Wie schon 2009 und 2005,
geht Merkels Strategie der asymmetrischen Demobilisierung in den letzten Tagen
und Wochen vor der Wahl die Puste aus.
Natürlich, ihr
Extremmerkeln, also das konsequente Verweigern jegliche politischer Stellungnahmen
und das völlige Einstellen der Regierungsarbeit beherrscht sie perfekt. Seit
mindestens 2010 sind Merkel und ihre Minister in kollektiven Tiefschlaf
gefallen. Selbst die konservative und sehr CDU-freundliche F.A.Z. sah sich zu einer giftigen Aufstellung
des kompletten Regierungsversagens der schwarzgelben
Chaostruppe veranlasst.
Das Blöde für die
CDU-Chefin ist nur, daß sie ein Amt okkupiert, welches ab und an zwingenden
Handlungsbedarf mit sich bringt.
Die Kabale zwischen Putin
und Obama versucht Merkel zwar nach allen Regeln ihrer Kunst
auszusitzen und zu ignorieren, aber das kann auf internationalen
Gipfeln auch gehörig schief gehen.
Merkels Pech, daß ausgerechnet einen Monat vor der
Bundestagswahl Giftgas eingesetzt wurde und ihre Kollegen in Paris und Washington die Berliner
Winterschlafstrategie nicht mitmachen wollen. So kann man nicht international „bella
figura“ machen und fällt peinlich auf.
Ein anderes Beispiel ist
die NSA-Spähaffäre, die Merkels oberste Schlafmützen Pofalla und Friedrich
hartnäckig euphemisieren, indem sie auch vor dreisten Lügen nicht zurück
schrecken. Wer sich mit der Thematik aber doch etwas näher beschäftigt, kann
seinen Zorn über das unterirdische Agieren der Bundesregierung kaum noch
verbalisieren.
Die NSA überwacht das Internet großflächig,
zapft Handys und Firmennetzwerke an - aber die Bundesregierung kann beim besten
Willen keine Spähaffäre erkennen. Sind die Reaktionen der Koalition nur
Wahlkampflüge oder schon Parallelrealität? Und was wäre schlimmer?
[…]
Als bekannt wurde, dass alle relevanten
Smartphone-Systeme durch die NSA gehackt werden können, reagierte der
CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder in den "Tagesthemen":
"Es ist kein Thema der Politik. Die neuen Vorwürfe, die kommen, sind ein
Thema zwischen der amerikanischen Regierung, der NSA und den Herstellern. Damit
haben wir in Deutschland nichts zu tun, und ich sehe auch keine neue Eskalation
des Skandals." […]
Der Wahlkampf war das Schlimmste, was
der Gesellschaft zur Spähaffäre passieren konnte. Dem Machterhalt, dem
Merkel-Erhalt, wird die systemrelevante Debatte geopfert. Stattdessen wird
aggressiv geschwiegen, Doktor Murke hätte seine Freude gehabt. Ein Moment des
Irrsinns wiederum, als zur letzten Sitzung des Bundestages die Diskussion der
Spähaffäre nicht auf der Tagesordnung landete. Der parlamentarische
Geschäftsführer der CDU, Michael Grosse-Brömer, erklärte das mit einer
Begründung, die in einer besseren Welt für zwei bis drei Zwangseinweisungen in
eine bayerische Psychiatrie gereicht hätte. Es gebe nämlich gar keinen Skandal,
sondern nur den "Wunsch, diesen Skandal am Leben zu erhalten, die Menschen
zu verunsichern aus wahltaktischen Gründen." […] Weltweit
schimmern Zeugnisse von Momenten des Irrsinns auf. […] Aber das alles wirkt beinahe
hobbyhaft gegen den deutschen Qualitätsirrsinn, hergestellt von den
Politik-Ingenieuren der Koalition. Es mag eine demokratiefeindliche Einstellung
sein, Totalüberwachung für richtig zu halten. Aber es ist eine diskutierbare
politische Haltung. Das Schauspiel, das die Regierung aufführt, ist keine
politische Haltung, sondern Kadavergehorsam wider die Wahrheit: Wir sagen
nichts, weil es laut Mutti nichts zu sagen gibt. Das Haus brennt, und Merkels
Feuerwehr stellt Schilder auf, dass der Brand nie stattfand und darüber hinaus
längst gelöscht sei.
Während Merkel und ihre
Gurkentruppler weiterhin so tun, als wären sie nicht da, dreht sich die Welt
aber weiter.
100 Tage Prism - Die Bundesregierung
weiß von nichts
Am Samstag liegen die ersten
Enthüllungen über NSA-Überwachungsprogramme 100 Tage zurück. Pünktlich zu
diesem Termin hat die Bundesregierung einen umfassenden Fragenkatalog grüner
Bundestagsabgeordneter beantwortet. Echte Informationen hat sie nicht zu
bieten.
Der vielleicht empörendste Satz in dem
59 Seiten langen Antwortkatalog der Bundesregierung auf Fragen grüner
Bundestagsabgeordneter zum NSA-Skandal steht auf Seite 47: "Ob und
inwieweit die von Herrn Snowden vorgetragenen Überwachungsvorgänge tatsächlich
belegt sind, ist derzeit offen."
Das muss man sich auf der Zunge zergehen
lassen: Drei Monate nach Beginn der Snowden-Enthüllungen, nach der
Veröffentlichung zahlreicher interner Dokumente im SPIEGEL, im
"Guardian", der "Washington Post" und weiteren
Publikationen, nach Konsultationen und einer als Aufklärungsausflug beworbenen
Reise des Bundesinnenministers nach Washington, weiß die Regierung eigenen Angaben
zufolge immer noch: nichts. Oder behauptet das wenigstens.
Das SPIEGEL ONLINE vorliegende Dokument
ist ein Bekenntnis: Die Bundesregierung gibt darin freimütig zu, dass sie bei
der Aufklärung der Ausspähaffäre bislang vollständig versagt hat - wenn auch
nicht in diesen Worten. Konstantin von Notz, einer der anfragenden
Abgeordneten, ist mehr als unzufrieden: "Unseren Fragen zur Ermöglichung
parlamentarischer Kontrolle des Verhaltens der Bundesregierung wird ausgewichen,
es wird verschleiert und bis zur Rechtswidrigkeit geschwiegen", sagt Notz,
und fügt hinzu: "Selbst die NSA hat inzwischen mehr Informationen zu ihrer
Praxis an die Öffentlichkeit gegeben."
Man darf bei der Prüfung der Antworten
der Regierung nicht vergessen, dass weder die NSA noch die US-Regierung jemals
bestritten haben, dass die Dokumente aus dem Fundus von Edward Snowden echt
sind. Im Gegenteil: Sie haben mit der globalen Hetzjagd auf den Whistleblower
und öffentlichen Vorverurteilungen sehr klargemacht, dass es stimmt, was
Snowden zu berichten hat. Sonst müsste man ihn ja nicht jagen. […]
Und dann der elende
Wahlkampf.
Vor ihrem geneigten CDU-Publikum gelingt es
der Kanzlerin wunderbar sich auf Kuchenrezepte und wolkige Allgemeinplätzchen
zu beschränken. Aber bei TV-Interviews kann es immerhin theoretisch vorkommen,
daß ein Frager sich nicht mit einem Zuckerwatteschwall zufrieden gibt und
nachhakt.
Da war die lesbische
Mutter in der ARD-Wahlkampfarena, die nicht einsehen wollte, daß es dem
Kindeswohl entgegenstehe was sie tat und brachte damit die mit ewig-gestrigen
homophoben Klischees hantierenden Kanzlerin in arge Argumentationsprobleme.
Peer Steinbrück wird auch
nicht mehr ignoriert, sondern wird neuerdings von Medien und den K.O.alitionsparteien
als Gegner ernst genommen. So ernst, daß er mit seinem jetzt schon berühmten „Stinkefingerbild“
ein Mem ins Leben rief. Und gerade hatte ich noch geschrieben, die Berliner Parteien wüßten noch nicht mal was ein „Mem“ ist.
Selbst die trägsten
Journalisten verspüren auf einmal den Drang den Charakter Steinbrück genauer
unter die Lupe zu nehmen.
Erst bashte man, lachte
über „Pannen-Peer“ und nun hat es der Mann geschafft gegen einen gewaltigen
medialen Shitstorm mit seinen konstruktiven Klarsprech-Analysen zum geachteten
Problemlöser-Peer aufzusteigen.
Da ist auch seine Person
wieder interessanter. So interessant, daß man seine Gestik mit der ewigen
Luftmöse Merkels vergleicht.
Jetzt hat er auch ein Markenzeichen.
Eines, das sich schnell einprägt, das ohne Worte funktioniert, das jeder kennt.
Ob sich Peer Steinbrück mit seiner Stinkefinger-Pose einen Gefallen getan hat,
sei dahingestellt. Eins hat er aber geschafft: Kurz vor der Bundestagswahl ist
er Gesprächsthema Nummer eins, ein Magazin-Cover spaltet die Republik.
Angela Merkel verbindet man schon länger
mit einer speziellen Geste: ihre seltsam verkrampfte Handhaltung im Stehen.
Einst sorgte die "Merkel-Raute" für Spott, im Wahlkampf wird sie nun
von Strategen auf Riesenplakaten und Kapuzenpullovern vermarktet, um ein
Wunsch-Image zu transportieren: Merkel, die Solide, die Geradlinige, die Verlässliche.
Verglichen damit ist Steinbrücks
Stinkefinger purer Krawall. Das Foto entstand zwar schon vor ein paar Wochen.
Der Kanzlerkandidat wusste aber, dass es erst jetzt erscheinen würde. Sein
Finger ist deshalb als Statement zu verstehen: Er zementiert die Abgrenzung zur
kontrollierten, spröden Kanzlerin. Und macht deutlicher denn je, wie
unterschiedlich sich die Konkurrenten im Endspurt zur Bundestagswahl
inszenieren. [….] Klartext gegen Konsens-Kanzlerin, das ist die Strategie der SPD. Wenn
Merkel sagt: "Manche Löhne sind einfach nicht in Ordnung", dann sagt
Steinbrück: "Ich werde als Bundeskanzler sofort einen gesetzlichen
Mindestlohn von 8,50 Euro einführen."
[….]
Merkel
verprellt mit ihren Das-müssen-wir-uns-im-Detail-anschauen-Wortformeln
niemanden. In der Ästhetik ihres Wahlkampfs bleibt sie stets in der
Komfortzone, geht nie ein Risiko ein.
Steinbrück wird jedenfalls
immer sichtbarer. Selbst sehr politferne Menschen beginnen sich nun mit ihm zu
beschäftigen und sind offenbar recht angetan.
Angie und Fipsi werden so
nervös, daß sie ihre bisher strenge „Ich-sag-nix“-Linie verlassen und sogar
erstmals direkt auf den Kanzlerkandidaten Steinbrück eingehen.
Die Reaktionen des politischen Gegners
kamen prompt. "Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat“, kritisierte
FDP-Chef Philipp Rösler in Mainz am Rande des Konvents seiner Partei. Der
hessische FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn twitterte: “Ein Stinkefinger ist nicht
lustig. Ein Bundeskanzlerkandidat sollte Vorbild sein.“ Aus der CDU hieß es
lediglich: Die Bilder sprächen für sich. Die Grünen wollten sich gleich gar
nicht äußern.
Das kann man wohl nur als
führender Katholik (Rösler sitzt im Zentralrat der Katholiken in Deutschland) mit
speziell entwickelter Moral verstehen:
Schwule diskriminieren, die Krisenherde der Welt mit Waffenexporten zu überziehen, 7 Millionen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen schuften lassen, den Kampf gegen Rechtsextremismus blockieren und ungeniert die eigene Milliardärsklientel bedienen – all das „geht“ offenbar. Aber wenn Steinbrück im SZ-Magazin in einem Gesteninterview (ohne Text) einmal den Mittelfinger zeigt, weiß Rösler „Das geht NICHT!“.
Schwule diskriminieren, die Krisenherde der Welt mit Waffenexporten zu überziehen, 7 Millionen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen schuften lassen, den Kampf gegen Rechtsextremismus blockieren und ungeniert die eigene Milliardärsklientel bedienen – all das „geht“ offenbar. Aber wenn Steinbrück im SZ-Magazin in einem Gesteninterview (ohne Text) einmal den Mittelfinger zeigt, weiß Rösler „Das geht NICHT!“.
In allen Umfragen legte
die SPD zu Lasten der CDU zu. Was SPON schon leicht angeekelt als „Hochrisiko-Wahlkampf“ beschriebt, zeigt
aber schon Wirkung.
Forsa: Seit dem 28.08.13 sackt die CDU um zwei Prozentpunkte
ab, die SPD steigt um drei Punkte an.
Infratest
dimap: Seit dem 29.08.13 sackt
die CDU um einen Prozentpunkt ab, die SPD steigt um zwei Punkte an.
INSA: Seit dem 26.08.13 sackt die FDP unter die 5%-Hürde,
die SPD steigt um drei Punkte an.
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