Wie es jetzt wohl in den Social-Media-Blasen der AfDler, Werteunionisten und Aluhüte angesichts des NATO-Megadesasters in Afghanistan aussieht?
Die schaffen sich vermutlich ihre eigene irreale Realität, erquicken sich an dem Elend anderer.
In meiner deutschamerikanisch, linksgrün-demokratisch-versifften Internetblase ist das Meinungsbild extrem einheitlich. Alle sind stinksauer auf das Versagen der Bundesregierung und des Westens, beschimpfen Joe Biden und Heiko Maas, sowie die afghanische Armee. Die Bilder sind entsetzlich.Der Groll ist berechtigt. Maas hatte noch im Juni erklärt, er rechne nicht mit einem schnellen Durchmaß der Taliban nach Kabul. Die NATO-Führung, die USA, Berlin, Paris, London – niemand hatte das derart schnell kommen sehen und so grollte Biden gestern auch, US-Soldaten kämpften nicht für ein Volk, das selbst zu feige sei zu kämpfen.
Ich halte diese Überraschung der zuständigen Regierungen sogar für glaubwürdig. Wieso hätte Maas solche Prognosen abgeben sollen, wenn er damit gerechnet hätte, so schnell von der Realität widerlegt zu werden? Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sich allesamt grundlegend irrten.
Dieses totale Regierungsversagen des Westens ist umso erstaunlicher, da eben dieses Ende des Afghanistan-Einsatzes seit 20 Jahren prognostiziert wurde.
Schon vor Wochen postete ich Erinnerungen an die TV-Auftritte Peter Scholl-Latours (gestorben 2014), der EXAKT das prophezeite. Sobald die afghanischen Soldaten den Taliban gegenüberstehen, werfen die ihre Waffen weg und kapitulieren. Der Kollaps der Armee ist eben keine Überraschung.
Und das ist alles andere als ein aufregendes Geheimwissen, sondern der Mann war über Jahre Dauergast in allen Talkshows, schrieb Dutzende Bücher und unzählige Artikel, produzierte TV-Dokumentationen.
[…..] "Die Journalistenlegende Peter Scholl-Latour prognostizierte genau das vor 20 Jahren. Schon damals legte er die Finger in die Wunde. Die Regierung: vom Westen geschmiert, kaum im Volk anerkannt. Die Freundlichkeit gegenüber den Befreiern: Gespielt. Die Armee: desertiert, sobald der Sold ausbleibt. 2014 erklärte der Franko-Deutsche im Außenausschuss des Bundestages den Einsatz für gescheitert. Konsequenzen? Keine. Der alte, unbequeme Grantler hat wieder einmal Recht behalten. Heute, am 16. August, jährt sich sein Tod zum siebten Mal. Sein langer Schatten ruht auf dem gescheiterten Außenminister: hätte man auf ihn statt auf Ideologen gehört, säßen jetzt keine deutschen Mitarbeiter im Taliban-Staat fest." […..]
(Katholische Tagespost, 16.08.2021)
Die hier zitierte Laschet-affine und SPD-kritische Katholiban-Presse schiebt natürlich die Schuld dem Sozi-Außenminister zu. Auch ich kann meinen Parteifreund nicht davon freisprechen. Das war eine ganz schlechte Leistung, Heiko Maas.
Immerhin, im Shitstorm der letzten beiden Tage stellt sich der Außenminister tapfer der Presse, beschönigt seine Fehler nicht und tut alles in seiner Macht Stehende, um nun so viele Menschen wie möglich zu retten.
Allein schuld ist Maas ganz sicher nicht.
Größere Schuld haben George W. Bush und seine Administration auf sich geladen.Hauptverantwortlich für den deutschen Afghanistan-Einsatz ist die längste Zeit, nämlich 16 von 20 Jahren, Angela Merkel.
Die Entscheidung, hoppladihopp Afghanistan zu verlassen, mehrere Tausend Taliban freizulassen und ihnen freie Hand zu lassen, stammt vom schlimmsten Regierungschef seit Adolf Hitler; nämlich Donald Trump.
[….] Als die USA unter Donald Trump, ohne jedes Interesse am Schicksal der Afghanen, den Taliban im Abkommen von Doha 2020 noch nicht einmal einen Waffenstillstand mit den ANSF auferlegten, solange die Islamisten nur den Abzug der US-Truppen nicht störten, verschlechterte sich die militärische Lage im Land beängstigend rasch. [….]
Die völlig verblödete Trump-Pompeo-Administration war, wie so oft, eine extrem schlechte Verhandlerin. Der Dealmaker, der Autor von „The Art Of The Deal“, der alle anderen Regierung beschuldigte, keine Deals machen zu können, konnte eins eben nie: Deals! Trump wurde wie ein Kleinkind von den Taliban über den Tisch gezogen.
[….] Haben sich die Taliban geändert? Ja und nein. Sie haben in den vergangenen Jahren nicht nur militärische Zähigkeit bewiesen und mit ihrer zermürbenden, aus dem Hinterhalt geführten Kriegstaktik die Staaten der hochgerüsteten westlichen Armeen dazu getrieben, den Einsatz endlich beenden zu wollen. Sie haben vor allem auf diplomatischem Parkett dazugelernt, sie werden etwa in Peking bereits mit höchsten Ehren empfangen. Am Verhandlungstisch übertrumpft haben sie im vergangenen Jahr die dilettantische Trump-Administration, weil sie die Kriegsmüdigkeit der USA erkannten und tatsächlich einen Abzug der ausländischen Truppen ohne große Gegenleistung aushandelten. Kaum waren diese fort, hat es nur kurz gedauert, bis die Islamisten in Kabul den Palast übernehmen konnten. [….]
Was für ein Totalschaden der angeblich so erfahrenen Kanzlerin!
Die Geheimdienste werden in ihrem Kanzleramt koordiniert. Zuständig sind ihr Kanzleramtsminister Braun (CDU) und sein Staatssekretär Geismann (CDU).
[….] Das Bundeskanzleramt ist für die Angelegenheiten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zuständig. Der BND ist dem ChefBK unterstellt. Sein Vertreter ist Staatssekretär Johannes Geismann. Dieser nimmt gleichzeitig die Aufgabe des Beauftragten der Bundesregierung für die Nachrichtendienste wahr. In dieser Funktion koordiniert und intensiviert Staatssekretär Geismann die Zusammenarbeit der drei Nachrichtendienste des Bundes untereinander und ihre ressortübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Dienststellen. Die Nachrichtendienste sind verschiedenen Ressorts zugeordnet. Der Bundesnachrichtendienst ist dem Bundeskanzleramt zugeordnet, das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundesministerium des Innern und der Militärische Abschirmdienst dem Bundesministerium der Verteidigung. [….]
BND und MAD waren aber entweder selbst total ahnungslos oder ihre Bedenken fanden keinen Anklang bei Braun und Merkel.
Schuldig und verantwortlich ist ferner die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, da die „Ortskräfte“, von denen nun alle reden, Angestellte ihrer Bundeswehr waren. Es war AKKs ureigene Zuständigkeit, sich um ihre Mitarbeiter zu kümmern. Sie zog aber die Soldaten ab, ohne das zu tun und steht heute hilflos an der Seite von Haiko Maas, während sie betont ihre zwei Militär-Airbusse hingen vom US-amerikanischen Schutz des Kabuler Flughafens ab.
Während die erste US-Maschine 640 Flüchtlinge auf einmal ausflog, startete AKKs Bundeswehrjet mit gerade sieben (!) Flüchtlingen an Bord in Richtung Tadschikistan.
80% der Bundeswehr-Ortskräfte sind immer noch in Afghanistan. Kramp-Karrenbauer hat weder einen Plan, noch auch nur eine vage Vorstellung davon, wie all diejenigen, die sich nicht in Kabul befinden, während der totalen Taliban-Kontrolle zum Flughafen kommen könnten. Viele Tote werden auf AKKs Konto gehen.
Weiterhin sind zwei CSU-Bundesminister zuständig. Der eine, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gerd Müller, ist seit Wochen völlig untergetaucht. Er versucht sich mit allen Mitteln einen schlanken Fuß zu machen.
[…..] Noch vor einer Woche wollte die Bundesregierung straffällig gewordene Afghanen abschieben, angeblich gab es da noch sichere Gegenden im Land. Noch vor einer Woche hat die im Auftrag der Bundesregierung tätige Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betont, die Entwicklungsprojekte im Norden des Landes liefen weiter, obwohl ihre afghanischen Mitarbeiter das ganz anders erzählen. […..]Der andere trägt noch schlimmere persönliche Verantwortung: Integrationsminister Horst Seehofer, der dafür zuständig ist, die Ausreisepapiere für die Ortskräfte zu erteilen. Seehofer blockierte bis vor wenigen Tagen vollständig das Ausfliegen der von den Taliban tödlich bedrohten Menschen.
[….] Am Donnerstag, unter dem Eindruck immer dramatischerer Bilder der Bedrohung, setzte Innenminister Horst Seehofer (CSU) nahezu alle Formalien für die Einreise nach Deutschland aus. Bis dahin war von fliehenden afghanischen Ortskräften erwartet worden, zumindest einen Visumsantrag in der Region zu stellen - was schon seit Wochen faktisch kaum mehr möglich ist. Nun sollten alle Formalitäten nach dem Eintreffen in Deutschland erledigt werden können. [….]
(Stefan Braun, SZ, 17.08.2021)
Auch nachdem es gestern beginnend mit Hamburgs Regierungschef Peter Tschentscher mehrere Bundesländer gibt, die sich bereit erklären Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, beklagt heute Berlins Bürgermeister Müller, die vollständig ausbleibende Planung des Bundesinnenministeriums. Seehofer blockiert also auch die Koordinierung der Flüchtlingsunterbringung, während die CDU-Größen – auch die von den Deutschen so geliebte Merkel – davon schwafeln, nun sollten erst einmal die Afghanischen Nachbarstaaten Flüchtlinge aufnehmen. Als ob Pakistan oder der Iran die Mitarbeiter der Bundeswehr in tödliche Gefahr gebracht hätten.
Was für eine erbärmliche Schande der EU! Mal wieder!
[…..] Als wäre die Entwicklung der vergangenen Tage nicht schon Schande genug für den Westen: Die einzigen europäischen Länder, die spontan afghanische Flüchtlinge aufnehmen wollen, heißen Kosovo, Albanien und Nordmazedonien. […..]
Die Grünen verweisen auf einen im Juni von der Groko und der AfD gemeinsam abgelehnten Bundestagsantrag zur Aufnahme afghanischer Flüchtlinge. Die FDP enthielt sich; nur die Linke stimmte zu. Das sieht in der Tat heute nicht gut aus für die Koalitionsparteien, also auch die SPD.
Allerdings wußten die Grünen natürlich, daß die Groko keinesfalls in der Frage mit den Linken stimmen würde. Sie waren sicher, daß der Antrag nicht durchkommt. Die nächsten beiden Monate verschwiegen sie das Thema auch tunlichst, weil sie ebenso wie alle anderen Parteien die Hosen voll hatten, fürchteten Stimmen an die AfD zu verlieren. Keine Bundestagspartei wagte es, im immer heißer werdenden Bundestagswahlkampf öffentlich zu fordern Zehntausende Afghanen nach Deutschland zu holen.
Insofern ist die jetzige Empörung der Grünen reine Heuchelei.
Betrachtet man das deutsche totale moralische und politische Versagen, ist aber sicherlich Kanzlerkandidat Armin Laschet der Widerlichste.
Er schwurbelt, schwankt und lügt auch bei diesem Thema. Wirft nun Heiko Maas Dreck an den Kopf, obwohl er selbst ausdrücklich noch bis vor zwei Wochen sogar Abschiebungen nach Afghanistan durchführen wollte und seine Partei der Evakuierung von Ortskräften im Bundestag widersprach.
Nun tut er so, als gehöre er gar nicht zur CDU.
[….] Bereits am Sonntagabend hatte Laschet einen Forderungskatalog präsentiert. "Handeln jetzt, ohne Zögern!", verlangte der CDU-Chef. Wobei man sich fragte, warum Laschet seine Forderungen twitterte - und nicht direkt bei der Kanzlerin, der Verteidigungsministerin, der EU-Kommissionschefin oder dem Vorsitzenden der Unionsfraktion anrief. Die Damen und Herren sind alle Mitglieder seiner Partei und hätten es schon seit Wochen in der Hand gehabt, ohne Zögern zu handeln. [….][….] Laschet [blieb] eine Antwort darauf schuldig, wie die besonders gefährdeten afghanischen Frauen überhaupt nach Deutschland gebracht werden können. Am Montag war noch nicht einmal klar, ob die Luftbrücke nach Kabul lange genug offenbleibt, um alle Deutschen und wenigstens einen Teil der verbliebenen afghanischen Ortskräfte aus dem Land zu bringen. […..]Laschet ist moralisch völlig verkommen, erklärte gestern noch, den afghanischen Frauen solle vor Ort (und nicht in Deutschland) geholfen werden. Wohlwissend, daß das unmöglich ist, verwendet der fromme Katholik reine AfD-Sprache.
Statt Menschen zu helfen, kumpelt Laschet lieber mit den Faschisten und zeigt als engagierter Katholik was ihm Nächstenliebe und Mitleid wert sind: REIN GAR NICHTS!
Im widerlichen Gleichklang mit der AfD sagt Laschet ebenso wie die anderen C-Minister das braune menschenverachtende Mantra „2015 darf sich nicht wiederholen“ auf. Laschet, Söder, Lindner, Klöckner, Strobl, Ziemiak sprechen allesamt brav derAfD nach.
Warum eigentlich? Die Stimmung 2015 war großartig. Das Land kam zusammen, es herrschte eine Welle der Hilfsbereitschaft, die Mühen zur Unterbringung der Flüchtlinge waren eine großes Konjunkturprogramm, das deutschen einen ökonomischen Aufschwung verschaffte und zweifellos braucht Deutschland dringend Zuwanderung. Der Fachkräftemangel im Bau, im Handwerk, in der Pflege ist dramatisch im Jahr 2021.
[….] Es geht schon damit los, dass die Situation von 2015 kaum mit jener von 2021 vergleichbar ist. Eine bis nach Europa reichende "große Fluchtbewegung", wie Laschet es ausdrückte, ist kaum zu erwarten. Während die Syrerinnen und Syrer, die damals um ihr Leben fürchteten, 2015 offene Grenzen bis nach Deutschland überqueren konnten, kommen die afghanischen Schutzsuchenden 2021 gar nicht aus ihrem Land. Und selbst wenn ihnen dies gelänge: Spätestens an der iranisch-türkischen, allerspätestens an der türkisch-griechischen Grenze wäre Schluss. Das weiß Laschet.
Das Problem greift aber tiefer. Der Satz, den nicht nur Laschet und andere Unionspolitiker, sondern auch AfD-Politiker gern unermüdlich wiederholen, bricht nicht nur die unvergessenen und in der Entstehung hochkomplexen Vorgänge von 2015 auf diesen einen Slogan herunter. Unterschwellig stellt er überdies das tatsächlich Geschehene - die Zuwanderung von Menschen in Not und Todesangst - als rein negatives Ereignis dar. Denn etwas, das sich nicht wiederholen darf, ist eine Gefahr, die es abzuwehren gilt. Wie sehr die von den Rechten betriebene Diskursverschiebung schon fortgeschritten ist, zeigt auch die Wissenschaft. Soziologen aus Bielefeld haben soeben festgestellt, dass die integrationsfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft zugenommen haben. Man habe eine "Kultur der Abwehr" ausgemacht - und zunehmende Abwertung von Geflüchteten.
Nun also Laschet, der angesichts der Bilder vom Kabuler Flughafen zu einer Aussage greift, die vermutlich von Angst getrieben ist: Bloß den Rechten kein Wahlkampfthema bieten! Aber was genau soll sich eigentlich nicht wiederholen? Der humanitäre Kraftakt der Bundesregierung, die Grenzen offen zu halten und Menschen zu helfen, die aus Todesangst ihre Heimat verlassen hatten? Die mehrheitlich positive Reaktion und die spürbare Solidarität in der Gesellschaft? [….]
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