Und schon wieder einmal
zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu
küren.
Das kann heute natürlich
nur der Bundestagswahlkampf sein.
So eine
Verblödungsveranstaltung, die in dreifacher Weise deprimiert.
1.)
Die Bundestagsparteien,
die es für unzumutbar halten das Volk mit Fakten zu konfrontieren, stattdessen
austauschbare Wohlfühlbildchen inszenieren und versuchen jedes kritische Denken
im Keim zu ersticken.
Steinbrück ist
diesbezüglich zwar eine löbliche Ausnahme, indem er tatsächlich konkret wird;
hat aber gegen die Schlafwagen-Kampagne der katholisch-religiotischen Nahles
keine Chance sich durchzusetzen.
Gabriel, der teilweise
während des Wahlkampfes urlaubt und dann auch noch den eigenen Kandidaten
mehrfach ohne Not durch Widersprüche behindert, hat sich als Parteiführer
dieser Form disqualifiziert. Das ist umso bedauerlicher, weil er eigentlich
blitzgescheit ist und durchaus brillieren kann.
Im CDU-Kanzlerwahlverein
ist die Lage naturgemäß einfacher. Daß ein Gros der Minister als notorische
Lügner überführt wurde und quasi nicht ein einziges Projekt aus dem Koalitionsvertrag
von 2009 umgesetzt wurde, schadet kaum, weil alles sowieso nur auf die deutsche
Präsidentin Merkel guckt.
Noch mal zur Erinnerung
ein kleines Beispiel: Im schwarzgelben Koalitionsvertrag steht, daß man das
Mehrwertsteuerchaos mit den absolut nicht mehr nachvollziehbaren verschiedenen
Steuersätzen vereinheitlichen will und dazu eine Kommission einsetzen werde. In
vier Jahren hat diese Kommission nicht ein einziges Mal getagt. Stattdessen hat
die Koalition das Mehrwertsteuerrecht mit einer weiteren Ausnahme („Mövenpicksteuer“)
weiter chaotisiert. Der Finanzminister betreibt glatte Arbeitsverweigerung. Das
muß man mit der Schulnote „Ungenügend“ bewerten. Aber der Wähler findet ihn
trotzdem toll.
2.)
Das Wahlvolk bemüht die
von Parteien unterstellte Dummheit noch zu übertreffen und belohnt die
inhaltslosesten Gaga-Kampagnen mit den größten Zustimmungswerten. Spricht
Steinbrück in einem Satz drei Konkrete Punkte an, wird das sofort als „abgehoben“,
„unverständlich“, „schwierig“ und „arrogant“ gebrandmarkt. Und dann kommt er
auch noch mit Zahlen und spricht so schnell…
Das mag der Urnenpöbel gar
nicht. Mit der Realität konfrontiert zu werden, empfindet der gemeine Teutone
als Zumutung.
Zinspolitik, Konjunktur-Stimulantien,
internationale Verpflichtungen und Verflechtungen – all das, was tatsächlich
auf der Agenda steht, wird als zu kompliziert angesehen.
Der Wähler reagiert offenbar
nur auf kleine Summen. Er will mehr Geld und seine Ausgaben sollen sinken, weil
Benzin, Strom, Lebensmittel und Mieten möglichst billig zu sein haben.
Ansonsten gerät der gesättigte Ankreuz-Phlegmatiker höchstens noch in Wallung,
wenn man ihn mit etwas Xenophobie füttert. NUR DIE AUSLÄNDER sollen Maut
zahlen, fordert Seehofer und bringt damit seine CSU an die 50% - wohlwissend,
daß so eine Regelung aus EU-rechtlichen Gründen schlicht unmöglich ist. Und dann
dieses „Asylmissbrauch!“ Da hört man gerne hetzerische Worte von Innenminister
Friedrich gegen Roma und bulgarische Wanderarbeiter.
Auch hier spricht die
Realität eine ganz andere Sprache. Die Zahl der Asylanträge liegt derzeit etwa
bei einem Fünftel dies Niveaus der 1990er Jahre und sowohl Rumänen, als auch Bulgaren
sind ohnehin keine Asylanten, sondern ganz normale EU-Bürger, die das Recht
haben innerhalb der EU dahin zu reisen, wohin sie wollen. Genauso ist es jedem
deutschen erlaubt an die schöne Schwarzmeerküste zu ziehen.
3.)
Die sogenannten Journalisten,
die sich einst mit Viagra-Begriffen wie „vierte Gewalt im Staate“ oder „Sturmgeschütz
der Demokratie“ priesen, haben sich kollektiv vom Merkel-Mehltau einlullen
lassen.
Sie beklagen zwar die
inhaltliche Leere des Wahlkampfes, tun aber nichts dafür, um Spannung aufkommen
zu lassen. Sie stellen die Kandidaten nicht, nehmen Parteiverlautbarungen
lustlos zur Kenntnis und fühlen sich schon als ungeheuer aufmüpfig, wenn sie in
einer 500.000-Mitgliederpartei eine Stimme finden, die dem Gesagten der Person
im Rampenlicht widerspricht.
Daß vier Jahre überhaupt
nicht regiert wurde, daß sich Schwarzgelb für jeden wachen Beobachter klar
ersichtlich disqualifiziert hat, wird zwar gelegentlich rekapituliert*, aber
nicht als Argument in den Wahlkampf eingebracht.
Ein schlimmes Zeichen ist
die Besetzung der Frager-Bank des großen TV-Duells, das wir heute Abend
ertragen mußten.
Da sind Klöppel und
Illner, weil die eben immer dabei sind und schon bei den letzten Duellen strikt
vermieden Spannung aufkommen zu lassen. Neu war Anne Will, deren Unfähigkeit Antworten
zu bekommen (weil sie nur stur ihren Fragenzettel abarbeitet) schon dafür
sorgte, daß man ihr ihre grottige Sonntags-Talkshow wegnehmen mußte. Und als
Vierter in der Runde wird konsequenterweise gleich ein Kasper aus dem
drittklassigen Privatsender-Trash-Shows geladen, der sich ansonsten im
Adamskostüm bei Bauchplatscher oder mit dem Hintern in einem Wok sitzend auf
einer Eisbahn filmen läßt. Wieso hat man diesen Jacketkronenunfall engagiert?
Lothar Matthäus hätte doch sicher auch Zeit gehabt!
A priori und a posteriori
durfte Quiz-Moderator Jauch, der sich vor Monaten schon mit einem vollkommen devoten
Stichwortgeber-Interview mit der Kanzlerin als politisch unfähig erwiesen
hatte, mit weiteren Gästen plappern.
Hierzu lud er die
unvermeidliche Alice Schwarzer und den genialen Propheten Hans-Ulrich Jörges
ein. Letzterer hatte von 1998 bis 2002 so heftig gegen Rotgrün agitiert und so
massiv für die FDP geworben, daß er sich während des Wahlkampfes 2002 (Schröder
gegen Stoiber) weigerte überhaupt in Betracht zu ziehen, daß Schröder gewinnen
könnte – so sicher sei es, daß im Herbst Stoiber Kanzler werde.
Außerdem in der Runde ein
bärtiger bayerischer Fussballer, der offenbar eingeladen war, weil Lothar
Matthäus doch andere Verpflichtungen hatte.
CDU-Mann Jörg Schönborn,
der für die ARD mit Zahlen jonglieren darf, fragte entsprechend der neuen
politischen Selbstkastrierung der ARD die Zuschauer nur nach schwammigen
Gefühlen.
Wen fanden sie
sympathischer? Bloß keine Politik, keine Fakten, nichts Greifbares.
Der Erkenntnisgewinn war
entsprechend.
Duell, Zweikampf, es waren große Worte,
mit denen die TV-Debatte zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück angekündigt
wurde. Aber, ganz ehrlich, ein TV-Duell sieht anders aus. Da geht es um
Emotionen, echten Streit, da wird auch mal richtig attackiert, geholzt.
Nichts davon war bei diesem freundlichen
Geplauder zu sehen oder zu hören.
Stattdessen: gepflegte Langeweile,
Herunterbeten von Parteiprogrammen. Keine Leidenschaft, nirgends. Ein Null zu
Null zwischen den Kontrahenten ist das Ergebnis. Das war's. Dieses TV-Duell war
kein Beispiel für lebendige Demokratie, sondern eine Enttäuschung.
Angela Merkel hat das getan, was sie
immer tut: Sie hat das Statistische Bundesamt zitiert. Sie hat schöne
Worthülsen mit wenig Inhalt von sich gegeben. Kalendersprüche: "Jeder
Mensch muss in Würde altern können." Oder: "Jeder Mensch bekommt die
Gesundheitsversorgung, die er braucht." Ja, wer will da widersprechen?
Merkel merkelte, umarmte den Gegner,
wich unangenehmen Fragen aus.
Eine erfolgreiche Methode.
RTL und ZDF sehen sie als „Siegerin“ des TV-Duells.
Die Fragenden taten ihr
den Gefallen Steinbrück mit dümmlichen persönlichen Anspielungen schlecht
aussehen zu lassen.
Verdienen Politiker ihrer Meinung nach genug?
Sind sie privat versichert?
Lächerlich.
Die strittigen Punkte, die
Merkel schlecht aussehen lassen hätten, wurden natürlich von allen vier Fragern
devot unter den Tisch fallen gelassen.
Keine Fragen zu
Waffenexporten in den Nahen Osten, keine Frage zur Doppelten
Staatsbürgerschaft, keine Frage wieso die CDU den Homosexuellen Rechte
verweigern will, etc.
*
Nichts
weniger als „die geistig-politische Wende“ wurde damals vom Vizekanzler
ausgerufen.
Nicht
gerade originell die Regierung an ihren eigenen Worten zu messen.
Aber
notwendig.
Der
neutrale dpa-Text, der so in jeder Zeitung von taz bis FAZ erscheinen könnte,
ist ein
Dokument
des Totalversagens von CDU/CSU und FDP.
Licht und Schatten in schwarz-gelber Bilanz
Der Koalitionsvertrag von Union und FDP enthält viele Großprojekte, die
nicht realisiert wurden. […]
Steuern: Die
angekündigte Steuerentlastung um bis zu 24 Milliarden Euro im Jahr blieb aus.
Eine Minireform, durch den Umbau des Einkommensteuersystems die "kalte
Progression" zu mindern, scheiterte am Widerstand der Länder. Vom Tisch
ist ein Stufentarif. Gescheitert sind eine Reform der Gewerbesteuer und eine
Neuregelung der Kommunalfinanzen. Die Reform des Mehrwertsteuersystems wurde
verfehlt. Das Steuerabkommen mit der Schweiz trat wegen des Länderwiderstands
ebenfalls nicht in Kraft. Pläne zur breiten Vereinfachung der
Unternehmensbesteuerung wurden aus Kostengründen aufgegeben. […]
Banken: Die Neuordnung
der Bankenaufsicht wurde nicht so umgesetzt wie geplant. […]
Energie: Zunächst
hatte die Regierung 2010 eine deutliche Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke
beschlossen. Dann sorgte sie 2011 nach der Reaktorkatastrophe im japanischen
Fukushima mit einer 180-Grad-Wende für den Atomausstieg bis 2022. […] Eine Kostenreform scheiterte an der
Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern. […]
Justiz: Das
Dauerstreitthema Vorratsdatenspeicherung wird wohl bis zum Ende der
Legislaturperiode ungelöst bleiben.
[…]
Rente: Das gegen
Altersarmut vereinbarte Konzept einer Lebensleistungsrente wurde auf die Zeit
nach der Wahl verschoben. […].
Auch die Besserstellung älterer Mütter bei der Rente muss noch warten. Nicht
umgesetzt wurde die im Koalitionsvertrag versprochene Rentenangleichung in Ost-
und Westdeutschland.
Gesundheit: Das seit
Jahren geplante Gesetz zur Gesundheitsvorsorge ist in der letzten Sitzungswoche
von der Koalition im Bundestag beschlossen worden. Angesichts der ablehnenden
Haltung von SPD und Grünen ist aber sehr fraglich, ob das Gesetz noch durch den
Bundesrat kommt. […]
Pflege: "Wir
wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit",
verabredeten Union und FDP 2009. Die Demenzkranken sollen verstärkt in die
Pflegeversicherung eingruppiert werden. Noch Ende Juni legte ein Expertenbeirat
Vorschläge vor – eine entsprechende Reform in dieser Wahlperiode ist aber nicht
mehr möglich. […]
Verteidigung: Hier
haben Union und FDP gegen ihren Vertrag verstoßen. Sie wollten den Wehrdienst
von neun auf sechs Monate verkürzen, aber die Wehrpflicht erhalten. […]
Wo,
zum Teufel, wurde hier denn überhaupt mal „Licht“ gesehen?
Ich finde das durchgehend schattig.
Ich
sehe da nur schwarz, und zwar dunkelschwarz!
Das
dürften auch konservative Journalisten ruhig so nennen.
Schließlich
handelt es sich dabei um Tatsachen.
Diese
Lobbyisten-Erfüllungstruppe hat kein moralisches Recht wiedergewählt zu werden.
Und
das ist das Mindeste, das ich von den Hauptstadtschreiberlingen erwarte.
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