Freitag, 7. Februar 2020

Das politische Immunsystem

Als linksgrünversiffter Misanthrop und Antinatalist fühle ich mich in meiner Weltsicht seit Jahren immer mehr bestätigt.
Internetfilterblasen, Zeitungssterben, Rechtsradikalismus und Hassverbrechen weltweit auf dem Vormarsch, Brexit, Trump, Impeachment-Freispruch, absolute Mehrheit für Boris Johnson, absolute Mehrheit für Erdoğans Verfassungsreferendum, Duterte, Bolsonaro, das Welt-Versagen bei Klimakonferenz von Madrid, immer mehr SUVs, mehr Plastikflaschen, mehr Flüge, mehr Fleischkonsum, mehr Rüstungsausgaben, rasante Umverteilung von unten nach oben.
Unter all diesen Vorzeichen wäre ein Corona-Virus 2.0, der schnell und konsequent den Homo Sapiens von dieser Erde tilgt durchaus zu begrüßen.
Ein auf Homo Sapiens beschränktes Virus wäre ohnehin meine bevorzugte Ausrottungsmaßnahme, weil er anders als Atombomben oder Umweltvergiftung die Flora und Fauna in Ruhe ließe.
Das gefiele mir wirklich, wenn sich Riffe, Wälder, Eismeere regenerieren könnten, Tiere wieder den Lebensraum gewännen, um zu gedeihen.
Man wird doch träumen dürfen.

Nach dem totalen Desaster der FDP und CDU, die vorgestern den Pakt mit dem Teufel eingingen und nun verzweifelt zappelnd daran scheitern den Scheiße-Geruch wieder loszuwerden, werde ich zynischer Groß-Pessimist mit etwas Ungewohnten konfrontiert.
Nämlich Zeichen der Hoffnung. Offenbar gibt es doch in Deutschland so etwas wie ein politisches Immunsystem, das bei Akut-Infektionen schnell und heftig reagiert. Und wirkt.

Es sind eben nicht nur ein paar Provinz-Parlamentarier von FDP und CDU, die sich zum politischen Petting mit dem Faschisten Bernd Höcke entschieden, sondern es handelt sich um ein drastisches Führungsversagen der schwarzen und gelben Bundesvorsitzenden.


 Ein Führungsversagen, das noch drastischer wirkt, weil ausgerechnet CSU-Chef Söder sofort die Tragweite des Desasters begriff und richtig reagierte.
Zu allem Übel logen AKK und Lindner noch sehr dreist, indem sie zuerst so taten, als sei alles völlig unerwartet passiert. Auch dem alten Haudegen Kubicki, der seit Jahrzehnten Bundespolitik macht, hatten alle Instinkte verlassen.
Dabei war Höckes Plan lange bekannt.

[….] Wie überraschend kam die AfD-Hilfe für den FDP-Kandidaten wirklich? Ein Brief an den "sehr geehrten Herrn Kemmerich" lässt tief blicken. Schon am 1. November 2019 schickte Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke eine klare Offerte an den FDP-Kollegen Thomas Kemmerich und in Kopie auch gleich noch an den CDU-Landesvorsitzenden Mike Mohring. Nach der Wahl in Thüringen sei zwar klar, dass deren Parteien keine Koalition mit der AfD wollten. Aber Höcke bot "neue Formen der Zusammenarbeit" an. Etwa eine "von unseren Parteien gemeinsam getragene Expertenregierung oder eine von meiner Partei unterstützte Minderheitsregierung".
Das AfD-Schreiben, das am Donnerstag in Berlin kursierte, nährt nicht nur Zweifel an der Version Kemmerichs, von der Zustimmung der AfD nichts geahnt zu haben. Es zeigt auch, wer da im Hintergrund die Strippen zog. […..]
(Markus Basler, SZ, 07.02.20)

Aber all das was Schwarz und Gelb fehlt, zeigten umso schneller Aktivisten, Journalisten und sogar das ganz normale Volk.

In Windeseile erhob sich nicht nur die Social-Media-Empörung, sondern die Parteizentralen in Thüringen, Berlin und auch im heiß wahlkämpfenden Hamburg wurden von wütenden Demonstranten umlagert. "Keine Glatze als MP", "So viel Anstand wie Haare!", "Wir haben sie umzingelt!" ist auf den Demo-Plakaten zu lesen.

[….] Demo gegen Faschismus in Hamburg
 Unter dem Motto „Kein Fussbreit! Gemeinsam gegen Faschismus“ versammelten sich die Demonstranten zur Kundgebung in der Nähe des Hauptbahnhofs und marschierten weiter über die Mönckebergstraße. Die Abschlusskundgebung fand in der Nähe der Landesgeschäftsstelle der FDP am Hopfenmarkt statt.
Bereits vor zwei Tagen waren nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen mehr als tausend Menschen in Hamburg auf die Straße gegangen und vor die Büros der CDU, AfD und FDP in der Innenstadt gezogen. Sie protestierten gegen die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP), der sich mit AfD-Stimmen hatte wählen lassen. [….]

Als Christian Lindner noch eierte und den Überraschten mimte – obwohl AKK schon Tage vorher mit ihm über genau dieses Szenario sprach und ihn bekniete Kemmerich nicht im dritten Wahlgang antreten zu lassen – hatten Myriaden Menschen längst begriffen was wirklich lief. Bundesweite Demonstrationen brachen los, als die Tölpel Lindner und Kubicki sich noch über einen FDP-MP freuten.

[…..] Noch in der Woche zuvor hatte Björn Höcke in demselben Plenarsaal für einen gemeinsamen "bürgerlichen Kandidaten" von CDU, FDP und AfD geworben: "Wir können so viel gemeinsam erreichen." Helfe die CDU hingegen Bodo Ramelow ins Amt, sei das ein "politischer Sündenfall". Auch solche Sätze fügen sich ins Bild einer gar nicht so raffinierten Finte der AfD. In welchem Mischverhältnis Dummheit, verheerendes Kalkül und Verantwortungslosigkeit CDU und FDP dazu gebracht haben, auf diese Finte einzugehen, spielt in den nun folgenden Stunden praktisch keine Rolle. Entscheidend ist, dass sie sich darauf eingelassen haben. [….]

Und auch am Tag drei nach dem Desaster, nach der großen Aufwallung des politischen Immunsystems verweigern sich die Konservativen hartnäckig der Realität, glauben ernsthaft ausgerechnet SPD, Linke und Grüne wären öffentlich für den Schlamassel verantwortlich zu machen, in den AFDP und CDU bereitwillig hopsten.

[….] Teil der kuriosen Strategie Kemmerichs ist es, nach seiner Wahl an die "staatspolitische Verantwortung" von Grünen und SPD zu appellieren.
Was die von diesem müden Trick halten, erfährt man beim SPD-Mann mit den Blumen. Am Telefon sagt Matthias Hey, Kemmerich habe ja selbst eine Chance gehabt, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen, im dritten Wahlgang, "und die hat er missbraucht. Er hätte ein großer Liberaler werden können, wenn er die Wahl nicht angenommen hätte. Aber den Spieß jetzt umzudrehen und zu sagen, ich bin zwar mit Hilfe von Extremisten gewählt worden, aber wenn ihr nicht wollt, dass Extremisten regieren, dann müsst ihr mit mir zusammenarbeiten, das ist erstens instinktlos und zweitens unverschämt." [….]

Politische Hygiene kann man nicht von den Schmutzfinken im Genscher- und Adenauerhaus erwarten.
Daher wachsen diese Woche rot und rot und grün weiter zusammen.
Erstaunlicherweise stellen sich sogar die SPD-Mitglieder geschlossen hinter ihre wenig geliebte neue Führung. Aber Esken, Klingbeil und Walter-Borjans machen alles richtig.

Das dämmert auch den Hamburgern.

[….] Kennen Sie das Hundescheiße-Problem? Man tritt morgens in einen Kothaufen – und was man auch macht, den Gestank kriegt man erstmal nicht mehr los. Wo man hinkommt, müffelt es und die Leute rümpfen die Nase.
So wird es CDU und FDP jetzt im Hamburger Wahlkampf gehen. Deren Parteifreunde in Thüringen sind in einen extragroßen Haufen getreten – und der üble Gestank zieht bis nach Hamburg.
CDU und FDP paktierten auch in Hamburg mit Rechtsaußen
Schon wird fleißig daran erinnert, dass CDU und FDP vor nicht allzu langer Zeit in Hamburg mit Ronald Schill paktierten und den aktuellen Hamburger AfD-Chef damals zum Innensenator machten – eine grundsätzliche Flexibilität nach rechts ist da schwer abzustreiten. [….]

Das konservative und übermächtige Hamburger Abendblatt prognostiziert ein Desaster für die CDU und die FDP. Eine „Deutschland-Koalition“ ohne die Grünen sei quasi vom Tisch und Fegebank werde in ihrer Partei keine Freunde mehr für Grün-Schwarz finden.
Eher Konservative, die nicht gern eine Grüne als Bürgermeisterin haben, neigen nun stark dazu SPD-Bürgermeister Tschentscher zu wählen.

Ausgerechnet in Höcke-affinen Thüringen funktioniert das politische Immunsystem scheinbar besonders gut.
Eine neue FORSA-Umfrage illustriert wieso sich die Landes-CDU trotz der tobenden AKK immer noch Neuwahlen verweigert: Totalabsturz für FDP und CDU, Rekordergebnis für die LINKE.


[….] Mit 72 Prozent gaben fast drei Viertel der Befragten an, dass der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich seine Wahl zum Ministerpräsidenten mithilfe der AfD nicht hätte annehmen sollen. Eine Mehrheit in Thüringen hätte gern den alten Ministerpräsidenten wieder: 65 Prozent bedauern der Umfrage zufolge, dass Ramelow nicht mehr Regierungschef ist. Wenn die Thüringerinnen und Thüringer ihren Ministerpräsidenten direkt wählen könnten, würden sich 64 Prozent für Ramelow entscheiden. [….]

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