Samstag, 10. Februar 2024

Heterosport

Daß mit Thomas Hitzlsperger etwas nicht stimmen kann, wußte ich schon Jahre vor seinem 2014er Outing, weil ich, der größte Fußball-Hasser, seinen Namen kannte.

Der Fußballer hatte mehrfach der ZEIT Interviews gegeben, zu einem radikal unfußballerischen Thema: Literatur! Er schreibt sogar Essays für die ZEIT.

Die meisten Fußballer sprechen nur mit BILD und Kicker, dürften gar nicht wissen, daß es sowas wie ZEIT und SPIEGEL gibt.

[….] ZEIT ONLINE: Welche Bedeutung hat Lesen in Ihrem Leben?

Hitzlsperger: Lesen ist für mich Abwechslung und Ablenkung. Es entspannt mich und bildet.

ZEIT ONLINE: Es gibt Leute, die lesen nur im Urlaub, täglich im Bett oder nur in der U-Bahn. Einige fangen sieben Bücher an und lesen keines zu Ende. Welcher Lese-Typ sind Sie?

Hitzlsperger: Das ist unterschiedlich, ich lese oft aber nicht jeden Tag, manchmal auch eine Woche gar nicht. Die Bücher, die ich nicht zu Ende gelesen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Bevor ich aufhöre, muss es schon verdammt schlimm sein. Mein Lieblingsleseort ist meistens ein schönes Café oder zu Hause auf dem Sofa. Aber mein Buch ist meistens dabei, ich lese auch in der U-Bahn.

ZEIT ONLINE: Welches Buch hat Ihr Leben verändert?

Hitzlsperger: Hmm, kein Buch hat bisher mein Leben verändert. Es gab ein paar, die mir gut gefallen haben und über die ich dann mit Freunden gesprochen habe. Es gibt Bücher, die man schnell wieder vergisst und welche, über die man lange nachdenkt.  [….]

(Die Zeit, 08.09.2013)

Der Mann las! Bücher! Unglaublich. Einer aus der Nationalmannschaft. Den Typen, die sonst mit Rolex, Ferrari und maximal Silikon-betitteten Blondinen ihren geistigen Horizont voll ausfüllen. Die politisch weit rechts stehen, sich mit den CSU- und CDU-Funktionären verbünden, für erzkonservative Typen als Wahlmänner in die Bundesversammlung gehen – wenn sie tatsächlich über Luxusuhren, Luxusautos und Luxus-Bräute hinausgehende Interessen haben sollten.

Da platzt Hitzelsperger rein und spricht über Bücher. Die er liest. Das ist so, als ob der Papst über sein Sexualleben plaudert.

Sicher, ich hatte 2012 auch das sehr lustige und informative Buch „Unser Mann in London“ von Moritz Volz gelesen. Ein belesener Fußballer, der sogar Buchkritiken schreibt und selbst ein Buch veröffentlicht. Aber Volz war schon als 15-Jähriger nach England geschickt worden und spielte später in der zweiten Bundesliga für St. Pauli; der ersten Mannschaft, die von 2002-2010 mit dem Grimmepreisträger, Grünen-Politiker und Theatermacher Corny Littmann eine Schwulen-Ikone als Vereinspräsidenten hatte. Der FC St. Pauli bindet als einziger Top-Verein linksalternative Multikulti-Fans. Die sind tolerant und akzeptieren sogar einen Spieler, der lesen kann.

Hitzelsperger agierte aber als deutscher Meister und Nationalmannschaftsspieler auf einem ganz anderen Prominenz-Niveau mit diesem bizarren Thema Bücher UND engagiert sich auch noch gegen den Rechtsextremismus. Da verkrampfen sich Uli Hoeneß die Eingeweide.

[….] ZEIT ONLINE: Die Fans von Lazio gelten nicht als Intellektuelle. Mit welchem Empfang rechnen Sie? Applaus für den blonden Deutschen oder Misstrauen gegen den Nazikritiker?

Hitzlsperger: Ich habe natürlich davon Kenntnis, was man über die Lazio-Fans sagt. Aber ich will unvoreingenommen die Sache angehen. Mein Prinzip ist es, erst nach gemachter Erfahrung zu urteilen.

ZEIT ONLINE: Es ist ein paar Jahre her, da haben Lazio-Fans eine Hakenkreuzfahne geschwenkt. Wie würden Sie reagieren?

Hitzlsperger: Meine Meinung, was Rechtsradikalismus betrifft, wird sich jedenfalls nicht ändern. Dass ich mich gegen Nazis engagiere, ist übrigens hier schon ein Thema für die Presse. Andererseits ist Italien ein Fußballland. Vor allem in Rom ist Fußball sehr wichtig. Entweder Roma oder Lazio, was anderes scheint es nicht zu geben.  [….]

(Die Zeit, 05.02.2010)

Wenn sich einer soweit von der Kultur seiner Mannschaftskollegen entfernt, ist es nur ein kleines Schrittchen heraus aus der Heteronormativität.

[….] Der erste offen homosexuelle deutsche Fußballstar? Nein! Das sollte es nicht sein, was vom ehemaligen Nationalspieler Thomas Hitzlsperger nun im Gedächtnis bleibt.  Fast auf den Tag genau fünf Jahre ist es her. Thomas Hitzlsperger spielte als Kapitän für den VfB Stuttgart, wir saßen das erste Mal zusammen, nach dem Training, in einem Restaurant bei ihm um die Ecke. Er war zu jener Zeit bereits langjähriger Nationalspieler, Held der Bundesliga und Premier League, Deutscher Meister, Fußballer des Monats, zweiter bei der EM 2008 und dritter bei der WM 2006 im deutschen Sommermärchen, wirkte aber im ersten Moment erstaunlich zurückhaltend.

Danach gab er als Kolumnist regelmäßig Interviews für ZEIT ONLINE. Ich schrieb ein Porträt. Später, als er zu Lazio Rom, West Ham United und dem VfL Wolfsburg wechselte und wegen vieler Verletzungen keine Titel mehr feierte, glich seine Karriere mehr und mehr jener eines Pechvogels. Und nun, wenige Monate nach seinem Karriereende, soll dieser Text wieder ein Porträt werden, jetzt über den schwulen Hitzlsperger. Weil nun alle wissen wollen, wer er ist, der erste deutsche Fußballstar, der über seine Homosexualität redet.

Nun, er ist immer noch derselbe. Thomas Hitzlsperger eben. Mit der Veröffentlichung seiner Sexualität hat das wenig zu tun.  Sein Interview über seine Homosexualität ist nur insofern charakteristisch für ihn, als dass er schon oft andere Wege ging als seine Kollegen. Sein Berufsleben begann mit einer ähnlich mutigen Entscheidung.  [….]

(Steffen Dobbers, 08.01.2014)

Zehn Jahre später fällt schon auf, daß Sportler, die sich wie der Turmspring-Olympiasieger Tom Daley oder der Handballer Lucas Krzikalla outen, eher einen Candy-, als einen Shitstorm erleben.

Also was ist ausgerechnet mit dem Fußball, der populärsten Sportart in Deutschland los, daß es dort keine Outings gibt?

Offenbar sind es weniger „die Medien“, oder „die Fans“, sondern tatsächlich die beschissenen Fußballprofis selbst, die ihren Kollegen das Leben schwer machen.

[….] SZ: Hat sich in den letzten zehn Jahren ein aktiver Profi bei Ihnen gemeldet?

Hitzlsperger: Nein.

SZ: Aber es hat sich doch was getan im Fußball, oder?

Hitzlsperger: Finde ich schon. Es gibt eigentlich keinen Bundesliga-Verein mehr, der nicht schon mal die Regenbogenfahne rausgezogen hätte, der keinen schwul-lesbischen Fanklub hat. Es gibt Vereine, die beim Christopher Street Day dabei sind, das Magazin 11 Freunde hatte die Aktion „Wir stehen zu euch“. Sogar der Kicker hat eine Beilage gemacht. Es ist so viel passiert, Vielfalt ist heute Teil der offiziellen Kommunikation. Von Journalisten höre ich oft, der DFB und die Klubs müssten viel mehr machen. Aber nein, die machen schon genug. Es liegt jetzt wirklich an den Spielern zu erkennen: Die Zeit ist reif.

SZ: Es gibt heute 265 000 Profifußballer weltweit, sieben von ihnen leben offen schwul. Wovor genau haben die anderen noch Angst?

Hitzlsperger: Meine größte Sorge war die Mannschaftskabine. Ich erinnere mich an zwei Diskussionen, da wurden zum Teil krasse Sachen gesagt. „Mit einem schwulen Mitspieler würde ich nicht duschen.“ Oder eine Bemerkung zu unserem Physiotherapeuten: „Wenn du schwul wärst, ich würd’ mich von dir nicht anfassen lassen.“ Ich meine, das waren Mannschaftskollegen von mir!

SZ: Und Sie, was haben Sie gesagt?

Hitzlsperger: Natürlich nichts. Weil ich total unsicher war. Meine Stimme hätte so gezittert, ich hätte mich quasi zwangsgeoutet.

SZ: In Deutschland hat es Ihnen bis heute kein Spieler nachgemacht. Sind Sie der Quotenschwule des deutschen Fußballs?

Hitzlsperger: Nein, das wäre ja eine lächerliche Quote. So verschwindend gering, dass es peinlich wäre, überhaupt davon zu sprechen. Und genau das ist das Problem: Wenn es im Fußball zu dem Thema kein Gesicht gibt, denken viele, es gibt im Fußball keine Schwulen. Genau darauf bauen Klischees auf. Diese hartnäckige Vorstellung, Schwule werden Flugbegleiter oder Friseur. Ich bin schwul, und ich bin Fußballer, das gibt es also. Gleichzeitig beschreibt mich keiner dieser Begriffe ganz, ich bin noch eine Menge anderer Dinge.  [….] SZ: Beim DFB ist jetzt Rudi Völler Sportdirektor. Ein Mann, der in Interviews sagt: „Am Ende werde ich immer meine klassisch-männliche Haltung beibehalten und deswegen weiterhin das Frauengetränk Latte macchiato verweigern.“

Hitzlsperger: Da sage ich, ähnlich wie bei Uli Hoeneß: Das überrascht mich nicht.

SZ: Also bitte, das ist doch ein total verklemmtes Verständnis von Männlichkeit!

Hitzlsperger: Rudi Völler hat als Trainer letztes Jahr noch mal ein Spiel gemacht gegen Frankreich, und das Stadion hat ihn gefeiert. Er ist eine Kultfigur im deutschen Fußball. So einen Spruch mögen viele verwerflich finden, aber was für die Zuschauer im Stadion am Ende zählt, ist das Ergebnis. [….]

(SZ-Interview mit Thomas Hitzlsperger, 02.02.2024)

Mich beruhigt das.

Offenbar ist Fußball nach wie vor genauso furchtbar, wie ich immer dachte. Es besteht also kein Grund dafür, sich damit zu beschäftigen.

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