Montag, 23. August 2021

Mit militärischem Gerät am Hindukusch.

 Der aktuelle SPIEGEL titelt, wenig überraschend, mit Afghanistan.

  Das sind informative, gut geschriebene Artikel, die ich gern empfehle.

Die Analyse der grotesken Fehler und Verbrechen des Westens ist wenig erfreulich zu lesen, weil so vieles davon seit Jahren bekannt ist.

Es ist die Geißel unserer Zeit; wir gehen sehenden Auges in die globalen Megaprobleme, wissen lange vorher was nicht funktioniert, wie man eigentlich handeln müsste, sind aber als Weltgemeinschaft kollektiv zu verblödet, um zu handeln. Klimakrise, Ressourcenverteilung, Digitalisierung, Corona-Impfstoff für Afrika, Waffenexporte, Decarbonisierung, Finanzmärkte, Turbokapitalismus, Lebensraumzerstörung, Flüchtlingsströme. Nichts kommt überraschend. Aber sogar auf nationaler Ebene in einem aufgeklärten reichen Land wie Deutschland, sind wir außerstande auf Tierwohl in der Landwirtschaft zu achten, drastische soziale Ungerechtigkeiten zu verhindern, Breibandinternet auszubauen, uns von der Kohleverstromung zu trennen.

Die brutale Amoralität der NATO, der USA und Deutschlands in Afghanistan passt also ins Bild.

Weil Washington, Brüssel und Berlin unfähig sind, sich eine andere Regierungsform als die eigene vorzustellen, musste nach der Zerschlagung Al Kaidas und der Vertreibung Mullah Omars, der Karsai-Popanz mit demokratischen Wahlen aufgebaut werden. Die Präsidentschaftswahlen von 2009 waren eine Farce aus Betrug und Korruption. Um das Gesicht zu wahren, wollte die UNO in Kabul einen zweiten Wahlgang durchführen lassen. Das wollte aber Afghanistan nicht.

[….] Im Morgengrauen des 28. Oktober überfielen drei Attentäter das Uno-Gästehaus in Kabul, erschossen die Wächter, drangen in den Hof ein und gingen daran, die knapp 30 Uno-Mitarbeiter zu ermorden. Bis sie unerwartet auf Gegenwehr stießen. Louis Maxwell, ein amerikanischer Ex-Militär und Sicherheitsbeamter, schaffte es anderthalb Stunden lang, die Angreifer von einem der Dächer aus in Schach zu halten. Hilfe der afghanischen Polizei, der Armee kam nicht – mitten in Kabul. Als die drei Angreifer ihre Selbstmordgürtel gesprengt hatten, wankte Maxwell ins Freie, telefonierten vier weitere Uno-Mitarbeiter noch, dass sie jetzt herauskämen.  Minuten später waren alle tot, die vier direkt von vorn erschossen, Maxwell, während er zwischen afghanischen Soldaten auf der Straße stand. Niemand von diesen zuckte, schaute auf, als ein einzelner Schuss Maxwell niederstreckte. Seine Leiche schleiften sie in den Hof. Erst ein zufällig von einem deutschen Sicherheitsmann von einem Dach mehrere Häuser weiter aufgenommenes Video von Maxwells Ermordung brachte die internen Uno-Ermittler Monate später auf die Spur. Doch alles sollte geheim bleiben. Im Sommer 2010 bat mich ein FBI-Ermittler um ein Treffen in Kabul. Auf die Frage, was nun geschehe, schüttelte er den Kopf: Es werde keine weiteren Ermittlungen geben. Washington wolle Karzai nicht desavouieren. Nach dem Anschlag wurde die Hälfte des Uno-Personals abgezogen und der zweite Wahlgang abgesagt. Hamid Karzai bekam seinen Sieg. [….]

(Christoph Reuter, SPIEGEL, 21.08.2021)

Nur einmal in der Geschichte Afghanistans gab es eine Hoffnung auf einen einheitlichen Nationalstaat. Nämlich als 1979 die sowjetische 40. Armee unter Marschall Sergei Sokolow mit 115.000 Mann eimarschierte. Anders als im Fall USA/NATO 2001, gab es 1979 immerhin den Hauch einer Legitimation, da die Regierung der Demokratischen Republik Afghanistan tatsächlich um Unterstützung aus Moskau gebeten hatte.

Assistiert wurde der Roten Armee von 55.000 afghanischen Soldaten, der DDR und Indien. Mit dieser gewaltigen Anzahl von Bodentruppen und Panzern gelang es der damaligen Supermacht fast, eine säkulare Kabuler Regierung im ganzen Land zu stabilisieren, in der keine Scharia galt und Frauen gleichberechtigt waren.

Bekanntlich wurden aber an die 200.000 radikal-islamische Mudschahedin (unter ihnen Osama bin Laden) schlauerweise massiv von Bonn, der USA, Israel, Ägypten, England, Pakistan und Saudi-Arabien aufgerüstet.  Die USA sorgen maßgeblich dafür, daß die Islamisten gewannen, die Menschenrechte ausgehebelt wurden.

Inzwischen ist es quasi ein Sigature-Move der US-Außenpolitik, ihre eigenen Kriegsgegner zuvor selbst massiv aufzurüsten.

Wie schon der Irak unter Saddam Hussein, bekamen auch die Mudschahedin Afghanistans ihre Waffen aus den USA, bevor ihnen Washington den Krieg erklärte und ein gewaltiges Chaos mit mindestens 500.000 Toten anrichtete.

Und weil der Fehler so massiv war, wiederholten die USA mit dem einseitig von Trump und den Taliban im Frühjahr 2020 bekannt gegebenen Rückzug diesen Kardinalfehler. Die nun unter Biden endgültig abziehende US-Army hinterließ gewaltige Waffenarsenale, die sich nun vollständig in den Händen der Taliban befinden. Fabrikneue US-amerikanische Waffen im Wert von mindestens 50 Milliarden US-Dollar gelangten in den letzten Wochen an die Taliban.

[….] Keine Hightech-Armee, aber doch moderne Sturmgewehre und MGs, etwas Artillerie, geländegängige Humvee-Jeeps, minensichere MRAPs -Truppentransporter. Keine echte Luftwaffe, sondern nur zwei Dutzend A-29 Tucano-Jets: Das Turbo-Prop-Flugzeug war geeignet, die Taliban anzugreifen, wenn sie Stützpunkte und Checkpoints der Armee attackieren sollten. Dazu Helikopter und Transportflugzeuge. Dem Wall Street Journal zufolge waren es bis 2016 mehr als 200 Maschinen. Das Gerät sollte robust sein, leicht zu warten. Das kommt nun aber den Taliban zugute, die sich nach 20 Jahren Krieg auskennen. War in Afghanistan früher die Kalaschnikow die Waffe der Wahl, haben viele der Kämpfer längst US-Sturmgewehre. Auf den Videos und Selfies in den digitalen Medien halten die Kämpfer stolz M-4-Karabiner, M-16-Gewehre und amerikanische Scharfschützengewehre in den Händen. Sie hatten solche US-Waffen bereits während der jahrelangen Kämpfe erbeutet. Aber jetzt sind ihnen die Bestände aus den Armee-Lagerhäusern in die Hände gefallen: Ein Arsenal, über 20 Jahre angehäuft. [….] Dem Wall Street Journal und CNN zufolge wurden allein zwischen 2003 und 2016 an Kabul 600 000 Sturmgewehre und andere Handfeuerwaffen geliefert. Dazu MGs, Pistolen, Minen, Mörsergranaten, kleinere Raketen, Panzerfäuste, Nachtsichtgeräte, Funkausrüstung, Helme, Schusswesten, Uniformen.  Zwischen 2013 und 2017 sollen zudem 76 000 Fahrzeuge ins Land gekommen sein, so der Sender unter Berufung auf US-Behörden. In den nächsten zwei Jahren seien noch einmal fast 4700 Humvee-Geländewagen dazugekommen, 7000 MGs, Granaten. In den Depots müssen demnach auch Unmengen an Munition lagern: Allein in zwei Jahren kamen 18 Millionen Schuss nach Afghanistan. [….]

(Tomas Avenarius, 22.08.2021)

Ich bin sicherlich kein Militär-Experte und verstehe nichts von Waffen.  Aber ausgerechnet die Hintermänner des 9/11-Anschlages von 2001 nun erneut mit einem derartigen Waffenarsenal auszustatten, erscheint mir doch eher unklug.

Das könnte ein Schachzug aus dem lehrreichen Film IDIOCRACY sein, der am Freitag, den 27.08.2021 auf Tele5 läuft und den ich jedem als Parabel für die aktuelle Politik empfehlen möchte.

Die US-Amerikaner haben George W. Bush im Jahr 2.000 aufgrund ihres grotesk unfairen Wahlrechts mit MINDERHEIT zum US-Präsidenten und Oberbefehlshaber gewählt. Sie haben ihn aber, weit schlimmer, nach dem Bekanntwerden all seiner Lügen und der totalen Desaster zweier Kriege im November 2004 wiedergewählt. GWB hatte 2001 grünes Licht von dem UN-Sicherheitsrat Al-Kaida und die Taliban-Herrschaft zu zerschlagen.

Der Angriffskrieg auf den Irak 2003 war aber illegal und desaströs. Das begriffen glücklicherweise Joschka Fischer und Gerhard Schröder sofort. Nicht aber eine gewisse Angela Merkel, die ganz begeistert von dem Plan war und eigens nach Washington reiste, um vor GWB Kotau zu machen, weil sie unbedingt am Irakkrieg die Bundeswehr beteiligen wollte.

GWB hatte natürlich auch kein Placet, um nach der Niederschlagung der Al Kaida in Afghanistan sitzen zu bleiben, um eine westliche Demokratie, wie sich das klein George in Texas so vorstellt, zu installieren.  Bush, Blair, die GOP, Merkel, Pflüger, Schäuble waren vollständig borniert und nahmen weder Experten noch historische Tatsachen zur Kenntnis.

[…..] Aber keiner - kein Präsident und kein General, kein Aufbauhelfer und keiner der unzähligen Besserwisser und Ankläger der letzten Tage - konnte das prinzipielle Dilemma Afghanistans lösen: dass es sich nämlich nicht um einen Staat handelte, der nach herkömmlichen Vorstellungen zu regieren, zu beherrschen und zu befrieden sein würde. Afghanistan ist ein historischer Konstruktionsfehler, in seinen Landesgrenzen das Abfallprodukt gescheiterter Kolonialpolitik und der britisch-russischen Großmachtsrivalität, ein Kunststaat an der Schnittstelle von Kontinenten und Religionen, unwirtlich und unzugänglich, vielleicht das komplizierteste Gebilde der Welt. Entscheidend für das Verständnis des Landes ist die Stammesordnung, die keine Grenze, aber dafür ihre eigenen Gesetze kennt - niemals aber den Frieden.  Die afghanische Geschichte besteht aus einer endlosen Aneinanderreihung von Kriegen, die entweder zwischen paschtunischen Stämmen oder gegen den äußeren Feind aus Persien, Indien, Russland oder zuletzt die USA geführt wurden.  [….]

(Stefan Kornelius, 21.09.2021)

Noch einmal; keine dieser Informationen ist geheim. Man hätte das jederzeit einfach googeln können. Oder im Jahr 2001 den Fernseher einschalten können. Da saßen rund um die Uhr Peter Scholl-Latour und Kollegen, die das alles dem breiten Publikum erklärten.

Ich frage mich nur, ob der große US-Freund Scholl-Latour sich hätte vorstellen können, daß  Washington und das Pentagon so sagenhaft verblödet sein könnten, zum dritten Mal ihre islamischen Todfeinde mit modernsten Waffen im Wert von zig Milliarden aufzurüsten.

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