Sonntag, 8. Oktober 2023

Nicht weiter Feuer ins Öl gießen!

 „Die heißen auch noch alle so ähnlich; Stoiber, Streibl, Weigel; sagen wir doch einfach Stroibel“ – so analysierte die Scheibenwischer-Crew um Dieter Hildebrandt zum CSU-Amigo-Desaster der Post-Strauß-Phase.

Für Markus Söder, 1995 bis 2003 Landesvorsitzender der JU Bayern, erfand Bruno Jonas eigens das Verb „södern“, um eine selbst für CSU-Verhältnisse besonders niederträchtige und perfide Politmethode zu charakterisieren. Söders „Schmutzeleien“ (Seehofer) sind seit Dekaden so bekannt, daß ich schon im letzten Jahrtausend bange meine bayerischen Verwandten fragte „Ihr habe ja wirklich schon üble Ministerpräsidenten gewählt, aber Söder ist doch wohl hoffentlich selbst für die CSU und selbst für Bayern komplett unwählbar, oder?“

Im folgenden Vierteljahrhundert vermochte es der Franke, mir kontinuierlich noch unsympathischer zu werden. Seine legendäre Illoyalität innerhalb der CSU, insbesondere gegenüber seines zutiefst verhassten Vorgängers Seehofer, war im Land der Biersäufer offenbar aber mitnichten ein Hindernis auf dem Weg nach ganz oben in Partei und Staat.

Er ist mit Sicherheit der eitelste und am meisten in sich selbst verliebte Ministerpräsident Deutschlands, der sich so ungeniert unablässig selbst lobt, daß er als Kanzlerkandidat in nördlichen Bundesländern hoffentlich für breite Schichten unwählbar gilt.

Heute aber, am Abend der bayerischen Landtagswahl, als er zum dritten Mal (Landtagswahl 2018, Bundestagswahl 2021 und LTW23) das schlechteste CSU-Ergebnis aller Zeiten holte, nötigte mir seine Chuzpe ungeniert zu lügen, fast so etwas wie Respekt ab: "Es ging uns nie um einen Schönheitspreis, aber um einen klaren Regierungsauftrag", sagt Söder.

Das diametrale Gegenteil ist der Fall: Es geht Söder fast ausschließlich darum, stets als Schönster und Größter dazustehen. Erneut alle seine  Parteivorgänger unterboten zu haben, erfordert einige Verrenkungen beim Schönreden des Ergebnisses.

[….] "Am Ende kommt es auf den Ministerpräsidenten an", so oder ähnlich hatte es Markus Söder in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt - womit der CSU-Vorsitzende sich einigen Spielraum nahm, die Verantwortung für eine mögliche Wahlniederlage irgendwo anders abzuladen als bei sich selbst. Und dass er die bayerische Landtagswahl früh als "Schicksalswahl" tituliert hatte, konnte man sowohl auf die CSU münzen als auch auf ihn höchstpersönlich. Nicht ohne Grund betont er am Wahlabend seine Persönlichkeitswerte in Umfragen, die stets besser waren als die Werte der CSU insgesamt.

Und was könnten 36,8 Prozent nun für die Frage bedeuten, ob Söder nochmal mitlaufen darf im Rennen um die Kanzlerkandidatur der Union? Vor der Wahl schien die Ausgangslage fest umrissen. Würde die CSU deutlich unter den 37,2 Prozent der Bayern-Wahl 2018 bleiben, wären seine Kanzlerchancen ziemlich dahin. Würde er das Ergebnis steigern, vielleicht sogar deutlich, wären seine Chancen entsprechend gewachsen. Am frühen Sonntagabend sieht es danach aus, als bekämen Söders Kanzlerkandidatenchancen mindestens einen Dämpfer.  [….]

(SZ, 08.10.2023)

Und damit zu den Ergebnissen der hessischen und bayerischen Landtagswahl von heute. Es wurde der erwartete allgemeine deutliche Rechtsruck. Es wurde, ebenfalls erwartet, ein Desaster für alle drei Ampelparteien.

Die Wahlanalysen von ARD und ZDF zeigen es; als Linksgrünversiffter, dem humanistische Werte und Menschenrechte wichtig sind, der nicht Tausende Menschen im Mittelmeer ersaufen sehen mag, bin ich in einer klaren Minderheit.

CDU, AFD, FDP, SPRINGER, BILD, Julian Reichelt, FW, CSU, PEGIDA und Rechtspopulisten aller Art, haben es vermocht, das Thema Migration zum Giga-Popanz aufzublasen. In der „Berliner Runde“ war Kevin Kühnert der einzige von sieben Parteienvertretern, der sich nicht dem Pöbel ergab und pauschal Migranten als größtes Problem adressieren wollte, sondern klug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt verwies.

[….] Vor einfachen Antworten auf komplexe Fragen warnte Kühnert in der Berliner Runde. Man brauche reale Lösungen für reale Probleme, keine Parolen. Diese würden Menschen aufwiegeln, sagte der SPD-Generalsekretär.  […..]

(Tagesschau, 08.10.2023)

Die arme hoffnungslos überforderte Grüne Bundesgeschäftsführerin Emely Büning wollte vermutlich etwas ähnliches ausdrücken, stammelte aber bloß undeutlich in Richtung Linnemann, es helfe nicht weiter, Feuer ins Öl zu gießen. Zahlen, Fakten, deutliche Worte – Büning lieferte wieder einmal NICHTS davon.

Statt einer Million Asylanträge wie 2015/2016 haben wir es 2023 mit unter 200.000 Anträgen zu tun.

Die Lage ist aber insofern verschärft, weil Deutschland heute viel mehr als noch vor acht Jahren unter dramatischen Personal- und Wohnungsmangel leidet.

Es gibt zu wenig Pfleger, zu wenig Kindergärtner, zu wenig Lehrer, zu wenig von allen. Wir brauchen unbedingt viel Zuwanderung.

Die personellen Kapazitäten, sich um die Geflüchteten zu kümmern sind also kleiner.

Zudem gibt es zwei weitere entscheidende Unterschiede zu 2015:

·        Pandemie, Krieg, Inflation und Energiewende haben die Menschen gestresst; die Nerven liegen blank.

·        Zudem wird die CDU heute von einer klar rechtspopulistischen und nicht an Lösungen interessierten Person geführt.

Eins bleibt aber seit der Bundestagswahl 2017 immer gleich und wird bei jeder Wahl neu bewiesen: Wenn demokratische Parteien anfangen, ihre eigene Konzeptionslosigkeit mit menschenfeindlicher Rhetorik zu kompensieren, rechtspopulistisch blinken und AfD-Sprech nachplappern, stärken sie immer nur das Original und werden selbst abgestraft.

Der hessische CDU-Ministerpräsident Boris Rhein ging auf deutliche Distanz zu seinem xenophoben Parteichef Merz, widersprach seiner gelogenen Zahnarzt-Suada und der Absurdität, die Grünen zum Hauptgegner zu küren. Rhein gab sich betont moderat, ging auf Günther-Kurs und gewann sensationell 7,5 Prozentpunkte hinzu.

Der bayerische CSU-Ministerpräsident Söder hingegen tat das Gegenteil. Er wetterte genau wie Merz gegen die Grünen und kopierte die rechtsextremen Aussagen der AfD. Dafür kassierte seine CSU das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1950. Die beiden rechtsextremen Landtagsparteien AfD und FW hingegen, schossen auf Rekordwerte hoch.

Genauso verbohrt wie Söder und Merz, beharren auch die Hepatitisgelben auf ihrem Irrweg, attackieren die Grünen und versuchen sich als maximal migrantenfeindlich zu inszenieren.

Auch hier jeweils mit klarem Ergebnis: Die FDP flog aus dem hessischen Landtag. Die FDP flog aus dem bayerischen Landtag. Während die Grünen in beiden Bundesländern dem desaströsen Bundestrend trotzen konnten und jeweils ihre zweibesten Ergebnisse ihrer Geschichte holten.

Aber auch FDP-General Bijan Djir-Sarai ist strikt unbelehrbar, will diesen xenophoben Kurs, der seine Partei immer wieder direkt ins parlamentarische Aus schießt, noch verstärken und glaubt irrsinnigerweise, genau das, was die Ampel so unbeliebt macht, nämlich die ständigen Querschüsse der FDP, die jeden Erfolg überdecken, sollten noch verschärft werden.

Die Definition von Wahnsinn ist: immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

(Albert Einstein)

Ich werfe der Porschepartei diesen Irrsinn schon lange vor, inzwischen sehen es viele Journalisten so.

Allein, Lindner und Co sind offenkundig völlig erkenntnisresistent.

[….] Die Zustimmung für Parteichef Christian Lindner sei »sehr, sehr groß«, hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem SPIEGEL gesagt. Und tatsächlich gibt es innerhalb der Partei keine erkennbaren Bestrebungen, den Vorsitzenden infrage zu stellen, trotz seiner schlechten Wahlbilanz. Dennoch werden ab morgen die Diskussionen in der Parteiführung losgehen: Was muss die FDP ändern, um wieder mehr Stimmen zu erlangen? Ihr Kurs der letzten Monate, sich innerhalb der Ampel sehr deutlich und offensiv mit eigenen Themen und Vorstellungen zu profilieren, hat offensichtlich nicht funktioniert. Auch die scharfe Attacke gegen den grünen Koalitionspartner (»Sicherheitsrisiko«) hat sich offenbar nicht in Zugewinnen ausgezahlt. Wird die FDP unter Christian Lindner jetzt also zahmer, konzilianter? Kaum vorstellbar.  [….]

Martin Knobbe, SPON, 08.10.2023)

Bedauerlicherweise ließ es auch Kerstin Palzer, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, in der Berliner Runde so stehen, als Linnemann Grenzschließungsorgien und Djir-Sarais Betonung des „Asylkompromisses“ von 1992, als „Problem-Lösungen“  deklariert wurden. Dabei sind gerade genau das nicht, sondern nur Verschiebebahnhöfe.

Dabei liegt in ihnen die Wurzel des Übels: Das Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit.

1992 wurden die Asylanten aus Deutschland in die anderen EU-Staaten gedrückt. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Damit hat man aber a) die Integrationslast nur auf andere EU-Staaten verschoben, sich b) aus der Solidarität verabschiedet, damit c) zukünftige gesamteuropäische Asylpolitik erheblich belastet, weil niemand mehr Deutschland traut, sich d) um die Chance gebracht, die dringend benötigte Zuwanderung zur Abmilderung des Fachkräftemangels zu Nutze zu machen und e) keine einzige Fluchtursache abgemildert.

Alles, das rechte Parteien derzeit stolz als „Lösung der Migrationsfrage“ präsentieren, also

Grenzschließungen,

Abschiebungen,

Umdeklarierung von Krisennationen in „sichere Herkunftsstaaten“,

Familiennachzug behindern,

Pushbacks,

Obergrenzen,

Frontex-Aufrüstung,

Mauern und Zäune,

Stopp der Seenotrettung,

möglichst viele Frauen und Kinder zur Abschreckung im Mittelmeer sterben zu lassen, sind allesamt keine „Lösungen.“

Das mildert kein bißchen den Migrationsdruck auf einen einzigen Menschen.

Krieg, Hunger, politische Verfolgung, Klimaerhitzung bleiben nicht nur als Fluchtursachen vollständig erhalten, sondern werden stärker. Der nächste politische Flächenbrand droht gerade rund um Gaza zu entstehen.

Auf konstruktive Lösungen kann ich nicht mehr hoffen.

Vielleicht liegt eher in der Destruktion ein Funke schaler Hoffnung für die Ampelparteien. Söder ist angeschlagen und ein so nachtragender, bösartiger Charakter, daß er sich rächen will.

[……] In Bayern kann die Koalition des Stillstands aus CSU und Freien Wählern weiterregieren. Ob sie aber bis bis zur nächsten Landtagswahl 2028 durchhält, ist zweifelhaft. Denn nun bricht die Zeit der Rache an. In der CSU hat sich gewaltiger Ärger über die Freien Wähler und speziell über deren Chef Hubert Aiwanger aufgestaut. Den wird er schon bald zu spüren bekommen.

Ministerpräsident Markus Söder und Aiwanger waren zwar noch nie Freunde. Nach fünf Jahren am Kabinettstisch verbindet sie inzwischen aber eine gegenseitige Abneigung, die an Feindschaft grenzt. Söder hat seinem impfscheuen Wirtschaftsminister weder die Illoyalität während der Corona-Krise vergessen noch die offene Provokation zuletzt in der Flugblatt-Affäre. Als ihm der Ministerpräsident Demut ans Herz legte, stachelte Aiwanger seine Anhänger weiter auf und stilisierte sich zum Opfer einer vermeintlichen Hetzkampagne. Damit nicht genug, forderte er noch vor der Wahl das Landwirtschaftsministerium - ein Schlüsselressort für die CSU, das Söder auf keinen Fall aufgeben wird.  […..]

(Sebastian Beck, SZ, 08.10.2023)

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