Sonntag, 30. Juni 2019

Der große braune Knall

Da ich kein ganz junger Hüpfer mehr bin, mache ich mir keine ganz großen Illusionen mehr über mich selbst.
Ja, ich glaube, daß ich einige bestimmte Fähigkeiten und Talente habe, die ich selbstbewußt einsetze.
Aber ich weiß natürlich auch um einige eklatante Schwachstellen.
Ich bin kein Frauen-Aufreißer, unfähig mich in den Mittelpunkt zu stellen und habe den sportlichen Ehrgeiz einer Amöbe.
Kaufmännische Gene habe ich ebenfalls nicht abbekommen. Ich würde zielsicher jeden Laden in die Pleite führen.
Eine extreme Fehlbesetzung wäre ich auch als Krimineller, weil mir immer alle leidtun und ich keine Coolness mitbringe. Ich bin schon zu feige schwarz zu fahren.

Das größte Verbrechen, das ich je beging, liegt rund drei Dekaden zurück und verfolgt mich immer noch.
Das war nach meinem Vordiplom, als ich im Hauptstudium fortgeschrittene anorganische Chemie betrieb und beim Themenkreis „Komplexchemie“ insgesamt zehn Präparate darstellen musste. Das war theoretisch nicht so kompliziert, aber die Versuchsaufbauten hatten es in sich, weil bei den empfindlichen Substituenten alles unter extremen Vakuum oder Schutzgasen stattfinden musste.
Da bastelt man schon einen halben Tag die Geräte zusammen bis alles steht, aber die größte Schwierigkeit war natürlich an meiner grandiosen Universität überhaupt alle benötigten Ausrüstungsgegenstände bei der chronisch unterversorgten Geräteausgabe zu bekommen.
Für ein Ölpumpenvakuum gab es natürlich keine entsprechende fertige Pumpe, die man einfach anstellte, sondern man musste sich diverse Gasbomben und Dewar-Gefäße ausleihen. Also stand man um 06.30 Uhr im AC-Keller und suchte zunächst einen Rollwagen, auf dem man die schweren Bomben transportieren konnte und hoffte anschließend, daß man früh genug war, um funktionierende Bomben zu bekommen.
Mit Geschick und Glück hatte man nach einer Woche irgendein leuchtend rotes oder blaues Pulver erzeugt, das man sofort abgeben musste, um es auf Reinheit und Ausbeute zu überprüfen.
Die eigentliche Schwierigkeit war natürlich das anschließende Kolloquium bei dem ein Chemie-Prof alle theoretischen Grundlagen abfragte.
Aber soweit gelangte man nicht, wenn das dargestellte Produkt zu minderwertig war und das konnte man nur bedingt beeinflussen, wenn man nicht die entsprechenden Geräte hatte und Ausgangschemikalien bekam.
Bei einer Aufgabenstellung verzweifelte ich regelrecht, weil ich nie alles was ich an Laborgeräten benötigte auf einmal ausgeliehen bekam und genau in dem Moment war da dann dieser Typ aus dem höheren Semester, der just genau das Zeug hergestellt hatte, das ich abgeben musste und durch einen Rechenfehler viel zu viel hatte, so daß er es dezent entsorgen wollte.
Ein unglaublicher Zufall.
Er schob mir einen Kolben mit fast zwei Gramm roten Kristallen unter Argon-Atmosphäre zu, war froh das los zu werden und ich gab es direkt an meinen Prof weiter mit der frohen Kunde endlich alles aufgebaut zu haben.
Der Vorfall hatte keine Konsequenzen und natürlich sagte ich mir 7.000 mal, man hätte mich zu dem Betrug gezwungen, da die Uni etwas akademisch verlangte, für das sie nicht die Voraussetzungen schuf.
Schummeleien an der Uni sind allgegenwärtig, aber ich denke noch 30 Jahre später mit Bauchschmerzen daran, weil ich letztendlich einen Schein erhielt, der nicht zu 100% auf meinen eigenen Leistungen beruhte.

Umso mehr staune ich immer wieder über Impostoren und Blender aller Art, die ohne mit der Wimper zu zucken mit fremden Leistungen glänzen, lügen oder kriminell agieren.
Insbesondere bei Prominenten und Politikern ist das erstaunlich, weil diese Vögel im Gegensatz zu meinem jungen Uni-Ich in der Öffentlichkeit stehen und doch damit rechnen müssen von Journalisten und Gegnern genau geprüft zu werden.

Da war dieser aus einem südlichen deutschen Bundesland stammende Minister, der nicht nur ein bißchen geschummelt hatte, sondern seine gesamte Dissertation von vorn bis hinten abgeschrieben hatte und voller Emphase vor der Presse aufgebaut erklärte „meine Doktorarbeit ist kein Plagiat!!"
Dabei war der Text natürlich öffentlich und jeder konnte nachvollziehen, daß nur tumb zusammen gegoogelt worden war.

Oder dieser bekannte Abgeordnete aus NRW, der auf öffentlichen Datingprofilen zum Rudelbumsen im Drogenrausch lud und persönlich durch Berlin spazierte, um sich Crystal Meth zu kaufen.
Moralisch verurteile ich weder Drogen noch Sex, aber wie kann man so blöd sein zu glauben, nie erwischt zu werden, wenn man weiß, daß damit das politische Ende eingeläutet würde?

Oder Jeff Bezos, der nicht nur fremdvögelte – das kostete ihn 75 Milliarden Dollar, die er seiner Frau bei der Scheidung zahlen musste, da sie offenbar eben kein entsprechendes Arrangement hatten – sondern auch noch mit einer Trumpfreundin Sex-Nachrichten austauschte, die den schlüpfrigen Inhalt sogleich über ihren Bruder an den Trumps National Enquirer weiterreichte.
Muss man nicht seit Anthony Weiner wissen, daß es immer irgendwann rauskommt, wenn man Penisbilder per Handy verschickt?

Ich bin schon lange offen für die These, daß alle Celebrities und Spitzenpolitiker zumindest partiell Borderliner sind und verweise zum wiederholten Mal auf Karen Duves großartiges kleines Buch über die Karriere von Soziopathen.

(….)Die von Karen Duve in ihrem wunderbaren Essaybuch „Warum die Sache schiefgeht“ beschriebenen Alpha-Männer an der Spitze der Nahrungskette kennen natürlich keine Selbstzweifel. Sie kommen auf die höchsten Stufe der Karriereleitern, weil sie sicher sind dahin zu gehören und sich zutrauen alles zu können. Sie sind so selbstbewußt, halten sich so selbstverständlich für Gottes Geschenk an die Menschheit, daß sie in der Lage sind diesen Irrglauben auch ihrem gesamten Umfeld einzupflanzen.
Das funktioniert; Testosteron, Rücksichtslosigkeit, Selbstüberschätzung, Dominanz und Risikobereitschaft bringen einen ganz nach vorn.
Und deswegen geht die Sache auch schief.

Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen
(Karen Duve)

Es wäre besser für das Fortbestehen der Menschheit wenn statt dieser ICH-BIN-IN-ALLEM DER-BESTE-Trumps lieber vorsichtigere, abwägende und um Rat bemühte Anführer die Politik bestimmten.

Ein Mensch, der nie eine Universität von innen gesehen hat und nicht an fataler Selbstüberschätzung leidet, würde vermutlich ablehnen Verfassungsminister der viergrößten Industrienation der Erde zu werde, weil er ahnen würde, daß alle bisherigen Bundesinnenminister bisher studierte Juristen waren.

Nicht so bei Horst Seehofer, der einfach verkündete, er wäre eben Erfahrungsjurist, weil er schon so viel mit Gesetzen zu tun gehabt hätte.
Dementsprechend katastrophal wird das Ministerium nun auch geführt.

Mit der Begründung könnte sich auch ein chronischer Kariespatient als Dentist niederlassen.

Mein Freund, der Kapitän berichtet immer wieder von „Paxen“ (Passagieren auf Frachtschiffen), die sich zum Leidwesen der Crew ununterbrochen auf der Brücke aufhalten und den Offizieren Ratschläge geben, weil sie sich aufgrund einer früheren Kreuzfahrt-Teilnahme einbilden Nautiker zu sein.

Welch erstaunliche Anmaßung!
Nein, wer sich den Appendix entfernen lassen hat ist nicht anschließend qualifiziert als Chirurg zu arbeiten.

Mit dieser radikalen Selbstüberschätzung geht oft eine erstaunliche Schamlosigkeit einher.
Man kennt das insbesondere von den vielen, alten, fetten, häßlichen Männern, die fest davon überzeugt sind knackige, schöne, junge Frauen passten zu ihnen.
70-jährige Typen ohne Haare und mit Schmerbauch, die aber äußerst kritisch die Figuren ihrer 25-Jährigen Verlobten betrachten. (…..)
(Der, den keiner will, 19.12.2018)

Drogen, Geld und Erfolg verleiten Blender offensichtlich dazu zunehmend unvorsichtig zu sein; zu glauben, ihnen könne keiner was.

Das extremste Beispiel ist natürlich Trump, der immer lügt, gar keine Erfolge vorzuweisen hat, finanziell immer wieder scheitert, sich aber hartnäckig für den Allergrößten hält.

Seine Kinder, inklusive Schwiegersohn Jared treten in genau die Fußstapfen.
Sie halten sich allesamt für absolut fabelhaft, ohne je Anlaß dafür geliefert zu haben.

[….] Jared Kushner will in Bahrain für seinen Nahost-Friedensplan werben. Aber es sieht schlecht aus - Trumps Schwiegersohn überschätzt sich, wie bei so vielen Prestigeprojekten, von denen nur er selbst profitierte.
[….] Trump verspricht oft Megadeals, ohne dass am Ende viel von ihnen übrig bleibt. Etwa sein "neues" Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada. Das ist im Kern nicht mehr als eine Nafta-Modernisierung, die gegenwärtig im US-Kongress verkümmert. Auch Kushner ist nicht der Dealmaker, für den er sich hält:
    Seine Immobilienfirma wackelt,
    seine Tageszeitung "New York Observer" ist kaputt,
    aus seinem sogenannten White House Office of American Innovation, das "frisches Denken" und Wirtschafts-Know-how in die Politik bringen sollte, ist bis heute keine einzige Initiative hervorgegangen.
[….] Was ihn dazu befähigen sollte, einen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern auszuhandeln, ist offen. Der Enkel von Holocaust-Überlebenden ist praktizierender Jude, am Handgelenk trägt er ein rotes Kabbala-Armband. Er fühlt sich mit dem jüdischen Staat Israel verbunden. Nicht mehr und nicht weniger. Qualifikationen hat er keine.
In seine neue Rolle ist Kushner wohl eher hineingeschliddert. Genauso wie er und seine Ehefrau, Trumps älteste Tochter Ivanka, an ihre Top-Beraterposten im Weißen Haus kamen - durch Vetternwirtschaft.
[….] Diese Mischung aus Naivität und Überheblichkeit findet sich bei manchen, die sich zeitlebens in einer Blase aus Privilegien und Wohlstand bewegen. Die Kushners seien ein Musterbeispiel für den "Dunning-Kruger-Effekt", schreibt Kolumnistin Michelle Goldberg in der "New York Times".
Was komplex klingt, ist ganz einfach. Es handelt sich dabei um eine Faustregel, erdacht von zwei Psychologen der Universität Cornell. Der Effekt, so Goldberg, "verleitet inkompetente Personen dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, weil sie nicht verstehen, wie viel sie nicht wissen".
Oft rettet solche Leute die Nähe zu Macht und Geld. Die Parallelen zu Kushner, der planlos an der Zukunft des Nahen Ostens arbeitet, sind offenkundig. Dessen verschuldeter Konzern bekam neulich eine Geldspritze von einer Firma mit Verbindungen in das Emirat Katar.
In ein weiteres Unternehmen, an dem Kushner beteiligt ist, flossen nach Recherchen des "Guardian" bisher 90 Milliarden Dollar aus Offshore-Quellen. Und aus Saudi-Arabien. [….]

Auch ein rechtslastiger islamophober Blogger aus Berlin, der sich just mit seinen Nazifreunden zerstritt scheint in dieses Muster zu passen.

Berauscht von sich selbst und mutmaßlich weiteren ungesunden Substanzen, wähnte er sich als Anführer aller Rechtsextremen, aller Schwulen und aller Journalisten.
Er hielt sich für unantastbar und so konnte ich nur staunen welche Abgründe mir über sein Privatleben zugetragen wurden. Ganz Berlin tuschelte offenbar; es gibt sogar ein Buch darüber.

Ich nehme für mich in Anspruch nie so unter die Gürtellinie gezielt zu haben, daß ich diese Gerüchte weitergebe, aber nach der letzten Woche mutmaße ich, daß seine Gegner in der rechten Szene offensichtlich auch über Material verfügen, um ihn zu verdrängen.

Heute verkündete er in einer wütenden Abrechnung mit Erika Steinbach seinen Rückzug aus dem Kuratorium der „Desiderius-Erasmus-Stiftung“ der AfD.
Ganz offensichtlich hat die von ihm einst so bewunderte Steinbach etwas gegen ihn in der Hand.

[…..] Hiermit trete ich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Kurator der Desiderius-Erasmus-Stiftung zurück. Seit etwa 14 Tagen versucht die Präsidentin der Stiftung, Dr. Erika Steinbach, in ungebührlicher Weise Druck auf meine journalistische Tätigkeit auszuüben.
Und zwar erstaunlicherweise sobald ich problematische Tendenzen am extrem rechten Rande der AfD (Björn Höcke, Wolfgang Gedeon, Doris von Sayn-Wittgenstein usw.) und bei der vom Verfassungsschutz überwachten „Identitären Bewegung“ und den „Neurechten“ von „Schnellroda“ sowie die gefährliche Hetze und Hassreden im Zusammenhang mit dem Mord an Regierungspräsident Lübcke auf meinem Blog kritisiere. [….]
(Pipi-Blog, 29.06.19)

Mich wundert weniger, daß AfD und Co die Reißleine ziehen, die Brücken zum UD abbrechen, sondern eher, daß es erst jetzt geschieht und daß der braune Theologe so unvorsichtig war, es soweit kommen zu lassen.


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