In einer Welt, in der Soldaten geehrt werden und Frauen sich einen starken Kämpfer an ihrer Seite wünschen, bin ich als überzeugter Pazifist und Feigling fehl am Platze.
Zu allem Übel verfüge ich auch über keinerlei Patriotismus und gebe gern zu, im Falle eines Angriffs auf mein Land, lieber zu fliehen oder zu kapitulieren.
Gelegentlich hetzen Rechte in Deutschland gegen Ukrainische Männer. Was hätten die eigentlich im Krieg hier verloren, die sollten doch lieber ihr Land verteidigen.
Auf so einen Gedanken käme ich gar nicht, weil es für mich selbstverständlich erscheint, nicht bei den Gräueln in der Ostukraine dabei sein zu wollen.
Inkonsequenterweise beeindruckt es mich aber doch, zu lesen, wie anders sich offenbar die durchschnittlichen Israelis verhalten, die nicht nur in Israel völlig selbstverständlich zu den Waffen greifen. Nein, sogar, die ausgewanderten Israelis, die sich längst vor dem Kriegswahnsinn in Sicherheit gebracht haben, steigen in nächste Flugzeug, um nach Tel Aviv zu kommen.
[….] Yuval Cohen will kämpfen. Es ist keine 48 Stunden her, dass er in Israel gelandet ist. Er muss auch gleich los, wird sich ins Auto setzen und gen Norden fahren, dahin, wo Israel gerade einen Angriff der Hisbollah fürchtet. Man erreicht ihn am Telefon. Cohen ist 25 Jahre alt, seit anderthalb Jahren lebt er in Australien. Er hat dort einen Job, ein Zuhause, Freunde. Den Plan, nach Israel zurückzukehren, hatte er nicht. Aber als Cohen die ersten Meldungen über den Hamas-Angriff liest, als immer mehr und immer schrecklichere Nachrichten einlaufen, bricht er seinen Urlaub in Vietnam ab und bucht sich einen Flug.
Von Vietnam fliegt er nach Bangkok, von Bangkok nach Dubai, von Dubai nach Tel Aviv. Auf jedem Flughafen sei er anderen jungen Israelis begegnet, die aus allen Teilen der Welt zurück in die Heimat fliegen, um dort zu kämpfen.
Cohen ist Infanterist, er soll an die Front. Er hat nur das Nötigste eingepackt, Socken, Unterwäsche, ein Handtuch, ein Ladekabel. »Wir sind stark. Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Aber wir werden gewinnen«, sagt Cohen. Und macht sich auf Weg. [….]
(SPIEGEL, 14.10.2023)
Seltsam, obwohl ich das Konzept der soldatischen Tapferkeit für archaisch und lächerlich halte, dabei an alberne Filmszenen denke, in denen Horden aus Tausenden brüllenden Männern mit erhobenen Schwertern/Gewehren/Mistgabeln auf einander zurasen, um sich gegenseitig zu töten, erscheint mir diese israelische Furchtlosigkeit und Heimat-Solidarität irgendwie tugendhaft.
Aber dann atme ich durch. Die Palästinenser sind schließlich genauso mutig und werden angesichts der 700 durch israelische Luftschläge getöteten Kinder, die laut UNO-Angaben bereits innerhalb von einer Woche zu beklagen sind, genauso entschlossen für den Sieg kämpfen.
Das grausame Sterben unzähliger Unschuldiger ist das Wesen des Krieges.
Im SPIEGEL-Leitartikel wünscht sich Dirk Kurbjuweit ein möglichst besonnenes Verhalten Israels.
[….] Wenn man sich etwas wünschen dürfte für die kommenden Tage und Wochen, dann dies: dass die Regierung in Jerusalem und die militärischen Kommandeure in dem Bewusstsein handeln, dass sie eine Demokratie vertreten, dass der Anspruch auf Humanität zum demokratischen Projekt der Neuzeit gehört, dass dies auch in Zeiten des Krieges eine Rolle spielen sollte.
Kein Krieg kann human sein, weil das Töten von Menschen zum Wesen des Krieges gehört. Aber für eine Demokratie muss das Gebot der Mäßigung gelten: Zivilisten schonen, soweit es geht. [….]
Humanität? Es dürfte wohl bei dem frommen Wunsch bleiben. Die Realität wird sicherlich anders. „Gewaltige Rache“ hat Premier Netanyahu angekündigt.
[….] "I have ordered a complete siege on the Gaza Strip. There will be no electricity, no food, no fuel, everything is closed. We are fighting human animals and we act accordingly." [….]
(Israeli Defense Minister Yoav Gallant, 9. Okt. 2023)
Wie sehr ein äußerer Feind einer unter Druck stehenden Nationalregierung hilft, habe ich schon in der Schule gelernt. So stabilisierte sich beispielsweise die Moskauer Revolutionsregierung von 1917, der man schwer vorwerfen kann, Schuld am Ersten Weltkrieg zu sein.
Aber die Erkenntnis, bei einem Krieg mit nationalen Wallungen und einem Popularitätsboost für den Regierungschef rechnen zu können, verführt natürlich dazu, selbst zu zündeln.
George W. Bush war ein sehr dümmlicher, weitgehend auf seiner Ranch urlaubender Präsident, den kaum ein Amerikaner ernst nahm. So war es die ersten neun Monate seiner Amtszeit. Mit dem 11.September 2001 änderte sich für seine Popularität alles. Sagenhafte 88% Approval-Ratings bekam er in der Folge für seine martialischen Worte, indem er die Wut geschickt nutzte. Den Irakkrieg begann er 2003 rechtzeitig zu seiner Wiederwahlkampagne und obwohl dabei alles schief ging und sich alle seine Prognosen als Lügen erwiesen, wurde er 2004 mit deutlich mehr Stimmen als 2000 wieder gewählt. Die Amis wollten ihrem Präsidenten nicht im Krieg in den Rücken fallen.
Der US-Staatsbürger Bibi Netanyahu sieht sicherlich diese Parallelen und hofft nun, seinem Masterplan, sich durch ewige Regierungsimmunität vorm Knast zu bewahren, ein Stück näher zu kommen.
[….] Die Hamas will die israelische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern und die arabischen Gesellschaften radikalisieren. Terror lebt von ruchloser Verhältnislosigkeit, von grausamer Radikalität, von Entgrenzung und Schockwirkung.
Hinzu kommt das langfristige politische Ziel, das die Hamas als Adept des iranischen Regimes antreibt: die Zerstörung des Staates Israel. Ganz konkret wollte die Hamas die sich abzeichnende Normalisierung der Beziehungen Israels zu seinen arabischen Nachbarn, vor allem zu Saudi-Arabien, unterbinden. [….] Die Monstrosität der Tat lässt wenig Zweifel daran, dass Israel alles Recht hat, die Hamas als Bedrohung für Leib und Leben jedes Bürgers und die eigene staatliche Existenz zu betrachten. Sie ist damit ein legitimer, auch militärischer Gegner. Das von Premier Benjamin Netanjahu erklärte Kriegsziel ist also umfassend: "Wir werden die Hamas zerstören."
Hier aber beginnt das eigentliche Problem, weil die Eindeutigkeit des von Netanjahu proklamierten Ziels im Widerspruch zu jeder Erfahrung im Umgang mit Terrororganisationen steht. Kein Land sollte das besser wissen als Israel, das seit Jahrzehnten im eskalierenden Kreislauf von Gewalt, Gegengewalt und Terror als ultimativer Waffe gegen jede Art von konstruktiver Deeskalationspolitik steht. Israel mag nun Führungsfiguren und Kämpfer der Hamas töten, die Infrastruktur zerstören, den Gazastreifen doppelt und dreifach einzäunen - aber es wird den Hass und die radikale Idee des antiisraelischen und antisemitischen Islamismus nicht auslöschen. [….] Die Komplexität des israelischen Sicherheitsdilemmas zwingt das Land aber dazu, seine militärische Übermacht nicht blindwütig, sondern politisch zielführend einzusetzen. Dies ist der eigentliche Test, den das Land nun bestehen muss. Die Erfahrungen der USA von 2001 müssen ihm hier Beispiel und Mahnung sein. Vor allem die Invasion zum Sturz Saddam Husseins im Irak war ein Krieg um des Krieges willen, eine Machtdemonstration ohne durchdachte politische Strategie. [….]
(Stefan Kornelius, 15.10.2023)
Als US-Präsident war GWB für alles verantwortlich, das während seiner Amtszeit geschah. Natürlich hatten die von ihm ausgewählten Gemeindienst- und Sicherheitsexperten katastrophal versagt, als die Flugzeuge ins World Trade Center krachten. Aber er war zu kurz im Amt, um ihn für den weltweiten islamisch geprägten Terror verantwortlich zu machen.
Das ist bei Dauerministerpräsident Netanyahu ganz anders, der ausdrücklich auf dem Sicherheitsticket seine Wahlen gewinnt: Seht mich an, ich bin vielleicht ein bißchen korrupt und kein guter Mensch, aber ich sorge für eure Sicherheit und halte die Palästinenser eisern in Schach.
Ausgerechnet in seiner einzigen Kernkompetenz so offensichtlich und so dramatisch versagt zu haben, schadet ihm jetzt schon, obwohl erst eine Woche seit der Hamas-Terrorattacke vergangen ist und die Bodenoffensive noch nicht mal begonnen hat.
Ja, die Israelis stehen 2023, wie die Amerikaner 2001 patriotisch zusammen, sind finster entschlossen gemeinsam ihr Land zu verteidigen.
Keiner drückt sich, alle fühlen die Verpflichtung zu kämpfen.
Aber während GWB 2001 dadurch automatisch die Autorität als Führungsperson zuwuchs, wackelt Bibi mehr als zuvor. Ja, es gibt nun eine Einheitsregierung und im Moment wird niemand mehr gegen die den Regierungschef protestieren.
Aber die Israelis werden ihm nicht so schnell verzeihen.
Gut möglich, daß er bei den nächsten Wahl endlich in Opposition und damit höchstwahrscheinlich auch hinter Gittern landet.
[……] Im ganzen Land ist eine unbändige Wut auf Benjamin Netanyahu zu spüren. Nicht nur linksliberale Israelis fordern seinen Rücktritt, immer mehr rechte Israelis verlangen ebenfalls, dass er geht. Viele Bürger haben in den vergangenen Monaten gesehen, wie Netanyahu das Land spaltet. Die geplante Justizreform, die ein Ende der demokratischen Gewaltenteilung zum Ziel hat, zerriss die israelische Gesellschaft.
Doch nach dem brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober begreifen die Menschen auch, dass Netanyahu und seine rechtsextremen und nationalistisch-orthodoxen Koalitionäre das Land und seine Bürger im Stich gelassen haben. In den vergangenen Wochen warnten Militärs und Geheimdienst immer wieder: Der Streit um die Justizreform schwäche Israel, die Feinde des jüdischen Staates werden dies ausnutzen, sie werden Israel angreifen.
Um seine Haut zu retten, opferte Netanyahu die Sicherheit seines Landes. […..]
(Richard C. Schneider, SPON, 15.10.2023)
Für den Frieden in Palästina sehe ich schwarz, aber wenn wenigstens Bibi und seine extremistischen Siedler-Minister weg sind, erscheint der Farbton wenigstens nicht mehr Ventablack, sondern lediglich Tiefschwarz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen