Normalerweise neige ich gar nicht dazu, mich übermäßig aufzuregen und kann gerade besonders schlechte Nachrichten sehr gefasst und rational aufnehmen.
Ich habe in meinem Leben schon sehr viel Wartezeit vor Intensivstationen verbracht, weil ich mehrfach der alleinige Inhaber der Patientenverfügung und Entscheidungsträger war. Wenn es zum Beispiel um die eigenen Eltern geht – und ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu meiner Mutter – ist es natürlich emotional katastrophal von den Intensivmedizinern zu hören, daß es nun aber wirklich dem Ende entgegen geht. Die Option, die einige Freunde und Verwandte wählten, nämlich mit dem Hinweis, sie wären zu sensibel, der Situation nicht gewachsen, einfach nicht ins Krankenhaus zu kommen, gab es für mich nie.
Sehr oft beobachtete ich in der Situation, wie Angehörige anderer Patienten von den schlechten Nachrichten eines Arztes völlig überrascht wurden, laut losheulten, hysterisch wurden, die Nachricht einfach verneinten oder gar wegliefen.
Anfangs habe ich mich immer gewundert. Denn es nützt ja nicht nur nichts, sich derartig aufzuregen; es ist im Gegenteil schädlich, weil man gerade in so einer Situation rational besonders gut funktionieren sollte, um konzentriert jede Information aufzunehmen.
Später vermutete ich eine andere kulturelle Prägung. Es könnte womöglich psychologisch heilsam sein, wenn man, wie beispielsweise die Wiener, ein riesiges Brimborium um den Tod veranstaltet. Wenn man, wie orientalische Klageweiber, mal ein paar Stunden alles rauslässt, ist man vielleicht anschließend irgendwie befreit. Als Kind habe ich erlebt, wie eine österreichische Bekannte meiner Eltern, sich bei der Beerdigung ihres Mannes, tatsächlich laut kreischend auf den Sarg warf, die Kiste umklammerte und schrie „Verlass mich nicht, mein Heinz!“ Eine halbe Stunde später beim Leichenschmaus konnte sie schon fast wieder lachen.
Inzwischen glaube ich aber, die Unfähigkeit rational mit dem Tod umzugehen, rührt aus der Verdrängung solcher Gedanken. Die meisten Leute beschäftigen sich nicht mit der eigenen Vergänglichkeit, lagern Krankheiten aus, verbannen jede Vorsorge aus ihren Gedanken. Wenn es aber doch auf sie hereinbricht; und es trifft nun einmal jeden; fallen sie aus allen Wolken vor Schreck.
Daher rate ich schon seit vielen Jahren allen Menschen, auch sehr Jungen, alle Vorbereitungen zu treffen. Ich hatte schon Organspenderausweise und einen Beerdigungsvertrag, bevor ich 30 Jahre alt war.
Inzwischen habe ich längst auch alle anderen Dinge geregelt. Patientenverfügung, Generalvollmacht, Pflegevorsorge, Testament. Zu wissen, daß es dabei keine Ungewissheiten gibt, beruhigt ungemein.
Als ich zuletzt operiert wurde, mir ein Pfund Altmetall aus dem Bein geholt wurde, war das natürlich ein Routineeingriff, der nicht ernsthaft Besorgnis erregte. Dennoch lagen ein bis zwei Stunden Vollnarkose vor mir. Ich hatte eigentlich ganz gute Laune und freute mich das Zeug los zu werden. Nur buchstäblich auf dem allerletzten Meter, als ich schon nackt auf so einem Metalltisch vor dem OP lag und eine 12-Jährige Anästhesisten kam, die es trotz meiner völlig normalen Venen, einfach nicht schaffte eine Zugang zu legen und zunehmend panisch an den absurdesten Stellen meines Körpers rumpiekste, sagte ich noch freundlich „das ist ja schließlich ein Lehrkrankenhaus“, dachte aber im Stillen ‚verdammt, warum muss ausgerechnet ich jemand erwischen, der das zum ersten mal macht?‘. Aber dann dachte ich an meine Sitzungen im Notariat und war einfach nur beruhigt: Ich habe für alles vorgesorgt. Wenn ich nicht mehr aufwache, gibt es keine Unklarheiten. Irgendwann muss ja Schluss sein und wenn es mich jetzt treffen sollte, hätte ich das Glück ohne Schmerzen und langes Siechtum abzureisen. Aber im nächsten Moment kam ich dann schon im Aufwachraum zu mir.
Als mein Corona-AG-Test positiv war, später auch das positive PCR-Ergebnis kam, war ich verblüffenderweise doch etwas geschockt.
Das passt nicht zu mir und ich erkläre es mir damit, daß ich wegen meiner extrem vorsichtigen Lebensweise offensichtlich insgeheim nie wirklich damit gerechnet hatte, mir selbst Covid einzufangen. Dabei deuteten die Symptome schon sehr stark darauf hin.
Vielleicht war der Moment, es schwarz auf weiß zu sehen, auch nicht schockierend genug, mich in meinen superrationalen Krisenmodus runter zu fahren.
„Ich habe Omikron!“ – wie klingt das denn? Daran muss man sich kurz gewöhnen.
Inzwischen habe ich diese psychische Miniklippe aber überwunden. So ist es nun mal. Liest man die Prognosen über das Omikron-Infektionsgeschehen, die katastrophalen Auswirkungen auf die „kritische Infrastruktur“ nach, könnte man daraus fast schließen, Glück zu haben, ganz am Anfang der supersteilen Welle zu reiten, bevor alles zusammengebrochen ist.
Vom Gesundheitsamt habe ich immer noch keinen Pieps gehört, weder die versprochene Email, noch der Anruf, der mich über die Verhaltensmaßnahmen aufklärte, kam.
Aber wie genau „häusliche Quarantäne“ zu verstehen ist, kann man beispielswiese bei der Verbraucherzentrale nachlesen und sich anschließend wieder einmal freuen, allein zu leben.
Quarantäne mit Mitbewohnern, mit denen man sich Bad und/oder Küche teilt, ist viel schlimmer. Schön allein über Weihnachten, verbringe ich die Covid-Krankheit mutmaßlich noch am angenehmsten.
Das soll bitte aber nicht als Plädoyer für eine dieser grotesken bayerischen Leberkäs-Partys verstanden werden. Es macht keinen Spaß und ist schon deutlich mehr als eine fiebrige Erkältung!
Wie heftig meine Symptomatik ohne meine beiden BioNTech-Spritzen wäre, mag ich mir gar nicht ausmalen.
An Tag sechs klingen die Symptome weiter ab; Nase zu, nur noch leichte Kopfschmerzen, Müdigkeit, ständiger trockener Husten, der ganze Schädel brummt etwas.
Und es brummt gleich noch ein bißchen mehr, wenn ich mich wieder der Nachrichtenlage zuwende.
Die FDP lädt gerade gewaltige Schuld auf sich, indem sie maßgeblich das unnütze Sterben in dieser Pandemie, durch Blockade der Gegenmaßnahmen, anheizt.
[….] Es ist vor allem die Rücksicht auf die FDP, die die deutsche Coronapolitik schon seit Wochen prägt und hemmt. Das gibt so gut wie jeder aus dem Kreis der Sozialdemokratie und der Grünen zu, [….] Schon das Ende der »pandemischen Lage von nationaler Tragweite« wurde vor allem auf Drängen der FDP ausgerufen. Inzwischen bereut fast jeder Fachpolitiker diesen Schritt, [….] Nun, da es notwendig wäre, sich auf die anstehende Omikron-Welle vorzubereiten, reagiert die Ampelregierung träge. Intern hat die FDP-Führung dem Bundeskanzler längst zu verstehen gegeben, dass sie einen weiteren Lockdown unter keinen Umständen mittragen werde. Nur halten viele Wissenschaftler genau diesen für notwendig. [….] Die Liberalen haben in der Pandemie ihren Maßnahmenskeptizismus zum Markenkern erhoben und damit im Wahlkampf Stimmen geholt. [….] Unter Gesundheitspolitikern von SPD und Grünen kursiert hinter vorgehaltener Hand bereits ein Witz: Natürlich tut die FDP in der Coronakrise alles, um das Sterben zu verhindern. Nachsatz: vor allem das Kneipensterben. [….] Im Wahlkampf hatten prominente Liberale noch einen »Freedom Day« gefordert, also das baldige Ende sämtlicher Maßnahmen. Einer der Lautesten war Parteivize Wolfgang Kubicki. »Wir brauchen den Freedom Day so schnell wie möglich, weil die Menschen mittlerweile mental am Ende sind mit den Maßnahmen«, sagte er im September. Inzwischen hat man den Eindruck, vor allem Kubicki ist mental am Ende. [….] So hat Kubicki, der auch Bundestagsvizepräsident ist, zusammen mit rund 30 anderen liberalen Abgeordneten einen Gruppenantrag dagegen formuliert. »Vielen Impfpflichtbefürwortern scheint es um Rache und Vergeltung zu gehen«, sagte er nun in einem Interview, fast im Verschwörerjargon. Warum die FDP Kubicki nicht einfangen könne, wollte Bayern-Chef Markus Söder in der Ministerpräsidentenkonferenz vom neuen Justizminister Marco Buschmann wissen. Schließlich rede einer der ranghöchsten Männer im Staate wie ein Querdenker. Buschmann wiegelte ab, er sei in der Runde als Minister, nicht als FDP-Vertreter. Wer mit Kubicki ein Problem habe, solle ihn direkt ansprechen. [….]
(23.12.2021, DER SPIEGEL 52/2021)
Ganz anders als Leerdenker, Aluhüte, BILD und AfD uns weismachen wollen, diktieren eben keineswegs Wissenschaftler den Corona-Kurs der Regierung, sondern die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Parlamente bestimmen das allein auf politischer Ebene.
Christian Drosten klärt darüber in seinem ausführlichen Weihnachtsgespräch mit der Süddeutschen Zeitung auf. Auch dafür gebe ich eine ausdrückliche Leseempfehlung, um beim aktuellen Pandemiegeschehen up to date zu sein.
Am Rande geht es aber auch um die Beschaffung von Patientendaten und die Kommunikation mit den Regierenden.
[…] CD: Großbritannien etwa ist uns immer einige Wochen voraus gewesen bei den neuen Varianten. Die dortige Datenwissenschaft lieferte uns entscheidende Informationen. Dafür sollte sich Deutschland irgendwann einmal ganz ausdrücklich bedanken. [….] In England ist nicht nur die Statistik gut entwickelt, jeder Patient lässt sich durch das ganze medizinische System komplett nachverfolgen. Die Verfügbarkeit von anonymisierten Patientendaten für die Datenwissenschaft würde auch bei uns einiges vereinfachen.
SZ: Großbritannien hatte nicht nur gute Daten, sondern auch von Beginn an einen Expertenrat. Trotzdem ist es nicht besser durch die Pandemie gekommen als Deutschland.
CD: Na ja, Johnson versus Merkel - da muss man nicht mehr viel zu sagen. Und auch mit der neuen deutschen Regierung dürfte es nicht schlechter weitergehen. [….]
(SZ-Interview Drosten, 23.12.2021)
Bleibt zu hoffen, daß Drosten den destruktiven Einfluss der FDP nicht fatal unterschätzt. Politik ist nicht sein Fachgebiet.
Aber es ist wie bei einem positiven PCR-Test; man muss es so hinnehmen! Auch die FDP-Beteiligung an der Bundesregierung ist sehr schlecht, aber real und nicht zu ändern. Jede andere Kanzlermehrheit würde zu CDU-Ministern führen und das wäre noch schlimmer. Während Myriaden Deutsche in Hamburg und anderswo vergeblich zum Boostern Schlange standen, oder wie ich eben nicht mehr rechtzeitig vor der Infektion einen Termin bekamen, weil Herr Spahn zwei Jahre lang vergessen hatte eine Impfstoff-Logistik aufzubauen, zum Beginn der bisher schwersten Corona-Welle, die Vakzin-Lieferungen blockierte, so daß viele impfbereite Ärzte nur die Hälfte der benötigten BioNTech- und Moderna-Einheiten bekamen, dachte Deutschlands schlimmster Minus-Minister erst mal an sich.
[….] Nach Rationierung: Bundestag erhielt 10.000 Biontech-Dosen[….] Als Bürger kommt man derzeit nur mit Glück an eine Impfung mit dem Biontech-Vakzin. Der Bundestag hingegen boostert ausschließlich mit dem knappen Impfstoff. Ärztevertreter sind empört. Lange Schlangen vor Impfzentren, kaum freie Impftermine, eine Impfstoffversorgung, die auf Kante genäht ist: Die Booster-Kampagne gerät kurz vor Weihnachten massiv ins Stocken. [….] Eine Institution muss sich um solche Probleme nicht scheren: Der Bundestag hat sich frühzeitig mit Biontech-Impfstoff eingedeckt und boostert seine Mitarbeiter ausschließlich mit dem begehrten mRNA-Vakzin des Mainzer Biotechnologieunternehmens. [….] Ende Oktober machte die Bundeswehrkrankenhausapotheke Berlin der Parlamentsärztin des Bundestags ein Angebot über 10.000 Biontech-Dosen, so die Bundestagsverwaltung gegenüber t-online. [….] Alles sei "in Absprache mit dem Bundesgesundheitsministerium" geschehen. [….] Eine Woche zuvor hatte Spahn die Begrenzung der Biontech-Lieferungen angekündigt. Am 19. November schrieb Spahns Staatssekretär Thomas Steffen an die Länder, dass künftig nur noch 30 Biontech-Dosen pro Impfarzt und Woche zur Verfügung stünden. Der Aufschrei in der Ärzteschaft wurde noch lauter, als Spahn seine Begründung hinterherschickte: Zunächst hieß es, man wolle mit der Begrenzung bald verfallende Moderna-Impfdosen retten. Wenig später legte er den eigentlichen Grund offen: die knappen Vorräte an Biontech-Impfstoff. Dass eine Woche nach Spahns Mangelerklärung die Bundeswehrkrankenhausapotheke Berlin 10.000 Dosen des Biontech-Impfstoffs an den Bundestag ausliefert, wirft ein zweifelhaftes Licht auf Spahns Endphase an der Spitze der deutschen Impfkampagne. Für die Bürger wird der begehrte Impfstoff rationiert, aber für sich und seine Parlamentskollegen hat Spahn ausreichend vorgesorgt? [….]
Man könnte argumentieren, auf die 10.000 Einheiten käme es in einer weltweiten Pandemie auch nicht an.
Aber die politischen Folgen sind fatal, weil Spahns Verhalten Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die mit einem Bein schon im Verschwörer-Lager stehen, oder Demokratie und Politiker generell ablehnen. So müssen hunderte ehrlich arbeitende Abgeordnete nun ungerechterweise für einen Spahn haften.
Der wütende Mob, der „die da oben“ beschuldigt und „Haut ab“-grölend mit Fackeln zu den Privatwohnungen von Ministern zieht, hat wieder mehr Munition.
Inzwischen hätte ich nach acht Tagen doch mal Lust etwas Warmes zu essen. Ich habe sogar Lebensmittel im Kühlschrank, auf die ich Appetit hätte. Zum Beispiel wunderbare frische Flower Sprouts von Hamburger Bauern. Die gibt es nur zu dieser Jahreszeit und sind eine absolute Delikatesse.
Aber da ich leider keine Domestiken, wie zum Beispiel einen Privatkoch habe, müsste ich schon selbst in die Küche gehen, um die Dinger zu putzen und blanchieren. Dazu bin ich aber noch zu omikronig-lustlos und bleibe erst mal bei einer weiteren Tüte WASA-Paprika-Cracker.
Flower Sprouts sind übrigens im Kühlschrank recht gut haltbar. Die kann ich noch in ein paar Tagen zubereiten.
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