierungschef, wenn er Strategien formuliert - indem er Volk und Welt eine Idee davon vermittelt, wohin man gemeinsam will, und diese Idee dann konkretisiert. Verfassungsrechtler nennen das Richtlinienkompetenz.
Im Zentrum der Macht herrscht inhaltliche Leere
Ideen? Konzepte? Strategien? All das ist Merkels Sache nicht. Im Zentrum der Macht herrscht eine bedrückende inhaltliche Leere.
Das beklagen auch Topentscheider des Regierungsapparats selbst, die die Stiftung Neue Verantwortung kürzlich befragen ließ. Um in einem immer unsichereren Umfeld managen zu können und den Ereignissen seltener hinterherzurennen - "vor die Lage" zu kommen, wie Ministeriale das nennen -, wünschen sich die meisten Befragten mehr strategisches Denken und mehr Koordination.

Ihr weltpolitisches Gewicht verdankt sie ihrer Fähigkeit das einzige durchzusetzen, das ihr wirklich wichtig ist: Sie mag gern Kanzlerin sein.
Nach fast zwei Dekaden CDU-Vorsitz, 29 Jahren als Ministerin/ Oppositionsführerin/Kanzlerin an der absoluten Spitze der Politik kennt sie jeder und sie kennt jeden. Insbesondere zeigt diese fast drei Jahrzehnte währende Spanne als Toppolitikerin, daß sie fähig ist alle anderen zu überleben.
Diese Zähigkeit verdankt sie ihrer Taktiererei, ihrer Vorsicht, ihrem Desinteresse und insbesondere ihrer persönlichen Geheimwaffe: Sie ist immun gegen Beleidigungen. Alpha-Männer in aller Welt und jede Menge Beta-Männchen zu Hause haben versucht ihr ans Schienbein zu pinkeln. Aber sie bemerkt das gar nicht.
Hillary Clinton charakterisierte Trump zutreffend als extrem leicht zu provozierenden Mann.

"A man you can bait with a tweet is not a man we can trust with nuclear weapons."

Merkel ist das diametrale Gegenteil. Falls Deutschland jemals mit Atomwaffen angegriffen werden sollte, ist es gut möglich, daß sie das bloß achselzuckend zur Kenntnis nehmen würde.
Seehofer kann sie minutenlang wie ein Schulmädchen auf offener Bühne unter dem Gejohle angetrunkener rotnäsiger CSUler abkanzeln. Ministerpräsident Berlusconi versuchte es bei einem Gipfel mit einer ähnlichen Methode. Er gab  2009 beim Natogipfel am Rhein den Seehofer als er Gastgeberin Merkel minutenlang auf dem roten Teppich stehen ließ und erst mal telefonierte. Eine extreme diplomatische Unflätigkeit.
Das perlt einfach an ihr ab.

Eine Episode aus dem Kanzler-Airbus im Mai 2011 zeigt das sehr eindrücklich. Mit Merkel und Vizekanzler Westerwelle an Bord war die Regierungsmaschine in Richtung Indien gestartet. Alle Staaten haben sich verpflichtet andere Regierungsmaschinen stets passieren zu lassen; also war es ein diplomatischer Eklat, als Iran plötzlich die Überflugrechte verweigerte und die Kanzlermaschine zwang zwei Stunden über der Türkei zu kreisen.
Westerwelle, der wie kein Zweiter darauf achtete geehrt und bewundert zu werden, tobte vor Wut. Mitreisende Journalisten erlebten einen Chefdiplomaten im Rumpelstilzchen-Modus, der das Verhalten Teherans als persönlichen Affront wertete und gespreizte Drohungen ausstieß.
Als schließlich auch Merkel vom zeternden Westerwelle geweckt wurde, winkte sie nur ab. Diese Spielchen waren ihr ganz egal; im Gegenteil, die zwei Stunden zusätzlichen Schlafes nahm sie gern.

[….] Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte daraufhin den iranischen Botschafter einbestellt. Staatssekretär Born unterstrich bei dem Gespräch, dass eine Überflug-Genehmigung vorgelegen habe und es sich deswegen um einen "präzedenzlosen Vorfall" handele, der internationalen Gepflogenheiten widerspreche. Born äußerte die Erwartung der Bundesregierung, dass sich so etwas nicht wiederhole. Der iranische Botschafter habe zugesichert, seine Regierung "unverzüglich über die Haltung der Bundesregierung zu unterrichten", hieß es in der Mitteilung des Auswärtigen Amts.
Westerwelle hatte zunächst empört auf die Reisebehinderung der Kanzlerin reagiert: "Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber Deutschland, die wir nicht hinnehmen werden", sagte er.
Die Bundeskanzlerin, die während des Zwischenfalls geschlafen hatte, zeigte sich gelassener. Es sei "sicherlich vernünftig, mal zu fragen, was gewesen ist", kommentierte die CDU-Politikerin die Einbestellung des Botschafters. Dabei gehe es aber "überhaupt nicht um Verärgerung", sondern um Aufklärung, betonte die Kanzlerin. [….]

In der Welt von 2019 vergleicht man Merkel aber nicht mehr mit diplomatischen Ikonen und intellektuellen Staatsmännern, sondern mit korrupten, malignen, bösartigen Narzissten wie Jarosław Kaczyński, Theresa May, Boris Johnson, Silvio Berlusconi, Recep Tayyip Erdoğan, Mike Pence, Jair Bolsonaro, Bibi Netanjahu, Rodrigo Duterte oder dem hier:



Merkels erste Auslandsreise als Kanzlerin führte sie nach London und wurde wohlwollend rezipiert.
Volker Pispers regte sich noch jahrelang über die eigens für Merkel erfundene Bewertungskategorie „besser als erwartet“ auf.
Mit der Methode absolvierte sie beispielsweise auch ihre Kanzlerduelle im TV. Sie war dann doch besser als erwartet.

„Was haben die denn erwartet?“, giftete Pispers, „daß sie auf den roten Teppich kotzt oder Tony Blair in den Schritt greift?“.

Das sind inzwischen keine allzu abwegigen Kategorien mehr in Zeiten, in denen Politiker stolz sind anderen an die Pussy zu grabben, auf der Bühne andere Regierungschefs wegschubsen, lügen wie gedruckt, Präsidenten die Haare verwuscheln oder schlicht und ergreifend völlig desinformiert und desinteressiert umherbanausen.


Immerhin, das muss man bei Merkel nicht befürchten.
Wenn sie irgendwo einfliegt, weiß sie doch in welchem Land sie sich gerade befindet, ist in der Lage elementare Regeln der Höflichkeit einzuhalten.
Sie gibt allen die Hand und die Deutschen müssen sich nicht für sie in Grund und Boden schämen, wie es Amerikaner, Polen oder Ungarn inzwischen für ihre Regierungen gewöhnt sind.

Wenn Merkel sich ausnahmsweise mal, wie zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz halbwegs deutlich ausdrückt und zu einer Selbstverständlichkeit, wie dem Multilaterismus bekennt, sind das in der Trump-Pence-Erdogan-Welt schon Gründe geradezu zufrieden mit der CDU-Frau zu sein.
Man wird ja so bescheiden. Da wallen in der deutschen Presse sofort Huldigungsorien auf.

[….] Auf der Sicherheitskonferenz mahnte die Kanzlerin zu Zusammenarbeit. Ihr Loblied auf den Multilateralismus fand Zustimmung, ihre Gedanken werden lange nachwirken. [….]

[….] Merkels Bekenntnis. Kanzlerin Merkel wandte sich mit einer Grundsatzrede an die Sicherheitskonferenz: Umweltverschmutzung, Klimawandel, Kampf um Ressourcen - das alles habe globale Folgen. [….]

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