Mittwoch, 29. März 2023

Blamables aus Bayern

 

Bill Maher hat insofern Recht, daß die sich explosionsartig vermehrenden Trigger-Warnungen großer Unsinn sind.

Der psychologische Begriff „Trigger“ und das abgeleitete Verb „triggern“ sind aber im Social-Media-Zeitalter unverzichtbare Worte geworden.

2009, als Ratzi noch amtierte, drückte er es in einem Schreiben an alle seine Bischöfe mit „daß auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten“ aus.
Es ging um die heftigen Reaktionen auf seine Begnadigung des FSSPX-Bischofs und Holocaust-Leugners Williamson. Der Tiara-Geront hatte sein Publikum getriggert.

Tatsächlich können öffentliche Personen, auch völlig unschuldig zu „Triggern“ werden. Die Algorithmen von Twitter, Facebook und Instagram machen es möglich. Ricarda Lang oder Sawan Chebli sind solche Fälle. Allein die Nennung ihrer Namen triggert den rechten Mob. Sie müssen gar nichts sagen, um die braunen Trolle mit sprungbereiter Feindseligkeit auf sie einschlagen zu lassen.

Auch für das linke Publikum gibt es solche Namen, wie beispielsweise Gerd Schröder. Das triggert sie zuverlässig und lässt mit 99,9%iger Wahrscheinlichkeit die Begriffe „Gas-Gerd“ und „HartzIV“ folgen, während seine zweifellos großen Verdienste für Deutschland nie erwähnt werden. Die Bürgerlichen werden am meisten von Claudia Roth getriggert.

Facebook und Twitter sind zu toxisch, um dem Phänomen auf den Grund zu gehen, aber „in real life“ mache ich mir schon seit Jahren den Spaß nachzufragen, wenn wieder einmal jemand gegen Roth pestet; typischerweise sind das Handwerkermeister; denjenigen festzunageln, was ihn eigentlich ganz konkret stört. Interessanterweise kann das niemand beantworten. Die Pseudoantworten lauten dann „wie die schon aussieht! Was die für Klamotten anhat! Diese bunten Haare!“ Wenn es besonders seriös zugeht, wird eingeworfen, sie hätte gar keine Qualifikation, da sie „Ton, Steine. Scherben“ gemanaged habe.

Die Angriffe auf Roth sind aber insofern passend, als sie einer meiner ausgesprochenen Lieblinge ist. Ich kann mich nicht erinnern, jemals anderer Meinung gewesen zu sein und bewundere ihr kontinuierliches Engagement für Themen, die anders als die LGBTIQ-Rechte in Deutschland des Jahres 2023, kontrovers sind und kaum Aufmerksamkeit erregen. Den Kampf gegen die Todesstrafe, den Rechtsextremismus oder für Erinnerungskultur.

Die Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland wird in ihrem Regierungsjob sogar noch mehr gehasst, als auf den beiden früheren Ebenen als Parteichefin und Bundestagsvizepräsidentin.  Die Augsburgerin Roth, die gut mit einem gewissen Günther Beckstein befreundet ist, verhält sich völlig richtig gegenüber ihres Heimatbundeslandes, wenn sie in den "Madame Soler"-Streit eingreift. Dabei handelt es sich um eins der berühmtesten Picasso-Gemälde, das 1903 entstand und dem berühmten jüdischen Sammler Paul von Mendelssohn-Bartholdy gehörte. Er wurde 1934/34 „arisiert“, das Portrait landete bei dem weltbekannten Galeristen Justin Thannhauser, der aber später aufgrund seiner jüdischen Verwandtschaft ebenfalls vor den Deutschen floh. 1964 kaufte der Freistaat Bayern das Werk. Vor 25 Jahren unterschrieb die Bundesrepublik Deutschland die Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998, in der geregelt wurde, von den Nazis geraubte Kunstschätze, den Erben der ursprünglichen Besitzer zurück zu geben. Nur CSU-Bayern weigert sich.

[….] Seit 2009 sind nun die Erben Paul von Mendelsohns bemüht, das Gemälde zurückzuerhalten, was jedoch die Pinakothek bisher stets verweigert hat. So sehr man nun eingestehen mag, dass die Angelegenheit überaus komplex ist, so ist empörend gleichwohl der Umstand, dass das Land Bayern sich unverdrossen weigert, das auf der Washingtoner Erklärung beruhende Verfahren zu akzeptieren: nämlich sich gemeinsam mit den Erben vor der sogenannten „Limbach Kommission“ zu verantworten.

Deren Aufgabe aber ist so definiert: „Die unabhängige Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, ist 2003 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden eingerichtet worden, um bei Differenzen über die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter zu vermitteln.“

Der eigentliche Skandal dieser Affäre besteht weniger in dem Umstand, dass die Münchner Pinakothek dieses kunsthistorisch so bedeutsame Gemälde behalten will, sondern darin, dass das Land Bayern nicht bereit ist, die causa auch nur – gemeinsam mit den Erben – durch die Kommission überprüfen zu lassen. Das Land Bayern – kunstpolitisch gesehen ein Fall von postnationalsozialistischer Hehlerei? Die Haltung des Freistaats schädigt das Ansehen des ansonsten so kunstfreundlichen Bundeslandes Bayern.  [….]

(FR, 08.09.2022)

Claudia Roth kann, will und darf Bayern damit nicht durchkommen lassen.

 [….] Mit dieser Einschätzung stehen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, deren Direktor Bernhard Maaz sich nicht äußern wollte, seit Jahren allein da, internationale Institutionen wie das Museum of Modern Art und das Guggenheim Museum in New York haben Meisterwerke aus der Sammlung des jüdischen Bankiers restituiert. Aber sogar eine Petition der Erben an den Bayerischen Landtag blieb bislang ohne Erfolg. Ein Sprecher des Ministeriums teilte auf Anfrage der SZ mit, dass es keinen neuen Sachstand gebe. [….] Bislang hatte sich Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien im Kanzleramt, nicht zu dem Fall geäußert, nun sagt sie der SZ: "Ich fordere die bayerische Landesregierung ausdrücklich dazu auf, endlich den Weg dafür freizumachen, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen einer Anrufung der Beratenden Kommission zustimmen. Das ist nun wirklich überfällig."

Offensichtlich ist die Ansage mehr als ein spontaner Wutausbruch. Im Kulturstaatsministerium wird grundsätzlich an dem Problem gearbeitet, dass es auch fast ein Vierteljahrhundert nach Verabschiedung der Washingtoner Erklärung, nach der sich Staaten dazu verpflichten, verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu restituieren, ausgerechnet im Land der Täter noch kein Raubkunst-Gesetz gibt und keine juristisch verbindlichen Verfahren. Nicht einmal belastbare Statistiken. [….] Rüdiger Mahlo, Vorsitzender der Jewish Claims Conference in Deutschland, kann immerhin vorrechnen, dass es bei dem Tempo, "noch gut 2000 Jahre dauern kann, bis das Thema abgearbeitet ist". [….] Der Koalitionsvertrag war in der Frage zwar deutlich, aber knapp: man versprach "die Restitution von NS-Raubkunst zu verbessern, indem wir einen Auskunftsanspruch normieren, die Verjährung des Herausgabeanspruchs ausschließen, einen zentralen Gerichtsstand anstreben und die Beratende Kommission stärken".

Nun sagt Claudia Roth der SZ, dass man in Berlin derzeit sehr konkret an der Umsetzung arbeite: "Mit dem Finanzministerium und dem Justizministerium ist mein Haus dazu im Gespräch." Denn: "Jede gerechte und faire Lösung bezüglich eines NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts ist ein wichtiger Schritt für die Übernahme von Verantwortung für die Vergangenheit und unsere Pflicht, gegenüber den betroffenen Familien, an denen sich unser Land so sehr vergangen hat, zumindest etwas zur Gerechtigkeit beizutragen." [….]

(Catrin Lorch, 27.03.2023)

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