Wie spießig; neulich wurde mir klar, daß ich noch nie so lange an einer Stelle gewohnt habe, wie in meiner jetzigen Wohnung.
Damals war es ein Schnellschuss; ich musste aus der vorherigen Wohnung raus und wollte unbedingt in diese Gegend.
Da konnte ich mir nicht leisten, mich länger umzugucken und unterschrieb den Mietvertrag, obwohl die Bude eigentlich einen Tick zu klein war, damals teuer zu sein schien und seit 25 Jahren nicht modernisiert worden war. Der Deal: Ich bekomme sie zur gleichen Miete und einen Monat mietfrei, wenn ich die Renovierung selbst durchführe.
Damals war ich noch so grün hinter den Ohren, daß ich den Aufwand total unterschätzte. Die schrecklichen braungrün-gemusterten Kacheln in Bad und Küche aus den 1970ern, Dekor „Moorleiche“, überklebte ich kostengünstig mit DC-Fix-Folie. Lange würde ich ja ohnehin nicht bleiben.
20 Jahre später, nach nur zwei sehr moderaten Mieterhöhungen, stellt sich die Situation ganz anders dar: Vermutlich werde ich gar nicht mehr umziehen, weil inzwischen a) die Mieten so angestiegen sind, daß ich für eine Wohnung in meiner Größe mindestens das Doppelte zahlen müßte und b) in meiner Gegend ohnehin keine Wohnungen mehr frei werden.
Allerdings verändern sich im zunehmenden Alter die Prioritäten. Inzwischen hätte ich doch ganz gern etwas mehr Ruhe und insbesondere mehr Platz.
Aber wie soll man das anstellen, wenn man in der Innenstadt bleiben möchte, aber andererseits bedauerlicherweise über keinen Goldesel verfügt?
Immerhin war ich schlau genug, mir keine Kinder oder Haustiere anzuschaffen. Daher pressiert die Wohnungssuche nicht so sehr wie bei Millionen anderen bedauernswerten Wesen in Deutschland.
Das Thema Wohnen wurde inzwischen zu einem großen Politikum und so spukt langsam auch ein über Dekaden nicht vorstellbarer Gedanke in meinem Kopf:
Könnte ich nicht zu ähnlichen monatlichen Kosten luxuriöser und auf größerem Fuß in herrlicher Stille leben, wenn ich mich von den Annehmlichkeiten der Großstadtlage verabschiede? Ginge es nicht, zumindest in einigen Jahren, sich ganz auf Homeoffice umzustellen?
Irgendwohin, wo es billig ist. MeckPomm, Elbe-Weser-Dreieck oder Oberlausitz.
Obwohl ich unabhängig von Kitas und Schulen entscheiden kann, bleibt das Landleben mit Nachteilen behaftet. In den letzten Jahren wurde ich zweimal operiert, musste lange mit Krücken gehen. Das ist als Single ohnehin Mist, aber wenigstens waren es kurze Wege zum Arzt, ich fand eine Physiotherapeutin, die zu mir kam, konnte alle Lebensmittel unkompliziert liefern lassen.
Einem Bekannten, dem ein ähnliches Malheur in Cuxhaven passierte, stellten sich ganz andere Probleme. Dort kann man sich nicht rund um die Uhr liefern lassen und die Auswahl der medizinischen Versorgung ist deutlich reduziert. Je kleiner das Kaff, umso schwieriger wird es. Was soll man tun, wenn der Strom oder das Telefon ausfällt? Mal eben ein MRT machen, wenn der Flunk weh tut?
Aus dieser Unfähigkeit sich zwischen zwei Welten zu entscheiden, entstand die Spezies des Pendlers.
Er oder sie sind die egoistischen Hedonisten der Arbeits- und Wohnwelt. Sie wollen das Beste aus beiden Welten nehmen und die Nachteile den anderen überlassen.
Billig wohnen, mit viel Platz und einem Garten, geringere Gewerbesteuern, weniger Gebühren, keine städtischen Abgaben und Vorschriften, aber dafür den Städtern, die all das finanzieren, einen Arbeitsplatz wegnehmen.
Pendler sind eine ökologische Pest und/oder verstopfen zumindest den ÖPNV-Regionalverkehr. Sie wohnen flächenverbrauchend und damit energetisch mangelhaft.
Die Kosten werden partiell auch noch auf die Allgemeinheit abgewälzt, weil der Staat Pendlerpauschalen zahlt, Dienstwagen finanziert und Straßen kostenlos zur Verfügung stellt.
Warum ist das eigentlich so? Wieso sind alle Parteien so pendlerfreundlich und überbieten sich gegenseitig damit, den Wahnsinn der stundenlangen Arbeitswege zu unterstützen?
Könnte man nicht von den Menschen eine Entscheidung verlangen?Lebt entweder wie ein echter Städter in der Stadt. Kleine Wohnung, wenig Platz, wenig Flächenversiegelung, wenig Emissionen durch sehr kurze Wege.
Oder zieht euch auf Land zurück, genießt da die günstigere Preise, die Ruhe und den Platz. Dann bleibt aber auch da, kauft regional, arbeitet im Homeoffice.Wer sich mit einer Version nicht zufrieden gibt und beides will – Job mit mehr Geld in der Stadt UND Haus im Grünen mit großem Garten – soll das tun dürfen, aber statt dabei noch finanziell gefördert zu werden, sollte man ihn/sie zur Kasse bitten. Eine deftige CO2-Abgabe für die Pendelei und eine am Arbeitsplatz zu entrichtende Ausgleichsteuer, für die durch die Stadt finanzierte vom Pendler benutzte Infrastruktur.
Mopo-Redakteur Florian Boldt beklagt sich im Leitartikel vom Freitag über die Ungemütlichkeiten seiner Pendelei aus Stade nach Hamburg in die Redaktion. Er müsse bis zu zwei Stunden in Bahn und Bus sitzen, bei Sturm und Regen sei das oft ein Problem. Und die vielen Baustellen gefielen ihm auch überhaupt nicht.
Sehr witzig, Herr Boldt. Kein Hamburger freut sich über die Baustellen. Aber wenn nicht Myriaden Pendler wie Sie jeden Tag Hamburgs Straßen und Brücken abnutzen würden, ohne hier Steuern zu zahlen, hätten wir auch nicht so viele Baustellen.
Sie beziehen Ihr Gehalt aus der Leistungsfähigkeit der Stadt, schaffen das Kapital in eine Gegend, die dafür keinerlei Anstrengung unternommen hat und besitzen die Dreistigkeit sich dann auch noch zu beklagen, weil wir Städter ÖPNV-Parasiten wie Ihnen nicht noch mehr Bequemlichkeiten verschaffen?
Wenn Sie das alles in Hamburg so schrecklich finden, suchen Sie sich doch einen Job in Stade! Und wenn Sie keine Lust haben in der Provinz zu arbeiten, dann mieten Sie sich doch eine Einzimmerwohnung in Hamburg-Altona mit 28qm. Das ist praktisch, umweltfreundlich und erspart Ihnen schlagartig die vier Stunden Pendelzeit am Tag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen