Donnerstag, 24. Oktober 2013

Die Kehrseite



"Die amerikanische Regierung ist kein Objekt der Beobachtung deutscher Dienste.
 Ich gehe davon aus, dass auch die US-Sicherheitsbehörden
 unsere Entscheidungsträger nicht ausforschen."
- Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am 5. Juli in der Bild-Zeitung.

"Mir ist nicht bekannt, dass ich abgehört wurde."
- Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 14. Juli im ARD-Sommerinterview.

"Sicherheit ist ein Supergrundrecht."
- Innenminister Friedrich nach einer Sitzung des Parlamentarischen
 Kontrollgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) am 16. Juli.


Merkels extrem erfolgreiche Wunderwaffe; ihre Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ hat die nagelkauende Uckermarkerin sehr mächtig gemacht.
Partei und Regierung dominiert sie nach Belieben und auch in Europa geht nichts gegen Merkels Willen.
Last, but not least: Da Merkel das Glück hat einen völlig verblödeten Urnenpöbel zu regieren, gewinnt sie mit ihrer „Ich tu nix und sage alles was ihr wollt“-Methode jede Wahl und thront bei jedem Beliebtheitsranking auf Platz 1.

Nachdem die SPD-Koalitionsverhandlungsführer sich auf zehn Kernforderungen konzentriert haben, toben viele Parteimitglieder, deren individuelle Kernanliegen sich nicht in der Liste der 10 Essentials wiederfinden. Als Partei mit einer breiten Programmatik haben die Sozis viele Pläne, die sie umsetzen wollen. Klar mehr als zehn jedenfalls.

Merkel hat es da viel einfacher. Selbst nach Stunden-langen Grübeln käme niemand auf zehn programmatische Dinge, die der CDU noch wichtig sind.
Es gibt lediglich einige destruktive Stimmungen. Die CDU ist gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, gegen doppelte Staatsbürgerschaft, gegen Frauenquote und gegen volle Homorechte. In Stein gemeißelt ist das aber nicht; Merkel könnte auch das jeweilige diametrale Gegenteil durchdrücken.
Konstruktiv kann  die CDU gar nichts einbringen. Sie hat generell keine Konzeptionen oder Strategien.
 Es soll nur vage irgendwie so weiter gehen. Änderungsbedarf sieht man nicht.

Handlungsbedarf bricht höchstens von außen über die CDU-Kanzlerin ein. Das strategische Denken ist im Kanzleramt längst abgeschafft.
Das beklagen interessanterweise in erster Linie konservative Medien.

Es folgte der Herausgeber der stramm konservativen F.A.Z. Frank Schirrmacher.

Bürgerliche Werte: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“
Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Gerade zeigt sich in Echtzeit, dass die Annahmen der größten Gegner zuzutreffen scheinen.

Das zutiefst bürgerliche Manager-Magazin empört sich in der aktuellen Ausgabe über die totale Denkfaulheit und intellektuelle Unterbesetzung des Merkel’schen Kanzleramtes.

Wie die Merkel-Regierung Politik simuliert
Strategische Fragen werden geräuschlos verwaltet - bestenfalls. Der Euro? Eine Großbaustelle ohne Bauplan. Die Energiewende? Ein Projekt mit desaströsem Vollzugsdefizit. Die drohende Vergreisung der Gesellschaft? Die alles umwälzende Digitalisierung der Wirtschaft? Themen für "Gipfel" genannte Konferenzen, mit denen die Merkel-Regierung Politik zu simulieren pflegt - schöne Bilder, keine Folgen.
[….]   Im Kern plagen das Kanzleramt zwei Defizite: ein personelles und ein strukturelles. Zum einen mangelt es an straffer Leitung; dem Amt fehlt Führung an der Spitze, auch wichtige Abteilungen waren schon stärker besetzt.
Zum anderen ist die Organisation der Regierung überholt: Nach wie vor dominiert das Ressortprinzip. Gemäß Grundgesetz ist die Regierungsgewalt geteilt zwischen den Ministerien. Das Kanzleramt soll kontrollieren und koordinieren. Doch in einer Zeit, in der viele Probleme Ressortgrenzen sprengen, steigt zwangsläufig die Bedeutung der Zentrale.
So erscheint das Merkel-Amt als real existierendes Paradoxon: An der Spitze steht eine Kanzlerin mit Richtlinienkompetenz, die aber, wenn irgend möglich, keine Richtlinien vorgibt. Ihr assistiert ein Kanzleramtschef, der Konflikte ausräumen und Entscheidungen beschleunigen soll, stattdessen aber Streit schürt und Beschlüsse ausbremst.
[…]    Der eigentliche Hebel einer Kanzlerschaft besteht in der Deutungshoheit. Wirkmächtig agieren kann der Regierungschef, wenn er Strategien formuliert - indem er Volk und Welt eine Idee davon vermittelt, wohin man gemeinsam will, und diese Idee dann konkretisiert. Verfassungsrechtler nennen das Richtlinienkompetenz.
Im Zentrum der Macht herrscht inhaltliche Leere
Ideen? Konzepte? Strategien? All das ist Merkels Sache nicht. Im Zentrum der Macht herrscht eine bedrückende inhaltliche Leere.
Das beklagen auch Topentscheider des Regierungsapparats selbst, die die Stiftung Neue Verantwortung kürzlich befragen ließ. Um in einem immer unsichereren Umfeld managen zu können und den Ereignissen seltener hinterherzurennen - "vor die Lage" zu kommen, wie Ministeriale das nennen -, wünschen sich die meisten Befragten mehr strategisches Denken und mehr Koordination.

Der bürgerlich-Intellektuelle CICERO beklagt währenddessen den Jubeljournalismus, der unkritische Merkelbelobigungen abliefert.

Wird es problematisch, leugnet Merkel die Realität und gibt „Es geht uns gut“-Parolen aus.
So auch bei der Snowden-Causa.
Die Ausspähaffäre durch die NSA ignorierte Merkel erfolgreich aus der kurzen Aufmerksamkeitspanne des Urnenpöbels.
Das ist der Nachteil der Niemals-Handeln-Strategie Merkels. Manchmal fällt sie einem auf die Füße, wenn man zu offensichtlich versäumt hat rechtzeitig einzugreifen und dann am Ende eine riesige Terrine mit Krötensuppe auslöffeln muß.

Trotz des Abkommens, das den USA unter bestimmten Bedingungen ohnehin Zugriff auf die Daten zu Zwecken der Terrorabwehr gewährt, soll sich die NSA in die Server des privaten Dienstleisters Swift eingehackt haben.
Bislang schickte Merkel den Innenminister und die Justizministerin vor
 Aus Deutschland hingegen kam bislang ziemlich genau: Null Komma Nichts. Nach den ersten Enthüllungen im Juni verschickten das Innen- und das Justizressort Fragenkataloge, die unbeantwortet blieben. Im Juli reiste Innenminister Hans-Peter Friedrich in die USA, um sich aufklären zu lassen, kam allerdings mit leeren Händen zurück. Peer Steinbrück forderte im Wahlkampf einmal, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA so lange aussetzen, bis Letztere die Dimension ihrer Spionage in Europa aufgeklärt hätten – das hat die SPD inzwischen vergessen. Im August erklärte Ronald Pofalla, sozusagen ex cathedra, die Affäre für beendet, und tatsächlich spielte das Thema im weiteren Wahlkampf kaum eine Rolle, geschweige denn in den Sondierungen. […]  Diese Unschlüssigkeit über die Bedeutung dessen, was wir wissen, ist auch Resultat jener effektiven Beschwichtigungspolitik, die die Kanzlerin nun zum ersten Mal durchbrochen hat. Die Obama-Regierung ging in die Offensive: alles normal, alles notwendig, alles legal. Und Merkel stellte sich bekanntlich doof: Ach, ja, das "Neuland" Internet. Mit dem Ding kann man Handys abhören? So blieb die Affäre stecken, irgendwo zwischen fantastischem Schrecken und Fantasterei.

Auch ihre Europäischen Verbündeten ließ Merkel im Stich. Ohnehin haben sich unter ihrer Kanzlerschaft Deutschlands Außenbeziehungen dramatisch verschlechtert. In vielen Ländern ist das Ansehen Deutschlands komplett ruiniert; in anderen wie Russland, Polen, England oder Frankreich sind „bloß“ die Regierungen mit Merkel zerstritten, weil die Kanzlerin ein erratisch-egoistisches Deutschlandbild zeichnet. Solidarität ist der CDU-Chefin völlig fremd.

Die französische Zeitung "Le Figaro" verweist auf den Anruf von Frankreichs Präsident François Hollande am Montag bei US-Präsident Barack Obama als Reaktion auf einen Bericht von "Le Monde" über massenhafte Spähaktionen in Frankreich. Seit Juli dringe Hollande auf eine härtere Reaktion gegenüber Washington, Merkel habe ihn nicht unterstützt, schreibt "Le Figaro". Am Vorabend des EU-Gipfels an diesem Donnerstag seien die neuen Enthüllungen und die Reaktion der deutschen Regierung aber ein Warnschuss in Richtung der USA "und ein Aufruf zu einer gemeinsamen und starken Reaktion der EU".

Merkels ganze Euphemisierungsstrategie bricht nun zusammen. Aus dem Neuland quillt Hohn und Spott für die „Physikerin der Macht“, die sich so leicht austricksen ließ.

Dr. Siegfried Hansen @DrSiHansen
Na, jetzt ist Mutti aber empört. Die Bürger abhören, das ist ok im Sinne der inneren Sicherheit. Aber jetzt auch... http://fb.me/ZpxpFvXP

opm loge @OpmLoge
Merkel du falsche Schlange!!! Wenn Bürger abgehört werden ist Dir das Scheiss egal wenn selbst betroffen dann wird Obama angerufen..pfui

Andreas Marktzyniker @Marktzyniker
Also ich finde es "antiamerikanisch", dass #Merkel sich wg. #Überwachung v. #Merkelphone beschwert Sofort aus #CDU- ausschließen !

Kai Eff @KaiEff
Warum ruft #Merkel eigentlich Obama direkt an? Wen sie nun anruft, ist doch schnuppe, Obama hört es eh :D #merkelphone #merkelgate

Inzwischen sickern auch erste Privat-SMSe Merkels an die Hauptstadtpresse durch:

Privates

Sauer, Joachim » Merkel, Angela 23.06.13 13:48:12
"Angela, gestern war noch 1 Stück Streuselkuchen übrig. Wo ist das hin?"

Merkel, Angela » Sauer, Joachim 23.06.13 13:49:02
"Weg"

Sauer, Joachim » Merkel, Angela 23.06.13 13:49:40
"???"

Merkel, Angela » Sauer, Joachim 23.06.13 14:32:46
"Hab ich für Poffi mitgenommen"

Sauer, Joachim » Merkel, Angela 23.06.13 14:33:01
"Du hast Pofalla meinen Streuselkuchen gegeben???"

Sauer, Joachim » Merkel, Angela 23.06.13 15:10:13
"Angela??? Was hast Du Dir dabei gedacht???"

Merkel, Angela » Sauer, Joachim 23.06.13 15:10:23
"Richtlinienkompetenz LOL"

Bekanntwerden der NSA-Affäre

Pofalla, Ronald » Merkel, Angela 01.07.13 10:23:04
"Chefin, schon gelesen? Angeblich werden Sie von der NSA abgehört. Da müssen wir was tun."

Merkel, Angela » Pofalla, Ronald 01.07.13 10:24:17
"Damit jetzt rauszukommen, wäre ungünstig wg Obama-Besuch. Wir reagieren wie immer."

Pofalla, Ronald » Merkel, Angela 01.07.13 10:25:03
"Also gar nicht. Sehr gute Idee, Chefin."

Nicht daß es den Wähler nachhaltig stören würde, aber ein bißchen aufgebracht sind schon einige.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar mahnt entschiedene Schritte der neuen Bundesregierung gegen die überbordende Überwachung an. Die Tatsache, dass auch das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin durch US-amerikanische Geheimdienste überwacht worden sein könnte, "belegt, wie absurd der politische Versuch war, die Debatte über die Überwachung alltäglicher Kommunikation hierzulande für beendet zu erklären", sagte Schaar der "Mittelbayerischen Zeitung". "Angesichts der neuen Enthüllungen war es geradezu verantwortungslos, die Aufklärung nicht entschiedener vorangetrieben zu haben."

Allerdings hat die Kanzlerin viereinhalb Monate und ein sattes Maß an allerpersönlichster Betroffenheit gebraucht, um zu einer angemessenen politischen Reaktion zu gelangen und endlich zum Telefonhörer zu greifen.
Auch das bleibt inakzeptabel. Auch das geht gar nicht.

Merkel, die im Wahlkampf leutselig behauptete hatte es gäbe keine Spitzelaffäre nun Jahrelang selbst ausgespäht zu wähnen, ist natürlich Futter für die Satiriker. Da lacht das Netz.

Nun hat sich auch Hans-Peter Friedrich (CSU) zur mutmaßlichen Überwachung des Mobil­telefons der Kanzlerin geäußert. Wörtlich sagte der Bundes­innen­minister: "Freiheit ist ein Grundrecht, muss aber vor dem Super­grundrecht auf Sicherheit zurücktreten. Die Abhörsicherheit des Handys von Merkel ist wiederum - und das erfinde ich nicht einfach so - ein Super­duper­grundrecht, vor dem das Super­grundrecht auf Sicherheit zurücktreten muss."

John B. Emerson, Botschafter der Ver­einig­ten Staaten in Deutschland, zittert nach eigenem Bekunden bereits vor seiner Begegnung mit Guido Wester­welle (FDP), von dem er wegen der Handy­affäre um Angela Merkel einbestellt wurde. "Ich habe große Angst vor dem gerechten Zorn des allseits respektierten Guido Westerwelle. Dieser Mann hat in seiner Amtszeit, die in wenigen Tagen endet, nicht nur Tyrannen das Fürchten gelehrt, er war auch lange Zeit Vorsitzender einer der wichtigsten Parteien dieses Landes", so der Diplomat diplomatisch.

Noch lustiger ist wieder einmal nur die Realität:

"Es ist nicht meine Aufgabe, mich in Details von Prism einzuarbeiten. (...) Der amerikanische Präsident Obama hat vor einigen Tagen gesagt, hundert Prozent Sicherheit, hundert Prozent Privatsphäre, null Unannehmlichkeit, das sei nicht zu haben. Das stimmt."
- Kanzlerin Merkel am 19. Juli vor der Bundespressekonferenz.

"Die Vorwürfe sind vom Tisch. (...) Die NSA und der britische Nachrichtendienst haben erklärt, dass sie sich in Deutschland an deutsches Recht halten. (...) Der Datenschutz wurde zu einhundert Prozent eingehalten."
- Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) am 12. August nach einer Sitzung des PKGr.

"Wir haben keine Anhaltspunkte, dass dies geschehen ist. (...) Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt."
 - Innenminister Friedrich am 16. August in der Rheinischen Post auf die Frage, ob europäische oder deutsche Regierungsstellen abgehört wurden.

"Ich habe keinen Grund, an den Angaben der USA zur Einhaltung deutschen Rechts zu zweifeln."
- Kanzlerin Merkel am 19. August in der Passauer Neuen Presse.

"Was wir heute hier erleben ist die Fortsetzung des rot-grünen Sommertheaters. Wie erkläre ich einen Skandal, der keiner ist."
 - Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) in der Bundestagsdebatte über Tempora und Prism am 3. September.



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