Klar, das ist im Medienblasen- und Fakenews-Zeitalter out; aber ich bin eben altmodisch und setze in meinem Blog gern einen Link zur Quelle, wenn ich irgendetwas behaupte, so daß sie jeder selbst von der Richtigkeit überzeugen kann.
Dabei verwende ich möglichst Links, die als seriös/neutral gelten, oder noch besser, von der kritisierten Stelle selbst stammen.
Wenn ein katholischer Pfaff ein Kind vergewaltigt hat, gucke ich zuerst in der Presseabteilung des Vatikans selbst, weil Katholiban das am wenigstens in Zweifel ziehen können.
Die Methode mit den Quellen birgt auch „Nachteile“. Kürzlich hatte ich mir eine schön ätzende Anti-Trump-Hasstirade ausgedacht, als er am 15. Januar 2024 diese ungeheuerlichen drei Sätze postete:
“Unlike Martin Luther King, Crooked Joe Biden and Deranged Jack Smith are persecuting me just because I put America first. I marched with King and he didn't mind that I was white. I have a hole lot of black friends.”
Selbst für Trump-Verhältnisse extrem dreist.
Als ich den entsprechenden Link als Quelle suchte, war schnell klar: Das Zitat ist leider ein Fake. Da ich, anders als Trump, Merz oder die AfD, nicht in den postfaktischen Bereich umgezogen bin, war damit bedauerlicherweise mein ganzes Posting hinfällig.
Es gibt auch Klischees, die hartnäckig im Kopf festsitzen. Dazu gehört beispielsweise die Großstadt-Mär, daß am Heiligabend derartig viele Menschen von ihren Familien frustriert sind, daß es zu einem Jahreshöchststand bei den Suiziden kommt. Eine Geschichte, die mir als Ritual-loser Single und Weihnachtshasser gut in den Kram passt, so daß ich schon vor Jahren intensiv nach Zahlen suchte, die das belegen. Da war aber nichts zu finden.
Es ist generell problematisch, die eigenen Eindrücke für allgemeingültig zu erklären. Zum Beispiel habe ich dezidierte Vorurteile gegen die Klischee-Café-Latte-Jungmütter, die alle einen SUV fahren, unfassbar laute Stimmen haben, nur auf ihr Handy glotzen und sich in den Geschäften unmöglich benehmen, weil sie schließlich als erster Mensch der Welt jemals ein Kind geboren haben und dementsprechend permanente Sonderbehandlung und Lobpreisungen erwarten.
Wieso ich solche Berufsmütter so sehr hasse ist klar: Ich wohne zufällig genau gegenüber eines betreuten Spielplatzes und Hortes, in dem die reichen Blagen rumschreien. 355° der Umgebung sind nicht zugänglich, sondern von privaten Grundstücken umsäumt. Es gibt also nur einen schmalen Platz, um auf das Gelände zur Kreischbrigade zu gelangen: Genau vor meiner Küche und da drängeln sich die mit Gucci-Täschchen behängten Muttertiere in ihren BMW-SUVs. Es gibt inzwischen nicht nur, wie in früheren Jahren, einen Laternenumzug im Jahr, sondern ein halbes Dutzend an verschiedenen Tagen, mit unterschiedlichen Motti. Das Verhältnis Erwachsene zu Kind beträgt dabei 5:1. Ich mutmaße, den Gören sind ihre eigenen Eltern auch peinlich. Die unpeinlicheren Mütter, die nicht in einer 150.000Euro-Karre vorfahren und nicht aussehen, wie eine geliftete Influencerin nach acht Stunden in der Schönheitslounge, fallen mir natürlich weniger auf. Vielleicht kommen die mit dem Fahrrad und müssen nicht in Ermangelung eines Parkplatzes mit laufenden Motor vor meinem Fenster stehen bleiben, um „FRIEDRICH-ALEXAAAANDERR, du kommst jetzt sofort hierher“ mit Achterdeckstimme durch das Viertel grölen.
Wie sich andere Mütter in anderen Gegenden; berufstätige oder ländliche Mütter benehmen, weiß ich nicht. Ich habe keinen Kontakt zu Menschen, die Kinder bekommen.
Damit hängt ein anderes Klischee zusammen und zwar das von den total unselbstständigen Teens und Twens. Das nehme ich allerdings von verschiedenen Seiten wahr. Einerseits von Friseuren, Bäckern oder sonstigen Kleinstunternehmern, denen ich in meinem Umfeld täglich begegne und die allesamt an ihren Azubis verzweifeln, weil die unfähig sind, selbstständig zu arbeiten.
Ein befreundeter Uni-Dozent erzählte mir kürzlich, daß viele seiner Studenten von ihren Eltern zur Vorlesung gefahren werden. In solchen Situationen fühle ich mich verdammt alt. Klar, ich habe im letzten Jahrtausend studiert, aber damals wäre es undenkbar gewesen, daß man sich vom Mami morgens zur Uni bringen lässt. Ich erinnere mich auch nicht an Kommilitonen, die noch bei ihren Eltern wohnten. Alle hatten irgendeine andere Form der Bleibe gefunden und so gut wie jeder jobbte nebenher, um das zu finanzieren.
Weil die jungen Leute sich das nicht vorstellen können, wie das damals war, ohne Internet und Klugtelefon: Man fuhr zu allen Stellen, die sich als eine Art „schwarzes Brett“ etabliert hatten und hing Gesuche auf.
Die mit Abstand wichtigsten Quellen, waren aber die Wohnungsannoncen in der Samstag-Ausgabe der größten Zeitung der Stadt.
Dafür fuhr man mit einer Handvoll Groschen in der Hosentasche in der Nacht auf Samstag zum Hauptbahnhof, wo die ersten Ausgaben ausgeliefert wurden, prügelte sich mit den anderen armen Tropfen um die noch druckwarme Zeitung, setzte sich an Ort und Stelle auf den Fußboden, um die Angebote zu überfliegen und rannte dann zur nächsten Telefonzelle, um als erster bei den Inserenten anzurufen. Natürlich war dann immer besetzt, man musste immer wieder die Drehscheiben bedienen, während wütende Konkurrenten von außen an die Scheiben der gelben Zelle hämmerten – „jetzt bin ich mal dran!“
Was soll den „schwer“ an der Wohnungssuche sein, wenn man
bräsig zu Hause mit seinem Klugtelefon chillt und ein automatischer Suchauftrag
alle verfügbaren Buden bequem auf das Display zaubert?
Wieso Teens und Twens trotzdem alle an Burnout, Phobien und Depressionen leiden,
ist auch klar, denn die Unselbstständigkeit ist purer Stress. Die Leibesfrüchte
meiner US-Cousins führen alle ein streng durchgetaktetes Leben, in dem schon
Fünfjährige Einträge wie „01.30 – 02.15 pm playtime with Timmy“ finden. Spielen
will genau geplant sein, das Elterntaxi muss bereit stehen und es nützt nun
einmal nichts, wenn man zum Gymnastik- und Schwimm-Training geht, ohne daß Mami
dabei ist, alles filmt und sofort auf Facebook postet.
Eine meiner entfernten Tanten in Ohio schleppt sich mit 89 Jahren und lauter künstliche Gelenken unter größten Schwierigkeiten wöchentlich zum Einkaufen. Auf meine Frage, ob ihr nicht eins ihrer zahlreichen Enkelbälger mal dabei helfen könne, kam ein entschiedenes Nein. Die hätten alle zu viele Termine und Jack, der genau nebenan wohnt, ist erst 20; der kennt sich nicht aus im Supermarkt und wäre damit überfordert.
Anders als Trumps Einlassungen zu Dr. King, oder die Massensuizide am 24.12., sind die abstrusen Geschichten über völlig unselbstständige Jugendliche wirklich wahr.
[….] Diagnosen über Generationen haben den Vorteil, dass sie sich nur schwer widerlegen lassen. Eine Handvoll lautstarker Influencer, die ihre Generation erklären, dazu ein paar Anekdoten von Lehrerinnen und Vorgesetzten - fertig ist das Bild einer Alterskohorte. Der Generation Z zum Beispiel eilt der Ruf voraus, verweichlicht und unvorbereitet ins Erwachsenenleben zu starten. Ein Umstand, an dem ihre Helikoptereltern nicht ganz unschuldig sein sollen.
Eine neue Studie aus den USA liefert nun tatsächlich handfeste Zahlen über die Beziehung junger Amerikanerinnen und Amerikaner zu ihren Eltern - und bestätigt dabei so manches Klischee. Fast 60 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 34 Jahren werden demnach finanziell von ihren Eltern unterstützt. Selbst wenn ihre Kinder schon die Dreißig überschritten haben, halfen Mütter und Väter noch in 20 Prozent der Fälle bei der Begleichung von Miete und Handyrechnungen oder zahlten sogar für Lebensmittel und andere Alltagsausgaben. Für die repräsentative Studie befragten die Experten des Pew Research Center 1500 junge Erwachsene und 3000 Eltern in den USA.
[….] Laut der Studie des Pew Research Center ist beispielsweise nur jeder vierte 30- bis 34-Jährige selbst Mutter oder Vater. Vor 30 Jahren hatten in dieser Altersgruppe bereits sechs von zehn Amerikanerinnen und Amerikanern mindestens ein Kind.
Womöglich hat das Hinausschieben des Erwachsenwerdens aber nicht nur mit neuen finanziellen Zumutungen und dem Hinterfragen alter Wertvorstellungen zu tun, sondern auch mit dem Verhältnis zwischen den Generationen - womit wir wieder bei Klischees über überfürsorgliche Eltern und angepasste Kinder wären. In der Pew-Studie gaben drei Viertel der Eltern an, mehrmals pro Woche mit ihren erwachsenen Kindern Textnachrichten auszutauschen. Und, was dann doch sehr nach Helikoptern klingt: Ein Viertel überwacht die Bewegungen ihrer Sprösslinge mindestens gelegentlich per GPS-Tracker. [….] (SZ, 30.01.2024)
Das besonders Verblüffende: Die elenden Helikopter-Eltern, die ihre Blagen so verhätscheln, wurden von ihren Eltern nicht so überbemuttert. Fragt man die Großeltern der 25-Jährigen, die an Mamis Rockzipfel hängend unfähig sind, ihr Leben allein zu gestalten, wundern die sich am meisten.
Sie haben die Boomer und GenX zu Welt gebracht und zur Selbstständigkeit erzogen.
Offenbar ist es erst der Einfluss der Social Media-Kanäle auf die Erziehung, der junge Eltern dazu zwingt, ihre Brut ständig mit anderen zu vergleichen und enorme Erwartungen weckt, die es zu erfüllen gilt.
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