So viel Selbstkritik muss sein: Als Donald Trump, genau seinen Fähigkeiten als Psychopath entsprechend, einen Hebel fand, die ihm intellektuell weit überlegene Angela Merkel zu ärgern, betätigte er ihn mit sadistischer Freude so oft, wie nur möglich: Sie drücke sich darum, die zugesagten 2% des BIP für die NATO zu zahlen. Da Trump dumm und ungebildet ist, verstand der den Sinn dieser Vereinbarung gar nicht. Er tat so, als handele es sich um einen NATO-Mitgliedsbeitrag, den Deutschland ihm, Trump, schulde.
Das war natürlich Schwachsinn. Gemeint waren die deutschen Ausgaben für die deutsche Bundeswehr.
Aber ich ärgerte mich grundsätzlich darüber, daß Trump da einen nicht wegzudiskutierenden Punkt hatte. Wieso hatten Merkel und Steinmeier bloß jemals diese „2%“ zugesagt? Zumal bei steigender Wirtschaftsleistung die Summe immer astronomischer wurde.
[….] In der Bundeswehr hingegen ging der Scherz um, die einzige korrekte Aussage Trumps über die Nato sei gewesen: „Angela, you gotta pay!“ Aber Angela Merkel dachte gar nicht daran. Wer sich nach ihrer Position zur militärischen Landesverteidigung erkundigt, hört fast immer das Gleiche: Für sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen habe sie sich nicht interessiert, das Thema habe auf ihrer Agenda ganz hinten gestanden. „Die Verteidigungsminister und -ministerinnen in der Ära Merkel standen auf verlorenem Posten“, sagt der Militärhistoriker Neitzel. [….]
Inzwischen liegt aber eine „Zeitenwende“ hinter uns, wie Bundeskanzler Scholz völlig richtig erklärte.
Nun haben wir einen heißen Krieg in Europa, für den aus Deutschland dringend Waffen und Munition erbeten werden.
Das führt zu bizarren parteipolitischen Verwerfungen.
Auf große Ablehnung, stößt die Bewaffnung einer Kriegspartei, nur bei der klassischen Querfront aus Nazis und Linken.
Die eifrigsten Waffen-Fans und Kriegsbeteiligungsfreunde gibt es ausgerechnet bei FDP und Grünen.
[….] Klare Fürsprecher finden sich allein in den Reihen von FDP (70:25 Prozent) und Grünen (67:25 Prozent). Von den Unions-Anhängern äußert sich zwar gut die Hälfte zustimmend (53 Prozent), aber 42 Prozent melden dagegen Widerspruch an. Tief gespalten präsentieren sich die Anhänger der SPD (45:46 Prozent). Deutlich ablehnend äußern sich die Wähler der AfD (12:84 Prozent). [….]
(ARD Deutschlandtrend, 28.04.2022)
Ich bin stolz Mitglied der SPD zu sein, die sich in dieser Frage quält, nicht leichtfertig schwere Waffen ausliefern will, andererseits aber von Vernunft geleitet, so etwas auch nicht in Bausch und Bogen ablehnt.
Ich gehöre zum Habermas-Lager und bin sehr froh, in Olaf Scholz einen Verantwortlichen zu haben, der sich nicht unüberlegt in militärische Abenteuer stürzt.
Ja, auch wenn ich aus der Zeit gefallen bin; ich nehme mir doch einen Augenblick, um mich zu wundern, wie gründlich die Grünen von eben auf jetzt ihren Pazifismus aufgaben und nun zu den enthusiastischsten Fans des Militär gehören.
[….] Es war gut, dass die Grünen einst über Kriegseinsätze stritten. Und es ist furchterregend, wie sie und ihr Milieu es nicht mehr tun. [….] Hofreiter entstammt den vom Atemhauch der Friedensbewegung am Leben gehaltenen Grünen der Achtzigerjahre. Seine Haltung zu Militäreinsätzen war, diplomatisch gesprochen, eher zurückhaltend. Als es im Herbst 2014 in der Bundesregierung um die Frage ging, ob Deutschland Waffen an die Kurden im Nordirak liefern sollte, war Hofreiter noch schwer der Ansicht, Waffenlieferungen könnten zu einem Konflikt mit der Türkei führen. Der Passauer Neuen Presse sagte er damals: "Die Terrormiliz des 'Islamischen Staats' ist bis an die Zähne mit erbeuteten amerikanischen Waffen bewaffnet. Wir sollten nicht noch mehr Waffen liefern. Die USA sollten die Kurden weiter mit Luftangriffen unterstützen." Man muss mit diesen Rückblenden arbeiten, um den Grad der militärischen Zurüstung zu begreifen, mit dem Hofreiter in diesen Tagen vor die Presse tritt. Die sogenannten "schweren Waffen", offenbar ein neues Lieblingsobjekt der einst pazifistischen Linken, müssten am besten gleich in die Ukraine geliefert werden. [….]. Hofreiter hat auch schon den Blick ins pulverumdämpfte Morgen gelenkt, dann sollen nämlich die "ukrainischen Kräfte" an modernem Kriegsgerät ausgebildet werden. Wann genau? "Wenn das russische und sowjetische Material kaputtgeschossen ist", sagt Hofreiter. [….]
Die schlichte Tatsache, daß man einen konventionellen Krieg gegen eine atomare Supermacht, mit einem zu allem entschlossenen Diktator, der von der breiten Mehrheit seines Volkes unterstützt wird, gar nicht gewinnen kann, verdrängen Baerbock und Hofreiter. Ich verweise in diesem Punkt erneut auf den vielleicht klügsten lebenden Denker Deutschlands: Jürgen Habermas.
Mir fehlt die Phantasie dazu, mir vorzustellen, wie Wladimir Putin, ganz besänftigt von deutschen Panzerhaubitzen, global gedemütigt, seine Niederlage akzeptiert, gelobt nun wieder rechtsstaatliche, demokratisch und liberal zu agieren, ohne auf die Idee zu kommen, in seinen prall gefüllten Giftschrank mit den Horrorwaffen zu greifen.
[….] Im Interesse der Ukraine liegt es, wenn der Westen durch möglichst umfangreiche Waffenlieferungen einem Kriegseintritt näher rückt. Dies nämlich würde die militärische Schlagkraft der Ukraine so weit erhöhen, dass aus vielen kleineren Siegen auf den Schlachtfeldern ein größerer Sieg, also mindestens ein Rückzug der Invasionsarmee, werden könnte. Je näher das allerdings kommt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass in einer anderen Form des Reiz-Reaktions-Modells Putins Regime sich direkt auch gegen den Westen mit verschiedenen Schritten der Eskalation richtet. Auf dieses Dilemma hat Habermas ausführlich hingewiesen – und deswegen hält er die, wie er sie nennt, „reflektierte“ Politik des Bundeskanzlers für richtig. [….] Man kann sicher darüber debattieren, wie die verschiedenen Stufen einer Kriegsbeteiligung aussehen, ob sie bereits jetzt vorliegt oder erst, wenn eine russische Rakete in einem Depot mit amerikanischen Geschützen an der polnisch-ukrainischen Grenze einschlägt. Eines allerdings ist sicher: Nach dem vorletzten Schritt gibt es nur noch einen letzten Schritt. Der besteht entweder im Einlenken Russlands und einem vollständigen Rückzug (solange Putin an der Macht ist, ist das nicht so wahrscheinlich). Oder im dritten Weltkrieg. [….]
Ein sehr ärgerlicher Aspekt der Debatte ist die CDUCSU, die seit Franz Josef Strauß enge Kontakte zu Moskau pflegt und nun der SPD Russland-Nähe vorwirft, um davon abzulenken, wie Söder, Seehofer, Stoiber, Kretschmer, Laschet und Co katzbuckelnd im Kreml vor Wladimir Putin krochen. Anders als SPD-Politikern wie Fraktionschef Mützenich, ging es ihnen dabei allerdings nicht um Friedenssicherung, sondern ihnen gefielen Putins rechtskonservative Ansichten und sein Geld.
[…] Verschleierte Zahlungen, Gefälligkeiten
Auch die Union hat ein Russlandproblem […] Die Union pflegte die Freundschaft mit Moskau über einen dubiosen Verein. Besonders engagiert: CSU-Grande Edmund Stoiber und Ex-Umweltminister Klaus Töpfer. […]
Graphik Süddeutsche Zeitung |
Merkel kümmerte sich in 16 Jahren nicht eine Sekunde um die Bundeswehr, obwohl die grotesken Materialmängel seit vielen Jahren jeden Tag in der Presse stehen. Vizekanzler Westerwelle hielt das auch offiziell für unnötig, argumentierte 2010 mit dem Hinweis „Deutschland ist nur noch von Freunden umgeben“ für die Reduzierung der Wehrpflicht auf sechs Monate. Seine Parteifreundin Strack-Zimmermann, heute eifrigste Bellizistin und Chefin des Verteidigungsausschusses, nannte das „den Todesstoß für die Bundeswehr.“
Lügenbaron zu Guttenberg machte der Leiche den Garaus, indem er die Wehrpflicht – einen Kernpunkt des CDUCSU-Wahlprogrammes – ganz abschaffte.
Seine ihm zu Füßen liegende Partei überzeugte er mit der frechen Lüge, das eingesparte Geld käme der Ausrüstung zu Gute.
[….] Kleiner, schwächer – und vor allem günstiger. Die symbolisch aufgeladene Debatte um die Aussetzung der Wehrpflicht verdeckte, was der eigentliche Zweck der Reform war: möglichst viel Geld einzusparen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, sagt: „Die Reform wurde dilettantisch angegangen. Das Motiv war nicht, die Bundeswehr besser zu machen, sondern zu sparen.“ Mindestens acht Milliarden Euro, manche sprechen sogar von zehn Milliarden Euro, hat Guttenberg damit eingespart. Führende Militärs knüpften an die Aussetzung der Wehrpflicht Erwartungen, die dann herb enttäuscht wurden. „Unsere Idee war: Das eingesparte Material kann man für die verbliebene Truppe verwenden. Aber Material und Geld waren weg“, sagt der ehemalige General Hans-Lothar Domröse, bis zu seiner Pensionierung einer der höchsten Nato-Generäle. Für viele Kritiker begann mit Guttenberg die Abwärtsspirale für die Bundeswehr. Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) sprach später sogar von der „Zerstörung der Bundeswehr“. [….]
Die Metaphorik der sterbenden Bundeswehr scheint etwas überstrapaziert, wenn sie schon 2010 von Schäuble und Westerwelle „den Todesstoß“ bekam, ein Jahr später von Guttenberg „zerstört“ wurde und schließlich in drei grundsätzlichen weiteren katastrophalen politischen Fehlentscheidungen Thomas de Maizières „kaputt gemacht wurde.“
Merkels Lieblings- und Lügenminister war es, der das Chaos beim Beschaffungswesen, die Desorientierung des Ministeriums und die chronische Mängelverwaltung einführte.
[….] De Maizière aber wollte das Haus wie ein gewöhnliches Ministerium führen, die Strukturen verschlanken. Er löste zum einen den militärischen Führungsstab, der für den Generalinspekteur als Steuerungsinstrument zur Führung der Streitkräfte und als Expertengremium wichtig war, in seiner bisherigen Form auf. Und er schaffte zum anderen den Planungsstab ab – und stürzte das Ministerium laut Kritikern ins Chaos. [….]
In der Folge wußten zivile und militärische Beamter nicht mehr was die anderen tun und eine stringente Führungspolitik wurde unmöglich.
Im nächsten Streich talibanisierte er die Materialbeschaffung, so daß es heute viele Jahre und Myriaden Aktennotizen braucht, um Unterhosen oder Stiefel zu kaufen, weil nur noch zentralisiert über Karlsruhe eingekauft werden kann.
[….] Vorher waren die Teilstreitkräfte für die Materialerhaltung selbst zuständig. Seither muss sich das Beschaffungsamt in Koblenz, ein bürokratisches Ungetüm mit mehr als 6000 Mitarbeitern, um alles kümmern, vom komplexen Waffensystem bis zur Winterjacke. Das gesamte Beschaffungswesen ist dadurch noch schwerfälliger und intransparenter geworden. Und immer wieder hört man Kritiker von einer „Verantwortungsdiffusion“ sprechen, die mit den Reformen entstanden sei. [….]
Für eine funktionierende Bundeswehr sind 100% Ausrüstung das absolute Minimum, weil dann keinerlei Ersatz oder Reserve vorhanden sind. Der debakulierende de Maizière, immerhin Sohn des ehemaligen Bundeswehr-Generalinspekteurs, kam nun auf die völlig aberwitzige Idee, die Ausstattung grundsätzlich auf 70% zurückzufahren. Die grotesken Folgen sind inzwischen Gegenstand unzähliger Reportagen. Bevor ein Bundeswehr-LKW oder Panzer fährt, bevor ein Schiff in See sticht oder ein Hubschrauber in die Luft fliegt, muss nun erst einmal ein anderes Fahrzeug ausgeschlachtet, und damit lahmgelegt werden, weil es nie genügend Teile für alle gibt.
[….] 70 Prozent Ausstattung galt als genug. Bedingt abwehrbereit zu sein, das galt nun nicht als Beschreibung des Mangels, sondern als offizielle Zielvorgabe. „Das war ein Bruch mit dem bisherigen Organisationsprinzip, die Abkehr von der Vollausstattung“, sagt der Ex-Wehrbeauftragte Bartels. Deutsche Einheiten, die ins Manöver oder zu den Nato-Truppen ins Baltikum geschickt wurden, mussten sich Ausrüstung und Ersatzteile von überall zusammenleihen, oft wurden dafür andere Bundeswehr-Fahrzeuge ausgeschlachtet, die dann ihrerseits nicht mehr einsatzbereit waren. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel nennt diese Entscheidung schlicht „Wahnsinn“. Keine Einheit ist mehr aus eigener Kraft einsatzfähig. „Ein Panzerkommandant ohne Panzer ist wie ein Ponyhof ohne Ponys“, sagt Domröse. [….]
Üblicherweise hält man Jens Spahn oder Andreas Scheuer für die schlechtesten Bundesminister aller Zeiten. Aber Thomas de Maizière wird auch immer ein Top-Anwärter für die Eselskrone sein.
Die Bundeswehr konnte sich fortan nur noch mit der „Operation Läusekamm“ auf einen Einsatz vorbereiten. Da alle Geräte halb auseiandern gebaut waren und keine Ersatzteile zu kriegen sind, musste man erst bei anderen Einheiten auf Raubzug gehen.
[….] „Es gibt keine Brigade, die morgen verlegungsfähig wäre“, sagt Militärhistoriker Neitzel. Das gilt selbst für die angeblich hoch mobilen Einheiten, die für die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) der Nato abgestellt werden; diese Einheiten sollen eingesetzt werden, wenn etwa kleinere Nato-Staaten wie Polen oder die baltischen Länder plötzlich attackiert werden sollten. Für die zwischen 2018 und 2020 eingesetzte VJTF-Einheit der Bundeswehr musste das gesamte Heer nach Ausrüstungsgegenständen abgeklappert werden, was bei der Bundeswehr unter dem Begriff „Operation Läusekamm“ lief.[….] In einem Papier des Bundeswehrverbandes heißt es: Selbst die aktuelle VJTF-Truppe sei nur „im Sinne einer Operation ,Läusekamm 2.0‘ erneut mit Gerät aus allen anderen Verbänden einsatzbereit“. Der Mangel sei enorm, sagt Wüstner, der Chef des Verbandes. Deutschland schaffe es noch nicht einmal, eine einzige Brigade aus sich heraus, also mit vollständigem Material ausgerüstet, einsatzfähig vorzuhalten. [….]
Wenn wir heute von „schweren Waffen“ sprechen, die der Ukraine geliefert werden sollen, meinen wir damit Artillerie mit ihren furchterregenden Panzerhaubitzen. 1990 bestand die Artillerie-Truppe aus 42.000 Soldaten in 81 voll ausgestatteten Artilleriebataillonen. Nach 16 Jahren CDU/CSU-Führung – Jung, de Maiziére, Guttenberg, von der Leyen, Kramp-Karrenbauer – gibt es nun noch 3.500 demotivierte Artilleristen in vier Bataillonen mit 121 Panzerhaubitzen. Fast die Hälfte davon ist aber so alt oder so ausgeschlachtet, daß sie nicht einsatzfähig ist.
Bei den anderen Waffengattungen sieht es eher noch schlechter aus.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen