Den
Koalitionsvertrag abgelehnt zu haben, war keine Entscheidung, die ich guten
Gewissens fällte.
Ja,
es geschah aus inhaltlichen Gründen und (zu einem kleineren Teil) als
Warnschuss vor den Bug der Parteiführung.
Ich
frage mich aber immer noch, ob das nicht taktisch fürchterlich nach hinten
losgehen kann und wäre deswegen nicht sehr enttäuscht, wenn ich in einer
Minderheit bliebe.
Die
gesamte Führung inklusive aller Landesparteivorstände spricht sich vehement FÜR
die GroKo aus und sie hat tatsächlich ein sehr schlagkräftiges Argument:
Die
Parteiführung kämpft mit vollem Einsatz für den Koalitionsvertrag. Das
Kernargument von Spitzengenossen wie Sigmar Gabriel, Hannelore Kraft oder
Andrea Nahles: Ohne unsere Einflussnahme wäre alles noch viel schlimmer. Und:
Kompromisse gehören zur Demokratie genauso wie Verantwortung.
Ich
bleibe aber dabei, daß es mir an Klarheit und Transparenz fehlt.
Es
wurde sowohl durch Weglassen, als auch durch bewußt schwammige Formulierungen
verschleiert.
Der
Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Doch offenbar sind längst nicht alle
Abkommen der beiden Parteien schriftlich festgehalten worden. Nach
Informationen der "Bild"-Zeitung gibt es viele Zusatzvereinbarungen,
die im Koalitionsvertrag nicht erwähnt werden.
Neben dem
geplanten Verbot für Schönheits-OPs bei Jugendlichen gibt es auch beim Thema
Krankenkassen geheime Nebenabsprachen. So sollen bei Steigerungen der
Krankenkassenbeiträge in Zukunft nicht nur die Arbeitnehmer zur Kasse gebeten
werden, sondern auch die Arbeitgeber. Dadurch sollen die Beiträge nicht
"einseitig ins Unendliche steigen", so das Blatt.
Auch bei der
Rente soll es eine Zusatzabsprache geben, die nicht im Koalitionsvertrag steht.
Offiziell gilt: Versicherte sollen nach 45 Beitragsjahren mit 63 abschlagsfrei
in Rente gehen. Eingerechnet werden dabei ausdrücklich „Zeiten der
Arbeitslosigkeit“. Die Nebenabsprache der Unterhändler von Union und SPD sieht
offenbar jedoch eine strikte Begrenzung vor: Als Beitragsjahre werden maximal 5
Jahre Arbeitslosigkeit anerkannt. […..]
Warum aber
stehen diese Punkte im Vertrag, während eine Reihe von anderen wichtigen Dinge
im Verborgenen vereinbart wurden? Die Protokollnotiz zum Beispiel, laut der die
Koalition die Arbeitgeber langfristig an den steigenden Ausgaben der Kassen
beteiligen will. Zu den Heimlichtuereien gehören auch die Verteilung der
Ministerposten und der Zuschnitt der Ministerien. Der Koalitionsvertrag 2005
kam noch ohne Nebenabsprachen aus. Im Gegensatz zu damals scheint man heute die
öffentliche Debatte zu fürchten, zumindest aber Angst vor den SPD-Mitgliedern
zu haben, die ja noch über das Vertragswerk abstimmen müssen. Und so behandelt
man Bürger und Genossen wie die Kinder, sagt ihnen nicht die ganze Wahrheit.
Diese paternalistische Haltung alleine wäre schon schlimm genug. Sie beißt sich
zudem mit den eigenen Ansprüchen: Dem Versprechen, das Handeln des Staates
transparenter zu machen, ist ein eigenes Kapitel im Koalitionsvertrag gewidmet.
(Guido Bohsem, SZ vom 04.12.2013)
Also
wirklich Frau Nahles – ein 185 Seiten dickes Werk und das war immer noch nicht
ausreichend, so daß lauter geheime Zusätze formuliert wurden?
Und
dann das entsetzliche Merkel-Sprech, auf das sich die Sozis eingelassen haben!
Der
Koalitionsvertrag liest sich zuweilen so, als hätten Kabarettisten daran
mitgeschrieben. Der Tourismus in Deutschland, so heißt es allen Ernstes in dem
über 180-seitigen Papier von Union und SPD, brauche "ein gutes
Preis-Leistungs-Verhältnis". Der Ausbau der touristischen Infrastruktur
müsse mit den "bewährten Fördermitteln weiter unterstützt werden".
Selbst merkwürdige Fragen der Gesellschaftspolitik finden ausführlichen
Niederschlag: "Fördermittel für die Kultur- und Kreativwirtschaft sollten
in einer Datenbank dargestellt werden." An den Straßenverkehr wird
ebenfalls gedacht. "Die Qualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrer"
soll erhöht werden.
Dafür fehlen
in dem Regierungsprogramm wichtige Passagen. Die Republik diskutiert über
Marginalien wie eine Autobahnmaut, wobei es darum gehen könnte, wie Schwarz-Rot
die großen Fragen der Wirtschaftspolitik beantworten will. Bei diesen Fragen
herrscht Leere. Wo gesagt werden sollte, wie viel Geld die künftige Regierung
in Straßen, Schienen, Bildung und technische Infrastruktur stecken will, um ein
Versprechen aus dem Wahlkampf zu halten, kommt nur wenig. "Wir setzen auf
eine Doppelstrategie aus Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen",
heißt es pauschal. Genaueres fehlt.
Weiß hier
jemand, was „Schnellreaktionsmechanismus“ ist? Oder „Thesaurierungsregelungen“?
Oder „Transphobie“? Oder „Spitzenclusterwettbewerbe“? Oder
„Landesbasisfallwert“? Oder „Interoperabilität“? Ich weiß das nicht, ich kann
mich aber jetzt auch nicht darum kümmern. Ich bin wieder auf Tour: „Walking
home for Christmas.“ Dazu erst mal nur: Ich bin durch eine Gegend gekommen, da
kann man sich Nasenlöcher stechen lassen. Für diejenigen, die bislang noch
keine Nasenlöcher hatten, führt das zu einer komplett neuen transnasalen
Erfahrung. Ich setze transnasal jetzt mal analog zu transparent.
Zurück zu den
schwierigen Wörtern. Die haben Professor Doktor Frank Brettschneider, Leiter
des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, und
Kollegen einem Werk entnommen.
Sie machen so
etwas öfter und forschen nach der Verständlichkeit von Texten. Sie haben auch
einen „Verständlichkeitsindex“ aufgestellt, der von 0 (völlig unverständlich)
bis 20 (sehr verständlich) reicht. Die Politik-Beiträge der „Bild“ liegen zum
Beispiel bei 16,8. Politikwissenschaftliche Doktorarbeiten sind dagegen schwer
verständlich mit einem Wert von 4,7. Das vorliegende Werk, das die
Wissenschaftler sich gerade vorgenommen haben, hat einen Wert von 3,48, ist
also noch unverständlicher.
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Das ist also
ein Text, bei dessen Lektüre man unweigerlich Hä?! sagt. Auch bei solchen
Wörtern wie „Methodenbewertungsverfahren“, „Arzneimitteltherapiesicherheit“
oder „Flächenneuinanspruchnahme“. Hä?! Die Wörter stehen auch in dem
vorliegendem Werk. Da stehen auch Sätze drin, bei denen man schon in der Mitte
nicht mehr weiß, wie der Satz angefangen hat, und man ist noch gar nicht am
Punkt angelangt.
Ich
werde an dieser Stelle nicht noch einmal auf die einzelnen inhaltlichen Kritikpunkte des Vertrages
eingehen, da sie immer wieder aufgelistet wurden.
Die massiven Makel des
Koalitionsvertrages insbesondere im gesellschaftspolitischen Bereich hatte ich schon
mehrfach angesprochen:
Keine Finanzierungspläne, lange Übergangsfristen,
keine Transparenz, keine Reform der Unternehmens- oder Mehrwertsteuer,
Rentenerhöhung einseitig zu Lasten der gesetzlich Angestellten, keine Reformen
im Gesundheitssystem, keine Steuererhöhungen für Millionäre, kein
Rüstungsexportstopp, keine humanere Entwicklungshilfepolitik, keine Deckelung
von Managergehältern, keine Bafög-Reform, 400.000 Privatversicherte, die de
facto keine Versicherung mehr haben, weil sie sich die Rasant steigenden
Beiträge nicht mehr leisten können werden einfach im Stich gelassen und bei den
Minderheiten sieht es noch dürftiger aus: Flüchtlinge und Asylanten werden im
Stich gelassen, es gibt keine rechtliche Gleichstellung von Schwulen und obwohl
Gabriel und Co werbewirksam aufsagen „die doppelte Staatsbürgerschaft kommt!“,
kommt diese eben NICHT.
Wer älter als 23 ist
- ich bin selbst ganz knapp drüber – muß Ausländer bleiben und ist in
Deutschland nicht willkommen.
Noch
nicht mal den Mindestlohn, mit dem Sigmar und Andrea sich so sehr brüsten,
kommt allen zu Gute. Hunderttausende wurden von den Sozis ausgeklammert.
Eine
bizarre Situation träte für mich ein, wenn die SPD-Basis tatsächlich den
Vertrag mehrheitlich ablehnte und damit Nahles und Gabriel zurücktreten müßten.
Habe
ich doch stets gegen Plebiszite argumentiert, weil man damit die Hauptverantwortung
auf die Schlechtinformiertesten abwälzt.
Auch
in diesem Fall meine ich, daß die Parteiführung den Koalitionsvertrag besser
kennt, als die Mitglieder. Viele Basis-Sozis stimmen nach meinem Eindruck aus
ihrer rein egozentrischen Sicht oder aus einer diffusen Ablehnung der CDU ab.
Eine
Menge idiotischer Contra-GroKo-Argumente werden da transportiert.
Etwa,
daß es den Ober-Sozis um Pöstchen ginge.
Alberner
geht es kaum. Natürlich wollen die Öberen Regierungsjobs! Das sollen sie auch
wollen! Sonst wären sie nicht in die Parteiführung gewählt worden!
Schreckten Gabriel und Co vor der Verantwortung zurück, wäre das erst Recht ein Skandal.
Schreckten Gabriel und Co vor der Verantwortung zurück, wäre das erst Recht ein Skandal.
Dennoch habe ich mit Nein gestimmt und „riskiere“ damit ein
politisches Erdbeben auszulösen, indem die Basis die eigene Führung unmittelbar
vor der Regierungsbildung enteiert.
Was
für ein Treppenwitz es wäre Nahles in Rente zu schicken, nachdem sie im Jahr
2005 während der laufenden Verhandlungen über die Große Koalition den eigenen
Parteichef Müntefering über die Klinge springen ließ.
„Geschieht
ihr Recht“ mögen einige denken, aber wäre der Preis nicht zu hoch?
Noch immer befürchte ich, daß am Ende Merkel die Lachende ist.
Noch immer befürchte ich, daß am Ende Merkel die Lachende ist.
Allein,
es hätte schlimmer kommen können, wenn sich nämlich die SPD-Basis als
desinteressiert gezeigt hätte. Offenbar ist die Beteiligung am
Mitgliederentscheid aber überraschend extrem hoch, so daß die
Plebiszit-Befürworter jubilieren werden.
Das
Experiment „Urwahl“, das 1993 bei der Scharping-Wahl so grandios gescheitert
war, indem es letztendlich Helmut Kohl vier weitere Jahre Kanzlerschaft
sicherte, könnte diesmal wieder die CDU erfreuen.
Immerhin
scheint es technisch zu funktionieren. Es ist gute PR für die SPD. Die Sozen
zeigen sich als lebendige und demokratische Partei.
In
Umfragen nützt das allerdings gar nichts. Sie würde bei Neuwahlen höchstwahrscheinlich
noch schlechter abschneiden und Merkel eine rechte Koalition oder
Alleinregierung ermöglichen.
Eine gewisse
Dominanz der öffentlichen Debatte kann man der ganzen Nummer kaum absprechen.
Die SPD wird so allerdings zum Urheber der Koalition in der öffentlichen
Wahrnehmung. Das wäre eine Antwort auf die Verschwindibus-Strategie der letzen
Großen Koalition. Merkel konzentriert sich schon jetzt auf ihren neuen Job als
politische Tatortreinigerin – sie kommt hinterher und macht, was sie will.
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