Wenn ich mich über Parteien oder Kirche oder Politiker äußere, geschieht das auf Basis frei zugänglicher Informationen. Ich lese Zeitungen und Bücher, sehe mir Politmagazine im Fernsehen an, beziehe Newsletter, werfe natürlich auch einen Blick auf Social Media.
Ich bin aber kein Journalist, schon gar kein Investigativer. Ich bin kein Ermittler oder Forscher. Ich führe keine Interviews, stelle keine Fragen auf Pressekonferenzen, nehme nicht an Hintergrundrunden teil und verfüge über keinerlei Geheimdienst-Erkenntnisse. Vermutliche wende ich überdurchschnittlich viel Zeit auf, um Hintergrundartikel zu lesen, aber ich verfüge über kein Herrschaftswissen. Alles, das ich über Kirche und Politik weiß, kann jeder wissen.
Als ich vor etwa 30 Jahren begann, am Revers Buttons mit einem durchgestrichenen Kreuz zu tragen, wurde ich gelegentlich angesprochen, was ich denn gegen die Kirche hätte. Die täten doch so viel Gutes.
Da musste viel Aufklärung betrieben werden. Natürlich
wissen die allermeisten Leute nichts über Kirchengeschichte oder Theologie. Das
ist nicht anders zu erwarten, weil das offenbar als irrelevant erachtet wird. Aber ich fand es immer erstaunlich, daß der
deutsche Durchschnittsmichel rein gar nichts über die grundlegende
Kirchenfinanzierung weiß. Die Kirchensteuer ist bloß ein
Vereinsmitgliedsbeitrag, den aber der Staat trotz der grundgesetzlich
vorgeschriebenen Trennung von Staat und Kirche, als Inkassounternehmen für die
Kirche eintreibt. Die vielen sozialen Einrichtungen der Kirche werden natürlich
nicht mit der Kirchensteuer bezahlt, sondern von uns, dem Staat. Die
Bundesländer bezahlen die Bischofsgehälter und die theologische Ausbildung. Die
Bistümer hingegen horten gewaltige Milliardenschätze, die in Aktien oder Immobilien
angelegt sind und raffen alle Gewinne an sich, da sie
zudem auch noch von allen Steuern befreit sind.
Ob im Jahr 2023 endlich die Erkenntnis in der breiten Masse angekommen ist? Ich bezweifele es. In meiner atheistischen Medienblase weiß natürlich jeder, daß nicht die Gläubigen oder der Vatikan die 13.000 Euro Monatsgehalt für Kardinal Marx und Kardinal Woelki bezahlen, sondern die Bundesländer Bayern und NRW, also auch Atheisten, Muslime und Hindus.
Extrem unerfreulich war für mich das Canisius-Jahr 2010, als scheinbar überraschend für eine größere Öffentlichkeit die Missbrauchsfälle der RKK bekannt wurden. Mir war es schleierhaft, wie man das nicht wissen konnte.
Das Thema Misshandlungen hunderttausender Kinder in christlichen Heimen war schon in den 1970ern ein großes Thema. Ulrike Meinhof setzte sich dafür ein; es gehörte zu den Gründungs-Essentials der Studentenbewegung und später auch der RAF, Jugendliche aus der Hölle zu befreien.
Ich schreibe das nicht aus Sympathie für die RAF, sondern um darzulegen, wie prominent das Thema war.
Der erste große weltöffentliche Megasexskandal waberte rund um den Bostoner Priester John Geoghan (* 4. Juni 1935; † 23. August 2003), der 2001 als Massenkinder**cker aufflog. Der Boston Globe berichtete im Januar 2002 ausführlich über seinen obersten Chef Bernard Francis Kardinal Law, der voll im Bild über seine Kinderfic**nden Priester war, sie aber vor der Justiz schützte und ihnen neue Opfer zuführte. Im Dezember 2002 war der Druck so gewaltig geworden, daß der mächtige US-amerikanische Kardinal zurücktreten musste. Inzwischen bohrte aber die US-Presse in allen anderen Diözesen und fand überall von Priestern sexuell missbrauchte Kinder.
Auch in Deutschland gibt es guten Journalismus. Es wurde über den die Weltkirche erschütternden Megaskandal gesprochen. Der Präfekt der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger wurde, lange bevor er 2005 selbst Papst wurde, öffentlich für die Machenschaften angegriffen. Sehr bekannt wurde beispielsweise ein Video, in dem der Panzerkardinal einen Reporter wütend auf die Finger schlug. This is unerhört, meckerte der Chef der Inquisition als er auf den Megakinderf**ker Pater Marcial Maciel angesprochen wurde.
Acht Jahre später, 2010, nachdem längst der SPIEGEL, die
Süddeutsche Zeitung, Monitor und Panorama über die pädosexuellen Monster in
Soutane berichtet hatten…
Bischof Kurt Krenns Augiasstall St Pölten war schon Ende der 1980er ein Thema.
Hans Hermann Kardinal Groër griff so selbstverständlich kleinen Jungs zwischen die Beine, daß er bereits 1995 abberufen wurde.
Die Kindersex-Abscheulichkeiten in Bischof Müllers Regensburg wurden spätestens 2008 in breiter Öffentlichkeit diskutiert.
…erdreistete sich beispielsweise Weihbischof Andreas Laun bei Sandra Maischberger zu erklären, man habe als RKK nichts gegen den sexuellen Missbrauch tun können, weil man vor 2010 nichts davon wußte. Und außerdem solle man mal „genauer bei den Evangelen hinsehen“.
[…] "Wir haben das Problem nicht in diesem Ausmaß", sagte im Jahr 2002 der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann, in einem Interview mit dem Spiegel. Kurz zuvor hatte der Boston Globe die Vertuschungsstrategie der Erzdiözese Boston beim Umgang mit Missbrauchstätern aufgedeckt, Hunderte weitere Fälle von sexuellem Missbrauch durch US-amerikanische Priester kamen ans Licht. "Warum soll ich mir den Schuh der Amerikaner anziehen, wenn er mir nicht passt?", sagte Lehmann damals. Man dürfe nicht so tun, als kämen diese Delikte en masse vor: "Gegen diesen Verdacht wehre ich mich ganz entschieden, auch im Namen und zum Schutz vieler untadeliger Priester." […]
Vor genau fünf Jahren starb Kardinal Lehmann, der langjährige Vorsitzende der Bischofskonferenz. Er wurde hartnäckig von jedem gemocht, obwohl längst bekannt war, daß er selbst besonders viel Dreck am Stecken hatte, immer wieder Pädosexpriester auf Kinder losließ und die Täter vor der Justiz schützte. Oberkatholibanin Andrea Nahles nahm aber auch 2018, nach acht Jahren breiter öffentlicher Aufklärung, keinerlei Anstoß daran, massenhaft Kinder zu quälen und sexuell zu missbrauchen. Wie alle anderen Politikpromi-Katholiken trat sie genüßlich auf den Opfern herum, als sie Lehman lobpreiste.
[….] Kardinal Lehmann war ein großer Menschenfreund und Reformer, der in der Gesellschaft breite Akzeptanz und durch sein Wirken und seine Sprache Gehör gefunden hat. Er erkannte im Laufe seines bewegten Lebens die Zeichen der Zeit und plädierte früh für eine Weiterentwicklung der Kirche im Geiste der Ökumene. Er suchte stets das Verbindende statt das Trennende und prägte damit das Bild seiner Kirche und des Bistums in Mainz. [….]
Zu dem Zeitpunkt war seit 16 Jahren über den Massenkindesmissbrauch berichtet worden, seit sieben Jahren war der breiten Öffentlichkeit bekannt, was Lehmann sich zu Schulden kommen lassen hatte.
(….) Sicherlich war Lehmann im deutschen Episkopat netter und freundlicher als die meisten anderen.
Aber bevor man ihn über den grünen Klee lobt, sollte man doch auch die Fakten berücksichtigen. Die sind aber eindeutig: Lehmann war ein Top-Lobbyist einer zutiefst antihumanen und raffgierigen Organisation.
[….] Kardinal Lehmann wettert erneut gegen Homo-"Propaganda"[….] Nach Auffassung des 77-Jährigen muss es möglich sein, dass Lesben und Schwule verantwortlich in Einrichtungen der katholischen Kirche tätig sind – allerdings nur unter einer Voraussetzung: "Wenn sie mit ihrer Homosexualität nicht öffentlich Propaganda machen", so der Kardinal.
Ist ein Coming-out schon "Propaganda"?
Ein Fortschritt? Wohl kaum. Die Aussage Lehmanns gibt nichts anderes als den Status quo wider. Versteckt lebende Schwule und Lesben bleiben schon jetzt in kirchlichen Einrichtungen weitgehend unbehelligt. Wagen sie es jedoch, sich etwa zu verpartnern, wird selbst die Putzfrau in einem Krankenhaus oder eine Erzieherin in einem Kindergarten entlassen. [….]
[….] Kardinal Lehmann sieht Parallelen von 800 Babyleichen und deutschen Kliniken
Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann sieht in dem Massengrab im irischen Tuam mit fast 800 Babyleichen Parallelen zur Praxis in deutschen Kliniken. Er kenne „den abschätzigen Umgang mit ungeborenem Leben nach dem Tod“ aus Gesprächen mit Krankenschwestern, die entgegen aller gesetzlichen Bestimmungen zur Assistenz bei Abtreibungen bereit sein mussten, schreibt der Mainzer Bischof in einem Beitrag für das Magazin „Cicero“ (Juliausgabe). „Wer redet bei uns über solche Unmenschlichkeiten? Ich denke etwa an die Behälter mit abgetriebenen Föten für die kosmetische Industrie.“ [...]
Frau Nahles, ich wünsche mir eine Parteivorsitzende, die so einen Mann nicht überschwänglich lobt. (….)
(Der Schmerzensmann und die SPD-Katholibanin, 11.03.2018)
Als der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Kardinal Lehmann einmal gefragt wurde, warum denn vor 2010 so viele Bischöfe, die Kenntnis von kinder**ckende Kaplanen hatten, nicht zur Staatsanwaltschaft gegangen wären, antwortete der Kirchenfürst ganz jovial, daß nicht alle Staatsanwaltschaften den Kirchen freundlich genug gesonnen wären. Seit wann dürfen eigentlich Kriminelle sich ihre Ankläger aussuchen, bzw entscheiden gar nicht erst zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil der Richter nicht lieb genug ist? Im Jahr 2007, also fünf Jahre nach den päpstlichen Leitlinien zum Kindesmissbrauch, die vorsahen pädophil übergriffige Priester zu melden, hatte der Mainzer Kardinal erklärt, wieso er sich nicht daran halten müsse – die Staatsanwaltschaften gefielen dem Herren im roten Kleid nicht.
O-Ton Karl Kardinal Lehmann:
„Die Staatsanwaltschaften in verschiedenen Städten sind auch recht verschieden. Soweit her mit der Objektivität allein ist es dann auch wieder nicht.“
Täterschutz kommt vor Opferhilfe. Das ist der Kern der Religionen: Wir sind besser als die und dürfen das, was die noch lange nicht dürfen. Im klaren Widerspruch zur Verfassung kassieren die Kirchen ab.
Im Jahr 2023, also 28 Jahre nach Groer, 21 Jahre nach Law, 13 Jahre nach Canisius und 5 Jahre nach Lehmanns Tod, ergibt eine weitere Studie für die Öffentlichkeit völlig Überraschendes: Karl Kardinal Lehmann war moralisch genauso verkommen.
Wer hätte das bloß ahnen können?
[…] Doch posthum fällt nun ein Schatten auf das Lebenswerk des Kardinals, der im Jahr 2018 im Alter von 81 Jahren in Mainz gestorben war: Beim Umgang mit Missbrauchsfällen in seinem Bistum sei Lehmann "seinem eigenen Anspruch zu keiner Zeit gerecht geworden" - so lautet das harte Urteil des Regensburger Rechtsanwalts Ulrich Weber, der am Freitag im Auftrag des Bistums Mainz eine Untersuchung vorgelegt hat.
Weber […] unterteilte die Bischofszeit Lehmanns in drei Phasen: Von "Abwehren und Vortäuschen" in den Anfangsjahren über "Herausreden und Verteidigen" von 2002 bis 2009 bis zum "Eingestehen und Bewältigen" nach 2010. […]
Insgesamt kamen Weber und sein Co-Autor Johannes Baumeister am Ende auf 401 Betroffene und 181 Beschuldigte. Während sie dem amtierenden Mainzer Bischof Peter Kohlgraf echten Aufarbeitungswillen attestieren, fällt ihr Urteil über die Bischöfe Albert Stohr (1935 bis 1961) und Hermann Volk (1962 bis 1982) ähnlich verheerend aus. […]
Die Studie für Mainz, aber auch die Mitte Februar für das Bistum Essen vorgestellte Untersuchung des Münchner IPP-Instituts, weiten außerdem den Blick auf die Rolle der Gemeinden: Pfarrgemeinden, so sagt es Ulrich Weber, hätten mit einer Solidarisierung mit Beschuldigten und der Diskreditierung von Opfern eine Aufklärung erschwert und weitere Vorfälle ermöglicht. […]
Natürlich, ich verstehe; gläubige Katholiklen verdrängen das Thema, wollen nicht gern daran erinnert werden, daß sie ein Kinderfic*ersystem unterstützen und finanzieren. Sie lesen nicht jeden Bericht und wollen mit den missbrauchten und gefolterten Kindern nicht konfrontiert werden, weil es unangenehme moralische Fragen aufwirft, die nur zu einem Ergebnis führen können: SOFORT AUS DER KIRCHE AUSTRETEN.
Aber nach 20 Jahren immer noch überrascht sein? Es erfordert schon enorme Dreistheit, immer noch zu behaupten, man habe gar nichts gewußt über Lehmann und Co.
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