Vom Volkstrauertag West, wie meine Internetblase, kleiner Scherz, den Tag der deutschen Einheit nennt, fühle ich mich dieses Jahr mehrfach betroffen.
· Es ist der erste „3.Oktober“ seit ich selbst die deutsche Staatsbürgerschaft habe.
· Die Einheitsfeierlichkeiten finden vor meiner Haustür in Hamburg statt.
· Die fünf ranghöchsten Amtsinhaber der Bundesrepublik befinden sich alle in Hamburg; vier von ihnen gehören meiner Partei an: Bundespräsident Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bas, Bundesratspräsident Tschentscher und Bundeskanzler Scholz. Nur Stephan Harbarth, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist CDU-Mitglied.
[….] Der Tag der Deutschen Einheit ist ein guter Tag, um dem Land den Puls zu fühlen, vorausgesetzt, man lebt nicht in München, das am 3. Oktober stets kollektiv verkatert ist. Gut also, dass die Einheitsparty in diesem Jahr in Hamburg steigt, mit einem großen Bürger-Festival, mit Infoständen an der Binnenalster und Diskussionsrunden in der Handelskammer. Es gibt eine Blaulichtmeile, auf der die Bundeswehr zu Kniebeugen animiert. Die Stadtreinigung hat eine Hüpfburg in Form eines Mülleimers aufgeblasen, und die Mönckebergstraße ist jetzt eine "Ländermeile", die vor allem damit lockt, dass man sich auf 16 verschiedene Arten den Föderalismus schöntrinken kann. "Horizonte öffnen", lautete das Motto, tatsächlich aber ist Hamburgs Innenstadt in alle Richtungen abgeriegelt. Es herrscht Krieg in Europa und drüben in Moskau sitzt einer, der die Zeit zurückdrehen und die Welt wieder in Blöcke aufteilen will. Der Sound der Deutschen Einheit ist das Dröhnen der Polizeihubschrauber am Himmel. [….] Von "Unwuchten" spricht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in den "Tagesthemen". "Viele Ostdeutsche haben das Gefühl, dass sie nicht gehört und nicht gesehen werden, dass ihre Geschichten nicht Teil einer gemeinsamen deutschen Geschichte geworden sind, und dass es im Westen auch nicht wirklich Interesse an ihren Biografien gegeben hat." […..]
(Ulrike Nimz, SZ, 03.10.2023)
In der Presse seit dreißig Jahren die gleiche Ödnis. Es wird das Trennende zwischen Ost und West bedauert, sich gegenseitig versichert, welches Glück wir mit der Wiedervereinigung hatten und gebetsmühlenartig Hoffnung und Optimismus verbreitet.
Wie ich es mir schon gedacht hatte, kickt auch mit dem deutschen Pass kein bißchen Patriotismus in meine Gefühlswelt ein.
Ob „Stars and Stripes“ oder “Schwarz-Rot-Gold“; Fahnenschwenken, nationaler Pathos, Patriotismus und jede Betonung der Bedeutung des Staatsgebildes, in das man rein zufällig hineingeboren wurde, widert mich an.
Könnte ich meine Nationalitäten gegen einen EU- oder besser noch, UN-Pass eintauschen, würde ich das sofort tun.
Einiges hat sich in den gut dreißig Jahren seit 1989 durchaus verändert. Zunächst empfand ich den ehemaligen DDR-Bürgern gegenüber nur ein diffuses and auch neugieriges Gefühl der Fremdheit, ärgerte mich durchaus über die „Besserwessis“ à la Treuhand, die sämtlich DDR-Betriebe an Wessis verschleuderten und hätte es lieber gesehen, zusammen neue Strukturen und eine neue Verfassung zu erdenken, statt einfach dem Osten alles Westliche überzustülpen.
Aber bereits im Sommer 1992, bei den widerlichen Nazikrawallen von Rostock-Lichtenhagen, kippte meine Grundsympathie für die Ossis, den Deutschen im Pech.
Klar, wir Wessis hatten völlig unverdient das große Los gezogen nach 1945.
Aber kann irgendeine Geschichte rechtfertigen, so beschissen zu sein wie der braune Mob von Rostock?
Die folgenden drei Dekaden differenzierte ich. Im Westen gibt es schließlich auch rechtsextreme Umtriebe. Im Osten engagieren sich großartige Politiker wie Regine Hildebrandt gegen den braunen Mob. Natürlich sind nicht alle Ossis gleich. Natürlich fehlen ihnen vier Dekaden demokratischer Kultur, natürlich mussten sie viel bewältigen. Wie hätte ich als Hamburger, als Wessi wohl reagiert, wenn sich von eben auf jetzt das gesamte politische, soziale und wirtschaftliche System ändert?
Mit dem enormen Pegida-Erfolg ab 2014 und den überall in Ostdeutschland wieder aufpoppenden „Montagsdemos“, auf denen sich die Ungewaschenen und Verblödeten zusammenrotteten, um ihrer dumpfen Wut auf alles zu frönen, änderte sich meine Einstellung erneut.
Ja, Lutz Bachmann und seine HAUT AB! HAUT AB!-Gröler waren nicht die Mehrheit der Ossis, aber der entscheidende Unterschied zu den Wessis wurde deutlich, als sich Pegida in West-Städte auszubreiten versuchte: In Hamburg beispielsweise erlebte man eine funktionierende Zivilgesellschaft, die sich so konsequent mit Gegendemos den Pegidioten in den Weg stellte, daß sich im Westen nie die braunen Wutmärsche etablieren konnten.
In Dresden hingegen war es den Sachsen, die nicht bei Pegida mitmarschierten egal, wenn Nazis durch ihre Nachbarschaft trollten. Sie halten Pegida/AfD für normale politische Bewegungen; sie nehmen achselzuckend antidemokratische menschenfeindliche Umtriebe hin.
Ab 2020 schaukelten sich die Extremisten inmitten der indolenten Ossis zu Covidioten und Verschwörungstheoretikern aller Art auf, die inzwischen in allen Ost-Bundesländern eine klar faschistische und zutiefst menschenverachtende Partei bevorzugen.
Jetzt habe ich genug differenziert und mache mir die Mühe nicht mehr.
Ich mag die Ossis einfach nicht.
So, jetzt ist es raus. Selbstverständlich ist das ein Pauschalurteil und bedeutet keinesfalls, jeden einzelnen der 16 Millionen Ossis zu verachten. Selbstverständlich gibt es auch einzelne Texaner oder Floridaner, die großartige Menschen sind.
Aber insgesamt haben die Bewohner dieser Bundesstaaten schon derartig viele politische Widerlinge hervorgebracht und im Ämter gewählt, daß ich mir den Satz „Texas ist scheiße“ durchaus herausnehme.
Nach 33 Jahren ist auf meine persönliche Schonzeit mit „den Ossis“ vorbei.
(….) Nach den rund zwei Billionen Euro, also ZWEITAUSEND MILLIARDEN EURO, zwei Millionen Millionen Euro, die seit 1990 gen Osten flossen, reagieren immer mehr Westdeutsche empfindlich auf das Gejammer der Ex-DDRler, die sich auch noch unterstehen, zu behaupten, sie hätten es nun so schwer, daß es verständlich wäre, aus Rache völkische Faschisten zu wählen. 17 Millionen DDRler, die nie in die westdeutsche Rentenkasse eingezahlt hatten, kamen in den Genuss, auf Kosten anderer eine Alterssicherung zu erhalten, die ein Vielfaches der DDR-Mark-Kaufkraft hat und beklagen sich auch noch.
[….] Als ich das letzte Mal in Zwickau war, das Büro der damaligen Firma besuchen, schwor ich mir, nie wieder einen Fuß auf Neufünfland zu setzen, so lange ich dies irgendwie vermeiden kann. Flugzeugabstürze und Bahnevakuierungen ausgenommen. Wie einige Kommentatoren wohl zurecht anmerken: das ist von oben herab und mag zu der Stimmung beitragen. Nur habe ich die Stimmung und Ressentiments die mir als gefühlter Vertreterin der bösen „Urban Elite“ entgegengebracht wurde jahrelang erlebt. Und geschluckt. Ausgeschluckt. Mag man mich als Wessi-Bitch oder elitist bezeichnen, gerne doch. Ich bin aus Erfahrung Ostphobikerin geworden, dazu stehe ich. Und sollte der Osten mitsamt seinem widerwärtigen „wir sind das Volk“ Gegröle auch nur in die Nähe einer Machtergreifung kommen, bin ich weg. […] im Gegensatz zu uns hatten die DDRler die Möglichkeit, über die Wiedervereinigung zu entscheiden. Hat mich irgendwer gefragt ob ich das will? Für uns hat sich nichts verändert? Wie arrogant ist denn diese Geschichtsklitterung, wo ist denn hier die ach so oft vom Osten eingeforderte Empathie? Selbstverständlich hat sich für uns Wessis einiges geändert. Angefangen vom Soli für ein Land, das wohl den meisten meiner Generation fremder als die USA, Australien und Island war. Und zumindest mich weniger als Neufundland interessierte. Ich habe es damals angenommen, mich für die Menschen gefreut. Nicht für irgendwelche Deutsche, sondern für Menschen, die jetzt reisen konnten. Habe mich 91 durch eine DDR Tour gequält, mir das Land angeschaut. Was ich sah, war größtenteils erschreckend. Dann kam Rostock. Kohl wurde mit Ost-Stimmen zementiert. Wir zahlten weiter. Das Gejammer exponierte sich mit jeder Transferbillion. Im Westen verrottete die Infrastruktur, im Osten blühten Gewerbeparks im Nirgendwo.
Gut, dachte ich, braucht eben etwas. Die Nuller kamen, Merkel, das Geseier, die AfD, NSU, national befreite Regionen, die Bräsigkeit kam wie Mehltau übers Land.
Pegida machte mir zum ersten Mal in meinem Land wirklich Angst, zum ersten Mal war ich am überlegen, die Koffer zu packen - nicht weil ich will sondern muss.
Wir sind das Volk Geschrei vom Idioten, die keinen geraden Satz schreiben können. Thomas Brauner, der Kraft durch Freunde Kackbratzen, Björn Banane obendrauf. Passiv-aggressives Gejammer von Kolleg:innen in Sachsen, Verkäufer mit offener Swastika-Tattoo im Yormas in Zwickau. Ganze Bundesländer am Rande der faschistischen Machtübernahme, geritten von permanenter Unzufriedenheit.
Und wir mussten nichts ändern? Doch, mehr als genug. Wir hatten ein Land, das durchaus ok war, sicher nicht ohne Fehler, ich hatte genügend Grund auf die Straße zu gehen und ich tats das auch. Aber haben wir den Anschluss gesucht? Haben wir uns ungefragt an den großen Bruder gehängt, nachdem wir unser eigenes Land verkackt haben?
Nein haben wir nicht.
Und ja, schon damals wurden alle über einen Kamm geschert. Leider. Ob mit der lächerlichen Währungsunion und surrealen Kursen für Aluchips. Wer hat das wohl gezahlt? Wessen Renten hängen im Limbo wegen Rentnern die keinen Cent eingezahlt haben?
Der Osten hat Solidarität gefordert und bekommen. War aber wohl nicht genug. Die Ossis haben die DDR verkackt und jetzt wollen sie wohl auch die BRD verkacken. Brauchst nur mal die Kommentare zum grandiosen Durchmarsch und Anfang der Zeitenwende in dem gottverlassenen Kaff Sonneberg lesen.
Aber für uns hat sich nichts geändert, gell?
Genau wegen solchen Positionen wäre eine Spendenaktion zum Wiederaufbau der Zonengrenze ein umwerfender Erfolg. [….]
(Sarah J., 25.06.2023)
Online habe ich schon viel Ost-Kritik gelesen; eins ist immer gleich: Auch die „guten Ossis“, die nie AfD gewählt haben, fühlen sich kollektiv angegriffen und nehmen ihre braunen Brüder in Schutz.
Dieser sprungbereite „ich bin beleidigt“-Modus ist mir vollkommen fremd. (….)
(Die Ossis schaffen sich ab, 03.07.2023)
Auf der großen Festveranstaltung in der Hamburger Elphi waren alle Redner nett zu einander, betonten das Verbindende, beklagten das Trennende.
Das verlangt schließlich ihre Rolle.
[….] Eine wichtige politische Stimme aus den längst nicht mehr neuen Bundesländern ist Bodo Ramelow (Linke). „Ich bin froh, dass vor 33 Jahren keine Gewalt ausgebrochen ist und wir in Europa und Deutschland einen friedlichen Prozess hatten“, sagte Thüringens Ministerpräsident. [….] Doch es gebe auch „einige bittere Wahrheiten“: „Der eine oder andere Mensch hat in seiner Biografie noch nicht das Gefühl der Gerechtigkeit entwickelt. Das schmerzt, und das ist ein Ost-West-Thema“, sagte Ramelow. Ihm wäre es lieber, „wenn wir gemeinsam nach vorne gucken und voneinander lernen, uns gegenseitig zuhören und uns nicht im Ost-West-Bashing begegnen.“ […]
Ja, lieber frommer Bodo, es wäre schon nett, wenn sich alle immer gegenseitig zuhörten.
Aber gerade in Deinem Kemmerich-Höcke-Bundesland scheint das nun wirklich nicht die prägende Charaktereigenschaft zu sein. Nach 33 Jahren gehe ich durchaus vom Nachsicht- und den Bashing-Modus über.
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