Dienstag, 12. Oktober 2021

Unangenehme Antiquitäten.

Die USA als sehr junge Nation, die zudem auch noch ohne Adelsfamilien und Fürstenhäuser auskommen muss, sind fasziniert von Traditionen und Antiquitäten.

Mit Stolz, Ehrfurcht und Staunen betonen sie über 100 jährige Gebäude oder Firmen. Auf CNN gibt es ein tägliches Segment Brands that have thrived for 100 years, in denen diese uralten Unternehmen vorgestellt werden.

Meine Cousins in den USA verwenden mit großer Begeisterung, in Anlehnung an historische Beinamen, eine Nummerierung in römischen Ziffern. Das größte Unglück von Albert August I., der nach seinem Großvater benannt wurde und seinen Sohn Albert August II. genannt hat, besteht darin, daß sein Vater anders hieß. Anderenfalls wäre sein Sohn sogar schon ein Albert August IV. Der Vierte ist in den USA schon eine Menge.

In Europa existieren viele über 1000 oder gar 2000-jährige Städte. Hamburg existiert als Siedlung etwa 1.500 Jahre, das Erzbistum Hamburg wurde 832 gegründet. Wir sind also jung im Vergleich zu Aachen oder Augsburg, sogar sehr jung, wenn man auf Rom oder Athen blickt. Für US-Amerikaner sind 1.000 Jahre Geschichte hingegen eine nicht mehr geistig zu erfassende Ewigkeit.

In ihrer Begeisterung für Historisches betreiben Amerikaner einen bizarren Kult um alles, in dem man sich verewigt. High-School-Jahrbücher, oder College-Abschluss-Feiern und Fotos werden wie Reliquien verehrt.

In meinem Hamburger Gymnasium gab es irgendjemand, der ein „Abi-Heft“ zusammenstellte, aber dafür interessierte man sich wenig. Die Hälfte der Schüler ließ sich ohnehin nicht fotografieren und kümmerte sich nicht um die Nachwelt. Von mir gibt es natürlich auch keine Bilder und das Abi-Heft, das ich damals für 2 DM erwarb, habe ich längst verloren.  An der Uni existierte der Gedanke gar nicht erst. Dort wurde niemals ein Gruppenbild gemacht oder eine Jahreschronik erstellt.

Man kennt es aber aus US-amerikanischen Serien; da läuft es ganz anders. Sogar im lokalen Fast Food-Shop gibt es eine Tafel mit Mitarbeitern des Monats und eine Ahnengalerie der Chefs.

Bei der allgegenwärtigen Rückbesinnung auf die nationale Geschichte, stößt man überall auf Verewigungen früherer Chefs, Firmeninhaber, Präsidenten. Vielfach auf Portraits, aber eben auch auf Geldscheinen, in Monumenten und Statuen.

Diese Galerien all der früheren Dekane an Universitäten oder Chefärzte in Krankenhäusern, sollen die jungen Amerikaner, die dort lernen, inspirieren. Gebannt kann man auf die Großen gucken, die vor einem waren und an die sich die Nachwelt ehrfürchtig erinnert.

Allerdings gilt das nur für weiße Männer.

Denn nahezu alle Ahnen der USA waren weiße, rassistische Männer. Frauen oder gar Dunkelhäutige existieren so gut wir nirgends als sichtbare Vorbilder. Eine subtile und perfide Methode, um kleinen Mädchen oder schwarzen Schülern zu zeigen, wo schon mal nicht ihr Platz sein soll: An der Spitze. Statuen werden nur für weiße Männer erreichtet, die zudem sagenhaft reich, aber möglichst auch Waffennarren und Sklavenhalter waren. Die Andrew-W.-Mellon-Stiftung hat in ihrem MONUMENTS PROJECT die US-amerikanischen Statuen und Standbilder ausgewertet.

[…..] Noch immer stehen 59 [Statuen des Sklaverei-Verfechters] Robert E. Lees in den USA herum. Und sie sind in guter Gesellschaft. Fast 50 000 Statuen sind in verschiedenen Datenbanken erfasst und in historischen Dokumenten erwähnt:[…..]  Fast alle Menschen, denen die Vereinigten Staaten ein Denkmal setzen, sind weiß, fast alle männlich, fast alle waren reich, viele haben eine Waffe in der Hand. Zu den 50 am häufigsten vertretenen Personen gehören elf Präsidenten und zwölf Generäle, darunter auch Lee. Am häufigsten zu sehen: Abraham Lincoln, George Washington und Christopher Columbus, der nie einen Fuß auf das nordamerikanische Festland setzte und dort heutzutage eine enorm umstrittene Figur ist. Die Hälfte der Personen auf der Top-50-Liste versklavte Menschen. Mehr als ein Drittel war in reiche Familien hineingeboren. Mehr als drei Viertel besaßen Land. Nur fünf sind nicht weiß. Gerade einmal drei Frauen schaffen es unter die ersten 50. […..] 

(Süddeutsche Zeitung, 10.10.2021)

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