Für eine liberalen Hanseaten schrillen schon alle Klischee-Alarmglocken bei dem Gedanken an die Aiwanger-Eltern.
Stramm katholische Milchbauern in Niederbayern, die in den frühen 1970ern ihre Söhne „Helmut“ und „Hubert“ nennen.
Entweder, sie hassen ihre Kinder, oder sie leben in einer so finsteren Blase, daß sie die Namen tatsächlich mögen.
Aiwangers haben auch 50 Zuchtschweine und der kleine Hubert wird als Teenager Vorsitzender der Katholischen Landjugend, während er zu Hause „Mein Kampf“ liest und damit in der Schule prahlt.
Daß dieser Junge in seiner Schule übelste antisemitische Hetzblätter erstellte und verteilte, war nicht nur wegen der gründlichen Recherche der Süddeutschen Zeitung glaubwürdig, sondern weil er gute 30 Jahre später als Regierungspolitiker immer noch regelmäßig weit unterhalb der rechten Gürtellinie hetzt.
Besonders bedauerlich für Aiwangers Leugnung ist natürlich die gesicherte Erkenntnis über die Aiwangerische Schreibmaschine, auf der das abscheuliche antisemitische Pamphlet geschrieben worden sein muss.
[….] "Der Text eines Flugblattes, das auf der damaligen Schule des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten zirkulierte und von dessen Bruder erstellt worden sei, ist auch heute nicht minder verwerflich, da er die Millionen Opfer der Schoa auf abscheuliche Weise verunglimpft. Inwiefern Hubert Aiwanger für die Verbreitung zumindest mitverantwortlich ist, wird in Gänze nicht aufzuklären sein. Die Diskussion darüber ist erkennbar politisch. Das Flugblatt darf aber auch nicht einfach als Jugendsünde abgetan werden, da es die für unser Land so wichtige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus regelrecht mit Füßen tritt. Gerade weil diese Erinnerungskultur heute von rechts außen wieder radikal bekämpft wird, ist mir vor allem wichtig, dass der Inhalt des Flugblattes scharf verurteilt wird." [….]
(Dr. Josef Schuster, Zentralrat der Juden in Deutschland, 27.08.2023)
Um seine politische Karriere, sein Amt, seinen Einfluß und seine Einkünfte zu sichern, brauchte der braune Hubsi schnell einen Sündenbock, der auch die Peinlichkeit erklärt, wieso das „Flugblatt“ auf der Familienschreibmaschine geschrieben wurde.
So kam Bruder Helmut ins Spiel und tickerte sich via AFP in die Wochenend-Redaktionen:
[….] Aiwanger erklärte dann am Samstagabend in seiner Stellungnahme, er distanziere sich "vollends von dem Papier". Er kenne den Verfasser des Flugblatts, dieser werde sich "selbst erklären". "Weder damals noch heute war und ist es meine Art, andere Menschen zu verpfeifen."
Nach Aiwangers Darstellung waren "ein oder wenige Exemplare" des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden worden. Die Schulleitung habe "mit der Polizei gedroht", wenn er den Sachverhalt nicht aufkläre. Als Ausweg habe er eingewilligt, ein Referat zu halten. Er könne sich aber nicht erinnern, ob er damals "eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben" habe. [….] Ebenfalls am Samstagabend meldete sich dann Aiwangers älterer Bruder zu Wort und übernahm die Verantwortung. "Ich bin der Verfasser dieses in der Presse wiedergegebenen Flugblatts", zitierte die Mediengruppe Bayern den 53-jährigen Helmut Aiwanger. "Vom Inhalt distanziere ich mich in jeglicher Hinsicht. Ich bedaure die Folgen der Aktion."
Die beiden Brüder besuchten demnach im Schuljahr 1987/88 gemeinsam die elfte Jahrgangsstufe des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg in Niederbayern. Das Flugblatt habe Helmut Aiwanger verfasst, nachdem er eine Jahrgangsstufe habe wiederholen müssen, berichtete die Mediengruppe Bayern. "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen bin und aus meinem Kameradenkreis herausgerissen wurde."
Für SPD-Chefin Saskia Esken ist die Affäre damit nicht beendet. "Selbst wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst, aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, lassen die widerlichen und menschenverachtenden Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem zugrunde lag", sagte sie den Funke-Zeitungen. "Wer solche Gedanken denkt, aufschreibt und verbreitet, darf keine politische Verantwortung in Deutschland tragen." [….]
Der 19-Jährige Helmut war es also.
Der heutige stellvertretende Ministerpräsident nahm die antisemitischen
Hetzblätter also nur an sich, steckte sie in seine Schultasche, um sie in
seinem Gymnasium zu verteilen, wurde dabei erwischt und nahm – aus reiner
brüderlicher Liebe – die Strafe auf sich, obwohl er die braune Nazi-Gülle gar
nicht verfasst hatte.
Aha. Sehr glaubwürdig.
So macht man es ja mit antijüdischen Hetzschriften, die man „menschenverachtend und geradezu eklig“ (Söder) findet: Man nimmt sie an sich und verteilt sie dann begeistert weiter. Der sonst so redefreudige Söder ziert sich, die neue Situation zu beurteilen. Aber selbst in seiner Partei ist man von der „gefrusteter Bruder“-Erklärung nicht wirklich überzeugt.
[….] Das Flugblatt klinge für ihn "nach einem Plan", sagte dagegen Karl Freller, der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten und CSU-Vizepräsident des Bayerischen Landtags - nicht nach einer Verärgerung wegen Durchfallens. Er wolle nicht den Stab über Aiwanger brechen, aber es seien längst noch nicht alle Fragen geklärt über diese "Verunglimpfung der Opfer des Nationalsozialismus", deren Inhalt "durch nichts entschuldbar" sei. "Verfassen ist das eine", sagte er, "aber Verteilen ist nicht weit davon entfernt." [….] SPD-Fraktionschef Florian von Brunn hatte zuvor eine Sondersitzung des Landtags zu der Sache erwogen. Nach SZ-Informationen wurde der Antrag vorerst vertagt, offenbar wartet man auf die nächsten Schritte von Ministerpräsident Söder. "Es ist für mich unvorstellbar, dass Markus Söder weiter mit jemandem kooperiert und koaliert, der den Besitz bestätigt und die Verbreitung nicht leugnen kann", teilte von Brunn mit. [….]
Der Druck der Opposition, des Zentralrates der Juden, des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ist groß. Die Bruder-Erklärung ist zu offensichtlich wackelig. Wieso fällt es Hubert Aiwanger erst, Wochen nachdem er mit den Recherchen konfrontiert wurde, ein, daß sein Bruder den Text schrieb? Wieso nahm er die Schuld auf sich? Wieso verteilte er den Dreck weiter? Wieso sind die Juden schuld, wenn Helmut Aiwanger eine Klasse wiederholen muss? Auch in der CSU glaubt fast niemand den Aiwanger-Brüdern.
[….] Indizien sprechen zudem dafür, dass Aiwanger seit Wochen von den Recherchen mehrerer Medien zum Flugblatt wusste. Auf detaillierte Fragenkataloge der SZ, von denen ihm der erste bereits am 17. August zuging, antwortete er wiederholt nur pauschal: Er habe so etwas nicht verfasst. Erst am Samstag, in höchster Erklärungsnot, präsentierte Aiwanger seinen Bruder, der sich angeblich freiwillig meldete, als Urheber. Man fragt sich auch bei den Freien Wählern, warum Aiwanger den Recherchen nicht schon viel früher mit seiner Version der Geschehnisse entgegengetreten ist.
[….] Was bleibt, ist tiefes Misstrauen und Wut, vor allem beim Koalitionspartner der CSU. Wie wollen Söder und Aiwanger so noch fünf weitere Jahre gemeinsam regieren? Der Prozess der Entfremdung nahm bereits während der Corona-Pandemie seinen Anfang, als Aiwanger beharrlich die Impfung verweigerte und damit die Politik der Staatsregierung konterkarierte. Seine Impfangst wurde ihm zunächst noch als Schrulle ausgelegt. Mei, der Hubert halt - so lautete der leicht herablassende Tonfall, mit dem Aiwangers Eskapaden kommentiert wurden. Nachdem im Laufe der Zeit seine Ausfälle gegenüber politischen Gegnern aber immer bösartiger und häufiger wurden, beschlich die CSU das ungute Gefühl, dass hier ein Gegner heranwächst, der ihr gefährlich werden könnte. All das gipfelte in Aiwangers berüchtigter Rede auf dem Erdinger Volksfestplatz im Juni 2023, als Ministerpräsident Markus Söder selbst miterleben durfte, wie sich Aiwanger als neuer Held der "Normalbürger" feiern ließ.
Es rächt sich nun, dass sich Söder bei der Partnerwahl für die nächste Legislaturperiode ganz und gar den Freien Wählern versprochen und die politischen Brücken zu den Grünen und der FDP abgebrochen hat. [….]
Der CSU-Chef Markus Söder als kleinlauter Mimimi-Ministerpräsident, der sich nicht traut, einen FW-Mann in die Schranken zu weisen. Ganz Bayern vibriert von den heftigen Rotationen, die Franz-Josef Strauß in seinem Grab vollführt.
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