Durch den reinen Zufall
wurde ich in ein politisches Elternhaus hinein geboren. Es wurde sehr viel über
Außenpolitik diskutiert, es gab immer diverse Zeitungen, natürlich den SPIEGEL
und bis heute würde ich nie zwischen 20.00 und 20.15 Uhr einen Anruf tätigen,
weil „man dann Nachrichten guckt“.
Ich erinnere mich noch
genau, wie ich auf einer Klassenreise, in so einer riesigen Siedlung von Jugend-Häusern in Haren an der Ems von dem
Rücktritt Helmut Schmidts erfuhr und furchtbar geknickt war, obwohl ich seit
einem Jahr aktiv gegen die Nachrüstung demonstrierte und natürlich bei den größten
Demonstrationen der bundesdeutschen Geschichte 1981/1982 dabei war. Aber Kohl war
für uns damals das absolute Grauen. Ein peinlicher Provinzler, für den man sich
die nächsten 16 Jahre schämen sollte.
Ein Thema wie „Pershing II
in Deutschland“ war natürlich ein ideales Mobilisierungsthema.
Es berührte die Ultima Ratio
aller politischen Themen: ATOMKRIEG.
Brauchen wir in einer
Welt, die über genug Atomsprengköpfe verfügt, um den Planeten 100 mal zu
sprengen, noch mehr Pershings und SS20?
Die Schulklassen pilgerten
in Kinos, um sich „Wargames“ und „The day after“ anzusehen.
Man diskutierte ganz
selbstverständlich auf dem Schulhof Johan Galtungs Pläne für passiven
Widerstand im Falle eines Überranntwerdens von der Roten Armee und malte sich
abends beim Zusammenhocken mit seinen Freunden aus, was man tun werde, wenn die
Sirenen den Atomkriegsbeginn verkündeten.
Leidenschaftlich
spekulierten wir, ob man in der Stunde vor dem Einschlag rational genug sein
würde, um schnell in den Hafen zu fahren (wo man das Zentrum der Explosion
vermutete, so daß man wenigstens gleich tot wäre), oder ob einen doch noch ein
Überlebenstrieb dazu zwänge sich im Keller zu verkriechen, so daß man am Rande
Hamburgs möglicherweise überleben könnte (und damit dann widerlicherweise erst
Wochen später an dem radioaktiven Fallout elendig krepieren würde).
Das war gegenwärtiges
Denken.
Zu der Zeit, Anfang der
80er gab es auch noch regelmäßig Probealarme, so daß jeder wußte wie sich die
ABC-Warnungen anhörten.
Ich liebte damals den Willy-Brandt-Satz
„Friede ist nicht alles - aber ohne
Frieden ist alles nichts!“ und stritt in der Schule leidenschaftlich mit den
ganzen JU-Typen für die „lieber rot als tot“, während die Jung-CDU’ler den Tod
unbedingt dem Kommunismus vorzogen.
Kein Wunder, daß damals
die Grünen entstanden und daß Helmut Schmidts Kanzlerschaft enden mußte.
Atomraketen in Deutschland aufstellen zu wollen war so gnadenlos unpopulär, daß
ihm die Linken von der Fahne springen mußten.
Der Effekt war freilich
das was auch heute die aus einer Wahlentscheidung für die LINKE folgt: Eine
CDU-Regierung, mit der dann noch mehr aufgerüstet wird. Schmidt zu stürzen, um
dann 16 Jahre lang Kohl zu wählen, war sicher der Tiefpunkt des urnenpöbeligen
Handelns.
Damals war ich 101% gegen
den NATO-Doppelbeschluß und vertrat diese Meinung so offensiv und
nachdrücklich, daß ich es kaum glauben kann, wenn ich heute gelegentlich denke,
Helmut Schmidt hatte doch Recht.
Tatsächlich erfuhren wir
nach 1990, daß es sehr wohl detailliert ausgearbeitete Angriffspläne der Roten
Armee auf Westdeutschland gab. Und tatsächlich kam es nach der
Pershing-Nachrüstung zu diversen Abrüstungsabkommen zwischen dem Warschauer
Pakt und der NATO – genau wie Helmut Schmidt prophezeit hatte.
Allerdings kann man auch argumentieren, die Chance für die Abrüstung atomarer Mittelstreckenwaffen entstand nur weil mit ausgerechnet die Sowjetunion mit Gorbatschow einen Mann hervorbrachte, der ein völlig neues Denken wagte. Die westlichen Mächte haben sich damals nicht mit Ruhm bekleckert. Reagan nannte die UdSSR „empire of evil“ und Kohl hielt so wenig von Gorbatschow, daß er sein Handeln mit Goebbels verglich.
Allerdings kann man auch argumentieren, die Chance für die Abrüstung atomarer Mittelstreckenwaffen entstand nur weil mit ausgerechnet die Sowjetunion mit Gorbatschow einen Mann hervorbrachte, der ein völlig neues Denken wagte. Die westlichen Mächte haben sich damals nicht mit Ruhm bekleckert. Reagan nannte die UdSSR „empire of evil“ und Kohl hielt so wenig von Gorbatschow, daß er sein Handeln mit Goebbels verglich.
Ich behaupte aber, daß
diejenigen, die damals politisch sozialisiert wurden die Friedensbewegung für
immer in ihren Gegen tragen.
Kriegseinsätze sind bis
heute extrem unpopulär; keine Umfrage ergibt eine Mehrheit für eine deutsche
Beteiligung an militärischen Aktionen.
Grundsätzlich ist das
Thema „Friedenspolitik“ aber abgeräumt. Zu den traditionellen Ostermärschen
verirren sich in den 2010ner Jahren nur noch eine Handvoll Menschen.
Daß die amerikanischen
Atomraketen, die ja immer noch in Deutschland stehen, sogar unter einem Außenminister Guido Westerwelle modernisiert
wurden (er hatte im Wahlkampf massiv für ein
atomwaffenfreies Europa geworben), lockt niemanden mehr hinterm Ofen her. Keine
Friedensdemos, nirgends.
Die heutige Jugend
beeindruckt friedensaktivistisch durch Phlegma.
Umso mehr ärgert es mich,
wenn heutige linke Jugendliche/Schüler/Studenten ungeniert meine Parteien als „Kriegstreiber“
abkanzeln.
Dazu eine Kostprobe eines
20-Jährigen Facebookers aus einer parteipolitischen Diskussion mit mir:
Ich werde sicherlich keine
Kriegsparteien (SPD und Grüne) wählen. Dass dabei die Merkel, die ich nicht
will an die Macht kommt möge mir egal sein.
[…] Insbesondere mein absoluter Lieblingsgrüner
Joschka Kapitalist Fischer war ein richtig guter Politikwissenschaftler mit
extrem fundierten und tiefem politischen Wissen in Theorie (Master of Arts -
University of Yale) wie auch Praxis (scheiße Labern deluxe)
Fischer ist nichts weiter außer ein
Pseudo-Querdenker, der Blut für alles fließen lassen würde und sich nicht mal
anständig artikulieren kann.
(Facebook-Kommentator 10.09.2013)
(Facebook-Kommentator 10.09.2013)
Die Beschreibung „Kriegspartei“
ist erstens eine Frechheit, zweitens falsch und zeugt drittens von totaler
Unkenntnis.
Fischer hat 30 Jahre aktiv
in der Friedensbewegung gekämpft und war zudem die treibende Kraft hinter dem „Nein“
des UN-Sicherheitsrates zu George-Bush’schem Irakkrieg. Im Jahr 2013 herrscht
Konsens darüber, daß dieser Krieg ein fürchterlicher Fehlschlag war und die
Situation verglichen mit einem Saddam-Irak drastisch verschlechtert hat. Keiner
kennt die genauen Opferzahlen, aber selbst die USA geben zu, daß weit über
100.000 irakische Zivilisten massakriert wurden. Mindestens 5 Millionen Iraker
verloren ihre Häuser und/oder flüchteten aus ihrer Heimat.
Das Land ist instabiler
denn je und droht neben einem möglicherweise implodierenden Syrien ebenfalls zu
zerfallen.
In Vergessenheit geraten
ist aber offensichtlich welche extrem scharfer publizistischer Wind Schröder
und Fischer 2002/2003 ins Gesicht blies, nachdem sie sich den amerikanischen
Kriegsplänen entgegen stellten.
Es herrschte das blanke
Unverständnis.
Ich sehe noch vor mir, wie
der damals allgegenwärtige Nahost-Experte Peter Scholl-Latour dem ZDF erklärte,
am Ende werde die USA selbstverständlich auch ein deutsches „ja“ zum Krieg
bekommen; es sei ausgeschlossen, daß Schröder in NY allein an der Seite des
Sicherheitsrat-Mitglied-Landes Syrien gegen Washington stimmen könnte.
Das Fischersche Nein“ zum
Irakkrieg galt damals also so ungeheuerlicher Affront, daß die Oppositionsführerin
Angela Merkel extra nach Washington flog, um dort schleimspurziehend auf Knien
zu GWB zu rutschen und versicherte ein Deutschland unter ihrer Führung stünde
bei den Militärschlägen gegen Saddam ab Bushs Seite.
Ausgerechnet den
Friedensaktivisten Fischer als „Kriegstreiber“ zu bezeichnen, hängt offenbar
mit seinem Einsatz für ein militärisches Vorgehen im Kosovo zusammen.
Der Begriff ist natürlich
zutiefst verletzend und ehrenrührig, weil Fischer Bombardements stets nur als
ultima ratio betrachtete und nicht im geringsten in diesen Krieg „trieb“,
sondern sich die Entscheidung extrem schwer machte.
Auf dem legendären
Farbbeutel-Parteitag 1999 in Bielefeld, den ich damals so atemlos auf Phoenix
verfolgte, daß mir beinahe die Blase platzte, weil ich es nicht wagte eine Minute
vom TV wegzugehen, wurde Fischer sogar körperlich verletzt, zog sich einen
Trommelfellriß zu, der genäht werden mußte.
Ich halte diesen Parteitag
für eine demokratische Sternstunde.
Seit 1999 bin ich übrigens
auch extremer Trittin-Fan, weil ich sehr davon beeindruckt war, wie er in einer
Zehntelsekunde nach der Attacke auf Fischer den verletzten Außenminister mit
seinem Körper schützte. Ein hohes Maß an Anstand und Zivilcourage!
Man konnte sehr viel
darüber lernen, wie Politik funktioniert.
Fischer überzeugt mich mit
diesem Satz bis heute:
„Ich stehe auf zwei
Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie
wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen“
Den 20-Jährigen, die heute
so lapidar von Kriegstreiberei sprechen, möchte ich angesichts des ERFOLGES des
Krieges gegen Milosevic; denn dort herrscht jetzt Frieden, die ehemaligen Jugoslawischen
Republiken streben in die EU, wollen den Euro einführen; fragen was zum Teufel
sie denn gemacht hätten??
Zugucken wie die muslimischen Bosnier abgeschlachtet werden?
Das Milosevic-Regime hatte 100.000 Menschen gekillt, war dabei Genozide durchzuführen, Massenvergewaltigungen anzuordnen und wollte den ganzen Balkan ausrotten.
Das Milosevic-Regime hatte 100.000 Menschen gekillt, war dabei Genozide durchzuführen, Massenvergewaltigungen anzuordnen und wollte den ganzen Balkan ausrotten.
Hätten wir da einfach
weiter zusehen sollen und uns einen schlanken Fuß machen können?
Die Menschen in Massen
sterben lassen, ohne uns zu kümmern?
Dieser Militäreinsatz, um
einen ethnischen Krieg vor unserer Haustür zu beenden war verdammt noch mal
richtig. Vermutlich die einzig mögliche Entscheidung unter lauter beschissenen
Alternativen.
Fischer und Schröder haben
einen hohen Preis gezahlt, es sich extrem schwer gemacht, aber sie haben es
richtig gemacht.
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