Sonntag, 8. September 2013

Fortschreitende Chaotisierung Teil II



Hört, hört; tatsächlich sehen einige Kommentatoren den abenteuerlichen Zickzackkurs des schlechtesten Außenpolitikduos seit 1945 als bedenkliches Zeichen für die Wiederwahlchancen Merkels an.


Wie ich gestern ausführlich zeigte, haben sich die Kanzlerin und ihr wie üblich irrlichternder Außenminister im diplomatischen Gestrüpp zwischen St. Petersburg, Brüssel und Damaskus hoffnungslos verheddert.
Selbst die konservativen Zeitungen, welche in den Wochen vor der Wahl normalerweise ungeniert die CDU bejubeln, sind so irritiert, daß sie es deutlich zu Papier bringen.
 
In einem Agenturentext spricht der SPIEGEL, der morgen mit einer nicht Merkel-freundlichen Titelgeschichte titeln wird, von einer „Blamage“ Merkels.

Auf dem G-20-Gipfel wurde Angela Merkel in der Syrien-Frage überrumpelt. Vier große EU-Staaten unterschrieben hinter ihrem Rücken eine US-Resolution. […]
Deutschlands nachträgliches Ja zum amerikanischen Syrien-Kurs hatte am Wochenende für Irritationen gesorgt. Am Freitag hatten sich insgesamt zehn Staaten auf dem Petersburger G-20-Gipfel hinter eine entsprechende Resolution von US-Präsident Barack Obama gestellt. Das Papier fordert eine "entschiedene internationale Antwort" auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz durch das Assad-Regime.
Die Kanzlerin hatte ihre Unterschrift zunächst verweigert. Sie verließ St. Petersburg am Freitagnachmittag, um bei der parallel stattfindenden Konferenz der EU-Außenminister in Vilnius eine gemeinsame Haltung in der Syrien-Frage auszuhandeln. Nach Merkels Abreise schlossen sich Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien der amerikanischen Erklärung an - offenbar ohne Wissen der Kanzlerin.
Deutschland war damit der einzige europäische G-20-Staat, der die Resolution vorerst nicht unterschrieb. […] Doch der Affront von St. Petersburg hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Der Eindruck einer vorübergehenden Isolation Deutschlands steht im Raum - genauso wie der Verdacht, dass Deutschlands Meinung zum Umgang mit der Syrien-Krise möglicherweise nicht so wichtig ist wie angenommen.  Auch werden Erinnerungen an eine andere Entscheidung wach, die der Bundesregierung großen diplomatischen Ärger eingebracht hatte: 2011 enthielt sich Deutschland zusammen mit Russland und China im Uno-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über ein militärisches Eingreifen in den libyschen Bürgerkrieg. Die USA und die europäischen Verbündeten waren dafür, Deutschland war isoliert. Die Verbündeten waren verärgert, die Bundesregierung musste sich monatelang rechtfertigen.
[…]  Es bleibt aber eine peinliche Panne für Merkel - und überschattet ihren Auftakt der heißen Wahlkampfphase.

Mit „peinliche Panne“ kommt die Bundesregierung noch ganz gut weg bei SPON. 


Stephan-Andreas Casdorff, der Chefredakteur der nicht als links geltenden Berliner „Tageszeitung“, bricht den Stab über Merkel und Westerwelle. Er schreibt, die deutsche Diplomatie könne man vergessen.

Es bleibt ein Desaster, diese neue Fehleinschätzung der Bundesregierung, wie ihre Gefolgsleute es auch drehen und wenden und rhetorisch verschwurbeln. Denn es ist ja passiert: Als einziger europäischer G-20-Staat unterzeichnet Deutschland zunächst eine gemeinsame Erklärung nicht, in der eine entschlossene internationale Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gefordert wird. Eine entschlossene Reaktion, wohlgemerkt, kein Militärschlag. Das Papier, am Rande des Gipfels von St. Petersburg verabschiedet, trug elf Unterschriften, nur die von Angela Merkel nicht.
[…]  Um ein Haar, und Merkel hätte die Bundesrepublik, die stärkste wirtschaftliche Nation in Europa, für manche in der Welt eine Art Orientierungsmacht in Europa, im Fall Syrien in ein Lager mit Russland und China gebracht. Deutschland, ohne Orientierung, in außenpolitischer Ohnmacht? [….]
Warum hat die Bundesregierung die EU nicht längst selbst zur Plattform der Suche nach einer diplomatischen Lösung gemacht? Dorthin hätte sie – die ohne Gewissensbisse Tonnen von Waffen liefert – Saudis und Katarer einladen sollen, dazu die Russen, um auf sie alle einzureden. Denn es ist offenkundig: Katar und Saudi-Arabien wollen Syrien zum „Battleground“ für den Kampf um die Vorherrschaft von Sunni oder Schia in der muslimischen Welt machen; sie wollen auf syrischem Boden den entscheidenden Schlag gegen den Konkurrenten Iran führen. Und die Russen machen das mit? Man muss nicht das Ende eines Krieges abwarten, um „ehrliches Maklertum“ zu beginnen, wie Lenin die Diplomatie nannte.
Die vergangenen vier Jahre sind außenpolitisch zum Vergessen. Ohne Kurs, ohne Kompass, ohne Konzept, ohne Haltung. Und ohne gute Erklärungen. Weiter so? Besser nicht.

Recht hat er, der Casdorff.
Aber Initiativen und Konzeptionen von dieser Bundesregierung zu erwarten ist natürlich ähnlich aussichtsreich, wie der Versuch den Papst zum Atheisten zu machen.
Apropos Franzi. Der Römische Fußfetischist hat ja einen großen Fan in Berlin: Merkel.
Während die deutschen Bischöfe der CDU Wahlkampfhilfe leisten, outet sich die Parteichefin entsprechend.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in einem Interview mit der deutschen katholischen Nachrichtenagentur (KNA) als Fan von Papst Franziskus geoutet. Sie habe im Sommer auch das Interview-Buch mit Jose Bergoglio gelesen, berichtete sie. "Seit seinem Amtsantritt beeindruckt mich Papst Franziskus mit seiner Botschaft und seiner Art. Bei der Privataudienz im Mai habe ich ihn als einen vielseitig interessierten, sehr gut informierten Mann kennengelernt, als einen Geistlichen, der sehr den Menschen und ihren Sorgen zugewandt ist. Das Gespräch mit ihm hat mich neugierig gemacht. Ich wollte mehr über den neuen Papst erfahren, und deshalb habe ich das Buch gelesen", sagte sie wörtlich.
Insgesamt wünscht sich Merkel von den Kirchen eine missionarische Haltung. "Ich möchte die Kirchen ermutigen, lebendig zu sein, auf die Menschen zuzugehen, um sie für das Christentum zu öffnen". Jede Gesellschaft sei auf ein Fundament grundlegender Werte und Normen angewiesen, so die CDU-Vorsitzende. Dies speise sich bei uns "ganz wesentlich aus christlichen Wurzeln".

In typischer Merkel-Art, fällt sie dem eben noch Hochgelobten aber sofort in den Rücken. Franzi ist nämlich außerordentlich gegen einen Militärschlag in Syrien engagiert. Merkel ist nun aber dafür.

"Möge der Krach der Waffen verstummen": Papst Franziskus fordert mit Zehntausenden Gläubigen ein Ende der Gewalt in Syrien. Einen Militärschlag der USA lehnt er ab.
[….] Zehntausende Menschen sind dem Aufruf von Papst Franziskus gefolgt und bei einer Friedenswache auf dem Petersplatz in Rom für ein Ende der Gewalt in Syrien eingetreten. Im gemeinsamen Gebet rief Franziskus vor bis zu 100.000 Gläubigen zu einer friedlichen Lösung im Syrien-Konflikt auf. Christen, Muslime und Juden in vielen Teilen der Welt unterstützten die Initiative.
"Heute Abend bitte ich den Herrn, dass wir Christen und unsere Brüder und Schwestern aus anderen Religionen (...) mit aller Kraft ausrufen: Gewalt und Krieg sind niemals der Weg zum Frieden!" "Möge das Waffenrasseln aufhören", mahnte das Oberhaupt der katholischen Kirche. Krieg bedeute immer das Scheitern des Friedens, er sei immer eine Niederlage für die Menschheit. "Wir haben unsere Waffen vervollkommnet, unser Gewissen ist eingeschlafen, und wir haben ausgeklügeltere Begründungen gefunden, um uns zu rechtfertigen."
[….]   Bereits in den vergangenen Wochen hatte Franziskus sich immer wieder für Dialog und Versöhnung in dem Bürgerkriegsland Syrien stark gemacht und ein militärisches Einschreiten strikt abgelehnt. Wesentlich ist dabei sein Friedensaufruf "Nie wieder Krieg" vom 1. September: "Wir wollen, dass in unserer von Spaltungen und Konflikten zerrissenen Gesellschaft der Frieden ausbricht." Zudem hatte Franziskus in einem Brief an den russischen Präsidenten und Vorsitzenden des G20-Gipfels, Wladimir Putin, dafür geworben, den Bemühungen um Frieden für Syrien eine Chance zu geben.

Waffenlieferantin und Obama-Unterstützerin Merkel tut also jetzt offiziell das Gegenteil dessen, was sich der Papst wünscht.


Das Heucheln und Rumeiern der Kanzlerin erreicht inzwischen ein so unerträgliches Maß, daß selbst die stramm rechten Kommentatoren der „WELT“ ihre Daumen senken.

Deutschland stiftet mit seiner Haltung zum Syrien-Konflikt Verwirrung und läuft Gefahr, als Bremser und Bedenkenträger international in die Isolation zu geraten. Zunächst hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag während des G-20-Treffens in St. Petersburg ihre Unterschrift unter eine von den USA vorgelegte Erklärung verweigert, in der eine "starke internationale Antwort" auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz durch das Assad-Regime gefordert wird. […]
Deutschland […] trägt nun zwei durchaus unterschiedliche Erklärungen mit. Es hat den Anschein, als habe die Bundesregierung damit auch auf das desaströse Echo reagiert, das ihr anfängliches Nein ausgelöst hatte. Von der Möglichkeit einer nachträglichen Unterzeichnung war jedenfalls bis zu ihrer Verkündung durch den Außenminister nie die Rede.
[…] An der jetzigen Lage, in der Deutschland wieder einmal als zögerlich dasteht, ist auch die mangelhafte Kommunikation in St. Petersburg schuld. Als Merkel den Gipfel verließ, war bekannt, das die Franzosen die USA unterstützen würden, wie sich Italien und das G20-Gastland Spanien verhalten würden, war aber unklar. Offenbar konnte Obama beide für sich gewinnen. Deutschland musste reagieren. Zur Not nachträglich.
(Thomas Vitzthum, Die Welt, 07.09.13)



Bis zur Bundestagswahl sind es nur noch zwei Wochen. 
Vermutlich ist das nicht genügend Zeit, um die träge Masse des Urnenpöbels von seiner Überzeugung von Merkels politischen Fähigkeiten abzubringen.
Ich bin sehr gespannt, ob es noch vor dem 22.09.13 Militärschläge geben wird und was die Bundesregierung dann offiziell dazu sagt.
Schon jetzt werden aber die Zweifel an Merkels glattem Wahlsieg größer.

Mit großem Spektakel startet die Union in die heiße Wahlkampfphase. Doch in der Partei macht sich Unruhe breit: Die SPD verspürt Aufwind, die CDU-Anhänger wirken müde, die Kanzlerin blamiert sich beim Syrien-Gipfel. Angela Merkel spürt: Der Sieg ist ihr noch lange nicht sicher.
[…] Die völlig auf Angela Merkel zugeschnittene Kampagne läuft in diesen Tagen nicht mehr ganz rund. […] Zu allem Überfluss patzte auch noch die populäre Kanzlerin selbst. Und das auf internationalem Parkett, wo sie sich sonst so wohlfühlt. Das jüngste Ringen um die Syrien-Resolution hat Merkels außenpolitisches Image angekratzt. […]  Viel größere Sorgen als die Maut bereitet den CDU-Strategen in Berlin jedoch die Wahl im Freistaat als solche. Welche Auswirkungen das Wahlergebnis im Süden der Republik hat, weiß niemand sicher. Treibt ein schwaches FDP-Resultat am 15. September den Liberalen im Bund Wähler aus dem Unionslager zu, damit der Wunschpartner über die Fünf-Prozent-Hürde kommt? Oder schläfert ein sehr guter CSU-Wert in Bayern die potentiellen Unionswähler noch weiter ein, weil sie sich zu sicher sind? Schon jetzt befürchten führende Christdemokraten, die Union könnte bei der Wahl ein Mobilisierungsproblem bekommen. Man dürfe sich nicht von guten Umfragewerten einschläfern lassen, warnt CDU-Vize Armin Laschet. "Man kann ein Spiel auch noch in der letzten Minute verlieren."


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