Donnerstag, 24. November 2016

Völlig tabulos.

Noch vor zehn Jahren war der öffentliche politische Tabu-Bruch etwas für rechtsradikale Spinner.
Man erinnere sich an den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der 2003 am Tag der Deutschen Einheit den Juden eine Mitschuld am Holocaust zuschob, sie gar als „Tätervolk“ bezeichnete.
Es war ein klarer Fall von „das tut man nicht!“
Wer nach einer Begründung für dieses Tabu fragt, verfügt über keinerlei Moral. Sechs Millionen europäische Juden wurden von Deutschen und Österreichischen Christen zwischen 1941 und 1945 ermordet. Das sind die ungeheuerlichen Fakten, die es anständigen Menschen unmöglich machen darüber zu sinnieren, ob es eine Schuld der Juden gäbe.

Es existier(t)en auch politische Tabus, die gar keine moralische Rechtfertigung hatten, sondern durch konservatives Kalkül postuliert wurden.
20 Jahre lang war eine Bundesregierungsbeteiligung der Grünen tabuisiert. CDU, CSU und FDP kreischten Zeter und Mordio, warnten immer wieder vor dem „rotgrünen Chaos“, in welches Deutschland nicht gestürzt werden dürfe. Ich bin heute noch verblüfft darüber, daß die Welt nach 1998 immer noch weiter existierte, obwohl die Sozis diesen Tabubruch gewagt hatten und ein leibhaftiger Grüner Vizekanzler wurde.
Nachdem Schwarz und Gelb den Charme der Grünen als Mehrheitsbeschaffer erkannten, fiel diese Tabu und beschränkt sich nun auf „Die Linke“, mit der man nicht regieren darf.

So ein Tabuisierungsversuch ist machttaktisch nachvollziehbar. Die Rechten möchten der SPD eine Mehrheitsoption nehmen, um selbst umso länger zu regieren.
Das funktioniert. Merkel wurde 2013 Kanzlerin trotz einer rotrotgrünen Mehrheit im Bundestag.
Wenig erstaunlich also, daß Unionsmitglieder alles dafür tun, um das Anti-LINKE-Tabu aufrecht zu erhalten.
CDU und CSU haben dabei in Sahra Wagenknecht eine große Wahlhelferin, die heute bei ihrer Hauptrede der Bundestagsgeneraldebatte alles dafür tat, um Merkel die Kanzlerschaft zu sichern, indem sie R2G de facto zerstörte.

Bizarr sind die vielen gesellschaftlichen Tabus, die oft aus kruden religiösen Vorzeiten stammen, keinerlei erkennbaren Sinn haben und zum Teil immer noch befolgt werden.
Masturbation, unehelicher Geschlechtsverkehr, Scheidung, Frauen in Hosen, Linkshändigkeit, Kriegsdienstverweigerung oder gemischtrassige Ehen waren über Jahrhunderte tabuisiert.

Menschen empfinden unterschiedlich, daher kann es sinnvoll sein gewisse Tätigkeiten in der Öffentlichkeit zu unterlassen: Zigarre-Rauchen, Nacktheit, lautes Telefonieren, Körpergeruch sind Beispiele dafür. Das sollte man unterlassen, wenn man sich unter Fremden befindet. Hierbei handelt es sich aber nicht um Tabus, sondern soziale Konventionen.
Ich möchte auch nicht in der U-Bahn neben einer Stinkerin sitzen oder jemand bei der Onanie zusehen. Gleichzeitig trete ich natürlich für eines jeden Rechtes ein im privaten Kreis zu transpirieren und masturbieren.

Wer diese Dinge tatsächlich tabuisiert, verlangt aber, daß man überhaupt nie nackt rumläuft oder ins Telefon brüllt.

Solche Tabus sind nicht nur sinnlos, sondern auch schädlich.

Die Zusammenarbeit mit dem politischen Rechtsextremismus und die Verbreitung rechtsradikaler Thesen sind aber völlig zu Recht tabuisiert, da die Enttabuisierung bereits der erste große Schritt zur Gewalt ist.


Das macht es so schwer erträglich AfD-Politiker zu beobachten, wie sie reihenweise Tabus brechen und jedes Mal anschließend grinsen wie ein Zweijähriger, der sein erstes Häufchen in den Nachttopf gedrückt hat.


Wer sich öffentlich vernehmbar über Behinderte mokiert, verächtlich über Homosexuelle spricht, ausländerfeindlich argumentiert, senkt jedes Mal die Hemmschwelle bei den moralisch Desparaten, die solche Hassgefühle in die Tat umsetzen.
Dieser Zusammenhang ist vielfach belegt, wie die rapide ansteigende Zahl der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, die schwulenfeindlichen Attacken in Frankreich nach dem Aufstand gegen die Homoehe oder die Hassangriffe auf Muslime in der USA nach der Wahl Trumps zeigen.


Amerika führt gerade eine Enttabuisierung des Nazitums à la Hitler vor, wie man es noch vor einem Jahr nie für möglich gehalten hätte.

Brutaler als KKK und andere White Supremacists setzen die „Alt-Rights“ auf Hitler pur.

[…..] After dinner, when most journalists had already departed, Spencer rose and delivered a speech to his followers dripping with anti-Semitism, and leaving no doubt as to what he actually seeks. He referred to the mainstream media as “Lügenpresse,” a term he said he was borrowing from “the original German”; the Nazis used the word to attack their critics in the press.
“America was until this past generation a white country designed for ourselves and our posterity,” Spencer said. “It is our creation, it is our inheritance, and it belongs to us.”  
The audience offered cheers, applause, and enthusiastic Nazi salutes. [….]



“Lugenpressa” – da verfällt auch Richard Spencer mit seiner Hitler-Frisur ins Deutsch.

Whoopi Goldberg hat Recht – das passiert; solche Typen kriechen nach oben, if you stir up the base


Alt-Right ist insofern höchst relevant, weil Trumps rassistischer Stabschef, der Breitbart-Mann Steve Bannon Vordenker dieser Nazibewegung ist.
Alt-Right hat also nicht nur einen Fuß im Weißen Haus, sondern sitzt mitten drin an der wichtigsten Schaltstelle.


[….] Bislang trat die rechte amerikanische Bewegung Alt-Right kaum in Erscheinung. Doch seit Trumps Sieg fühlen sich die Radikalen ermutigt wie nie. [….] Sie haben Trump gewählt, weil in ihm zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein Kandidat zur Wahl stand, der sich ganz bewusst rechtsradikale Positionen zu eigen machte. Er diffamierte die Latinos als "Vergewaltiger", kündigte die Deportation illegaler Einwanderer an und die Aufrüstung der Grenze. Doch nicht nur das: Er distanzierte sich nur widerwillig vom Zuspruch vonseiten eines der Idole der weißen Suprematisten, des früheren Führers des Ku-Klux-Klan, David Duke. Und er spielte unbekümmert mit den Zeichen einer jungen Bewegung von ultrarechten weißen Suprematisten, die seit knapp zehn Jahren unter dem Label "Alternative Right", kurz "Alt-Right", im rechten Untergrund fermentiert.
Bisher kam Alt-Right über ein paar Tausende Anhänger nicht hinaus. [….]
Richard Spencer [….] deklamierte: "Weiß zu sein heißt, ein Kämpfer zu sein, ein Kreuzfahrer, ein Entdecker und ein Bezwinger." Am Ende rief er in den Saal: "Heil Trump! Heil unserem Volk! Heil unserem Sieg!" Spencer, 38, ist der Kopf der Alt-Right-Bewegung und ein Meister des politischen Brandings. Rechtsradikale Gruppen gab es immer in den USA, auch nachdem der Ku- Klux-Klan weitgehend verschwunden war. [….]  Spencer versteht sich als Intellektueller. Gerne erzählt er, wie sehr Friedrich Nietzsche ihn beeinflusst habe. Und wenn er über Napoleon liest, so gestand er dem Rolling Stone, kriege er "einen Steifen". Verheiratet ist er mit der Russin Nina Kouprianova, einer Putin-freundlichen Wissenschaftlerin und Übersetzerin.
[….]  Ein nicht geringer Teil der Amerikaner, die "birther", weigern sich bis heute, [Obama] als Präsidenten anzuerkennen, da er in Wahrheit in Kenia geboren sei. Doch während die Birther die Tatsache, dass sie einen schwarzen Präsidenten niemals anerkennen würden, noch mit der Frage nach dem Geburtsort kaschierten, bekennen sich die Alt-Right-Anhänger nun offen zu ihrem weißen Suprematismus. [….]

Mit der Berufung Bannons zum Stabschef des US-Präsidenten ist ein Tabu gefallen, das außerordentlich notwendig war und für immer hätte aufrechterhalten werden sollen.


Nun sind die Dämme gebrochen, nun kann sich eleminatorischer Menschenhass nicht nur ungehindert entfalten, sondern der Einpeitscher des Hasses ist zu einem der mächtigsten Männer der Supermacht Amerika reüssiert.

Trumps sehr schwache und 18 Monate zu späte Distanzierung kann auch nichts mehr retten. Die Nazikatze ist aus dem braunen Sack.


Wäre Amerika nicht moralisch nicht schon lange bankrott, hätte eine rassistische Breitbart-Lügenkampagne niemals zu einem „President elect“ führen können.

Die von Trump so verachteten „liberal media“ diskutieren diesen Vorgang, aber was gibt es da noch zu reden?
Es müßte Generalstreiks geben bis Trump zurücktritt.





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