Dienstag, 16. August 2022

Kein politischer Anstand bei den Gelbschwarzen

 

Britta Ernst ist zweifellos eine der intelligentesten SPD-Politikerinnen Hamburgs in den letzten 30 Jahren. Die 61-Jährige Bildungsexpertin, Diplom-Volkswirtin und Diplom-Sozialökonomin, wurde schon mit 17 Jahren in der SPD aktiv, lernte das politische Geschäft von der Pike an. Sie war Bezirksabgeordnete, persönliche Referentin (unter anderem bei dem legendären SPD-Finanzgenie Senator Thomas Mirow) und zog 1997, während der Runde-Zeit in das Hamburger Landesparlament ein. Dort profilierte sie sich insbesondere ab 2001 in der Beustschen CDU-Schreckensherrschaft so sehr, daß jeder in ihr eine künftige Senatorin sah – sofern die SPD eines Tages wieder die Regierung stellen würde. Dann aber hatte sie Glück und Pech.

Endlich, 2011, nach 14 Jahren als Landesabgeordnete kam der sensationelle SPD-Wahlsieg. Es reichte zur absoluten Mehrheit. Alle Senatorenposten konnten von der SPD besetzt werden. Als Qualifizierteste und Talentierteste, die zudem über die besten Beziehungen zum Parteichef und künftigen Bürgermeister verfügte, hätte sie sich in vielen anderen Ländern den Traumjob aussuchen können. Stattdessen war ihre Hamburger Karriere aber schlagartig zu Ende, denn die neue starke Figur war nicht nur Parteivorsitzender und Regierungschef, sondern auch ihr Ehemann.  Für das Ehepaar Ernst-Scholz gab es kein Zögern: Man kann nicht seine eigene Ehefrau mit Posten versorgen. Als Top-Politikerin blieb ihr nur übrig, Hamburg zu verlassen.  Sie war am 20.02.2011 ebenfalls wieder in die Hamburger Bürgerschaft gewählt worden, gab ihr Mandat aber Ende August 2011 freiwillig ab, zog nach Berlin, um für die Bundestagsfraktion zu arbeiten und wurde schließlich 2014 Ministerin in Kiel.

Scholz und Ernst sind ein im besten Sinne modernes Paar. Beide sind Vollblutpolitiker, hochintelligent, extrem belesen und zeigen keinerlei Interesse an Glamour oder Protz.

Der öffentlich so kontrollierte Olaf Scholz kann richtig wütend werden, wenn er gefragt wird, ob seine Frau wegen seines neuen Amtes ihren Job aufzugeben gedenke, um als First Lady an seiner Seite zu stehen. Selbstverständlich nicht! Sie sind gleichberechtigte Partner und keinesfalls ordnet sich einer für die Karriere des anderen unter. Viel mehr erfährt man allerdings auch nicht über das Eheleben des Kanzlers. Sie machen keine Homestories mit der BUNTEN, verbreiten keine Puddingrezepte oder Urlaubsbilder, sie halten sich konsequent fern vom Boulevard, tauchten nie in der Yellow Press auf.

Das diametrale Gegenteils dieses Paar-Models exerzieren Lindner und Lehfeld vor. Es käme sicher niemand auf die Idee, ihn als Aktenfresser oder Intellektuellen zu beschreiben. Als Minister fällt er mit hanebüchener Unkenntnis auf.

Für ihn ist der Boulevard alles; darin unterscheidet er sich keinen Deut von seinem Vorvorgänger Westerwelle oder seinem Kumpel Spahn, die jeden Donnerstag hechelnd die Registerseiten von GALA und BUNTE studier(t)en, um sich selbst bei „Events“ zu bewundern. Es gibt kaum einen Roten Teppich, auf dem Lindner sich nicht blicken lässt. Er posiert für die Klatschmedien mit Porsche, mit Rolex, als Jäger, im Rennwagen-Outfit, als Soldat, im T-Shirt, in Schwarzweiß, mit Brusthaar, ohne Brusthaar.
Spahn heiratete konsequenterweise gleich einen BUNTE-Chef und Lindner entsprechend eine RTL-Klatschreporterin, die als Instagrammerin mit 117.000 Followern ihr eigene Hochzeit mit dem feschen Lindi, gleich selbst vermarktet und unter sympathischen Hashtags zu Geld macht.

Wenig verwunderlich, daß eine Klatschbase mit so exzellenten Verbindungen in die Bundesregierung, beruflich schnell weiter aufstieg und Chefreporterin der ultrakonservativen WELT-Gruppe wurde, die ungeniert gemeinsam mit den Brüdern von der BILD, Hochberichterstattung von der Lindner-Lehfeld-Glamour-Hochzeit auf Sylt fabrizierte. Eine Hand wäscht die andere.


Bei Springer kennt man das schon; auch Lindners erste Frau, Dagmar Rosenfeld, arbeitet als WamS-Chefredakteurin bei dem Hetz-Verlag.

Anders als Ernst und Scholz, kennen L&L selbstverständlich keinerlei Schamgefühl und setzen das Crosspromoting ungeniert fort.

Sie kann ihren Insta-Kanal lukrativ mit Regierungs-Insider-Infos bespielen; er bekommt Hofberichterstattung von Poschardt und Co.

[…] Wie schön, könnte man meinen, Christian Lindner und seine Inzwischen-Ehefrau Franca Lehfeldt vereint auf einem Vorschaubild auf Youtube. Nur handelt es sich bei dem Video dahinter vom 22. Juni 2022 nicht um einen Mitschnitt ihrer Promi-Hochzeit auf Sylt, sondern um ein Nachrichtenvideo des Fernsehsenders "Welt". Christian Lindner hebt mahnend den Finger, Franca Lehfeldt hält ein Mikrofon mit "Welt"-Aufschrift in den Händen. […] Seit Mai 2022 ist Franca Lehfeldt "Chefreporterin Politik" des Fernsehsenders "Welt", eine Stelle, die es vorher so nicht gab. […] Auch in ihrem neuen Job kommentiert sie Waffenlieferungen der Bundesregierung an die Ukraine - der Bundesregierung, der ihr Ehemann angehört - und interviewt den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz - der nicht nur Gast auf der Lehfeldt-Lindner-Hochzeit war, sondern als Oppositionsführer ein politischer Konkurrent von Lindner ist. […] In den […]  "Leitlinien der journalistischen Unabhängigkeit", die man auf der Homepage von Springer herunterladen kann, steht unter der Überschrift "Private und geschäftliche Interessen" Folgendes: "Die Journalisten bei Axel Springer berichten grundsätzlich nicht über nahestehende Personen, insbesondere Familienangehörige, es sei denn, es liegt ein mit dem jeweiligen Vorgesetzten abgestimmter sachlicher Grund vor." […] "Auch wenn sich gelegentlich Überschneidungen nicht vermeiden lassen, können wir hier keinen Interessenkonflikt erkennen." Kein Handlungsbedarf also bei der von Chefredakteur Ulf Poschardt geführten Welt. […] Besonders bemerkenswert: Lehfeldts Berichterstattung über einen Eklat im Verteidigungsausschuss. […] Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass man im Springer-Verlag wegen Christian Lindner ein Problem mit Interessenkonflikten hat: 2017 kassierte die Zeitung Welt eine Missbilligung des Presserates, weil Lindners damalige Ehefrau, Dagmar Rosenfeld, über ihren Mann berichtet hatte. […]

(SZ, 16.08.2022)

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