Mittwoch, 12. Juni 2019

Volksparteienpersonal

Ja, sicher, es gibt in Europa Länder, in denen große ruhmreiche sozialdemokratische oder christlich-konservative Volksparteien regelrecht untergegangen sind. Italien, Frankreich.
Die Umstände sind aber nur bedingt vergleichbar.
Ein strahlender neuer Vorsitzender, wie zum Beispiel der Charismat Justin Trudeau, der 2013 im Alter von 41 Jahren neuer Vorsitzender der „liberalen Partei Kanadas“ wurde und diese zweieinhalb Jahre später triumphal zum Wahlsieg führte, kann viel erreichen.

Die holländischen Sozialdemokraten, die Partij van de Arbeid (PvdA) stürzten bei der Parlamentswahl von 2017 auf 5% ab, verloren unglaubliche 20 Prozentpunkte. Bei der Europawahl im Mai 2019 wurden sie wieder stärkste Partei.

In Ländern mit Mehrheitswahlrecht, wie zum Beispiel England, Frankreich und den USA, haben es große Parteien leichter, können aber mit drögen Waschlappen (François Hollande) oder Skandalfiguren (Sarkozy) an der Spitze, dennoch pulverisiert werden. In England scheint das Parteiensystem trotz des nie dagewesenen Brexit-Chaos stabiler und in den USA ist das duale System sogar geradezu zementiert.

Sogar Martin Schulz vermochte es im März 2017, als er mit 100% zum neuen SPD-Parteivorsitzenden gewählt wurde, die „alte Tante“ aus dem Schlaf zu reißen, kletterte in Umfragen auf 33%, sogar vor der Union.
Das beweist; Wähler sind nicht grundsätzlich gegen Volksparteien und durchaus bereit sich wieder hinter eine von ihnen zu stellen, wenn sie von der Parteiführung überzeugt sind.
Natürlich machte Schulz in seinem Jahr als SPD-Parteivorsitzender so ziemlich alles falsch, das man falsch machen kann, wirkte auch dank eines unfähigen Willy-Brandt-Hauses immer nur wie ein Jammerlappen, der sich über ungerechte Behandlung durch die Medien beschwerte.
Ein charismatischer Wahlkämpfer mit einer Strategie, der wie Gerd Schröder 1998 selbst die Agenda bestimmt hätte, oder wie Trudeau die Amtsinhaberin unsympathisch und phlegmatisch aussehen lassen hätte, wäre durchaus in der Lage gewesen im September 2017 einen großen Wahlsieg einzufahren.

Im Jahr 2019 zeigen die Vorsitzenden Habeck und Baerbock wie man die kleinste Bundestagspartei (8,9% bei der Bundestagswahl 2017) auf 27% und zur stärksten Partei hochschraubt.
CDU/CSU, SPD und Linke nutzen ebenfalls die Kraft ihrer Vorsitzenden als Aushängeschilder – allerdings mit negativer Wirkung. Nahles, Seehofer, Wagenknecht und AKK treiben potentielle Wähler effektiv von ihren Parteien weg. Sie sind gewissermaßen Anti-Hirten, wie es Tebartz-van-Elst in Limburg war.

Nachdem Tölpelkönigin Nahles schon fast vergessen scheint, rückt nun wieder die CDU-Chefin mehr in den Focus der Öffentlichkeit.
Seit ihr ein blauhaariger Youtuber von seinem Zweitkanal aus ans Bein pinkelte, macht Annegret Kramp-Karrenbauer alles falsch, das man falsch machen kann.

[…..] „Der Vorstoß der konservativen Werte-Union, die Partei solle ihren nächsten Kanzlerkandidaten per Urwahl bestimmen, ist ein offenes Misstrauensvotum gegen Kramp-Karrenbauer und Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit in Teilen der Union. (...) Werte-Union-Chef Alexander Mitsch hat die Büchse der Pandora geöffnet - das Gift des Misstrauens breitet sich aus und kann nicht mehr so einfach aus der Welt geschafft werden. Die Konservativen, die sich nicht mit der Niederlage ihres Hoffnungsträgers Merz abgefunden haben, sägen offen am Stuhl der Parteichefin und stellen ihre Autorität infrage. [….]

Sie wird dabei kongenial von ihren debakulierenden Stellvertretern unterstützt.
Aber die Shitstorm-Königin von der Saar (#Gendertoilette, #verkrampftesvolk, #homoehe-inzest, #Intersexuellenwitze #gretabashing) scheint ebenso unbelehrbar wie ihre katholische Ex-Kollegin Nahles.

[….] Konservative Katastrophenkaskaden
[….] Allein in den vergangenen zehn Tagen geschah Folgendes nur rund um den YouTuber Rezo, der in der digitalöffentlichen Selbstzerstörung des Konservatismus die Rolle des blauhaarigen Tsunamis übernommen hat und sie glänzend fortführt:
    Der konservativen Verbraucherschutzministerin fliegt ein Twitter-Video mit einem Nestlé-Chef um die Ohren, als Rezo drunterkommentiert, dass er exakt so eine Veröffentlichung als Werbung kennzeichnen müsste.
    Ein konservativer Bundesminister deutet eine hanebüchene Verschwörungstheorie über Rezo an, die ursprünglich von einer rechtsextremen Internetseite stammt.
    Ein konservativer Großkommentator der "FAZ" teilt das irreführende, absurde Anti-Rezo-Video eines antisemitischen, homophoben Islamisten unter Applaus konservativer Bundestagsabgeordneter.
Das Gegenteil von "einen Lauf haben" ist "einen Einlauf kriegen", und der kommt verlässlich durch die sozialmediale Öffentlichkeit. In der üblichen Mischung aus giftigem Spott und plakativer Fassungslosigkeit wird den konservativen Fehlleistern widersprochen. Deren Reaktionen machen alles noch schlimmer, weil sie zu oft von Realitätsverlust, Bockigkeit und maximaler Herablassung zeugen.
[….] Die digitale Vernetzung hat den klassischen Konservatismus in eine umfassende Krise gestürzt. [….] Dann fordern Konservative die Transparenz von politischen Akteuren im Netz, obwohl sie seit Jahren ein Lobbyregister verhindern, also Transparenz von der Union nahestehenden politischen Akteuren. Dann werden von einer Unionsfrau (in der Digitaldebatte im EU-Parlament) die "rücksichtslosen kapitalistischen Großkonzerne" übel gescholten, während keine Partei rücksichtsloser Großkonzernpolitik macht als die Union. [….]

AKKs Wahlkämpfer im Osten, der sächsische CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident Michael Kretschmer, reist unterdessen nach Moskau, um für Putin zu werben. Damit ist er, wieder einmal oberster Wahlhelfer der AfD, die schon zweimal in Sachsen stärkste Partei vor der CDU wurde; Bundestagswahl 2017 und Europawahl 2019.
Kramp-Karrenbauer reagiert nicht.
Aber sie findet einen Weg es noch blöder als Kretschmer anzustellen, indem sie die Bundeskanzlerin vor den Bus wirft, die in Harvard kritische Töne an Trump gerichtet hatte.

[….] Bei der Deutsch-Amerikanischen Konferenz in Berlin warnte sie vor überzogener Kritik: "Wenn heute allzu oft auch in Diskussionen hier in Deutschland in einem Atemzug die Präsidenten Trump, Putin und Erdogan genannt werden, dann ist das eine Äquidistanz, die nicht hinzunehmen ist."    Man könne Trump zwar kritisieren, sagte Kramp-Karrenbauer. Aber: "Der entscheidende Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Russland zum Beispiel ist, dass Journalisten dort ihre Arbeit unbeeinträchtigt machen können, während sie in Russland in Schauprozessen vor Gericht gestellt werden." Sie bekannte sich klar zu der von den USA geforderten Erhöhung der Verteidigungsausgaben und verzichtete weitgehend auf Kritik an Trumps Außenpolitik.
Vor rund zwei Wochen hatte das bei Kanzlerin Merkel anders geklungen. Sie rechnete damals in einer Ansprache vor Studenten der Eliteuniversität Harvard mit der Politik von Trump ab, [….] Die Kanzlerin kritisierte unter anderem nationale Alleingänge in der internationalen Politik und die Gefährdung des freien Welthandels durch Protektionismus.
Kramp-Karrenbauer dagegen hob in ihrer Rede in Berlin das "enge Geflecht an Werten, an Überzeugungen, an demokratischer Struktur" hervor, welches es mit den USA gebe. [….]

Fehlt nur noch eins, um die konservativen Wähler zu verschrecken; eine kräftige Personaldebatte.
Natürlich liefert AKK.

[….] In der CDU hat eine Debatte über die nächste Kanzlerkandidatur begonnen. [….] Kramp-Karrenbauer selbst hatte bisher immer darauf hingewiesen, dass die Entscheidung erst auf einem CDU-Parteitag Ende 2020 fallen solle. [….] Am Wochenende hatte zum Beispiel Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet deutlich gemacht, dass er sich noch nicht aus dem Rennen nehmen will. [….] Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, forderte angesichts dieser Unstimmigkeiten "die entscheidenden Köpfe in der Partei" auf, sich bereits jetzt darauf zu verständigen, wie die CDU die Kanzlerkandidatur "angehen und vor allem entscheiden" will. [….] Die Werteunion verlangt, dass über die Kanzlerkandidatur sogar alle CDU-Mitglieder abstimmen dürfen. Sie startete am Dienstag auf ihrer Homepage eine "Initiative Urwahl". [….]  Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz bezeichnete die Debatte sogar als "völlig irre Diskussion". [….]

Ich weiß nicht wie sich die SPD einen Habeck herzaubern kann.
Aber angesichts der Performance aus dem Konrad-Adenauer-Haus, scheint es eine durchaus vernünftige Strategie zu sein den Sozi-Chefsessel vakant zu lassen und abzuwarten, wie sich die Schwarzen selbst zerlegen.

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