Im aktuellen SPIEGEL gibt es einen wunderbaren Essay „Feigheit vor dem Volk“ von Ullrich Fichtner über den elenden Konsenswahn in Deutschland, der dazu führte, daß in 16 Jahren Merkel-Regierung nichts voran ging. Immer fürchtete die Regierung Proteste, wollte es jedem Recht machen. Kam es durch ein Gesetz auch nur zu den leisesten Belastungen für irgendeine Gruppe der Bürger, wurde sogleich etwas ersonnen, das die Wirkungen der Maßnahmen wieder ausgleicht. Politik absurd, die am Beispiel der KITAs oberstes Schildbürgerniveau erreichte:
Man hatte erkannt, daß frühkindliche Bildung wichtig ist. Immer mehr Erstklässler wurden ohne Sprachkenntnisse und Mindestvoraussetzungen eingeschult. Also wollte man richtigerweise für mehr und günstigere KITA-Plätze sorgen, damit möglichst viele Kinder im Alter bis sechs Jahren soziale und pädagogische Erfahrungen machen. Gleichzeitig betrieb die Merkel-Regierung auf Druck der CSU das diametrale Gegenteil und versuchte sich an einer Herdprämie, um die Kleinkinder aus den KITAs fernzuhalten.
[….] Es ist ein ernüchternder Befund: Der deutsche Politikbetrieb hat in Zeiten der Pandemie strukturelle Schwächen gezeigt, die entschlossenes Handeln für das Gemeinwohl häufig behinderten oder sogar unmöglich machten. Persönliches Versagen kommt hinzu. Statt zum Beispiel den Deutschen den Ernst der Lage mit allen Mitteln ihres Amtes klarzumachen, jammerte die scheidende Kanzlerin neulich hinter verschlossenen Türen, dass viele Deutsche den Ernst der Lage einfach nicht verstünden. Es muss etwas geschehen! [….] Es braucht nicht viel Fantasie, sich die kommenden Kämpfe darüber vorzustellen. Wenn je die Gefahr einer Spaltung drohte, und sei es die einer Abspaltung, dann jetzt, weil es für die ideologisch verhärteten Impfgegner keinen Ausweg mehr gibt. Solche Risiken müssen Regierungen aber eingehen, wenn Abweichler die Gemeinschaft gefährden, insofern ist hier die Rede von mutiger Politik, die das vorherige Phlegma beendet. [….] Die Wissenschaft hat aber rechtzeitig, regelmäßig und zuverlässig vor der jetzt eingetretenen Situation gewarnt. Sie hat der Politik Szenarien an die Hand gegeben, die den Verlauf dieser vierten Welle in teils verblüffender Genauigkeit voraussagten. Und nun ist der Worst Case, mit dem die Wahlkämpfer das Volk im Sommer auf keinen Fall behelligen wollten, eben eingetreten. [….] »Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern«, hat der wütende Lothar Wieler gesagt, und dieses »jetzt« ist schon wieder zwei Wochen her. Das heißt: Die Zeit läuft und läuft, und sie läuft gegen uns alle, weil eben nicht gegengesteuert wurde und wird. [….] Dabei hat die amtierende Bundeskanzlerin in den vergangenen Wochen eine besonders unglückliche Rolle gespielt. Als die schlechten Zahlen schon kräftig stiegen, erweckte sie alles andere als den Eindruck, auf der Brücke des Staatsschiffs zu stehen, um in schwerer Stunde Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Stattdessen hat sie sich zwischen den Stationen ihrer globalen Abschiedstour nur sporadisch gemeldet, um ein paar lustlose Appelle ans impffaule Volk zu richten. Hat gemahnt, angeregt, ins Spiel gebracht, als säße sie auf der Zuschauertribüne und sähe sich selbst beim Nichtregieren zu. [….] In den Zentralen deutscher Macht hat ein Politikverständnis Einzug gehalten, das im Moment der Gesundheitskrise toxisch wurde. Die Rede ist von der Vorstellung, man könne jedes Problem irgendwie im Konsens lösen, könne jeden Zwist verdünnen und jedem Feind so lange gut zureden, bis sich die Geschichte am Ende in die eigene, die alternativlos vernünftige Richtung dreht. Das war und ist die Methode des Konfliktaustrags in der Ära Merkel, die so perfekt zur antiautoritären Kultur der heutigen Gesellschaft zu passen scheint. Sie ist gerade auf fatale Weise gescheitert. [….]
(U. Fichtner, der Spiegel, 04.12.2021)
Politik ist kompliziert und daher sind 95% derjenigen, die sich von der Politik abwenden, die „alle Politiker“ für verlogen und korrupt halten, in Wahrheit bloß zu faul oder zu doof, sich eingehend mit politischen Themen zu beschäftigen. Wenn die Nachbarin in großer Emphase mosert, sie könne „das ganze Gelaber der Politiker“ nicht mehr hören, möchte sie wie eine kompetente Bürgerin wirken, die sich eingehend mit den Parteien und Programmen beschäftigt hat, dann aber abgestoßen wurde.
In Wahrheit wird sie sich „das ganze Gelaber der Politiker“ nie angehört haben, niemals Bundestagsdebatten ansehen und auch noch nie ein Parteiprogramm gelesen haben, so daß sie beim zufälligen Hineinzappen in eine Nachrichtensendung gar nichts versteht.
Ich behaupte; Politik wird umso interessanter, je eingehender man sich mit ihr beschäftigt.
Aber auch ich bin ob ihrer ständigen Wiederholung genervt von anbiedernden Sprechblasen, die von Spitzenpolitikern abgespult werden, um sympathisch zu wirken und ihre Untätigkeit zu kaschieren. Dazu gehören Versatzstücke wie „die Bürger sind viel klüger als Sie glauben!“ und all die Scheinbekenntnisse, dem Volk auf’s Maul zu schauen. Neuerdings, befeuert von den Diskussionen um eine allgemeine Impfpflicht, wird gern mit dem Argument gewarnt „das könnte zu einer Spaltung der Gesellschaft führen!“.
Das ist großer Blödsinn. Die Bürger sind viel dümmer als man glaubt, kaum fähig eine Wahlentscheidung zu treffen. Daher müssen auch im Gegensatz zu den Forderungen der neuen Bundestagspräsidentin Bas, nicht etwa mehr Plebiszite stattfinden, sondern diese „Diktatur der Inkompetenz“ sollte möglichst vermieden werden.
Zudem ist die Gesellschaft längst gespalten. Reichbürger, Pegidisten, Querdenker, Verschwörungschwurbler, Covidioten, Aluhüte, Echsenmenschengläubige, Esoteriker, AfDler, Nazis haben sich längst von dieser Gesellschaft abgespalten.
Eine Impfpflicht kann nicht etwas verursachen, das längst da ist. Umgekehrt wird ein Schuh draus; dieses Maskenverweigerer- und Coronaleugner-Milieu übt sozialen Druck aus, sich nicht impfen zu lassen. Manch einer in der dunkelsächsischen Provinz würde sich möglicherweise gern gegen Corona impfen lassen, muss dann aber befürchten von seiner Peer-Group gemobbt zu werden. Ihnen würde eine Impfpflicht einen Ausweg bieten, um dem anthroposophisch-esoterischen Bachblüten-Pack eine Erklärung zu bieten, wieso sie doch noch einknickten und sich die tödlichen Gates-Chips aus Kinderleichen und Adenochrom injizieren zu lassen.
Es kann keinen Konsens mit diesen Leuten geben und daher bin ich doppelt und geboostert froh, daß Karl Lauterbach der nächste Gesundheitsminister wird.
Jens Spahn war nicht nur intellektuell komplett überfordert, sondern auch ein extrem schlechter Organisator, der zudem mit sicherem Griff ins Klo eine grundsätzliche Fehlentscheidung an die Nächste reihte. Spahn weigerte sich kategorisch über eine Impfpflicht auch nur nachzudenken, stritt für das Verbot von Aufklärung über Schwangerschaftsunterbrechungen (§219a) und sorgte dafür, daß Globuli weiterhin von der Krankenkasse bezahlt werden.
[….] „Die meisten Bürger haben sich gewünscht, dass der Gesundheitsminister vom Fach kommt und Karl Lauterbach heißt – und er wird es“, verkündete Olaf Scholz auf seiner Pressekonferenz zur Regierungsbildung. [….] Lauterbach erklärte bei seiner Ernennung, die Corona-Pandemie werde länger dauern, als viele denken, „aber wir werden den Kampf gewinnen und dann besser gerüstet sein als wir es vorher waren“. [….]
Es ist ein Horrorjob, den Lauterbach nun antritt. Allein der dramatische Personalmangel im Pflegesektor und die völlig ungelöste Frage, was mit den rund eine Million Pflegebedürftigen werden soll, die bisher von ostdeutschen Laien-Pflegern zu Hause versorgt werden, nachdem das rechtlich nicht mehr möglich sein soll, dürften einen Minister total beanspruchen. Zudem war das Ministerium so lange in konservativer Hand, daß es völlig von erzkonservativen Lobbyisten durchsetzt ist.
[…..] Die Zeit spielte zuletzt zu Lauterbachs Gunsten. Während sich die Coronalage in Deutschland dramatisch zuspitzt, trifft gerade wieder einmal all das ein, wovor der Experte Lauterbach gewarnt hat. [….] Nun wird er erst einmal ankommen müssen: Die Strukturen im Haus sind noch tiefschwarz geprägt. In Pharmalobby und Ärzteschaft dürfte sich die Begeisterung für den Neuen in Grenzen halten. Kassenärztechef Andreas Gassen formulierte seinen Glückwunsch zum Amt eher vorsichtig: »Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren und sein werden«, teilte Gassen in einem Statement mit, stehe mit Lauterbach künftig, »ein versierter Kenner des komplexen Gesundheitswesens an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums.« Dabei steht Lauterbachs Fachkompetenz auch bei Ärztinnen und Ärzten außer Frage. Doch mit seiner Kampfansage an die Pharmalobby, seinem Kampf für die Bürgerversicherung oder dem Plan, Krankenhäuser in ländlichen Regionen zu reduzieren, hat sich Lauterbach in der Vergangenheit bei vielen nicht beliebt gemacht. [….] Lauterbach tritt also wahrlich keinen einfachen Job an. Er übernimmt das Ministerium in einer Zeit, in der die Kassen im Gesundheitssystem nicht nur wegen der Pandemie leer sind. [….]
(Milena Hassenkamp, SPON; 06.12.2021)
Aber wenn er möglichst immer das Gegenteil von dem tut, das Spahn wollte, dürfte Deutschland auf gutem Wege sein.
Außerdem traue ich Karl Lauterbach zu, sich dem von Fichtner beschriebenen Konsenswahn zu entziehen. Er soll sich durchsetzen und bitte anecken!
Wie richtig es war, auf Lauterbach zu setzen, kann Olaf Scholz an dem Gezeter der Covidiotenszene ablesen.
Rechtsradikale, PP, Impfverweigerer, gefährliche Spinner jeder Art, pöbeln heute derartig die sozialen Medien voll, daß man rückschließen kann, wie perfekt Lauterbach für den Job sein wird. Jeder neue Gesundheitsminister, der nicht wutschnaubend von dem rechten Gesindel attackiert würde, wäre mir suspekt. Je mehr der Urinduscher und die Corona-infizierten AFDler Stroch, Weidel und Höcke mit Schaum vorm Mund rumtoben, umso besser. Viel Feind, viel Ehr!
PP 06.12.2021 |
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